OGH 7Ob36/95

OGH7Ob36/9529.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr.Hubert Tramposch, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Marco S*****, vertreten durch Dr.Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 100.000,-- sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 28.Juni 1995, GZ 2 R 218/95-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 25.Februar 1995, GZ 15 C 1212/94w-9, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Kosten des Verfahrens erster Instanz.

Text

Begründung

Am 28.9.1992 verschuldete der Beklagte auf der Inntalautobahn als Lenker des bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW seiner Lebensgefährtin einen Verkehrsunfall. Der Beklagte war am Abend dieses Tages mit Markus E***** in verschiedenen Lokalen unterwegs, wobei zunächst Markus E***** das Fahrzeug der Lebensgefährtin des Beklagten gelenkt hatte. Das Heimfahren von Ellmau nach Innsbruck lehnte Markus E***** jedoch wegen Übermüdung ab. Da sich der Beklagte dazu körperlich in der Lage fühlte, übernahm er das Lenken des Fahrzeugs. Auf der Autobahn schlief er gegen 2.30 Uhr im Gemeindegebiet Vomp wegen Übermüdung ein und fuhr - mit geringfügig höherer Geschwindigkeit - einem vor ihm fahrenden LKW-Zug auf. Der PKW wurde dadurch nach rechts von der Fahrbahn geschleudert und kam auf einer Böschung zum Stehen. Markus E***** erlitt bei dem Unfall tödliche Verletzungen. Beide Insassen des PKW waren nicht angegurtet. An dem LKW-Zug entstand Sachschaden. Der Beklagte war nicht alkoholisiert, hatte aber zum Unfallszeitpunkt keinen Führerschein.

Am 30.7.1986 hatte der Beklagte erstmals die Lenkerberechtigung für die Gruppe B erworben. Am 7.3.1988 wurde er bei Vorliegen einschlägiger Vorstrafen wegen des Vergehens des Diebstahls und der Nötigung verurteilt. Mit Bescheid vom 27.6.1988 wurde dem Beklagten die Lenkerberechtigung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 66 KFG) für die Dauer von 12 Monaten entzogen. In diesem Bescheid wurde ua ausgeführt, daß der Beklagte seinen PKW schon mehrfach zur Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen benützt habe.

Am 15.9.1988 wurde der Beklagte wegen Einbruchsdiebstahls, gewerbsmäßigen Diebstahls, Unterschlagung und Urkundenunterdrückung neuerlich strafgerichtlich zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nachdem er am 5.11.1989 wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, Nichtbeachtung des Vorschriftszeichens "Fahrverbot" und Nichtmitführens des Führerscheins und des Zulassungsscheins der Bundespolizeidirektion Innsbruck angezeigt worden war, wurde ihm mit Bescheid vom 9.11.1989 der Führerschein für die Dauer von 14 Monaten gemäß §§ 74 Abs 1, 66 Abs 2 lit e KFG entzogen. Da die Untersuchung des Blutalkoholgehaltes nur einen Wert von 0,4 %o ergab, wurde die Alkoholisierung als Entziehungsgrund nicht mehr angeführt und das Verfahren hinsichtlich des Verstoßes gegen § 5 Abs 1 StVO am 11.12.1989 eingestellt.

Mit Bescheid vom 13.2.1990 wurde dem Beklagten nach Anzeige wegen zweier Einbruchsdiebstähle die Lenkerberechtigung, die bis zum 30.5.1991 gültig gewesen wäre, für die Dauer von zwei Jahren neuerlich gemäß §§ 73 Abs 1, 66 Abs 2 lit b KFG entzogen, wobei im Bescheid angeführt wurde, daß der Beklagte das Fahrzeug sowohl für die Fahrt zum Tatort als auch zum Abtransport von Diebsgut verwendet hatte.

Mit Bescheid vom 18.8.1993 wurde dem Beklagten neuerlich eine Lenkerberechtigung der Gruppe B, befristet auf ein Jahr, bei Unauffälligkeit auf weitere zwei Jahre erteilt, wobei ausgesprochen wurde, daß bei Anhalten der Unauffälligkeit eine Kontrolluntersuchung entfallen kann. Vor Erteilung dieser Lenkerberechtigung wurde wegen Zweifel an kraftfahrspezifischen psychischen Voraussetzungen ein verkehrspsychologisches Gutachten eingeholt. Dem Beklagten wurde darin ausreichende kraftfahrspezifische Leistungsfunktion attesttiert. Weiters wurde festgehalten, daß wegen der vorhandenen uneinheitlichen persönlichkeitsbedingten Gegebenheiten (Hinweise auf erhöhte Risikobereitschaft sowie Tendenz zu emotionalem Autofahren), das Ausmaß einer Eignungsausschließung derzeit nicht erreicht werde und der Beklagte vom Standpunkt verkehrspsychologischer Diagnostik aus zur Führung von Kraftfahrzeugen der Gruppe B unter dem genannten Vorbehalt geeignet erscheine.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten im Regreßweg den Ersatz der an geschädigte Dritte erbrachten Leistungen aus dem Verkehrsunfall vom 28.9.1992. Dem Beklagten sei die Lenkerberechtigung schon mehrfach wegen Unzuverlässigkeit entzogen worden; die Entziehung der Lenkerberechtigung diene vor allem dem Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor verkehrsunzuverlässigen Lenkern. Das Fahren in übermüdetem Zustand sei geradezu typisch für einen unzuverlässigen Lenker. Der Verstoß des Beklagten gegen die "Führerscheinklausel" sei daher für den Unfall kausal gewesen.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Er habe bereits im Jahre 1986 eine Lenkerberechtigung erworben und verfüge über ausreichende Fahrpraxis. Der Unfall sei nicht auf das Nichtvorliegen einer Lenkerberechtigung sondern nur darauf zurückzuführen, daß der Beklagte zum Unfallszeitpunkt übermüdet gewesen sei. Das Einschlafen am Steuer könne auch einem Kraftfahrzeuglenker mit gültiger Lenkerberechtigung passieren. Weder ein Fahrfehler noch der Verstoß gegen die "Führerscheinklausel" sei für den Eintritt des Unfalls kausal gewesen. Den getöteten Beifahrer treffe überdies ein wesentliches Mitverschulden, weil er nicht angegurtet gewesen sei und gewußt habe, daß der Beklagte über keine Lenkerberechtigung verfüge. Überdies habe die Klägerin an die Geschädigten Zahlungen in überhöhtem Ausmaß geleistet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Daß der Beklagte nicht im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung gewesen sei, sei für das Zustandekommen des Verkehrsunfalls nicht kausal gewesen. Die Entziehung der Lenkerberechtigung sei nur deshalb erfolgt, weil der Beklagte strafbare Handlungen mit Hilfe eines Kraftfahrzeuges begangen habe. Keineswegs sei ihm die Lenkerberechtigung wegen Gefährdung der Verkehrssicherheit durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder wegen Trunkenheit entzogen worden. Das kurze Einnicken kurz vorher noch voll fahrfähiger Personen, insbesondere bei einschläfernden Fahrten auf der Autobahn, sei ein häufig auftretendes Phänomen, wovor auch berechtigte Fahrzeuglenker nicht gefeit seien.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Weiters sprach es aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Die objektive Verletzung der "Führerscheinklausel" sei vom Beklagten nicht bestritten worden. Den Beweis seiner Schuldlosigkeit habe der Beklagte nicht angetreten. Der dem Versicherungsnehmer obliegende Beweis aber, daß die Verletzung der Obliegenheit weder auf den Eintritt des Versicherungsfalls noch auf den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung einen Einfluß gehabt habe, sei dem Beklagten nicht gelungen. An den Kausalitätsgegenbeweis seien strenge Anforderungen zu stellen. Es genüge nicht, etwa nur die Unwahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs darzutun. Bei Verletzung der "Führerscheinklausel" könne der Kausalitätsgegenbeweis auch nicht durch den Nachweis erbracht werden, daß der Lenker ohnehin die volle Kenntnis der Verkehrsvorschriften und eine ausreichende Fahrpraxis besessen habe. Dem Fahrer ohne Lenkerberechtigung bleibe nur ein eingeschränkter Kausalitätsgegenbeweis in der Richtung, daß der Unfall durch keinerlei Fahrfehler verursacht worden sei. Zum Kausalitätsgegenbeweis könne höchstens der Nachweis eines solchen eigenen Fahrfehlers als geeignet angesehen werden, der schon seiner Art nach außerhalb jeden Zusammenhanges mit jenem erhöhten Risiko stehe. Im vorliegenden Fall könne nicht ausgeschlossen werden, daß der anzulastende Fehler dem Beklagten dann nicht unterlaufen wäre, wenn er im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung gewesen wäre. Der Regreßanspruch sei daher dem Grunde gerechtfertigt. Allerdings fehlten noch ein Beweisverfahren und Feststellungen über dessen Höhe.

Der dagegen erhobene Rekurs des Beklagten ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

§ 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 bestimmt als Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG, deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken. Ist eine Obliegenheit verletzt, die vom Versicherungsnehmer zum Zweck der Verhinderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, so kann sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinerlei Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalls oder soweit sie keinen Einfluß auf den Umfang der den Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat (§ 6 Abs 2 VersVG). Der Versicherer hat bei Geltendmachung der Leistungsfreiheit wegen eines Verstoßes gegen die "Führerscheinklausel" nur den objekten Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nachzuweisen (Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den KFZ-Versicherungen, ZVR 1985, 65 ff [68]; ZVR 1984/329; VR 1987, 98; ZVR 1991/27; VR 1993, 423). Der Versicherungsnehmer kann dann den Gegenbeweis der fehlenden Kausalität der objektiv erwiesenen Obliegenheitsverletzung führen. An diesen sind nach ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen. So kann er nach herrschender Rechtsprechung beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung nicht durch einen Nachweis des tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden (ZVR 1983/40; ZVR 1983/289; VR 1993, 423 und 424). Dem Fahrer ohne Lenkerberechtigung bleibt demnach ein eingeschränkter Kausalitätsgegenbeweis nur in der Richtung, daß der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, sondern etwa durch ein technisches Gebrechen oder das Verschulden eines Dritten verursacht wurde. Jeder Fahrfehler, der mit der fehlenden Lenkerberechtigung im Zusammenhang stehen kann, ist dem Lenker zuzurechnen. Höchstens der Nachweis eines solchen eigenen Fahrfehlers kann zum Kausalitätsgegenbeweis hinreichen, der schon seiner Art nach außer jedem Zusammenhang mit jenem erhöhten Risiko steht. Der Nachweis aber, daß der Unfall einem anderen geprüften Lenker ebenso widerfahren könnte, genügt nicht; erforderlich ist vielmehr der Beweis dafür, daß der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit mit Sicherheit eingetreten wäre, daß also der Eintritt und der Umfang des Versicherungsfalls nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhen, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht (SZ 50/114).

Ausnahmsweise sind bei der Verletzung der "Führerscheinklausel" an die Kriterien des Kausalitätsgegenbeweises geringere Anforderungen dann zu stellen, wenn der Formalisierung der Erteilung der Lenkerberechtigung aus besonderen Gründen keine entscheidende Bedeutung mehr zukommt. So hat der Oberste Gerichtshof den Kausalitätsgegenbeweis für den Fall als erbracht angesehen, daß zwar der Versicherungsfall nach bestandener Lenkerprüfung, aber noch vor Aushändigung des Führerscheins eingetreten war (SZ 56/23), weil alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorlagen und letztere nicht aus sachlichen, sondern bloß aus verfahrenstechnischen Gründen unterblieb. Ebenso wurde das Lenken eines Kraftfahrzeugs nach Ablauf einer im Inland zunächst gültigen ausländischen Fahrerlaubnis beurteilt (SZ 50/94). Auch hier konnte sich der Versicherer in diesem Ausnahmsfall trotz eines Fahrfehlers des Versicherten nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen, weil der Versicherungsfall erweislich weder auf Unkenntnis der inländischen Verkehrsvorschriften noch auf mangelnder Eignung des Fahrers beruhte (Petrasch aaO 73). Schließlich wurde nach diesen Grundsätzen auch der Fall beurteilt, daß eine Person mit ordentlichen Wohnsitz in Österreich und im Ausland, welche gemäß § 79 KFG von einem ausländischen Führerschein im Bundesgebiet Gebrauch machen darf, sofern sie eine Bestätigung vorlegen kann, in der das Vorliegen eines Doppelwohnsitzes festgestellt wurde, die Einholung dieser Bestätigung verabsäumt hatte (VR 1993, 424).

Nach diesen Grundsätzen ist dem Beklagten, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, der Kausalitätsgegenbeweis nicht gelungen. Mit dem Nachweis, daß ein bestimmter Fahrfehler oder das plötzliche Einschlafen während der Fahrt auch einen Fahrer mit Lenkerberechtigung unterlaufen kann, ist - entgegen der Ansicht des Erstgerichts - der strenge Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht. Das Einschlafen während der Fahrt steht aber auch nicht außer jedem Zusammenhang mit dem erhöhten Risiko, das im vorliegenden Fall mit dem Fehlen der Lenkerberechtigung gegeben war. Dem Kläger wurden bisher Lenkerberechtigungen aus verschiedenen Gründen, die seine Unzuverlässigkeit ergaben, entzogen. Die Wiedererlangung nach dem Versicherungsfall war nur nach Einholung eines verkehrspsychologischen Gutachtens möglich, nach den die strukturell beim Beklagten gegebene Risikobereitschaft beim Autofahren nicht (mehr) als genereller Versagungsgrund erkannt wurde. Gerade aber auf eine gewisse Risikobereitschaft ist das Fahren im übermüdeten Zustand zurückzuführen. Es besteht auch keinerlei Gewähr dafür, daß dem Beklagten, hätte er rechtzeitig darum angesucht, eine Lenkerberechtigung noch vor dem Versicherungsfall ausgestellt worden wäre. Somit fehlten dem Beklagten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls auch nicht bloß formale Voraussetzungen zur Erlangung einer Lenkerberechtigung.

Damit ist allerdings noch nicht der Grund des Anspruchs zu bejahen. Die Klägerin macht im Wege der Legalzession (§ 67 Abs 1 VersVG) ua Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen des Getöteten geltend, sodaß sie sich dessen allfälliges Mitverschulden entgegenhalten lassen müßte. Der Beklagte hat auch ein solches Mitverschulden eingewendet. Das Erstgericht hat dazu nur festgestellt, daß sich dieser nicht angegurtet hatte. Ob ihm auch die Übermüdung des Beklagten auffallen mußte, kann aufgrund der vorliegenden Feststellungen nicht beurteilt werden. Schließlich wird in diesem Zusammenhang auch zu prüfen sein, ob ihm bekannt war, daß der Beklagte über keine Lenkerberechtigung verfügt hat. Erst nach diesen Verfahrensergänzungen kann die Mitverschuldensfrage abschließend beurteilt werden. Mangels Außerstreitstellung der Höhe der geleisteten Schadenersatzzahlungen wird das Erstgericht aber auch noch zu prüfen haben, ob die Klägerin damit angemessene Schadenersatzansprüche befriedigt hat.

Dem Rekurs war sohin ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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