OGH 7Ob48/77

OGH7Ob48/771.9.1977

SZ 50/114

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art6 Abs2 litb
Kraftfahrzeuggesetz §65
Kraftfahrzeuggesetz §69
Versicherungsverbotsgesetz §6
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art6 Abs2 litb
Kraftfahrzeuggesetz §65
Kraftfahrzeuggesetz §69
Versicherungsverbotsgesetz §6

 

Spruch:

Bei Verletzung der Führerscheinklausel kann der Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VersVG nicht durch den Nachweis entsprechender Fahrkenntnisse erbracht werden. War die Lenkerberechtigung gemäß § 65 Abs. 3 KFG auf ein bestimmtes Ausgleichsfahrzeug beschränkt, so fehlte sie für jedes andere Fahrzeug. In diesem Fall muß der Lenker beweisen, daß das Fehlen der Ausgleichseinrichtungen ihrer Art nach keinen Einfluß auf den Unfall gehabt haben kann

OGH 1. September 1977, 7 Ob 48/77 (LG Linz 14 R 12/77; BG Perg C 102/76 )

Text

Die Zweitklägerin ist Halterin eines PKW Ford-Taunus 17 M, mit dem der Erstkläger am 14. Juli 1975 im alkoholisierten Zustand einen Verkehrsunfall verschuldete. Während die teilweise Leistungsfreiheit der Beklagten nach Art. 6 Abs. 2 lit. c AKHB im Ausmaß des Art. 6 Abs. 3 AKHB nicht strittig ist, nimmt die Beklagte gänzliche Leistungsfreiheit u. a. nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB in Anspruch, weil der Erstkläger mit einem anderen als dem im Führerschein genannten Ausgleichsfahrzeug gefahren sei. Die Kläger begehren die Feststellung der im obigen Sinn begrenzten Leistungspflicht der Beklagten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen war der Erstkläger zufolge des im Führerscheinverfahren eingeholten ärztlichen Gutachtens gemäß § 69 KFG wegen einer Versteifung des linken Hüft- und des linken Kniegelenks nur beschränkt zum Lenken eines Ausgleichsfahrzeuges geeignet, so daß ihm die Lenkerberechtigung gemäß § 65 Abs. 3 KFG für die Gruppe B nur mit der Einschränkung auf ein bestimmtes Ausgleichsfahrzeug der Type Peugeot 404 erteilt wurde, das zum Ausgleich des Gebrechens des Erstklägers mit einer Handkupplung für die rechte Hand, einem drehbaren Knopf am Lenkrad und einem Blinker für die Fahrtrichtungsanzeiger rechts am Lenkrad ausgestattet war. Dennoch lenkte der Erstkläger am Unfallstag ein anderes Fahrzeug, das keinerlei Ausgleichseinrichtungen aufwies. Als er ein Moped überholte, kam es zu einer flachen Streifung, wodurch der Mopedlenker stürzte und ebenso wie seine Ehefrau verletzt wurde. Der Ausrüstungsstand des Unfallsfahrzeuges und das Körpergebrechen des Erstklägers standen nach den Feststellungen des Erstrichters in keinem wie immer gearteten Zusammenhang zum Unfall. Dieser sei typisch auf die Alkoholeinwirkung und den dadurch verzögerten Aufbau des beabsichtigten Seitenabstandes zurückzuführen und hätte sich auch ereignet, wenn der Erstkläger das Ausgleichsfahrzeug benützt hätte, zumal er bereits seit dem Jahre 1968 stets Fahrzeuge ohne Ausgleichseinrichtungen benützte, jährlich etwa 25 000 bis 30 000 km unfallsfrei fuhr und an die Lenkung des PKWs ohne die zum Ausgleich des Gebrechens vorgeschriebenen Einrichtungen gewöhnt war.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters kommt der Beklagten Leistungsfreiheit in einem höheren als dem von den Klägern zugestandenem Ausmaß nicht zugute, wobei Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB wegen erwiesener Nichtkausalität des Nichtbesitzes eines entsprechenden Führerscheines nicht anzuwenden sei.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten erhobenen Berufung nicht Folge.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und änderte das Berufungsurteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB 1967 wird als Obliegenheit, die zum Zweck der Verminderung der Gefahr oder der Verhütung der Erhöhung einer Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, bestimmt, daß der Lenker eine Lenkerberechtigung für die Gruppe besitzt, in die das Fahrzeug fällt. Die Versicherungsbedingungen unterstellen diese Obliegenheit ausdrücklich dem § 6 Abs. 2 VersVG. Danach kann sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung der Obliegenheit keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der ihm obliegenden Leistung gehabt hat. Nach herrschender Rechtsansicht reicht hiefür beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung der bloße Nachweis entsprechender Fahrkenntnisse nicht aus. Schon wegen der Unmöglichkeit einer rückbezogenen Fahrprüfung muß der Versicherte beweisen, daß sich der Unfall unabhängig von dem vorweg zu unterstellenden Mangel der Befähigung des Lenkers, also etwa infolge eines technischen Gebrechens oder des ausschließlichen Verschuldens eines Dritten ereignet hat (Prölß - Martin, WG[20], 849, Stiefel - Wussow - Hofmann, AKB[10], 155, 157; Pienitz - Flöter, AKB[4], 80 § 2, 23; VersR 1966, 273; VersR 1976, 1198 u. a. v.; ebenso BGH VersR 1971, 117 u. a.). Dieser Standpunkt ist aufrecht zu halten, weil das Kraftfahrgesetz den Nachweis der theoretischen und praktischen Fahrkenntnisse auf den formellen Weg der Fahrprüfung verweist und auch im versicherungsrechtlichen Interesse der Vermeidung einer Gefahrerhöhung die Fahrfähigkeit vor dem Unfall abschließend geprüft und nachgewiesen sein muß.

Im vorliegenden Fall hat der Erstkläger allerdings im Unfallszeitpunkt einen Führerschein für die Gruppe B besessen, der bloß wegen seiner im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b KFG beschränkten Eignung auf ein bestimmtes Ausgleichsfahrzeug eingeschränkt war. Eine solche Lenkerberechtigung berechtigt gemäß § 65 Abs. 3 KFG ausschließlich zum Lenken des bestimmt bezeichneten Ausgleichsfahrzeuges. Es handelt sich damit, wie die Erläuternden Bemerkungen zum KFG 1967 betonen (186 BlgNR, XI. GP, 107), um eine sachliche Beschränkung der Lenkerberechtigung, so daß ein Lenken außerhalb des festgesetzten Bereiches, also mit einem anderen als dem Ausgleichsfahrzeug, einem Lenker ohne Lenkerberechtigung gleichkommt. Die Rechtslage bei Nichttragen einer vorgeschriebenen Korrekturbrille ist hier nicht zu erörtern.

Das Berufungsgericht folgte der anscheinend einzigen veröffentlichten Entscheidung in einem Ausgleichsfahrzeug-Fall VersR 1963, 938, in dem ein Unterschenkelprothesenträger ohne den vorgeschriebenen Handgashebel fuhr und durch unvorsichtiges Überholen einen Unfall verschuldete. Damals wurde - vom arbeitsrechtlichen Senat - die fehlende Kausalität bloß aus dem Gesichtspunkt eines allfälligen Mitverschuldens des Dienstgebers des Lenkers geprüft. Abgesehen von dieser Besonderheit gibt der vorliegende Fall Anlaß zur näheren Prüfung der Frage, mit welchem Inhalt der Entlastungsbeweis nach § 6 Abs. 2 VersVG in derartigen Fällen geführt werden muß, weil das Ergebnis der Vorinstanzen überrascht, womit dem schuldtragenden Lenker zugute gehalten wird, gerade nur seine Alkoholisierung und nicht auch die Nichtbenützung der vorgeschriebenen Ausgleichseinrichtungen sei an dem ungenügenden Auslenkmanöver und damit für den Unfallserfolg, wie es das Berufungsgericht ausdrückt, mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, kausal gewesen.

Nach den dargestellten Grundsätzen darf der Kausalitätsgegenbeweis im Sinne des § 6 Abs. 2 VersVG zwar auch in den Fällen einer fehlenden besonderen Lenkerberechtigung nicht ausgeschlossen sein. Wendet man aber den strengen Maßstab wie beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung an, so kann er auch hier nicht schon durch den Nachweis erbracht werden, daß der Lenker ungeachtet der fehlenden (besonderen) Lenkerberechtigung die nötige Fahrtüchtigkeit auch am nicht besonders ausgerüsteten allgemeinen Fahrzeug besessen habe. So kann etwa der Lenker eines LKW oder Omnibusses, der eine Lenkerberechtigung nur für eine niedrigere Gruppe besitzt, nicht zum Beweis zugelassen werden, daß er zum Lenken des höhergereihten Fahrzeugs geeignet war. Denn auch dieses besondere Fahrkönnen ist rückschauend nicht mit jener Sicherheit prüfbar, die ausschließen könnte, daß gerade ein bestimmter Fahrfehler bei der Prüfung aufgefallen wäre. Der Zweck der Führerscheinklausel kann auch in diesen Fällen nur dadurch erreicht werden, daß der nachträgliche Beweis auf andere Unfallsursachen als einen Fahrfehler eingeschränkt wird. Der Schutz des Versicherers und der Risikogemeinschaft aller Versicherten vor dem grundsätzlich erhöhten Risiko des Lenkens eines Kfz ohne die vorgeschriebene besondere Fahrerlaubnis ist nur dadurch zu bewerkstelligen, daß dem Lenker jeder Fahrfehler, der mit der fehlenden (höheren) Lenkerberechtigung im Zusammenhang stehen kann, zugerechnet wird. In diesem Fall kann deshalb höchstens der Nachweis eines solchen eigenen Fahrfehlers zum Kausalitätsgegenbeweis hinreichen, der schon seiner Art nach außer jedem Zusammenhang mit jenem erhöhten Risiko steht. Ebenso wie beim Fahrer ohne allgemeine Lenkerberechtigung kann aber nicht der Nachweis genügen, daß der Unfall einem anderen geprüften Lenker ebenso widerfahren konnte; erforderlich ist vielmehr der Beweis dafür, daß der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit mit Sicherheit eingetreten wäre, daß also der Eintritt und der Umfang des Versicherungsfalles nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhen, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht. Daß ein Unfall in diesem Sinn durch Mängel des Lenkers mitverursacht wurde, ist bei einem in den Bereich der "allgemeinen Fahrkunst" fallenden Fahrfehler, der beim Unfall unterlaufen ist, regelmäßig nicht auszuschließen, weil gerade das Fehlen der vom Gesetz geforderten erhöhten Eignung und Zuverlässigkeit diesen Fahrfehler begünstigt haben kann (Stiefel - Wussow - Hofmann a. a. O., 102, 104 f.). In diesem Sinne hat der BGH etwa beim Fehlen der besonderen Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung den Gegenbeweis, daß ein eigener Fahrfehler außer jedem Zusammenhang mit dem Fehlen der Fahrerlaubnis stehe, grundsätzlich abgelehnt (VersR 1976, 531).

Die gleichen Überlegungen müssen für die Fälle der Überschreitung der sachlich beschränkten Lenkerberechtigung wie den vorliegenden der Nichtbenützung des ausschließlich zugewiesenen Ausgleichsfahrzeuges gelten. Auch beim Fehlen der Fahrerlaubnis für das benützte andere Fahrzeug kann der Kausalitätsgegenbeweis nach § 6 Abs. 2 VersVG aus Rechtsgrunden nicht durch den Nachweis geführt werden, daß die Fahrtüchtigkeit durch das Nichtbenützen der vorgeschriebenen Ausgleichseinrichtungen unbeeinflußt geblieben sei. Ein eigener Fahrfehler könnte demnach nur dann entschuldigen, wenn er schon seiner Art nach außerhalb jeden denkbaren Zusammenhanges mit dem Fehlen der besonderen Lenkerberechtigung stunde.

Bei Anlegung der dargestellten strengen Anforderungen an den Kausalitätsgegenbeweis ist die Leistungsfreiheit der Revisionswerberin nach Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB 1967 gegeben. Der Fahrfehler des Erstklägers, nämlich das zu späte Ausweichen beim Überholen, findet nicht notwendig seine ausschließliche Erklärung in seiner Alkoholisierung, sondern kann nach der Lebenserfahrung leicht durch das Fehlen der vorgeschriebenen Ausgleichseinrichtungen des Fahrzeuges hervorgerufen oder begünstigt worden sein, während das Gegenteil keiner objektiven Nachprüfung zugänglich ist. Es geht dabei im Einzelfall weniger um die Möglichkeit einer Lenkbehinderung, weil der vorgeschriebene drehbare Knopf am Lenkrad anscheinend bloß zum Ausgleich der der rechten Hand zusätzlich überwiesenen Bedienungsvorgänge vorgeschrieben wurde. Die körperliche Behinderung des Erstklägers im linken Knie- und Hüftgelenk betraf aber nach den weiteren vorgeschriebenen Ausgleichseinrichtungen die Fußkupplung und den linken Blinker, die im Ausgleichsfahrzeug durch Vorrichtungen zur Bedienung mit der rechten Hand ersetzt werden sollten. Diese, von den Vorinstanzen übrigens in keiner Weise geprüften Behinderungen können den vorliegenden Unfall begünstigt haben, weil sowohl ein Kupplungsvorgang als auch die Betätigung des linken Blinkers etwa beim Überholen zum unzureichenden Ausweichen geführt haben können. Der eigene Fahrfehler des Erstklägers steht also seiner Art nach nicht außer jedem möglichen Zusammenhang mit der Überschreitung der sachlichen Grenze der Lenkerberechtigung.

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