European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0070OB00059.24P.0417.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.127,40 EUR (darin enthalten 187,90 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Zwischen den Streitteilen bestand ein Rechtsschutzversicherungsvertrag. Diesem Vertrag, der vom Kläger per 1. 3. 2019 gekündigt worden war, lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2014) zugrunde. Diese lauten auszugsweise wie folgt:
„ Artikel 3
Für welchen Zeitraum gilt die Versicherung? (Zeitlicher Geltungsbereich)
[...]
3. Wird der Deckungsanspruch vom Versicherungsnehmer später als zwei Jahre nach Beendigung des Versicherungsvertrags für das betreffende Risiko geltend gemacht, besteht kein Versicherungsschutz. Dieser Ausschluss gilt nicht, wenn der Versicherungsnehmer vor Ablauf der zwei Jahre keinen Hinweis auf den Eintritt des Versicherungsfalls hatte und er den Deckungsanspruch unverzüglich nach Kenntnis des Versicherungsfalls beim Versicherer geltend gemacht hat.
[...]
Artikel 8
Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten (Obliegenheiten)
1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,
1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen.
[...]
3. Für den Fall, dass der Versicherungsnehmer eine dieser allgemeinen Obliegenheiten verletzt, wird Leistungsfreiheit vereinbart. [...] .“
Rechtliche Beurteilung
[2] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig; sie zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Die Entscheidung kann sich auf die Anführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 1 ZPO).
[3] 1. Die Beurteilung der Wirksamkeit des Art 3.3 ARB kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man von dessen Unwirksamkeit ausginge und mit dem Kläger die Prüfung der – von der Beklagten eingewandten – Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.1 ARB wie bei aufrechtem Rechtsschutzversicherungsvertrag vornehmen würde, wäre für ihn nichts gewonnen:
[4] 1.1 Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu (RS0116978). Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RS0018313). Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion (RS0043728 [insb T4], RS0081313 [T21]). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls, noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RS0116979). Der Versicherungsnehmer hat den Beweis der fehlenden Kausalität seiner Obliegenheitsverletzung strikt zu führen; es ist nicht nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun (RS0079993).
[5] 1.2 Die für die Rechtsschutzversicherung in § 33 Abs 1 VersVG normierte, mit Art 8.1.1 (iVm Art 8.3) ARB auch vertraglich umgesetzte, Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls gilt für die Rechtsschutzversicherung jedenfalls während aufrechten Versicherungsvertrags nur eingeschränkt, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer nicht nach jedem Versicherungsfall, sondern nur dann zu unterrichten hat, wenn er aufgrund eines Versicherungsfalls Versicherungsschutz „begehrt“. Dies beruht auf der Überlegung, dass der Versicherer kein Interesse daran haben kann, von jedem möglichen Schadenereignis oder Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Rechtspflichten zu erfahren, ohne dass feststeht, dass dies zu einer kostenauslösenden Reaktion führen kann. Erst wenn sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen, das heißt, wenn sich die rechtliche Auseinandersetzung soweit konkretisiert hat, dass der Versicherungsnehmer mit der Aufwendung von Rechtskosten rechnen muss und deshalb seinen Rechtsschutzversicherer in Anspruch nehmen will, entsteht bei ihm die Obliegenheit, den Versicherer unverzüglich zu informieren und kostenauslösende Maßnahmen mit ihm abzustimmen (vgl 7 Ob 206/19y).
[6] 1.3 Betreffend die Nichterfüllung dieser den Versicherungsnehmer treffenden Obliegenheit ist ihm das Verhalten jener, die er zur Abwicklung des Versicherungsfalls bevollmächtigt hat, also des Klagevertreters, zuzurechnen (RS0019473; 7 Ob 70/15t).
[7] 1.4 Während der Fachsenat eine Schadenmeldung innerhalb weniger Tage für unverzüglich erachtete (vgl 7 Ob 250/01t), hat er diese Voraussetzung im Falle eines Zeitraums von rund zwei Wochen bereits verneint (7 Ob 48/80 = VersE 994; vgl auch 7 Ob 2/21a, 7 Ob 25/22k).
[8] 2. Der Kläger erwarb am 28. 8. 2018 einen gebrauchten Diesel‑Pkw. Anfang 2021 erfuhr er erstmals, dass sein Fahrzeug vom „Abgasskandal“ betroffen sein könnte. Er kontaktierte am 8. 2. 2021 den Klagevertreter, um dazu Näheres in Erfahrung zu bringen. Am 9. 2. 2021 übermittelte er dem Klagevertreter seine Unterlagen und teilte ihmdie Z* Versicherung als seinen Rechtsschutzversicherer mit. Am 16. 2. 2021 übermittelte der Klagevertreter eine Deckungsanfrage an diese. Am 22. 2. 2021 lehnte sie die Deckung unter Hinweis auf Vorvertraglichkeit ab. Hievon setzte der Klagevertreter den Kläger am 8. 3. 2021 in Kenntnis. Die Beklagte als relevante Rechtsschutzversicherung zu eruieren, benötigte einige Tage. Am 16. 3. 2021 erstattete der Klagevertreter erstmals Schadenmeldung an die Beklagte und er ersuchte um Zusage der Rechtsschutzdeckung, um aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung gegen die Herstellerin einzuschreiten.
[9] 2.1 Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der Kläger spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der ihm zuzurechnende Klagevertreter die Deckungsanfrage an den – falschen – Rechtsschutzversicherer gerichtet hatte, ausreichend Kenntnis vom Sachverhalt gehabt habe und eine ausreichende Konkretisierung der bevorstehenden rechtlichen Auseinandersetzung vorgelegen sei. Die Mitteilung des Schadenfalls an die Beklagte rund einen Monat später sei damit nicht unverzüglich erfolgt (vgl 7 Ob 2/21a) und die Beklagte habe den objektiven Tatbestand der Verletzung der Obliegenheit nach Art 8.1.1 ARB dargelegt. Diese Beurteilung ist jedenfalls vertretbar.
[10] 2.2 Der Kläger hält dem entgegen, er sei vorerst irrig davon ausgegangen, dass sein zum damaligen Zeitpunkt aktueller Rechtsschutzversicherer der richtige gewesen sei; er habe auch sofort nach Mitteilung der Vorvertraglichkeit durch diesen Schritte gesetzt, um den richtigen Rechtsschutzversicherer – die Beklagte – zu eruieren, weshalb nur leichte Fahrlässigkeit vorliege.
[11] Hier legt der Kläger aber schon nicht dar, aufgrund welcher Umstände der – die verzögerte Schadenmeldung gegenüber der Beklagten auslösende – Irrtum über den „richtigen“ Rechtsschutzversicherer auf bloß leichter Fahrlässigkeit beruhen sollte. Offen bleibt auch, aus welchen Gründen der – dem Kläger zuzurechnende – Klagevertreter 14 Tage zuwartete und den Kläger von der am 22. 2. 2021 erfolgten Ablehnung der Deckung erst am 8. 3. 2021 in Kenntnis setzte und danach bis zur richtigen Schadenmeldung nochmals mehr als eine Woche verstreichen ließ.
[12] Ausführungen zu einem allfälligen Kausalitätsgegenbeweis enthält die Revision ebenfalls nicht.
[13] 3. Dieser Beschluss bedarf daher keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
[14] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
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