European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0070OB00053.13I.0703.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Pflegschaftssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung
Die außerehelich geborene Minderjährige lebte bis zum 9. 3. 2012 gemeinsam mit ihrem sechsjährigen Halbbruder im Haushalt der obsorgeberechtigten Mutter und hatte zum Vater regelmäßige Besuchskontakte. Während der letzten Jahre kam es zwischen ihr und der Mutter häufig zu Streitigkeiten, die sowohl die Minderjährige als auch die Mutter und den Halbbruder belasteten. Die Mutter stimmte letztlich einer probeweisen Übersiedlung der Minderjährigen zum Vater mit 9. 3. 2012 zu. Seither lebt die Minderjährige im Haushalt des Vaters, dessen Wohnverhältnisse geordnet, jedoch auch etwas beengt sind. Seit dem Umzug hat sie eine höhere Lebenszufriedenheit und weniger Befindensstörungen. Sowohl für die Minderjährige als auch für die Mutter brachte der Umzug eine Beruhigung mit sich. Zwischen der Mutter und der Minderjährigen gibt es seither auf Grund des angespannten Gesprächsklimas keinen regelmäßigen Kontakt. Die Minderjährige wird im Haushalt des Vaters ausreichend versorgt und betreut. Sie wünscht sich weiterhin, beim Vater wohnen zu können und dass ihm die Obsorge übertragen werde.
Die Minderjährige und der Vater beantragten, die Obsorge von der Mutter auf den Vater zu übertragen. Die Minderjährige gab an, dass sie mit ihrer Mutter dauernd streite, diese für sie nicht koche und sich auch nicht um sie kümmere.
Die Mutter sprach sich dagegen aus. Der Antrag sei auf die Pubertät der Minderjährigen zurückzuführen. Sie sei nur mit einer gemeinsamen Obsorge mit hauptsächlichem Aufenthalt beim Vater einverstanden.
Der Vater lehnte dies ab.
Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge und übertrug sie zur Gänze auf den Vater. Die Minderjährige lebe bereits seit vier Monaten beim Vater in geordneten und geeigneten Wohnverhältnissen und sei ausreichend versorgt. Es sei dem ernsthaften Wunsch der mündigen Minderjährigen zu folgen.
Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung. Da trotz der Bemühungen des Erstgerichts keine gütliche Einigung zu erzielen gewesen sei, sei der Wunsch der 16‑Jährigen bei der Obsorgeentscheidung zu berücksichtigen. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass ihre Betreuung im Haushalt des Vaters nicht gewährleistet sei. Das Verhältnis der Tochter zur Mutter sei in den letzten Jahren derart angespannt gewesen, dass es zu vielen Konflikten gekommen sei. Die Übertragung der Obsorge an den Vater entspreche daher dem Kindeswohl.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen erheblicher Bedeutung zu beurteilen seien.
Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Vater beantragt in der schon vor einem entsprechenden Beschluss des Obersten Gerichtshofs eingebrachten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben. In einem solchen Fall erübrigt sich eine Freistellung und es kann bereits in der Sache selbst erkannt werden (RIS‑Justiz RS0104882).
Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.
Nach der bis 31. 1. 2013 geltenden Rechtslage war die Aufrechterhaltung einer bestehenden Obsorgeregelung gegen den Widerstand eines mündigen Kindes abzulehnen, sofern nicht schwerwiegende Gründe dagegen sprachen und sich dessen Wunsch nicht gegen seine offenbar erkennbaren Interessen richtete (1 Ob 248/06m mwN; RIS‑Justiz RS0048820, RS0048818). Ein Einvernehmen konnte hier zwischen den Eltern nicht herbeigeführt werden. Nach der vor Inkrafttreten des Kindschafts‑ und Namensrechts‑Änderungsgesetzes 2013 (KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15) geltenden Rechtslage hielt sich die Entscheidung des Rekursgerichts im Rahmen der Judikatur.
Diese Rechtslage wurde aber nun grundlegend geändert. Nach § 1503 Z 1 ABGB idF des KindNamRÄG 2013 ist dieses, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit 1. 2. 2013 in Kraft getreten. Eine besondere Übergangsbestimmung gibt es nicht. Die Materialien (EB zur RV, 2004 BlgNR 24. GP 34) führen dazu aus, dass die „neuen namens‑ und kindschaftsrechtlichen Regelungen mit 1. 2. 2013 angewendet werden sollen; dies gilt auch für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren“. Dieser Wille des Gesetzgebers steht im Einklang mit der Rechtsprechung zur Rechtsänderung bei Dauerrechtsverhältnissen. Damit sind im Revisionsrekursverfahren bereits die seit 1. 2. 2013 geltenden Bestimmungen des KindNamRÄG 2013 anzuwenden (4 Ob 32/13d, 6 Ob 41/13t je mwN).
Die neue Rechtslage zielt auf die Föderung der gemeinen Obsorge der Eltern ab, wenn dies im Kindeswohl liegt. Die Änderung der Obsorge ist nunmehr in § 180 ABGB geregelt, die Entziehung oder Einschränkung in § 181 ABGB. Die nun geltenden Grundsätze zur Obsorgeänderung konnten die Vorinstanzen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entschieden haben, nicht berücksichtigen. Dem fortzusetzenden Verfahren ist nicht nur die neue Rechtslage zu Grunde zu legen, sie ist auch mit den Eltern und der Minderjährigen zu erörtern.
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