OGH 8Ob15/22x

OGH8Ob15/22x22.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely‑Kristöfel in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. M*, vertreten durch Dr. Heimo Jilek & Dr. Martin Sommer, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei N* GmbH, *, vertreten durch Dr. Jasmin Oberlohr, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen 42.885,08 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 15. Dezember 2021, GZ 1 R 167/21z‑82, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00015.22X.0422.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin verletzte sich gegen Ende einer von der Beklagten veranstalteten „Canyoningtour Level 1“ beim Abrutschen auf einer durchschnittlich 55 Grad geneigten Felsplatte, in der durch den Wasserdurchfluss eine natürliche Rinne entstanden war, welche ca 1,5 m breit und ca 12 m lang war („Lange Rutsche“).

[2] Die gesamte Tour einschließlich der „Langen Rutsche“ entsprach den Anforderungen einer Anfängertour und wurde seit dem Jahr 2007 jährlich von hunderten Personen und auch von Anfängergruppen begangen. Die „Lange Rutsche“ wurde und wird von fast 100 Prozent der Tourteilnehmer ohne Probleme bewältigt. Einige wenige entscheiden sich an dieser Stelle als (sporttechnisch schwierigere) Alternative für ein Abseilen.

[3] Die Vorinstanzen wiesen das Schadenersatzbegehren der Klägerin übereinstimmend ab. Sie sei als Teilnehmerin an der Canyoningtour in die Lage versetzt worden, die Sicherheitsrisiken vor Bewältigen der „Langen Rutsche“ umfänglich abzuschätzen. Nach den Feststellungen hätten die Tourenführer die Teilnehmer zu Beginn der Tour darüber aufgeklärt, dass Sprünge und Rutschen auf sie warteten und wie sie sich beim Rutschen richtig zu verhalten hätten. Zusätzlich hätten sie die Teilnehmer auch unmittelbar vor Passage der „Langen Rutsche“ über deren Dimensionen informiert und einer der Guides hätte nochmals demonstriert, dass man beim Rutschen die Hände vor dem Körper verkreuzen sollte.

[4] In ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[5] 1.1 Eine gewisse, bei den einzelnen Sportarten mehr oder weniger große und verschiedenartig bedingte Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Sportausübenden ist im Wesen des Sports begründet und das notwendigerweise damit verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen daher gebilligt (RIS‑Justiz RS0023400). Wer an einer gefährlichen sportlichen Veranstaltung teilnimmt, nimmt das damit verbundene, in der Natur der betreffenden Veranstaltung gelegene Risiko, jedenfalls soweit er es kennt oder kennen muss, auf sich und handelt auf eigene Gefahr. Ihm wird eine Selbstsicherung zugemutet und die dem Gefährdenden sonst obliegenden Sorgfaltspflichten sind aufgehoben oder eingeschränkt (4 Ob 34/16b zum „Blobbing“ mwN).

[6] 1.2 Ein Sportveranstalter muss, vor allem bei einer Risikosportart, auf alle typischen, für ihn erkennbaren Sicherheitsrisiken hinweisen. Dies gilt insbesondere dann, wenn er das notwendige Sport- oder Fun-Gerät zur Verfügung stellt. Die gebotene Aufklärung hat den Teilnehmer in die Lage zu versetzen, die Sicherheitsrisiken ausreichend und umfänglich abzuschätzen, wobei die Aufklärung so konkret, umfassend und instruktiv zu erfolgen hat, dass sich der Teilnehmer der möglichen Gefahren bewusst wird und diese eigenverantwortlich abschätzen kann. Die Aufklärungspflicht ist demnach umso strenger, je gefährlicher eine Sportart ist und je weniger damit zu rechnen ist, dass sich der Teilnehmer der Gefahrenlage bewusst ist (RS0131627). Pflichten im Zusammenhang mit sportlichen Aktivitäten dürfen aber nicht überspannt werden, weil sportliche Aktivitäten grundsätzlich gefördert und nicht unmöglich gemacht werden sollen (RS0131627 [T4]).

[7] 1.3 Einer besonderen Befassung des Obersten Gerichtshofs mit jeder erdenklichen Extremsportart bedarf es – soweit die Grundsätze der Judikatur zum „Handeln auf eigene Gefahr“ richtig angewendet wurden – im Allgemeinen nicht (zum Canyoning bereits: RS0023400 [T19]). Die Anwendung der dargestellten Grundsätze, insbesondere die Frage, in welchem Umfang über mögliche Gefahren aufzuklären bzw zu warnen ist und aus welchen Gründen das Unterlassen einer Aufklärung schuldhaft ist, hängt vielmehr von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, sodass der Lösung dieser Frage im Allgemeinen keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zukommt (vgl RS0023400 [T22]; RS0111165 [T1, T3]).

[8] 2.1 Die Klägerin meint in ihrem Rechtsmittel, zwischen den Parteien sei vereinbart gewesen, dass die Tour keine Rutschen höher als 5 m und länger als 9 m aufweise. Die längere Rutsche sei von der Risikoübernahme durch sie nicht umfasst gewesen.

[9] Es ist zwar richtig, dass nach den Feststellungen der (der Gruppe der Klägerin im Zusammenhang mit der Buchung übermittelte) Prospekt die Tour „Canyoning Level 1“ als „eine leichte bis mittelschwere Canyoningtour“ mit „Sprünge[n] in Pools bis zu 5 Meter Höhe, natürliche[n] Wasserrutschen bis zu 8 Meter Länge, mehrere[n] Abseilstellen max 17 Meter hoch und Wasserfälle[n], die gemeinsam bewältigt werden“, beschrieb. Allerdings hat die Klägerin nie vorgebracht, dass sie die Tour in Kenntnis und im Vertrauen auf diese – von der tatsächlichen Ausgestaltung der „Langen Rutsche“ abweichenden – Angaben gebucht oder angetreten habe. Vielmehr hat sie sich in erster Instanz nur darauf gestützt, dass die „Lange Rutsche“ nicht Teil der gebuchten Anfängertour sei bzw nicht dem zugesagten Level 1 entsprochen habe. Diese Behauptungen sind aber durch die bindenden Feststellungen widerlegt, wonach die Passage insbesondere auch für Anfänger geeignet war.

[10] 2.2 Da die Klägerin eine Haftung der Beklagten damit nicht auf eine fehlerhafte Aufklärung aufgrund der (allenfalls unzureichenden) Prospektangaben gestützt hat, ist die von ihr vermisste Feststellung, dass sie in Kenntnis der (richtigen Dimensionen der) „Langen Rutsche“ gar nicht erst an der Tour teilgenommen hätte, nicht weiter von Relevanz.

[11] 2.3 Der behauptete Widerspruch in den Feststellungen zur Wahlmöglichkeit der Klägerin vor der „Langen Rutsche“ liegt im Übrigen nicht vor: Das Erstgericht hat zwar festgestellt, dass die Rinne sich „im rechten Bereich unmittelbar an einer steilen senkrechten Felswand [befand], die keine Talwärtsbewegung und kein Abseilen zulässt“. Links der Rinne befand sich aber nach den (insoweit von der Klägerin übergangenen) Feststellungen „eine bemooste Felsplatte [...], die steiler als die Rinne ist, an deren oberen Rand ein Abseilband angebracht“ war. Dass dort ein (passives) Abseilen – anders als die Klägerin suggeriert – jedenfalls möglich gewesen wäre, ergibt sich schon daraus, dass einige Tourteilnehmer von dieser Alternative auch Gebrauch machen.

[12] 2.4 Eine Aktenwidrigkeit ist bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das Rechtsmittelgericht andererseits verwirklicht (RS0043397 [T2]). Davon kann hier keine Rede sein. Die (möglicherweise als unzutreffend zu wertende) Bewerbung der im Rahmen der Tour zu absolvierenden Sprünge und Rutschen mit bis zu 5 m Höhe und 8 bzw (auf der Homepage) 9 m Länge durch die Beklagte schließt die auf den Ausführungen des Sportsachverständigen basierende Feststellung nicht aus, dass (auch) die „Lange Rutsche“ „standardmäßig“ zur konkret gebuchten Anfängertour gehörte.

[13] 3. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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