OGH 8ObA10/24i

OGH8ObA10/24i25.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Tarmann‑Prentner als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka und Dr. Stefula als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei H*, vertreten durch Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwalt in Wels, gegen die beklagte Partei International Atomic Energy Agency, *, wegen 10.916,43 EUR sA, Feststellung, Rechnungslegung und Zahlung (Art XLII EGZPO) sowie Versehrtenrente, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. Jänner 2024, GZ 9 Ra 19/23i‑41, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:008OBA00010.24I.0425.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin macht Ansprüche gegen die in Wien ansässige Internationale Atomenergie-Behörde (in der Folge kurz IAEO) als ihre frühere Arbeitgeberin geltend, weil sie von dieser rechtswidrig frühpensioniert und im Gehaltsschema unrichtig eingestuft worden sei.

Rechtliche Beurteilung

[2] In ihrem nunmehr gegen die (nach Unterbrechung nach § 62a Abs 6 VfGG und Fortsetzung des Rekursverfahrens nach Vorliegen der VfGH-Entscheidung getroffene) Rekursentscheidung (mit der die erstgerichtliche Zurückweisung der Klage mangels inländischer Gerichtsbarkeit bestätigt wurde) erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs zeigt die Klägerin keine erheblichen Rechtsfragen auf.

[3] 1.1. Im Abkommen zwischen der Republik Österreich und der IAEO über den Amtssitz der Internationalen IAEO, BGBl 1958/82 (in der Folge Amtssitzabk), ist in Art III („Exterritorialität des Amtssitzbereiches“) Abschn 9 vorgesehen, dass der Amtssitzbereich unverletzlich ist; dass kein Funktionär oder Beamter der Republik Österreich noch irgendeine in der Republik Österreich Hoheitsrechte ausübende Person den Amtssitzbereich betreten darf, um dort dienstliche Weisungen auszuführen, außer mit Zustimmung des Generaldirektors und unter den von ihm festgelegten Bedingungen; dass gerichtliche Vollzugshandlungen, einschließlich der Beschlagnahme privaten Eigentums, im Amtssitzbereich nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Generaldirektors und unter den von ihm festgelegten Bedingungen stattfinden dürfen; und dass die IAEO verhindern wird, dass der Amtssitzbereich Personen als Zuflucht dient, die sich der Verhaftung aufgrund eines Gesetzes der Republik Österreich entziehen wollen, die die Regierung an ein anderes Land ausliefern will oder die gerichtlichen Vollzugshandlungen zu entgehen versuchen. Art VIII Abschn 19 Amtssitzabk normiert, dass die IAEO und ihr Eigentum, wo immer es liegt und in wessen Händen es sich befindet, von jeglicher Jurisdiktion befreit ist, es sei denn, dass sie in einem besonderen Fall ausdrücklich auf ihre Immunität verzichtet hat. Nach Art VIII Abschn 20 Amtssitzabk ist das Eigentum der IAEO, wo immer es liegt und in wessen Händen es sich befindet, vor jeder Durchsuchung, Requisition, Beschlagnahme, Enteignung oder sonstigen Form von Zwangsmaßnahmen der Vollzugs-, Verwaltungs-, Gerichts- oder gesetzgebenden Behörden geschützt. DieIAEO verpflichtet sich in Art XIX Abschn 50 Amtssitzabk, Maßnahmen hinsichtlich geeigneter Verfahren zu treffen zur Beilegung von Streitigkeiten aus Verträgen oder Streitigkeiten privatrechtlichen Charakters, bei denen die IAEO Partei ist, sowie von Streitigkeiten, an denen ein Angestellter der IAEO, der aufgrund seiner amtlichen Stellung Befreiung von der Jurisdiktion genießt und dessen Befreiung von der IAEO nicht aufgehoben wurde, beteiligt ist.

[4] 1.2. In den Statuten der IAEO, BGBl 1957/216 (in der Folge Statuten), ist in Art XV („Privilegien und Immunitäten“) geregelt, dass die IAEO auf dem Hoheitsgebiet jedes Mitglieds die Rechte, Privilegien und Immunitäten genießt, deren sie bedarf, um ihre Aufgaben zu erfüllen (A.). Delegierte der Mitglieder sowie ihre Stellvertreter und Berater, die Mitglieder des Gouverneursrates sowie ihre Stellvertreter und Berater, der Generaldirektor und das Personal der IAEO genießen jene Privilegien und Immunitäten, deren sie bedürfen, um die ihnen im Rahmen der IAEO obliegenden Aufgaben unabhängig erfüllen zu können (B.). Die in diesem Artikel erwähnten Rechte, Privilegien und Immunitäten werden in einem oder in mehreren gesonderten Abkommen zwischen der IAEO, die zu diesem Zweck von dem nach den Anweisungen des Gouverneursrates handelnden Generaldirektor vertreten wird, und den Mitgliedern festgelegt (C.).

[5] 1.3. Die IAEO hat ausdrücklich erklärt, in Bezug auf die von der Klägerin angestrengte Klage auf ihre Immunität nicht zu verzichten.

[6] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat zu den Fragen der Immunität internationaler Organisationen und der Bedeutung eines organisationsinternen Beschwerdeverfahrens im Sinn des Art 13 EMRK in Verbindung mit Art 6 Abs 1 EMRK bereits wiederholt (vgl unlängst 8 ObA 67/21t und 9 ObA 56/21g, jeweils mwN) dahin Stellung genommen, dass sich die Befreiung internationaler Organisationen und ihrer Vermögen von nationaler Gerichtsbarkeit (Immunität) regelmäßig aus den einschlägigen internationalen Abkommen oder den zwischen ihnen und der Republik geschlossenen Abkommen (Amtssitzabkommen) ergibt. Auf diese Weise sollen die internationalen Organisationen vor Eingriffen und Einflussnahmen durch die Organe einzelner Staaten geschützt werden (RS0045442). Internationale Organisationen genießen weitergehende Vorrechte als fremde Staaten. Während ausländische Staaten nach innerstaatlichem Recht und herrschendem Völkerrecht nur für hoheitliches Handeln, nicht jedoch im Rahmen ihrer Eigenschaft als Privatrechtsträger Immunität genießen, ist die Immunität internationaler Organisationen im Rahmen ihrer funktionellen Beschränkung grundsätzlich als absolut anzusehen (RS0046275). Weder aus EGMR 18. 2. 1999, Bsw 26083/94, Waite & Kennedy vs Germany(wonach eine Beschränkung des Zugangs zu einem Gericht dann nicht mit Art 6 Abs 1 EMRK vereinbar ist, wenn sie nicht ein legitimes Ziel verfolgt und die verwendeten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem vernünftigen Verhältnis stehen, wofür entscheidend ist, ob dem Beschwerdeführer eine vernünftige Alternative für die wirksame Durchsetzung seiner Rechte zur Verfügung stand) noch aus EGMR 6. 1. 2015, Bsw 215521/08, Perez vs Germany , ist ableitbar, dass ein staatliches Gericht unter Missachtung des Legalitätsprinzips die Immunität einer internationalen Organisation außer Acht zu lassen hätte. Vielmehr verfolgt die Einräumung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen grundsätzlich legitime Ziele und auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kann nicht dazu führen, eine internationale Organisation zu zwingen, sich der innerstaatlichen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen.

[7] 2.2. Von diesen Grundsätzen abzugehen, besteht hier kein Anlass:

[8] 3.1.  Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung des von der Klägerin im vorliegenden Verfahren gemäß Art 140a B-VG gestellten Antrags zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Art III Abschn 9 und Art VIII Abschn 19 und 20 Amtssitzabk sowie Art XV Statuten abgelehnt (VfGH 15. 6. 2023, SV 1/2023 ua). Die Klägerin hatte Bedenken dahin geltend gemacht, dass die von der IAEO getroffenen internen Maßnahmen, also die Einrichtung und Befassung des Joint Appeals Board (JAB) sowie die Entscheidungen durch den Generaldirektor und (nachprüfend) das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (Administrative Tribunal of the International Labour Organization – ILOAT), keine geeigneten Maßnahmen im Sinn des Art 6 EMRK seien und daher eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht sowie auf ein faires Verfahren gemäß Art 6 EMRK vorläge. Der Verfassungsgerichtshof hielt dafür, dass vor dem Hintergrund von Art XIX Abschn 50 lit a Amtssitzabk sowie der – von der Klägerin und Antragstellerin nicht bestrittenen – Möglichkeit, Beschwerde an das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation zu erheben (VfGH 29. 9. 2022, SV 1/2021; EGMR 6. 1. 2015, 415/07, Klausecker), das Vorbringen des Antrags der Klägerin die behaupteten Verfassungswidrigkeiten als so wenig wahrscheinlich erkennen lasse, dass er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

[9] 3.2. Die Parteien haben kein Antragsrecht in Bezug auf eine Normenanfechtung durch die Gerichte (RS0056514). Zu einer weiteren amtswegigen Anfechtung sah das Rekursgericht keinen Grund; dass es dabei sein pflichtgemäßes Ermessen überschritten hätte, ist nicht ersichtlich (vgl schon 9 ObA 73/16z).

[10] 3.3. Vor diesem Hintergrund sieht sich auch der Oberste Gerichtshof durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und von ihm zitierte EGMR‑Judikatur referierenden Revisionsrekurs nicht veranlasst, die Verfassungsgemäßheit von Amtssitzabk und Statut als bindende Staatsverträge in Frage zu stellen (vgl Art 89 Abs 1 und 2 B‑VG): Die Beklagte sieht ein mehrstufiges Beschwerdeverfahren vor, zu dem bereits sowohl der EGMR (6. 1. 2015, 415/07, Klausecker, Rz 70 ff) als auch der Verfassungsgerichtshof (29. 9. 2022, SV 1/2021, Pkt IV.2.6 aE) darauf hingewiesen haben, dass auch die Beschwerdemöglichkeit letztlich an das – von der Klägerin erneut als ungenügend vermeinte – Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation bzw die Möglichkeit eines Schiedsverfahrens nach dessen Regeln ein hinreichender angemessener alternativer Streitbeilegungsmechanismus wäre.

[11] 4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

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