OGH 8Ob144/03i

OGH8Ob144/03i23.1.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Sabrina B*****, in Obsorge des Vaters Wolfgang B*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Magistrats der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsfürsorge, Bezirk 22, 1220 Wien, Kapellenweg 35, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. August 2003, GZ 45 R 549/03y-82, womit infolge Rekurses des Magistrats der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsfürsorge, Bezirk 22, der Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 18. Juni 2003, GZ 3 P 885/95w-77, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung

Aufgrund pflegschaftsgerichtlich genehmigten (ON 34) Vergleichs vom 28. 1. 1998 erhielt die Minderjährige einen Betrag von ATS 15.000 als Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall. Diese Summe wurde dem die Obsorge allein ausübenden Vater ausbezahlt, der bei seiner Vernehmung am 2. 10. 1998 (ON 44) angab, das Geld zur Bezahlung seiner dringendsten Schulden verwendet zu haben. Er beziehe derzeit Arbeitslosenunterstützung, werde aber für die Minderjährige ein Sparbuch anlegen und mittels Dauerauftrags monatlich zunächst ATS 500, sobald er wieder Beschäftigung gefunden habe, ATS 1.000 überweisen. Den in diesem Sinne ergangenen gerichtlichen Auftrag befolgte der Vater in der Folge nur zögernd, sodass nach zahllosen Urgenzen des Gerichts der Erlag auf dem gerichtlich gesperrten (ON 46) Sparbuch mit Stichtag 8. 8. 2001 einschließlich Zinsen ATS 12.481 (ON 59) und zum 25. 3. 2003 EUR 961,55 (ON 74) betrug.

Das Erstgericht bestellte daraufhin die nunmehrige Revisionsrekurswerberin zum Kollisionskurator der Minderjährigen "zur Verfolgung ihrer Ansprüche gegen den Vater wegen der Verwendung von Mündelgeld zur Deckung seiner Schulden". Der Vater habe den der Minderjährigen zustehenden Schmerzengeldbetrag zur Abdeckung eigener Schulden verwendet. Da er der übernommenen Verpflichtung, diesen Betrag in monatlichen Raten zurückzuzahlen, nicht vollständig nachgekommen sei, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Gericht zweiter Instanz dem dagegen vom Magistrat der Stadt Wien erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Gemäß § 213 ABGB könne das Gericht den Jugendwohlfahrtsträger auch gegen seinen Willen zum Sachwalter bestellen, sofern die Voraussetzungen, nämlich dass sich hiefür sonst keine geeignete Person finden lasse, vorliegen. Die mit der Vormund- oder Sachwalterschaft verbundene Belastung stelle keinen Entschuldigungsgrund dar; ebensowenig die Schwierigkeiten bei Führung eines Aktivprozesses. Der Jugendwohlfahrtsträger könne sich daher gegen seine Bestellung nur durch den Nachweis zur Wehr setzen, dass eine geeignete andere Person vorhanden sei. Derartiges sei im Verfahren nicht behauptet worden. Die Bestellung des Jugendwohlfahrtsträgers zum Kollisionskurator entspreche dem Kindeswohl und sei rechtsrichtig.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Magistrats der Stadt Wien ist zulässig, es kommt ihm auch Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist klarzustellen, dass die bereits von den Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde gelegten Bestimmungen in der Fassung des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 (BGBl I Nr 135/2000), welches mit 1. 7. 2001 in Kraft getreten ist (Art XVIII, § 1 Abs 1) anzuwenden sind. Durch dieses Gesetz wurden die Rechtsinstitute der Obsorge, der Sachwalterschaft und der Kuratel klar gegeneinander abgegrenzt. Für Minderjährige gibt es nur noch das Rechtsinstitut der Obsorge. Es ersetzt die Sachwalterschaft und die Vormundschaft im Kindschaftsrecht (Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001 [Teil II], ÖJZ 2001, 530, hier: 535).

Gemäß § 212 Abs 2 ABGB idF KindRÄG 2001 ist der Jugendwohlfahrtsträger Vertreter des Kindes für die Festsetzung oder Durchsetzung von dessen Unterhaltsansprüchen sowie gegebenenfalls für die Feststellung der Vaterschaft. Nach Abs 3 dieser Gesetzesstelle ist der Jugendwohlfahrtsträger auch Vertreter des Kindes für andere Angelegenheiten, wenn er sich zur Vertretung bereit erklärt und die schriftliche Zustimmung des sonstigen gesetzlichen Vertreters vorliegt. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 5 Ob 100/03x klargestellt hat, zählt die Kollisionskuratel gemäß § 271 ABGB nicht zu den im § 212 Abs 3 ABGB genannten "anderen Angelegenheiten". Dies ergibt sich schon daraus, dass die Vertretungsbefugnis des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß § 212 Abs 2 und 3 ABGB bei Vorliegen der gesetzlich geforderten Voraussetzungen ex lege eintritt, ohne dass es eines Gerichtsbeschlusses bedürfte (RIS-Justiz RS0049057; RZ 1997/23), während der besondere Kurator gemäß § 271 Abs 1 ABGB nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Gesetzesstelle durch das Gericht zu bestellen ist. Auch würde das Unterstellen der Kollisionskuratel unter § 212 Abs 3 ABGB dem erklärten Ziel des KindRÄG 2001, Obsorge und Kuratel klar abzugrenzen, völlig zuwiderlaufen. Abgesehen davon liegt im gegenständlichen Fall weder die gemäß § 212 Abs 3 ABGB erforderliche Zustimmung des Jugendwohlfahrtsträgers noch jene des gesetzlichen Vertreters vor.

Das Rekursgericht hat seine bestätigende Entscheidung auf die Bestimmung des § 213 ABGB gestützt, wonach dann, wenn eine andere Person mit der Obsorge für einen Minderjährigen ganz oder teilweise zu betrauen ist und sich dafür Verwandte oder andere nahestehende oder sonst besonders geeignete Personen nicht finden lassen, das Gericht die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen hat. Diese Bestimmung nimmt Bezug auf § 144 ABGB, wonach Obsorge Pflicht und Recht der Eltern ist, das minderjährige Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es in diesen sowie allen anderen Angelegenheiten zu vertreten. Pflege und Erziehung sowie die Vermögensverwaltung umfassen dabei auch die gesetzliche Vertretung in diesen Bereichen. Gefährden die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes, so hat das Gericht gemäß § 176 Abs 1 ABGB die zur Sicherung des Wohles des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen. Es darf insbesondere die Obsorge für das Kind ganz oder teilweise, auch gesetzlich vorgesehene Einwilligungs- und Zustimmungsrechte, entziehen. Unter anderem in einem derartigen Fall kann der Jugendwohlfahrtsträger im Umfang der Entziehung gemäß § 213 ABGB ganz oder teilweise mit der Obsorge für den Minderjährigen betraut werden (vgl Stabentheiner in Rummel ABGB3 §§ 213, 214 Rz 1).

Ein derartiger Fall liegt aber hier ganz offenkundig nicht vor. Es soll hier nicht ein Teil der Obsorge im Sinn des § 144 ABGB substitutiert, ja nicht einmal die Verwaltung des dem Kind zukommenden Schmerzengeldbetrages dem Jugendwohlfahrtsträger übertragen, sondern eine bestimmte Forderung gegen den gesetzlichen Vertreter durchgesetzt werden. Bedarf es aber nur einzelner Vertretungshandlungen, liegt ein Fall des § 213 ABGB nicht vor (so schon sinngemäß Knell, Kuratoren, 37).

Schon vor der Novellierung durch das KindRÄG 2001 legte die Rechtsprechung den im § 271 ABGB verwendeten Ausdruck "Geschäfte" ausdehnend dahin aus, dass davon Vermögensauseinandersetzungen jeder Art umfasst seien. Ein Kollisionskurator sei daher auch dann zu bestellen, wenn noch kein Rechtsstreit anhängig ist, aber Forderungen des Minderjährigen gegen seinen gesetzlichen Vertreter oder umgekehrt bestehen, die unter Umständen Anlass eines künftigen Rechtsstreits sein könnten (RIS-Justiz RS0049026; RS0049158). Nunmehr definiert § 271 Abs 1 ABGB den Kollisionsfall als Widerstreit der Interessen einer minderjährigen oder sonst nicht voll handlungsfähigen Person einerseits und ihres gesetzlichen Vertreters andererseits in einer bestimmten Angelegenheit. Mit dieser Formulierung wurde somit dem schon bisher von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsatz Rechnung getragen, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Kollisionskurators nicht einschränkend zu sehen sind, sodass nicht fraglich sein kann, dass der hier zu beurteilende Fall der Durchsetzung einer Forderung der Minderjährigen gegen ihren gesetzlichen Vertreter die Bestellung eines Kollisionskurators rechtfertigt.

Lediglich die spezifischen Sonderregeln des Jugendwohlfahrtsrechts für Minderjährige, zu denen auch die bereits zitierten Bestimmungen der §§ 212 und 213 ABGB zählen, kennen eine Vertretung durch den Jugendwohlfahrtsträger. Seine Bestellung zum Kollisionskurator gemäß § 271 ABGB ist jedoch im Gesetz nicht vorgesehen, sodass es dabei zu verbleiben hat, dass dieses Amt nur einer physischen Person zu übertragen ist (SZ 67/134; 5 Ob 100/03x). Nur der Vollständigkeit halber sei noch darauf verwiesen, dass das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 insoweit keine besonderen Regelungen enthält und selbst gemäß § 22 Abs 1 des mit 30. 6. 1989 außer Kraft getretenen Jugendwohlfahrtsgesetzes 1954 - abgesehen von der Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen und der Feststellung der Vaterschaft - die Bezirksverwaltungsbehörde nur mit ihrer Zustimmung zum Mitvormund oder Kurator (Sachwalter) eines Minderjährigen bestellt werden konnte.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

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