OGH 7Ob95/16w

OGH7Ob95/16w15.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Erlagssache der Erlegerin A***** GmbH in Liqu., *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, gegen die Erlagsgegnerin „Jugoslawische Nationalbank der ehemaligen Soz. Förder. Rep. Jugoslawien“, wegen Erlags gemäß § 1425 ABGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Kurators Mag. S***** K*****, Rechtsanwalt, *****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. Februar 2016, GZ 43 R 96/16k‑153, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. Februar 2015, GZ 88 Nc 66/15f‑13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00095.16W.0615.000

 

Spruch:

Aus Anlass des Revisionsrekurses des Kurators wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts dahin abgeändert, dass der von der Rechtspflegerin des Erstgerichts erlassene Beschluss und das diesem vorangegangene Verfahren aufgehoben werden.

Der Kurator hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Begründung

Die Erlegerin befindet sich im Stadium der Vorbereitung der Zurücklegung der Bankkonzession nach § 7 Abs 1 Z 3 BWG. Sie hat im Zuge dessen sämtliche Bankgeschäfte abzuwickeln und alle unstreitigen, unbedingten und fälligen Forderungen zu begleichen. Eine Beteiligung zwischen der Erlegerin und der R***** Bank ***** (nunmehr P***** Group Inc) wurde von der Erlegerin als Treuhänderin der „Jugoslawischen Nationalbank“ vorgenommen und im Rahmen eines Beteiligungskaufvertrags zu einem Konsortialkredit geregelt. 2005 hat die Erlegerin für die – mittlerweile aufgelöste – „Jugoslawische Nationalbank“ serbische Anleihen übernommen und hält diese seither als Treuhänderin (Case II).

Im Rahmen der Kündigung der Geschäftsbeziehung zum 30. 1. 2015 versuchte die Erlegerin die Anleihen (Serbian Bonds), sowie die Zinsen und Rückzahlungen der Nominalen aus diesen Anleihen an die „Jugoslawische Nationalbank“ bzw deren „potentielle Rechtsnachfolger bzw Eigentümer der Verfügungsrechte“ nach dem sich aus den vertraglichen Beziehungen ergebenden Verteilungsschlüssel zu verteilen. Die Nachfolgestaaten Jugoslawiens hatten im Jahr 2001 die vermögensrechtliche Nachfolge nach der SFRJ in einem Abkommen geregelt. Nach diesem ist ein permanentes Komitee zur Konfliktlösung einzurichten, das aber nur Empfehlungen an die Mitgliedstaaten abgeben kann. Am 5. 12. 2014 hat das Komitee, bestehend aus den Vertretern der Länder Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Slowenien und Serbien hinsichtlich des „Case II“ empfohlen, die Vermögenswerte nicht auf die Nachfolgestaaten aufzuteilen.

Das Erstgericht bestellte von Amts wegen „für den unbekannten Eigentümer der Verfügungsrechte über die aus der Treuhandvereinbarung, abgeschlossen zwischen der Erlegerin und der Jugoslawischen Nationalbank der ehemaligen Soz. Föder. Rep. Jugoslawien aufgrund der von der Jugoslawischen Nationalbank zwischen der Erlegerin als Treuhänderin der Jugoslawischen Nationalbank und der R***** Bank ***** (nunmehr P***** Group Inc.) vorgenommenen Beteiligung, die am 7. 3. 1986 fixiert und im Rahmen eines Beteiligungskaufvertrags zu dem Konsortialkredit vollumfänglich am 14. 3. 1986 geregelt wurde, im Rahmen der Serbischen Umschuldungsprogramme aus dem Jahr 2005 für die Jugoslawische Nationalbank übernommenen Anleihen (Serbian Bonds) und über die Zinsen und Rückzahlung der Nominale aus diesen Anleihen den Rechtsanwalt Mag. S***** K***** zum Kurator, der diese Person auf Gefahr und Kosten zu vertreten hat, bis diese selbst auftritt oder eine bevollmächtigte Person namhaft macht“.

Da der Eigentümer der Verfügungsrechte über die Anleihen, Zinsen und Rückzahlungen der Nominalen aus den Anleihen unbekannt sei und ihm daher nur durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden könne, in Folge der Zustellung jedoch zur Wahrung seiner Rechte eine Verfahrenshandlung vorzunehmen sei, sei ein Kurator nach § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG zu bestellen. Die Bestellung eines Kurators nach der genannten Gesetzesstelle sei dem Kurator nach § 270 ABGB vorzuziehen, da die Rechte des Abwesenden nur in diesem konkreten Verfahren wahrzunehmen seien.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Erlegerin habe zwar ausschließlich die im Kopf genannte „Jugoslawische Nationalbank“ als Erlagserlegerin genannt, die aber unbestritten nicht mehr existiere. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Rechte (und Pflichten) dieses Rechtssubjekts nicht auf allfällige Rechtsnachfolger übergegangen seien. Die Vorgangsweise des Erstgerichts, die bekannten oder vermuteten Rechtsnachfolger dem Verfahren beizuziehen, sei nicht zu beanstanden. Gleichzeitig sei das Erstgericht auch verhalten, allfällige unbekannte Gläubiger nach § 5 Abs 2 Z 1 lit b AußStrG am Verfahren nach Bestellung eines Kurators zu beteiligen. Von unbekannten Teilnehmern sei bei namentlich nicht bestimmten, aber existierenden und noch lebenden Personen auszugehen, die, wären sie bekannt, Geschäfte zu führen hätten. Dies sei auch bei Rechtsnachfolgern einer juristischen Person zu bejahen, auch wenn dieses selbst ebenfalls juristische Personen seien.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der einseitige (§ 48 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG; RIS‑Justiz RS0120860) Revisionsrekurs des Kurators mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des zulässigen Revisionsrekurses ist eine Nichtigkeit als Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG wahrzunehmen (§§ 66 Abs 1 Z 1, 58 Abs 4 Z 2 AußStrG), weil die Vorinstanzen den Richtervorbehalt nach § 16 Abs 2 Z 16 RPflG nicht beachtet haben.

1. Gemäß § 16 Abs 2 Z 16 RPflG sind Entscheidungen, bei denen ausländisches Recht anzuwenden ist, dem Richter vorbehalten. Für das Wirksamwerden des Richtervorbehalts nach § 16 Abs 2 Z 16 RPflG reicht es aus, dass die Notwendigkeit der Berücksichtigung einer ausländischen Rechtsvorschrift zumindest in Betracht kommt (RIS‑Justiz RS0125906). Daher gilt der Richtervorbehalt ‑ unabhängig von der Schwierigkeit der zu lösenden Rechtsfrage ‑ generell, also auch dann, wenn bloß Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ausländisches Recht relevant sein wird (10 Ob 2/14p).

Die Erlegerin hält für die „Jugoslawische Nationalbank der Soz. Föder. Rep. Jugoslawien“ (Nationalbank der SFRJ) treuhändig Anleihen, Zinsen und Nominale. Die SFRJ ist völkerrechtlich untergegangen (RIS‑Justiz RS0107067). Durch den Zerfall dieses Staates erlosch seine Rechtspersönlichkeit und die seiner Nationalbank. Das dem Staat (der SFRJ) zurechenbare Vermögen ist nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge unter den Nachfolgestaaten aufzuteilen, die hinsichtlich dieses Vermögens eine „communio incidens“, somit eine Anteilsgemeinschaft aller Nachfolgestaaten, bilden. Solange also die Nachfolgestaaten über diese Vermögensmassen nicht gemeinsam verfügen, steht jedem einzelnen Mitglied dieser Rechtsgemeinschaft ein privatrechtlicher Anspruch auf Aufrechterhaltung des bestehenden Zustands zu, somit auch ein gegen österreichische Banken gerichteter Anspruch auf Unterlassung jeglicher Verfügungen über zu diesem Vermögen gehörende Bankguthaben (RIS‑Justiz RS0107069, vgl auch RS0010833, RS0107066, RS0107064).

Nicht nur die Frage, ob Bankgeschäfte der Nationalbank der SFRJ selbst (und damit ihren Rechtsnachfolgern) zuzurechnen sind, ist nach dem Recht der SFRJ zu beurteilen (4 Ob 2304/96v). Auch das nicht in Österreich geltende Abkommen über die vermögensrechtliche Nachfolge ist ausländisches Recht. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die Vertretung einzelner Staaten zumindest teilweise nach deren nationalem Recht zu klären ist (vgl 1 Ob 70/11t). Für die Prüfung der Voraussetzungen im vorliegenden Erlagsverfahren besteht daher die Notwendigkeit der Berücksichtigung ausländischen Rechts, weshalb der Richtervorbehalt nach § 16 Abs 2 Z 16 RPflG wirksam ist.

3. Nach bisher ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs leidet ein vom Rechtspfleger in Überschreitung der ihm vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsgewalt erlassener Beschluss und das ihm vorangegangene Verfahren, soweit es vom Rechtspfleger durchgeführt wurde, an einer Nichtigkeit im Sinn des § 58 Abs 4 Z 2 AußStrG. Ein solcher Beschluss ist daher im Fall seiner Anfechtung aufzuheben. Im vorliegenden Fall, in dem dem Beschluss kein Antrag zugrunde liegt, sondern dieser von Amts wegen gefasst wurde, ist daher mit einer ersatzlosen Behebung vorzugehen.

4. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass, bevor sich der Bedarf nach der Bestellung eines Kurators überhaupt ergeben kann, die Antragstellerin aufzufordern sein wird, (rechtlich existente) Erlagsgegner konkret zu bezeichnen. Das Hinterlegungsgericht hat nämlich mit einer gewissen Formstrenge zu prüfen, ob im Erlagsantrag der Erleger und der Gläubiger, für den erlegt wird, sowie der Erlagsgegenstand und der Erlagszweck bezeichnet sind (RIS‑Justiz RS0112198 [T13]). Die vom Erleger namentlich bezeichneten Erlagsgegner genießen kraft dieser verfahrensrechtlichen Erklärung des Antragstellers Parteistellung (RIS‑Justiz RS0006720).

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 51 ZPO analog. Der Gesetzgeber übernahm bewusst nicht die Regelung des § 10 ZPO, dessen analoge Anwendung von der Rechtsprechung abgelehnt wird (Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 5 Rz 47 mwN). Im Erlagsverfahren gilt grundsätzlich § 78 AußStrG ( Obermaier in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 78 Rz 223). In den im Verfahren außer Streitsachen gleichfalls nicht ausdrücklich geregelten Fällen der Nichtigkeit des Verfahrens oder eines Verfahrensteils gelangt § 51 ZPO analog zur Anwendung (Obermaier aaORz 114 mwN). Keinen der Beteiligten trifft an der Nichtigkeit ein Verschulden.

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