OGH 4Ob301/86

OGH4Ob301/8618.2.1986

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl, Dr. Resch, Dr. Kuderna und Dr. Gamerith als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** A***, Wien 9.,

Spitalgasse 31, vertreten durch Dr. Norbert S***, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang F***, Kaufmann in Trofaiach, Hauptstraße 43, vertreten durch Dr. Richard Larcher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren S 301.000,-) infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgerichtes vom 18. Oktober 1985, GZ 1 R 170/85-13, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Leoben vom 5. August 1985, GZ 5 Cg 39/85-9, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung vorläufig, der Beklagte die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Beklagte betreibt eine Drogerie mit Reformhaus. Im Rahmen dieses Geschäftsbetriebes hat er (ua) nachstehende Teegemische an Letztverbraucher verkauft:

a) "Neuner's Kräutertee zur Unterstützung des Kreislaufes (zur

Erhöhung des Blutdruckes) ... Zusammensetzung: Hb. Centaurii,

Hb. Equiseti, Hb. Marubii albi, Fruct. Juniperi, Fol. Melissae,

Flos. Tiliae, Rad. Enulae, Rad. Imperatoriae ... Nr. 20" (Beilage C).

b) "Neuner's Kräutertee - Rheumatee ... Zusammensetzung:

Hb. Hyperici, Fol. Malvae, Rad. Pyrethrihort, Hb. Rutae ... Nr. 29"

(Beilage D);

c) "Neuner's

Kräutertee - Gichttee ... Zusammensetzung: Hb. Agrimoniae,

Flos. Chamomillae, Fol. Betulae, Fol. Menthae, Fruct. Juniperi,

Rad. Calami, Rad. Ononidis, Rad. Paeoniae ... Nr. 30" (Beilage E);

d) "Neuner's Kräutertee - Blutdrucktee (zur Senkung des

Blutdruckes) ... Zusammensetzung: Hb. Equiseti, Hb. Visci albi,

Flos. Crataegi, Rad. Valerianae, Flos. Chamomillae, Fol. Olivae,

Flos. Lavandulae, Humulus lupuli ... Nr. 32" (Beilage F).

In der Zeitschrift "Treffpunkt Trofaiach" (Ausgabe Oktober 1984) kündigte der Beklagte die von ihm "exklusiv für den Bezirk Leoben" vertriebenen "Neuner's Kräutertees" - darunter auch die vier oben angeführten Mischungen - mit dem Schlagwort "In den Kräutern ist die Kraft der Natur" an (Beilage G).

Der klagende Ö*** A*** beantragt, zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, "Drogengemische, die aus Drogen bestehen, zu deren Abgabe im Kleinverkehr der Beklagte zwar berechtigt ist, die aber ausschließlich Heilzwecken dienen oder unter Verwendung der Bezeichnung 'Tee' mit der Bezeichnung eines Körperorgans, eines Körperorganteils, einer Körperfunktion oder einer Krankheit in den geschäftlichen Verkehr gebracht werden, so insbesondere Blutdrucktee, Gichttee, Rheumatee und Tee zur Unterstützung des Kreislaufes" (zu ergänzen: Letztverbrauchern zu verkaufen). Die beanstandeten Teegemische seien weder Lebensmittel noch Genußmittel; sie dienten vielmehr ausschließlich Heilzwecken und fielen deshalb unter den in § 3 Abs 1 der 1. Abgrenzungsverordnung RGBl. 1883/152 normierten "Apothekenvorbehalt". Der Vertrieb dieser Kräuterteese durch den Beklagten verstoße somit gegen § 1 oder - falls ihnen der behauptete Heilcharakter nicht zukomme - gegen § 2 UWG.

In seiner - nach Ablauf der vom Erstgericht bestimmten Frist überreichten - Äußerung (ON 2a) hat sich der Beklagte vor allem aus rechtlichen Gründen gegen das Sicherungsbegehren ausgesprochen.

Das Erstgricht bewilligte dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Äußerungsfrist (ON 8 S 59) und wies sodann den Sicherungsantrag des Klägers ab. Auf Grund der Ergebnisse des Bescheinigungsverfahrens könne die Frage, ob die in Rede stehenden Teegemische zu den "Arzneimitteln" gehörten, ebensowenig verläßlich beurteilt werden wie das Vorliegen einer wahrheitswidrigen, zur Irreführung geeigneten Anpreisung iS des § 2 UWG. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei jedoch nicht anzunehmen, daß Bezeichnungen wie "Rheumatee" oder "Blutdrucktee" von den angesprochenen Verkehrskreisen dahin verstanden würden, man könne damit die Heilung eines bestimmten Leidens bewirken.

Das Rekursgericht erließ die einstweilige Verfügung und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 300.000,- übersteigt. Die Art der Bezeichnung der hier beanstandeten, jeweils aus einem Gemisch von Drogen bestehenden Teesorten weise diese - ungeachtet einer allfälligen Anmeldung als Verzehrprodukte (§ 18 LMG) - als "Arzneimittel" iS des § 1 des Arzneimittelgesetzes aus. Das Anbieten und Verkaufen solcher Teegemische durch den Beklagten verstoße daher nicht nur gegen § 3 der 1. Abgrenzungsverordnung und gegen § 57 des Arzneimittelgesetzes, sondern auch gegen § 1 UWG. Daß einzelne in den Teegemischen enthaltene Drogen vom Apothekenvorbehalt ausgenommen sind, könne daran nichts ändern, weil durch die Vermischung der Drogen ein neuer Stoff mit anderen Wirkungen entstehe, welcher von dieser Ausnahmegenehmigung nicht erfaßt werde. Daß die beanstandeten Teesorten direkt mit bestimmten Körperorganen, Körperorganteilen oder Körperfunktionen oder Krankheiten in Verbindung gebracht würden, könne beim angesprochenen Publikum die Hoffnung auf eine Linderung oder Heilung der betreffenden Leiden erwecken. Sollte hingegen der vom Beklagten angepriesene Heilcharakter von "Neuner's Kräutertee" in Wahrheit nicht gegeben sein, dann sei eine wahrheitswidrige Ankündigung und damit ein Verstoß gegen § 2 UWG anzunehmen.

Gegen diese Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Beklagten mit dem Antrag, den abweisenden Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, daß gemäß § 58 Abs 2 EO eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens einer Frist oder einer Tagsatzung im Exekutionsverfahren - und damit gemäß § 402 Abs 2 EO auch im Verfahren zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung - nicht stattfindet. Der bei der Verhandlungstagsatzung vom 24.6.1985 gefaßte Beschluß des Erstgerichtes, mit welchem dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Äußerung auf den Sicherungsantrag des Klägers bewilligt wurde, war somit gesetzwidrig. Da eine entgegen den Bestimmungen der § 58 Abs 2, § 402 Abs 2 EO bewilligte Wiedereinsetzung unwirksam und demgemäß unbeachtlich ist (EvBl 1982/119; JBl. 1983, 493 ua), war der Beklagte von einer Stellungnahme zum Antrag des Klägers ausgeschlossen (§ 144 ZPO); auf sein tatsächliches Vorbringen im Äußerungsschriftsatz ON 2a ist daher nicht weiter Bedacht zu nehmen. Gemäß § 56 Abs 2 und 3 EO war der Beklagte überdies - ohne Rücksicht auf den Inhalt seiner verspäteten Stellungnahme (3 Ob 102/78) - als dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zustimmend anzusehen. Auch in einem solchen Fall darf jedoch dem Sicherungsantrag nicht ohne weiteres stattgegeben werden:

Die Bestimmungen der EO über die Gewährung des beschleunigten Rechtsschutzes durch einstweilige Verfügungen sind zwingendes Recht; sie können daher weder durch Parteienabrede noch durch Heranziehung einer Zustimmungsfiktion geändert werden. Da ein diesen zwingenden Verfahrensgrundsätzen zuwiderlaufender Antrag somit auch dann abzuweisen ist, wenn sich der dazu vernommene Antragsgegner nicht geäußert hat, hat das Gericht auch bei einer nach § 56 Abs 2 EO anzunehmenden Zustimmung des Antragsgegners das Vorliegen der vom Gesetz für eine einstweilige Verfügung normierten rechtlichen Voraussetzungen von Amts wegen zu prüfen (ÖBl 1975, 109 mit weiteren Nachweisen). Dabei ist im vorliegenden Fall von nachstehenden Erwägungen auszugehen:

Der Kläger sieht im Verkauf der mehrfach genannten Kräutertee-Gemische durch den Beklagten einen Verstoß gegen § 3 Abs 1 der 1. Abgrenzungsverordnung. Gesetzliche Grundlage dieses sogenannten "Apothekenvorbehaltes" ist seit dem Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes BGBl. 1983/185 (im folgenden: AMG) der § 59 Abs 1 dieses Gesetzes, wonach Arzneimittel, sofern im folgenden nichts anderes bestimmt ist, im Kleinverkauf nur in Apotheken abgegeben werden dürfen. Gemäß § 59 Abs 3 AMG - welcher insoweit an die Stelle der durch § 86 Abs 1 Z 2 AMG aufgehobenen Verordnungsermächtigung des § 224 Abs 1 und 2 GewO getreten ist (siehe dazu die EB zur Regierungsvorlage des § 59 AMG, 1060 BlgNR 15. GP 53) - haben jedoch der Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz und der Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie durch gemeinsame Verordnung jene Arzneimittel zu bestimmen, die "selbst bei einer nach den Erfahrungen des täglichen Lebens vorhersehbaren nicht bestimmungsgemäßen Verwendung keine Gefährdung der Gesundheit oder des Lebens von Mensch oder Tier besorgen lassen und die daher im Kleinverkauf auch durch Gewerbetreibende, die zur Ausübung ... einer Konzession für das Drogistengewerbe (§ 223 GewO) berechtigt sind, abgegeben werden dürfen". Ebenso wie zuvor § 224 Abs 1 GewO, soll auch diese Bestimmung die Möglichkeit bieten, die hier einschlägigen Bestimmungen der drei Abgrenzungsverordnungen RGBl. 1883/152, RGBl. 1886/97 und RGBl. 1895/188 der in der Zwischenheit eingetretnen Entwicklung anzupassen (Mache-Kinscher, GewO 5 , 561 § 224 Anm. 3). Eine Verordnung nach § 59 Abs 3 AMG ist bisher nicht erlassen worden; die drei Abgrenzungsverordnungen, welche gemäß § 86 Abs 2 AMG erst mit dem Inkrafttreten einer solchen Verordnung außer Kraft treten, stehen deshalb - auf Gesetzesstufe (VwSlg. 9307 A) - auch weiterhin in Geltung

(Mache-Kinscher aaO 759 § 374 GewO Anm. 64; ebenso 4 Ob 355/85). Der Beklagte hält nun auch in dritter Instanz an seiner Auffassung fest, daß die in Rede stehenden Teegemische schon deshalb nicht dem "Apothekenvorbehalt" unterliegen könnten, weil sie "Verzehrprodukte" im Sinne des Lebensmittelgesetzes seien. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:

Nach der Legaldefinition des § 3 LMG sind "Verzehrprodukte" im Sinne dieser Bestimmung Stoffe, die dazu bestimmt sind, von Menschen gegessen, gekaut oder getrunken zu werden, ohne überwiegend Ernährungs- oder Genußzwecken zu dienen - in welchem Fall es sich um "Lebensmittel (Nahrungs- oder Genußmittel)" im Sinne des § 2 LMG handeln würde - oder Arzneimittel zu sein. Das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung zwischen Arzneimitteln einerseits und Verzehrprodukten andererseits hatte der Verwaltungsgerichtshof vor dem 1.4.1984 (Inkrafttreten des Arzneimittelgesetzes) in Ermangelung einer umfassenden gesetzlichen Definition des Begriffes "Arzneimittel" in der österrechischen Rechtsordnung nicht im tatsächlichen Hervorrufen heilender Wirkungen, sondern ausschließlich in jenen qualitativen und quantitativen Momenten gesehen, die einen bestimmten Stoff nach dem Stand der Kenntnisse der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaft infolge seines Wirkungsgrades als Arzneimittel kennzeichneten (siehe dazu insbesondere VwSlg. 10.848 A; BaPiSmo 20 ua). War demnach aus der Zusammensetzung eines Stoffes eindeutig dessen tatsächliche (objektive) Eignung zu erschließen, arzneiliche Wirkungen hervorzurufen, dann lag ein Arzneimittel vor; eine rein subjektive Deklarierung allein - d.h. die bloße Zweckbestimmung eines Mittels als Arzneimittel ohne dessen objektive Eignung, tatsächlich solche Wirkungen hervorzubringen - konnte hingegen keine Grundlage für eine Einstufung als Arzneimittel bilden. Der gravierende Nachteil dieses Abgrenzungskriteriums lag darin, daß Mittel, die zwar als Arzneimittel deklariert waren, nach ihrer Zusammensetzung aber keine arzneilichen Wirkungen aufwiesen - also den Charakter von Schwindelpräparaten hatten -, nicht als Arzneimittel eingestuft werden konnten und deshalb nur sehr schwer zu erfassen, ja vielfach sogar überhaupt nicht zu eliminieren waren (EB zur Regierungsvorlage des AMG, 1060 BlgNR 15. GP 26 zu § 1 Abs 1).

Diese Lücke ist durch die Legaldefinition des § 1 Abs 1 AMG geschlossen worden: "Arzneimittel" im Sinne dieser Begriffsbestimmung sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen oder nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind, bei Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper

1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,

.......

5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.

Lebensmittel und Verzehrprodukte iS der §§ 2 und 3 LMG sind gemäß § 1 Abs 3 Z 1 AMG keine Arzneimittel.

Für die Beurteilung, ob ein Arzneimittel vorliegt oder nicht, sind also jetzt grundsätzlich zwei Kriterien maßgebend, nämlich einerseits die objektive Zweckbestimmung ("die nach der allgemeinen Verkehrsauffassung dazu dienen.....") und andererseits die subjektive Zweckbestimmung durch den Hersteller, Depositeur, Großhändler usw. ("nach Art und Form des Inverkehrbringens dazu bestimmt sind....."). Im Regelfall werden beide Voraussetzungen gleichzeitig zutreffen, d.h. einem als Arzneimittel bezeichneten Mittel werden auch nach der allgemeinen Verkehrsauffassung arzneiliche Wirkungen zukommen. Es sind aber auch Fälle denkbar, in denen ein Mittel, das nach der Verkehrsauffassung arzneiliche Wirkungen entfaltet, nicht als Arzneimittel bezeichnet ist oder umgekehrt ein Mittel, das keine arzneilichen Wirkungen entfalten kann, als Arzneimittel bezeichnet ist. Daß solche Mittel als Arzneimittel einzustufen sind, ergibt sich einerseits aus der Tatsache, daß ein Mittel, das nach seiner objektiven Bestimmung ein Arzneimittel ist, diese Eigenschaft auch dann beibehält, wenn es nicht ausdrücklich als Arzneimittel bezeichnet ist, andererseits aus der Notwendigkeit, Mittel, die zwar als Arzneimittel bezeichnet sind, aber keine arzneilichen Wirkungen entfalten können, aus Gründen der Arzneimittelsicherheit und Arzneimittelkontrolle den strengen Regelungen des Arzneimittelgesetzes im vollen Ausmaß zu unterwerfen (EB zur Regierungsvorlage des § 1 Abs 1 AMG, 1060 BlgNR 15. GP 26).

Damit ist aber seit dem Inkraftreten des Arzneimittelgesetzes der in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelte Arzneimittelbegriff überholt: Die Frage, ob einem bestimmten Stoff die Qualität eines Arzneimittels zukommt, ist seit dem 1.4.1984 allein nach der Legaldefinition des § 1 Abs 1 AMG zu beurteilen (so ausdrücklich VwGH 14.1.1985 BaPiSmo 27). Dabei ist zu berücksichtigen, daß weder die gesetzliche Umschreibung und damit der Inhalt des Begriffes "Verzehrprodukt" noch dessen Abgrenzung (an sich) zum Begriff des "Lebensmittels" auf der einen und zum Begriff des "Arzneimittels" auf der anderen Seite durch das Inkrafttreten des AMG eine Änderung erfahren haben: Bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall ein zum Essen, Kauen oder Trinken bestimmtes Produkt als "Verzehrprodukt" zu qualifizieren ist, ist vielmehr auch weiterhin zunächst zu untersuchen, ob dieses Produkt die Merkmale des § 2 LMG aufweist und deshalb als "Lebensmittel" einzustufen ist. Trifft dies nicht zu, dann muß geprüft werden, ob das Produkt der Begriffsbestimmung des "Arzneimittels" iS des § 1 Abs 1 AMG zu unterstellen ist; nur wenn auch das nicht der Fall ist, liegt ein "Verzehrprodukt" iS des § 3 LMG vor (so gleichfalls die schon zitierte Entscheidung des VwGH BaPiSmo 27).

Bei dieser Rechtslage kann aber die Qualifikation der hier beanstandeten Teegemische als "Arzneimittel" iS des § 1 Abs 1 AMG nach Ansicht des erkennenden Senates nicht zweifelhaft sein, läßt doch schon ihre Bezeichnung als "Rheumatee", "Gichttee" und "Blutdrucktee" in Verbindung mit eindeutigen Zweckbestimmungsangaben wie "zur Erhöhung des Blutdrucks" oder "zur Senkung des Blutdrucks" klar erkennen, daß diese Teemischungen nach Art und Form ihres Inverkehrbringens jedenfalls dazu bestimmt sind, bei widmungsgemäßem Gebrauch zumindest einen Teil der in § 1 Abs 1 Z 1 AMG angeführten Wirkungen zu erzielen. Ob und in welchem Umfang ihnen derartige Wirkungen tatsächlich zukommen, ist im Sinne der obigen Rechtsausführungen ebensowenig entscheidungswesentlich wie das Vorbringen des Beklagten, wonach die Herstellerin (auch) diese vier Teesorten gemäß § 18 LMG als Verzehrprodukte beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz angemeldet habe. Zu prüfen bleibt vielmehr nur noch die Frage einer allfälligen Ausnahme vom "Apothekenvorbehalt" nach den Bestimmungen der drei Abgrenzungsverordnungen.

Bei der Beurteilung dieser Frage ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß zwar gemäß § 3 Abs 1 der

1. Abgrenzungsverordnung RGBl. 1883/152 das Feilhalten und der Verkauf von Drogen und chemischen Präparaten, die ausschließlich zu Heilzwecken Verwendung finden, grundsätzlich den Apotheken vorbehalten ist, daß aber gemäß § 3 der 2. Abgrenzungsverordnung RGBl. 1886/97 die dort aufgezählten Artikel, welche an sich unter § 3 Abs 1 der

  1. 1. Abgrenzungsverordnung fallen würden, unter den in § 6 der
  2. 2. Abgrenzungsverordnung sowie in der
  3. 3. Abgrenzungsverordnung RGBl. 1895/188 genannten Voraussetzungen auch in anderen Geschäften als Apotheken feilgehalten und verkauft werden dürfen. Für den Beklagten ist aber damit nichts Entscheidendes gewonnen, weil die hier in Rede stehenden Teegemische - ganz abgesehen davon, daß sie nach ihrer auf den einzelnen Packungen ersichtlich gemachten Zusammensetzung auch andere als die in § 3 der 2. Abgrenzungsverordnung genannten Bestandteile enthalten - schon deshalb nicht vom "Apothekenvorbehalt" ausgenommen sind, weil sie infolge ihrer Zusammensetzung aus verschiedenen Ausgangsprodukten in jedem Fall - also auch dann, wenn sie tatsächlich nur aus den in § 3 der

    2. Abgrenzungsverordnung angeführten Stoffen bestünden - neue, für den unmittelbaren Gebrauch des Publikums zubereitete Produkte wären, welche auf Grund ihrer ausschließlichen Verwendung für Heilzwecke der Beschränkung des § 3 Abs 1 der 1. Abgrenzungsverordnung unterlägen (im gleichen Sinne bereits VwSlg. 5662 A; siehe auch ÖBl 1971, 14).

    Daß die Bestimmungen der drei Abgrenzungsverordnungen entgegen der Meinung des Beklagten keine wertneutralen Vorschriften sind, ihre Übertretung vielmehr regelmäßig auch geeignet ist, dem betreffenden Unternehmer einen Wettbewerbsvorsprung vor seinen gesetzestreuen Mitbewerbern zu verschaffen, hat der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen (ÖBl 1963, 69; ÖBl 1971, 14 ua). Soweit jedoch der Beklagte unter Hinweis darauf, daß die beanstandeten Teemischungen von ihrer Herstellerin als "Verzehrprodukte" beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz angemeldet und von diesem nicht untersagt worden seien, eine ihm auch subjektiv vorwerfbare Mißachtung der genannten Vorschriften in Abrede stellt, kann ihm gleichfalls nicht gefolgt werden: Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach dargelegt hat (ÖBl 1983, 40 ua), kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob eine Verletzung gewerberechtlicher Vorschriften gegen § 1 UWG verstößt, vor allem darauf an, ob die Auffassung des Beklagten über den Umfang seiner Befugnisse durch das Gesetz so weit gedeckt ist, daß sie mit gutem Grund vertreten werden kann. Der Annahme eines solchen unverschuldeten Rechtsirrtums steht aber im vorliegenden Fall schon der insoweit kaum mißverständliche Wortlaut des - im März 1983 im Bundesgesetzblatt kundgemachten - neuen Arzneimittelgesetzes sowie der drei Abgrenzungsverordnungen entgegen.

    Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Beschlusses.

    Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des Klägers auf § 393 Abs 1 EO, hinsichtlich des Beklagten auf §§ 40, 50, 52 ZPO iVm §§ 78, 402 Abs 2 EO.

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