OGH 8Ob30/20z

OGH8Ob30/20z29.7.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj D*, geboren am * 2009, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Mag. S* W*, vertreten durch Dr. Kristina Venturini, Rechtsanwältin in Wien, wegen Verhängung einer Beugestrafe, gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 30. März 2020, AZ 55 R 27/20d (55 R 29/20y), mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 18. Februar 2020, GZ 5 Ps 184/19w‑284, und vom 3. März 2020, GZ 5 Ps 184/19w‑289, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E129394

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

 

Begründung:

Die Obsorge über die 2009 geborene mj D* kommt den getrennt lebenden Eltern gemeinsam zu. Nach jahrelangen konfliktreich ausgetragenen Gerichtsverfahren vereinbarten sie am 7. 6. 2019 (mit Ergänzung vom 8. 11. 2019) in einem gerichtlichen Vergleich die hauptsächliche Betreuung des Kindes durch den Vater in dessen Haushalt sowie ein umfassendes Kontaktrecht der Mutter.

Anfang Februar 2020 brachte die Mutter das Kind nach einem Besuchskontakt nicht mehr zum Vater zurück. Sie begründete dies damit, dass die Tochter Angst vor dem Vater habe, ihm nicht mehr vertraue und nicht mehr zu ihm wolle. Die Vertreterin der Familiengerichtshilfe erklärte, dass das Kind in einem Loyalitätskonflikt sei und kein über längere Zeit stabiler Kindeswille vorliegen könne. Die Wiederherstellung des im Vergleich vereinbarten Status sei zu empfehlen, eine Kindeswohlgefährdung liege nicht vor.

Mit Beschluss vom 18. 2. 2020 wies das Erstgericht den in der Folge gestellten Antrag des Vaters auf gerichtliche Anordnung der Rückführung des Kindes und den Antrag der Mutter auf „einstweilige bzw endgültige Verlegung des Hauptaufenthaltes“ ab. Unter einem drohte es der Mutter die Verhängung einer Beugestrafe für den Fall an, dass sie das Kind nicht binnen drei Tagen im Sinne der im Vergleich vereinbarten Regelung dem Vater übergebe.

Mit Beschluss vom 3. 3. 2020 verhängte das Erstgericht über die Mutter mangels Befolgung der Anordnung die angedrohte Beugestrafe von 1.000 EUR und kündigte eine weitere, verdoppelte Strafe für den Fall des fortgesetzten Zuwiderhandelns an.

Das Rekursgericht wies den Rekurs der Mutter, soweit er sich gegen die bloße Androhung einer Beugestrafe richtete, als unzulässig zurück, bestätigte im Übrigen die Beschlüsse des Erstgerichts und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels der gesetzlichen Voraussetzungen für nicht zulässig.

Der Antrag auf „sofortige Verlegung des Hauptaufenthalts“ des Kindes sei auf eine Maßnahme im Sinn des § 107 Abs 2 AußStrG gerichtet. Eine solche Entscheidung sei nur zu treffen, wenn die begehrte Anordnung im Interesse des Kindeswohls liege und dessen Förderung diene. Diese Voraussetzungen lägen nach den bisherigen umfangreichen Verfahrensergebnissen und dem im Wesentlichen nur auf die behauptete Verweigerungshaltung der Tochter gestützten Vorbringen der Mutter nicht vor. Eine persönliche Anhörung des Kindes sei vor der Entscheidung über einen Provisiorialantrag nicht in jedem Fall erforderlich. Es könne davon abgesehen werden, wenn eine ernste, unbeeinflusste Meinungsäußerung nicht zu erwarten sei und bereits das Antragsvorbringen selbst die Notwendigkeit der Maßnahme nicht ausreichend untermauern könne.

Die Verhängung einer Beugestrafe sei als Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG zur Durchsetzung der getroffenen Obsorgeregelung zulässig und im vorliegenden Fall wegen des Verhaltens der Mutter notwendig.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG auf.

Die Zurückweisung des Revisionsrekurses kann sich auf die kurze Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG).

1. Die Beurteilung, welche Beweisaufnahmen durch das Erstgericht im Einzelfall erforderlich sind, um eine hinreichende Entscheidungsgrundlage zu gewinnen, stellt eine vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbare Frage der Beweiswürdigung dar. Sie ist auch im Verfahren außer Streitsachen den Tatsacheninstanzen vorbehalten (RIS‑Justiz RS0108449 [T2; T4]; 8 Ob 21/19z ua).

Das Rekursgericht hat sich mit der Frage, ob im vorliegenden Fall eine Anhörung des Kindes vor der Entscheidung unterbleiben konnte, eingehend befasst und einen daraus abgeleiteten Verfahrensmangel verneint. Diese Begründung ist durch den Akteninhalt, insbesondere die Stellungnahme der Jugendgerichtshilfe, gedeckt.

2. Ob es zur Durchsetzung einer Kontaktrechtsregelung notwendig ist, eine Zwangsmaßnahme zu verhängen, ist nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0007330 [T6]). Dasselbe gilt für die Angemessenheit der Strafhöhe (RS0007330 [T4]). Eine zu korrigierende Fehlbeurteilung wird im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

Von den ab Mitte März 2020 in Österreich aufgrund der Covid-19-Pandemie verhängten Beschränkungen des öffentlichen Lebens war im Zeitpunkt der erstgerichtlichen Entscheidung am 3. 3. 2020 noch keine Rede. Diese Maßnahmen konnten daher auch der Verhängung der gegenständlichen Beugestrafe für das vorangegangene Zuwiderhandeln nicht entgegenstehen.

Sie sind aber auch nicht geeignet, die Rechtsansicht der Vorinstanzen in Frage zu stellen, dass es der Verhängung einer Beugestrafe gegen die Mutter bedurfte, um den Anordnungen des Gerichts in Zukunft Achtung zu verschaffen (RS0007330 [T5]).

Die bloße Androhung der Verhängung einer neuerlichen, verdoppelten Beugestrafe ist einer Anfechtung und Überprüfung im Rechtsmittelverfahren überhaupt nicht zugänglich (RS0006293).

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