European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00038.22X.0428.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Österreich und schloss aufgrund seines Antrags vom 22. 12. 2006 bei der in Deutschland ansässigen Beklagten einen Lebensver-sicherungsvertrag ab. Der diesem Versicherungsverhältnis zugrunde liegende und vom Kläger unterfertigte Antrag enthielt folgenden Hinweis:
„Sie können binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrages von diesem zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Rücktrittserklärung. In Ihrer Police werden Sie nochmals über ein weiteres Rücktrittsrecht informiert.“
[2] Mit Begleitschreiben vom 29. 12. 2006, mit dem die Polizze und die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen Österreich“ übermittelt wurden, teilte die Beklagte dem Kläger Folgendes mit:
„Mit der Police nebst der Verbraucherinformation inklusive Versicherungsbedingungen sind Sie im Besitz aller vorgeschriebenen Unterlagen. Sie können innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Erhalt dieser Unterlagen schriftlich von dem Versicherungsvertrag zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung ihrer Rücktrittserklärung. Die Frist beginnt erst zu laufen, wenn Ihnen die Unterlagen vollständig vorliegen. Das Rücktrittsrecht erlischt spätestens 1 Monat nach Zugang der Police einschließlich einer Belehrung über das Rücktrittsrecht.“
[3] Die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen Österreich“ enthalten in § 17 Abs 1 folgende Regelung:
„Auf Ihren Vertrag findet das Recht der Bundesrepublik Deutschland Anwendung. Daneben gelten jedoch zwingende Bestimmungen des österreichischen Rechts.“
Rechtliche Beurteilung
[4] 1. Der Kläger, der mit Schreiben vom 13. 9. 2018 von diesem Versicherungsvertrag mit sofortiger Wirkung zurücktrat, leitet seine daraus resultierenden Ansprüche als Versicherungsnehmer sowohl aus den Vorschriften der gewählten deutschen Rechtsordnung als auch aus den zwingenden Vorschriften der Rechtsordnung seines gewöhnlichen – österreichischen – Aufenthalts ab.
[5] 2. Soweit sich die Ausführungen des Rechtsmittelwerbers auf die deutsche Rechtslage beziehen, ist der Oberste Gerichtshof nicht dazu berufen, für die Einheitlichkeit oder gar die Fortbildung fremden Rechts Sorge zu tragen (RS0042940 [T3, T8]). Die Revision wäre aus Gründen der Rechtssicherheit nur dann zulässig, wenn ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre oder hiebei grobe Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssten (RS0042940 [T9]; RS0042948 [T3, T21]). Das ist hier nicht der Fall.
[6] 2.1. Angesichts der Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts stützt der Kläger seinen Rücktritt auf § 5a VVG idF dBGBl I 2004 Nr 64 S 3102, wonach ein Lebensversicherungsvertrag als abgeschlossen gilt, wenn der Versicherungsnehmer zwar bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen oder die Verbraucherinformation nach § 10a des (deutschen) Versicherungsaufsichtsgesetzes noch nicht erhalten hat, aber nicht innerhalb von 30 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation in Textform widerspricht. Der Lauf der 30tägigen Frist beginnt nach § 5a Abs 2 VVG aF erst, wenn der Versicherungsnehmer schriftlich über sein Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt wurde.
[7] 2.2. Die im Begleitschreiben zur Polizze übermittelte Belehrung über die Frist zum Widerspruch von zwei Wochen entspricht nicht der Frist von § 5a VVG idF dBGBl I 2004 Nr 64 S 3102 bei Lebensversicherungsverträgen (30 Tage). Zudem ist die Belehrung über die einzuhaltende Schriftform fehlerhaft, weil die Textform genügt (BGH IV ZR 211/14).
[8] 2.3. Nach der Rechtsprechung des BGH kann einem Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Widerspruchsrechts und sein Verlangen nach Rückabwicklung des Vertrags nach Treu und Glauben verwehrt sein (§ 242 BGB). Trotz fehlender oder fehlerhafter Widerrufsbelehrung kann der Versicherungsnehmer, der keine hinreichende Kenntnis von den sein Widerspruchsrecht begründenden Umständen hatte, dieses Recht dennoch verlieren, nämlich verwirken, und zwar wegen illoyaler verspäteter Geltendmachung des Rechts (Zeitmoment), sofern sich der Schuldner (der Versicherer) wegen der Untätigkeit seines Gläubigers (Versicherungsnehmer) bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, sodass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich nach den „vom Tatrichter“ festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalls (BGH IV ZR 130/15; IV ZR 482/14; IV ZB 9/19; Schepers in Marlow/Spuhl, BeckOK VVG, 14. Edition, § 5a aF Rn 50 f, 57 f; vgl BGH IV ZR 76/11).
[9] 2.4. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs (etwa ein Monat) zwischen dem Abschluss des Lebensversicherungsvertrags und dessen Einsatz zur Kreditsicherung (Abtretung der Rechte aus diesem Vertrag an eine Bank zur Besicherung eines vom Kläger aufgenommenen Kredits), setzte doch die Abtretung zwingend das Bestehen eines wirksamen Vertrags voraus und erweckte daher beim Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrags (BGH IV ZR 130/15; IV ZR 506/15), besondere Umstände vorliegen würden, die nach § 242 BGB dazu führten, dass sich der Kläger, nachdem er über beinahe 12 Jahre hinweg die monatlichen Prämien gezahlt hatte, nicht mehr auf sein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG aF berufen könne, ist daher nicht zu beanstanden.
[10] Entgegen der Ansicht des Klägers kann das Widerspruchsrecht auch dann gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte und hiezu Mängel der Belehrung vorliegen (BGH IV ZB 9/19). Warum der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrags und dessen Einsatz zur Kreditsicherung beim beklagten Versicherer ein schutzwürdiges Vertrauen in den unbedingten Bestand des Vertrags nicht zu begründen vermocht hätte, zeigt der Kläger nicht auf.
[11] 3. Der Kläger behauptet, dass er auch über sein Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG aF nicht ordnungsgemäß informiert worden sei, weil die Belehrungen im Versicherungsantrag und dem Begleitschreiben zur Polizze widersprüchlich und irreführend seien. Darüber hinaus habe die Beklagte auch nicht angegeben, auf welche Rechtsgrundlage sich diese Belehrungen beziehen, wodurch ihm die Möglichkeit genommen worden sei, die Richtigkeit der Angaben nachzuprüfen.
[12] 3.1. Der Hinweis im Versicherungsantrag, dass der Kläger binnen 30 Tagen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurücktreten kann, entspricht den Vorgaben des § 165a VersVG idF BGBl I 2004/62. Das allfällige Verlangen des Versicherers nach einer schriftlichen Ausübung des Rücktritts nach § 165a Abs 1 VersVG aF ist keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts, die dessen unbefristete Ausübung erlauben würde (RS0132997).
[13] 3.2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass dem Versicherungsnehmer nach Anh II A.a.13 der RL 92/96/EWG und Anh III A.a.13 der RL 2002/83/EG nur Informationen über die „Modalitäten der Ausübung des Rücktrittsrechts“ mitzuteilen seien und weder nach unionsrechtlichen Vorgaben noch nach österreichischen Rechtsvorschriften über die Rechtsgrundlagen aufzuklären sei, ist nicht zu beanstanden. Ebenfalls nicht korrekturbedürftig ist dessen Rechtsansicht, dass dem Kläger klar und verständlich mitgeteilt worden sei, unter welchen Voraussetzungen er vom Versicherungsvertrag zurücktreten könne, zumal er im Versicherungsantrag über das Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG aF belehrt worden sei und die nachfolgende Belehrung im Begleitschreiben zur Polizze – worauf bereits im Versicherungsantrag ausdrücklich hingewiesen wurde („über ein weiteres Rücktrittsrecht informiert“) – ein anderes Rücktrittsrecht betrifft, das auch einer anderen Frist unterliegt.
[14] 4. Woraus sich für ihn die Notwendigkeit ergeben soll, auf die konkrete Rechtsnorm hingewiesen zu werden, führt der Revisionswerber nicht aus. Dass die vom Kläger zitierten Entscheidungen zu 7 Ob 20/20x und 7 Ob 117/20m dies nicht verlangen, sondern die eindeutige Zuordenbarkeit, hat bereits das Berufungsgericht unbedenklich dargelegt.
[15] 5. Eine erhebliche Rechtsfrage vermag der Kläger nicht aufzuzeigen.
[16] 6. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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