OGH 8Ob121/07p

OGH8Ob121/07p28.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Langer als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lovrek und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ilse D***** vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Mag. Werner Diebald, Rechtsanwälte in Köflach, wider die beklagte Partei St*****, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen 32.999,20 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse 3.000 EUR), infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert 16.499,60 EUR sA) und der beklagten Partei (Revisionsstreitwert 16.499,60 EUR sA) gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 31. Mai 2007, GZ 4 R 56/07y-64, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 12. Februar 2007, GZ 23 Cg 68/05i-56, teilweise abgeändert sowie aufgehoben und an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Revisionsbeantwortung der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Für das Revisionsverfahren wesentlich ist nur noch, dass 2003 bei der Klägerin wegen eines 7,5 mm großes Aneurysma an der Spitze der Arterie basilaris im Gehirn, im Hinblick auf das erhöhte Rupturrisiko eine endovaskuläre Therapie fachgerecht durchgeführt und die Klägerin vor der Durchführung des Eingriffs über mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen aufgeklärt wurde. Das Aneurysma wurde vollständig mit sogenannten Coils ausgefüllt. Im Zuge des Entfernens des Führungsdrahtes kam es - für den operierenden Arzt unvermeidbar - dazu, dass ein Coilende geringfügig aus dem Aneurysma in die Arterie ragte und der eingebrachte Stent in eine unproblematische Lage disloziert wurde. Beide Umstände führen bei Einhaltung des üblichen Blutgerinnungsprogrammes nicht zu einer Erhöhung des Infarktrisikos nach der Operation, vielmehr birgt der Stent an sich das Thromboserisiko. Am Stent lagerten sich nach dem Eingriff Blutgerinnsel ab und erlitt die Klägerin mehrere Hirninfarkte. Die Klägerin begehrt von der Beklagten 32.999,20 EUR (Schmerzengeld, Pflege- und Haushaltshilfekosten, Besuchskosten, Trinkgelder und Telefonspesen) und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für die auf die nicht lege artis durchgeführte(n) Behandlung bzw ärztlichen Eingriffe sowie auf die mangelnde Aufklärung zurückzuführenden Schäden. Sie stützt ihren Anspruch zuletzt im hier maßgeblichen Zusammenhang im Wesentlichen auf die unzureichende medikamentöse Behandlung.

Die Beklagte beantragt, das Klagebegehren abzuweisen und bestreitet insbes das Vorliegen von Behandlungsfehlern.

Im ersten Rechtsgang konnte die Beklagte die Pflegedokumentation nicht vorlegen und erachtete das Erstgericht die Klageforderung dem Grunde nach als zu Recht bestehend. Es konnte mangels entsprechender Pflegedokumentation nicht festgestellt werden, ob der Klägerin diese angeordnete Medikation tatsächlich verabreicht worden sei. Das Berufungsgericht übernahm die Negativfeststellung. Da aber das Erstgericht Feststellungen zur (Höhe) der Wahrscheinlichkeit der in Frage kommenden Ursachen unterlassen habe, kam es zu einer Aufhebung des Teil- und Zwischenurteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht.

Im zweiten Rechtsgang legte die Beklagte nun die Pflegedokumentation vor.

Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang sowohl das Leistungs- als auch das Feststellungsbegehren ab. Es erachtete die Frage der Umsetzung der Medikation als nicht von der Frage der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer der möglichen Ursachen für das Infarktgeschehen bei der Klägerin trennbar. Das Erstgericht stellte nunmehr fest, dass die Klägerin zwar mit gerinnungshemmenden Medikamenten behandelt wurde, jedoch angesichts der nicht ausreichenden postoperativen Dosierung des Medikaments Plavix, die Chance für das Auftreten thrombogener Erscheinungen bei der Klägerin deutlich erhöht wurde. Die Gründe für die Ablagerung von Blutgerinnseln am Stent lassen sich nicht genau feststellen. Diese können schicksalhaft sein oder die Ursache in der zu geringen Verabreichung des Medikaments Plavix haben. Die Wahrscheinlichkeiten, ob die Hirninfarkte der Klägerin auf einen Behandlungsfehler durch Verabreichung von Plavix in zu geringer Dosis oder auf einen von der Klägerin zu vertretenden Zufall zurückzuführen sind, ist nicht quantifizierbar. Es ist auch nicht feststellbar, welche Ursache wahrscheinlicher ist oder ob beide möglichen Ursachen gleich wahrscheinlich sind.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass mangels Feststellungen zur Wahrscheinlichkeit der möglichen beiden Schadensursachen von einer bloßen Möglichkeit einer Kausalität des Behandlungsfehlers für das Infarktgeschehen auszugehen und das Klagebegehren daher abzuweisen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin mit Zwischenurteil Folge und änderte das Ersturteil hinsichtlich des Leistungsbegehrens dahin ab, dass dieses dem Grunde nach zur Hälfte besteht, hob es im Übrigen auf und verwies die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es billigte zwar die Vorlage der Pflegedokumentation und teilte auch die Auffassung, wonach von einer abschließenden Beurteilung der Tatfrage der Verabreichung der Medikamente nicht gesprochen werden konnte. Vor dem Hintergrund der alternativen Konkurrenz zwischen dem Haftungsgrund aus einem ärztlichen Behandlungsfehler und einem dem Geschädigten anzulastenden Zufall wendete es das aus § 1302 ABGB ableitbare Grundprinzip der Anerkennung möglicher Verursachung als Zurechnungselement und den aus § 1304 ABGB gewonnenen Grundgedanken des Prinzips der Schadensteilung an und nahm eine Schadensteilung im Ausmaß 1 : 1 vor. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil eine Abweichung von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in der Frage eines abschließend erledigten Streitpunkts nicht auszuschließen sei und zur Konstellation der deutlichen Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der Ursächlichkeit eines Verzichts auf die Gabe eines Medikaments im Verhältnis zur Vollmedikation für das Eintreten eines schädigenden Ereignisses bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Quantifizierung der Wahrscheinlichkeiten der Kausalität des von der Klägerin zu vertretenden Schicksals und des der Beklagten anzulastenden Behandlungsfehlers höchstgerichtliche Judikatur fehle. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Streitteile. Während die Klägerin die Abänderung dahingehend begehrt, dass festgestellt werde, das Leistungsbegehren bestehe dem Grunde nach zur Gänze zu Recht, beantragt die Beklagte die Klageabweisung und somit die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionen sind mangels Darstellung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Soweit die Beklagte moniert, dass ein von ihr angebotenes Beweismittel, insbesondere ein Sachverständigenbeweis, vom Erstgericht nicht aufgenommen wurde, übersieht sie, dass vom Berufungsgericht verneinte (vermeintliche) Mängel des Verfahrens erster Instanz in der Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden können (vgl nur RIS-Justiz RS0106371, insb 7 Ob 11/00v ua). Insoweit liegt auch die von der Beklagten in diesem Zusammenhang relevierte Aktenwidrigkeit betreffend den Umfang des von ihr gestellten Beweisantrags nicht vor, weil sich das Berufungsgericht ohnehin auch inhaltlich damit auseinandergesetzt hat.

Weitgehend weichen die Ausführungen der Beklagten zum Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung von den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen ab und können insoweit einer weiteren Behandlung nicht zugeführt werden (vgl Kodek in Rechberger ZPO3 § 471 Rz 9; RIS-Justiz RS0043312 mwN). Teilweise stellen sich ihre Ausführungen in Wahrheit als unzulässiger Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung dar, etwa hinsichtlich bestimmter Verweise auf die Ausführungen des Sachverständigen (zur Unzulässigkeit der Bekämpfung der Beweiswürdigung RIS-Justiz RS0043371; RIS-Justiz RS0043150 uva).

Zur behaupteten Abweichung des Berufungsgerichts von seiner im ersten Rechtsgang zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht ist darauf zu verweisen, dass selbst eine Abweichung keinen Revisionsgrund darstellte, weil die Rechtsfrage vom Obersten Gerichtshof unabhängig von der Entscheidung des Berufungsgerichts zu lösen ist (RIS-Justiz RS0044011; RS0042173; RS0042181) und im Übrigen die Bindung überhaupt erlischt, wenn sich in dem fortgesetzten Verfahren der Tatbestand geändert hat (RIS-Justiz RS0042260).

Die Frage der Haftung bei Konkurrenz von ärztlichem Fehlverhalten

(Operationsfehler; Behandlungsfehler) als mögliche Ursache mit einer

in die Sphäre des Patienten fallenden weiteren Ursache wurde in der

Rechtsprechung ebenfalls bereits wiederholt behandelt und § 1304 ABGB

angewendet (vgl Juen, Arzthaftungsrecht2, 32, Anm 129; 8 Ob 608/92 =

EvBl 1994/13; 4 Ob 554/95 = SZ 68/207 = JBl 1996, 181; 6 Ob 36/01i; 3

Ob 106/06v = ZVR 2007, 75; weiters 6 Ob 608/92 = EvBl 1994/13). Die

Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall stellt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar.

Gleiches gilt hinsichtlich der von der Klägerin relevierten Frage der Erbringung des Kausalitätsnachweises des ärztlichen Behandlungsfehlers in Form des prima-facie-Beweises. Kommen doch nach den Feststellungen als Ursache der Hirninfarkte sowohl die gewählte Medikation als auch der Stent als Fremdkörper, der das Thromboserisiko in sich birgt und somit als Zufall von der Klägerin zu vertreten ist, in Frage. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung im Zusammenhang mit ärztlichen Behandlungsfehlern wird zwar der dem Geschädigten obliegende Kausalitätsnachweis wegen der besonderen Beweisschwierigkeiten des Patienten erleichtert und reicht der Nachweis einer „prima-facie-Kausaliät" aus (so schon SZ 63/90 uva). Der Anscheinsbeweis wird aber dadurch entkräftet, wenn Tatsachen bewiesen werden, aus denen die konkrete Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs erschlossen werden kann (RIS-Justiz RS0040272). Ob der Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall tatsächlich erbracht wurde, fällt nicht in den Bereich der rechtlichen Beurteilung, sondern ist eine reine Frage der Beweiswürdigung (1 Ob 168/98g; 3 Ob 106/06v; RIS-Justiz RS0040196) und damit nicht reversibel.

Weiters ist es nach ständiger Rechtsprechung den Parteien zwar nicht verwehrt, in dem nach einem Aufhebungsbeschluss nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO fortgesetzten Verfahren - das in der Regel in den Stand vor Schluss der Verhandlung erster Instanz zurücktritt - wieder grundsätzlich alle ihnen im erstinstanzlichen Verfahren bis dahin zustehenden Befugnisse wahrzunehmen, jedoch nur insoweit, als die aufhebende Instanz einen bestimmten „Streitpunkt" auf Grund des gegebenen Sachverhalts nicht bereits abschließend entschieden hat (zu Negativfeststellungen 4 Ob 1007/96; ferner 9 Ob 43/04w; 8 Ob 70/03g; Kodek in Rechberger, ZPO3 § 496 Rz 5 mwN). Ausgenommen sind Tatsachen, die nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang neu entstanden sind (Arb 11.122 ua). Genau von diesen Grundsätzen ist aber auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es hat sich umfangreich mit dieser Rechtsprechung auseinandergesetzt, ist aber im vorliegenden Fall zu dem Schluss gekommen, dass ein abgeschlossener Streitpunkt nicht vorliege. Da das Berufungsgericht die von der Rechtsprechung bereits entwickelten Grundsätze ohnehin im vorliegenden Fall angewendet hat, könnte eine erhebliche Rechtsfrage nur in einer aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung liegen. Diese vermag aber die Klägerin nicht aufzuzeigen. Es wurde weder über einen Anspruch, eine Einwendung oder einen Rechtsgrund endgültig abgesprochen, sondern nur unter Berücksichtigung der entsprechend den rechtlichen Vorgaben des Obersten Gerichtshofs zu den Beweiserleichterungen bei fehlender Dokumentation erarbeiteten rechtlichen Grundsätzen der mangelnde Nachweis der tatsächlich erfolgten Medikation angenommen. Dies unterscheidet sich aber ganz wesentlich von dem von der Klägerin herangezogenen Fall der Entscheidung zu 5 Ob 141/00x, wo bereits ein konkretes Begehren abgewiesen worden war. Zu 4 Ob 87/04d wurde abschließend, aber naturgemäß durch den Obersten Gerichtshof überprüfbar über die Ersitzung einer Dienstbarkeit abgesprochen und zu 1 Ob 228/00m sogar noch ein Verjährungseinwand zugelassen. Ähnliches gilt für die ebenfalls zitierten Entscheidungen 7 Ob 300/98p; in jener zu 1 Ob 609/92 wurden überhaupt nur die allgemeinen Grundsätze festgehalten.

Insgesamt stellen also beide Revisionen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar und waren daher ungeachtet des Ausspruchs des Berufungsgerichts zurückzuweisen, wobei sich die Begründung auf die Zurückweisungsgründe beschränken konnte (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO (RIS-Justiz RS0117737 mwN). Die Beklagte hat allerdings auf die Unzulässigkeit der Revision der Klägerin nicht hingewiesen.

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