European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00032.21W.0503.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] 1. Strittig sind nun konkret nur mehr Verdienstentgangsansprüche der Klägerin, die Zeiträumen vor Juli 2017 zuzuordnen sind. Die Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass die Ansprüche, die die Klägerin jetzt nachträglich geltend macht, weil sie mit Bescheid der zuständigen Bezirkshauptmannschaft vom 4. 4. 2019 zur Rückzahlung der von ihr vom 1. 9. 2013 bis 30. 4. 2018 bezogenen Mindestsicherung verpflichtet wurde, verjährt seien.
Rechtliche Beurteilung
[2] 2.1 Die Verjährungseinrede verstößt gegen Treu und Glauben, wenn die Fristversäumnis des Berechtigten auf ein Verhalten seines Gegners zurückzuführen ist (RIS‑Justiz RS0014838, RS0034537). Dazu zählt nicht nur ein aktives Vorgehen des Schuldners, das den Gläubiger geradezu abhält, der Verjährung durch fristgerechte Einklagung vorzubeugen, sondern auch ein Verhalten des Schuldners, aufgrund dessen der Gläubiger nach objektiven Maßstäben der Auffassung sein konnte, sein Anspruch werde entweder ohne Rechtsstreit befriedigt oder nur mit sachlichen Einwendungen bekämpft, sodass er aus diesen Gründen eine rechtzeitige Klagsführung unterlassen hat (RS0014838 [T5, T7, T11]; RS0034537 [T8, T9]). Die Frage, ob die Einrede gegen Treu und Glauben verstößt, kann nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden und begründet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0014838 [T15]).
[3] 2.2 Nach den Feststellungen hielt die Beklagte dem im Vorverfahren angesichts einer drohenden Rückforderung durch die Bezirkshauptmannschaft um die bezogene Mindestsicherung ausgedehnten Klagebegehren der auch dort klagenden Geschädigten entgegen, dass die Mindestsicherung zum Verdienstentgang kongruent sei, sodass sich die Klägerin diese Leistungen auf den Verdienstentgang anzurechnen lassen habe. Zudem wandte die Beklagte ein, dass die Klägerin bezüglich dieses Betrags (noch) gar keinen Schaden habe bzw ihr aufgrund des in § 12 Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz vorgesehenen Anspruchsübergangs die Aktivlegitimation fehle. Daraufhin schränkte die Klägerin das Klagebegehren im Vorverfahren insofern ein, als sie die Mindestsicherung wieder von dem dort eingeklagten Verdienstentgang abzog.
[4] 2.3 Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass in Anbetracht dieses (Prozess‑)Verhaltens der Beklagten der im Anlassverfahren erhobene Verjährungseinwand treuwidrig ist, hält sich im Rahmen der Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass das Zuwarten der Klägerin mit der Einklagung des auf die Mindestsicherung entfallenden Verdienstentgangs bis zur Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft über die (Rück‑)Forderung (entweder bei der Geschädigten oder beim Schädiger) auch im Interesse der Beklagten lag (vgl zum auch im Interesse des Schuldners gelegenen Abwarten eines präjudiziellen Rechtsstreits: 9 Ob 62/13b mwN).
[5] Da die Haftung der Beklagten dem Grunde nach bereits mit dem rechtskräftigen Teil‑ und Zwischenurteil vom 27. 10. 2012 im Vorprozess festgestellt worden war, bestand für die Beklagte auch keinerlei Unsicherheit mehr über ihre grundsätzliche Verpflichtung zum Ersatz des vorfallskausalen Verdienstentgangs der Klägerin.
[6] Mit diesen Aspekten setzt sich die Revision gar nicht auseinander. Mit dem Hinweis darauf, es bestehe Klärungsbedarf, ob es Verpflichtung des Schädigers sei, den Geschädigten zur rechtsrichtigen und optimierten Geltendmachung seiner Ansprüche anzuleiten, zeigt die Beklagte jedenfalls keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf.
[7] 2.4 Auf die von den Vorinstanzen darüber hinaus vertretene Ansicht, die Verjährung der strittigen Ansprüche beginne hier erst mit Vorliegen des Rückforderungsbescheids vom 4. 4. 2019, weil der Klägerin vorher noch kein Schaden entstanden sei, kommt es somit nicht mehr an.
[8] 3.1 Die vom Anspruchsberechtigten zu zahlenden Steuern stellen einen erstattungspflichtigen Teil des zu leistenden Schadenersatzes dar, wobei die Fälligkeit dieser Steuern nicht Voraussetzung ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Schadenersatzanspruchs ist (RS0031597 [T1]). Folglich ist dem Geschädigten die vom Schadenersatzbetrag zu zahlende Einkommensteuer zusätzlich zu ersetzen (§ 32 Abs 1 Z 1 lit a EStG 1988; vgl 2 Ob 1/15h ua).
[9] 3.2 Der Einwand der Beklagten, die Mindestsicherung sei gar nicht zu versteuern, verkennt, dass die Klägerin, worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat, ihr gegenüber einen Verdienstentgang und keine Sozialleistung geltend macht.
[10] 4. Die Revisionsbeantwortung war mangels einer Mitteilung nach § 508a Abs 2 erster Satz ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig. Für sie gebührt daher kein Kostenersatz (RS0043690 [T6, T7]).
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