OGH 7Ob84/24i

OGH7Ob84/24i22.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei G* S*, vertreten durch mef Ecker‑Kaufmann & Filzmaier Rechtsanwaltspartnerschaft in Graz, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei J*, vertreten durch Dr. Astrid Priessner, Rechtsanwältin in Graz, wegen einstweiliger Verfügung gemäß §§ 382b, 382c EO, über den Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 18. März 2024, GZ 1 R 18/24k (1 R 19/24g)‑24, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Graz‑West vom 12. Jänner 2024, GZ 107 C 32/23p‑14, und vom 16. Jänner 2024, GZ 107 C 32/23p‑16, abgeändert wurden, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00084.24I.0522.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Exekutionsrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Gegnerin der gefährdeten Partei ist schuldig, der gefährdeten Partei die mit 203,63 EUR (darin enthalten 33,47 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Nach einer Auseinandersetzung am 6. Dezember 2023, bei welcher die gefährdete Partei (in Hinkunft: Antragsteller) einen Nasenbeinbruch davontrug, wurde gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei (in Hinkunft: Antragsgegnerin) ein polizeiliches Betretungs‑ und Annäherungsverbot gemäß § 38a SPG ausgesprochen.

[2] Am 29. Dezember 2023 beantragte der Antragsteller, der Antragsgegnerin gemäß §§ 382b, 382c EO das Verlassen der Wohnung, sowie die Vermeidung eines Zusammentreffens mit ihm aufzutragen und ihr die Annäherung an ihn sowie an seinen Wohnort im Umkreis von 100 m zu verbieten, und zwar für die Dauer von sechs Monaten (hinsichtlich der einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO) bzw von einem Jahr (hinsichtlich der einstweiligen Verfügung gemäß § 382c EO).

[3] Das Erstgericht übermittelte den Antrag unter Hinweis auf die Rechtsfolgen nach § 56 EO für den Fall nicht fristgerechter Äußerung bis 9. Jänner 2024, 11:00 Uhr, an die Antragsgegnerin.

[4] Mangels rechtzeitiger Äußerung der Antragsgegnerin erließ das Erstgericht mit Beschluss vom 9. Jänner 2024 die beantragte einstweilige Verfügung.

[5] Am 10. Jänner 2024 brachte die Antragsgegnerin einen Antrag ein, mit dem die Neuzustellung der Äußerungsaufforderung und die Aufhebung der „allfälligen Vollstreckbarkeit einer allfälligen einstweiligen Verfügung“ (in der Folge zurückgezogen) sowie hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung begehrt wurde. Die Äußerung wurde in einem nachgeholt.

[6] Am 12. Jänner 2024 führte das Erstgericht eine mündliche Verhandlung durch, zu deren Beginn festgehalten wurde, dass einziger Gegenstand der Tagsatzung der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand sein werde.

[7] Nach Einvernahme der Parteien und der Vertreterin deren Antragsgegnerin verkündete das Erstgericht– den zu ON 14 ausgefertigten – Beschluss, wonach die Wiedereinsetzung bewilligt und die einstweilige Verfügung vom 9. Jänner 2024 aufgehoben werde. Im Anschluss setzte das Erstgericht die Verhandlung fort und befragte die Parteien sowie einen stellig gemachten Zeugen inhaltlich zur beantragten einstweiligen Verfügung.

[8] Im Beschluss vom 16. Jänner 2024 (ON 16)deutete das Erstgericht unter Hinweis auf die Unzulässigkeit einer Wiedereinsetzung im Exekutionsverfahren den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einen Widerspruch um und wies den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ab.

[9] Das Rekursgericht gab den Rekursen des Antragstellers Folge und stellte 1. fest, dass die Bewilligung der Wiedereinsetzung und die daraus folgende Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 9. Jänner 2024 unwirksam seien und behob 2. den Beschluss, mit dem die einstweilige Verfügung abgewiesen wurde ersatzlos. Bei dem Beschluss über die Bewilligung der Wiedereinsetzung handle es sich um einen Nichtbeschluss, der konsequenterweise auch in einem Rechtsmittelverfahren nicht zu beseitigen sei. Aus Gründen der Rechtssicherheit habe das Gericht die Unwirksamkeit festzustellen. Die Umdeutung des Wiedereinsetzungsantrags nach §§ 146 ff ZPO in einen Widerspruch gemäß § 397 EO komme hier nicht in Betracht.

[10] Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil auch die Ansicht vertreten werden könnte, dass eine Umdeutung des Wiedereinsetzungsantrags in einen Widerspruch zulässig sei und oberstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Frage bislang nicht bestehe.

[11] Dagegen wendet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Der Antragsteller beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an den Ausspruch des Rekursgerichts nicht gebunden. Der Revisionsrekurs ist nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehenden Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt. Dies ist hier nicht der Fall. Die im Revisionsrekursverfahren strittige Frage kann auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gelöst werden. Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 528 Abs 1 ZPO kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 iVm § 528a ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO).

[14] 1.1 Gemäß § 58 Abs 2 EO findet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des Versäumens einer Frist im Exekutionsverfahren – und damit gemäß § 402 Abs 4 EO auch im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung – nicht statt. Nach nunmehr ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung (RS0002135; RS0002122 [T1, T2, T3]) ist eine entgegen dieser Bestimmungen bewilligte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der (Rechtsmittel‑)Frist unwirksam und für die Rechtsmittelinstanz unbeachtlich (vgl 5 Ob 88/20g mzwN; insbesondere zur Versäumung der Äußerungsfrist zum Sicherungsantrag 4 Ob 301/86).

[15] 1.2 Gegen die mit dieser Rechtsprechung in Einklang stehende Beurteilung des Rekursgerichts, wonach die bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unwirksam sei, wendet sich die Antragsgegnerin auch nicht mehr; sie geht vielmehr mittlerweile selbst von der Unzulässigkeit eines Wiedereinsetzungsantrags in den vorherigen Stand im Exekutionsverfahren aus.

[16] 2.2 Die Frage, ob ein Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Äußerungsfrist in einen Widerspruch umgedeutet werden kann, ob also das Vorbringen ausreicht, den Tatbestand des Widerspruchs herzustellen, entzieht sich einer generalisierenden Betrachtung.

[17] Vielmehr bildet die Beurteilung eines Parteienvorbringens als ausreichend konkret eine Frage des Einzelfalls und damit nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine erhebliche Rechtsfrage. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Auslegung des Vorbringens durch das Rechtsmittelgericht mit dem Wortlaut des Vorbringens unvereinbar ist (RS0044273 [T37]; vgl auch RS0042828, 8 Ob 22/23b).

[18] 2.2 Eine solche Unvereinbarkeit zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Die Beurteilung, dass der auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Äußerungsfrist zum Sicherungsantrag gerichtete Antrag nicht als Widerspruch gegen die Bewilligung der einstweiligen Verfügung anzusehen sei, ist jedenfalls nicht unvertretbar. Zielt doch der Antrag der Antragsgegnerin ausdrücklich darauf auf ab, die versäumte Prozesshandlung (Äußerung zum Sicherungsantrag) nachzuholen und diese bei Erlassung der einstweiligen Verfügung zu berücksichtigen. Zufolge eines Widerspruchs eines vor Beschlussfassung nicht gehörten Antragsgegners, ist aber über die Statthaftigkeit und Angemessenheit der bereits konkret bewilligten einstweiligen Verfügung zu entscheiden (vgl §§ 397, 398 EO).

[19] 3. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

[20] 4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 393 Abs 2 EO, §§ 50, 41 ZPO. Der Antragsteller hat in seiner Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen.

 

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