OGH 8Ob34/23t

OGH8Ob34/23t24.5.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn sowie die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Insolvenzsache der Schuldnerin M* D*, vertreten durch Dr. Gerhard Preisl, Dr. Helgar Schneider, Rechtsanwälte in Bregenz, über den Revisionsrekurs der Gläubigerin R*, vertreten durch *, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 23. Februar 2023, GZ 2 R 23/23g‑38, mit dem ihr Rekurs gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 5. Oktober 2022, GZ 22 S 35/15p‑23, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0080OB00034.23T.0524.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts ersatzlos behoben wird.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom 12. 1. 2016 wurde über Antrag der Schuldnerin nach Scheitern eines Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Die Revisionsrekurswerberin gehört in diesem Insolvenzverfahren zu den Gläubigern.

[2] Am 16. 8. 2022 teilte sie dem Erstgericht mit, dass sie nach ihrem verstorbenen Vater einen Pflichtteilsanspruch habe, dessen geschätzte Höhe etwa 43.333 EUR betrage. Die Alleinerbin, ihre Mutter, verweigere derzeit eine Zahlung, es bestehe jedoch die Aussicht auf einen Vergleich über eine Summe von 30.000 EUR. Die Schuldnerin strebe diesen Vergleich an, weil sie nicht gern gegen die eigene Mutter prozessieren wolle. Der bestellte Treuhänder habe ihr mitgeteilt, dass es ihr selbst obliege, so viel wie möglich für die Masse zu lukrieren. Um nicht das Risiko einer Obliegenheitsverletzung im laufenden Abschöpfungsverfahren einzugehen, ersuche sie um gerichtliche Genehmigung der in Aussicht genommenen Einigung.

[3] Das Erstgericht sprach daraufhin mit Beschluss vom 5. 10. 2022 aus, dass der beabsichtigte Vergleich konkursgerichtlich genehmigt werde. Die vorgeschlagene Vorgangsweise erscheine für die Masse, die Gläubiger und die Schuldnerin vorteilhaft.

[4] Das Rekursgericht wies den gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs der Gläubigerin zurück.

[5] Grundsätzlich komme im insolvenzrechtlichen Verwertungsverfahren einem Gläubiger kein Mitwirkungsrecht und kein Rekursrecht zu. Durch den angefochtenen Beschluss werde auch nicht in eine Rechtsposition der Rekurswerberin eingegriffen, sondern er berühre nur ihre wirtschaftlichen Interessen.

[6] Darüber hinaus fehle im Abschöpfungsverfahren überhaupt eine Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung. Zur Geltendmachung einer behaupteten Obliegenheitsverletzung des Schuldners stehe der Gläubigerin der Einstellungsantrag nach § 211 IO zur Verfügung, den sie am 27. 10. 2022 ohnehin gestellt habe.

[7] Der gegen diese Entscheidung gerichtete, mangels Zulassung durch das Rekursgericht außerordentliche Revisionsrekurs der Gläubigerin strebt primär die ersatzlose Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen, in eventu die Abänderung des erstgerichtlichen Beschlusses im Sinne einer Antragsabweisung und eines Verwertungsauftrags an den Treuhänder, schließlich hilfsweise eine Aufhebung „zur neuerlichen Entscheidung“ durch das Erstgericht an.

Rechtliche Beurteilung

[8] Nach ständiger Rechtsprechung ist das Rechtsmittel gegen einen Beschluss des Gerichts zweiter Instanz auf Zurückweisung eines Rekurses ein Revisionsrekurs iSd § 528 ZPO, der nur unter dessen Voraussetzungen, insbesondere Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage, anfechtbar ist (RS0044501). Eine solche Rechtsfrage macht der Revisionsrekurs hier geltend, weil das Rekursgericht die Frage der Rechtsmittellegitimation nicht im Einklang mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung beurteilt hat. Der Revisionsrekurs ist daher zulässig und im Sinne des Spruchs auch berechtigt.

[9] 1. Der Schuldner erlangt mit Rechtskraft des Beschlusses, mit dem das Abschöpfungsverfahren eingeleitet wird, wieder seine frühere Rechtsstellung (§ 200 Abs 4 erster Satz IO, § 59 IO). Er ist in seiner persönlichen Handlungsfähigkeit dann nicht mehr beschränkt. Es besteht damit auch keine Rechtsgrundlage für eine gerichtliche Genehmigung von beabsichtigten Rechtsgeschäften, die der Schuldner nach Aufhebung des Konkurses abschließen will oder abschließt.

[10] Soweit der Schuldner nach § 210 Abs 1 Z 2 IO erworbenes Vermögen herauszugeben hat, obliegt dessen Verwertung nach § 203 Abs 2 IO grundsätzlich dem bestellten Treuhänder, der sie aber dem Schuldner (wie im vorliegenden Fall nach dem Antragsvorbringen zumindest schlüssig geschehen) übertragen kann. Die danach gesetzten Verwertungshandlungen des Schuldners bedürfen aber zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Treuhänders (§ 203 Abs 2 IO; Kodek, Privatkonkurs3 Rz 14.131).

[11] Eine gerichtliche Genehmigung solcher Verwertungshandlungen ist im Gesetz nicht vorgesehen.

[12] 3. Zutreffend hat das Rekursgericht erkannt, dass das Gesetz dem Anspruch der Gläubiger auf Einhaltung der nach § 210 Abs 1 Z 2 und 4 IO den Schuldner treffenden Verpflichtung, während der Rechtswirksamkeit der Abtretungserklärung von Todes wegen erworbenes Vermögen anzunehmen und herauszugeben, grundsätzlich durch das Antragsrecht nach § 211 Abs 1 Z 2 IO auf vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens Rechnung trägt. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen solchen Antrag ist der Beschluss über die Beendigung und Restschuldbefreiung auszusetzen (§ 213 Abs 1 IO). Die Revisionsrekurswerberin hat von der Möglichkeit eines Einstellungsantrags auch Gebrauch gemacht. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht erfolgt, es wird darin aber zu beurteilen sein, ob die Schuldnerin ihre Pflicht nach § 210 Abs 1 Z 2 und 4 IO erfüllt hat.

[13] 3. Der angefochtene Beschluss des Erstgerichts ist im Abschöpfungsverfahren nicht vorgesehen.

[14] Grundsätzlich sind im zivilgerichtlichen Verfahren ergangene Beschlüsse immer anfechtbar, wenn ihre Anfechtung nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Das muss auch für vom Gericht gefasste Beschlüsse, die gesetzlich nicht vorgesehen sind, gelten, sofern die Zulässigkeit der Anfechtung nicht mangels Beschwer zu verneinen ist (RS0122109). Rechtsmittelausschlüsse sind einschränkend zu interpretieren (4 Ob 9/17b; RS0057289).

[15] Ein Rechtsschutzinteresse an der Bekämpfung des erstgerichtlichen Beschlusses ist hier bei der Gläubigerin schon allein dadurch begründet, dass zumindest denkbar ist, dass seine Rechtskraft dem Erfolg ihres offenen Einstellungsantrags entgegen stehen könnte (vgl 8 Ob 38/07g). Der Beschluss nimmt die im Verfahren über den Einstellungsantrag zu treffende rechtliche Beurteilung des angestrebten Vergleichs im Hinblick auf die Obliegenheit nach § 210 Abs 1 Z 4 IO bereits inhaltlich vorweg. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist unter diesen Umständen die Beschwer der betroffenen Gläubigerin und damit die Anfechtbarkeit der erstgerichtlichen Entscheidung zu bejahen.

[16] 4. Dies führt zu dem Ergebnis, dass dem Revisionsrekurs Folge zu geben und in Abänderung des Beschlusses des Rekursgerichts der Genehmigungsbeschluss des Erstgerichts mangels einer gesetzlichen Grundlage ersatzlos zu beheben war.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte