OGH 7Ob40/77

OGH7Ob40/7723.6.1977

SZ 50/94

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art. 6 Abs2 litb
Kraftfahrzeuggesetz §64 Abs5
Kraftfahrzeuggesetz §64 Abs6
Versicherungsverbotsgesetz §6 Abs2
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Art. 6 Abs2 litb
Kraftfahrzeuggesetz §64 Abs5
Kraftfahrzeuggesetz §64 Abs6
Versicherungsverbotsgesetz §6 Abs2

 

Spruch:

Die Neufassung des § 64 Abs. 6 KFG 1967 durch die 2. KFG-Novelle, BGBl. 286/1974, führt zur Milderung des Kausalitätsgegenbeweises nach § 6 Abs. 2 VersVG bei Verletzung der Obliegenheit des Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB 1967 in jenen Fällen, in denen bald nach Fortfall der Gültigkeit einer ausländischen Lenkerberechtigung ihretwegen ohne Ermittlungsverfahren eine inländische Lenkerberechtigung erteilt wurde

OGH 23. Juni 1977, 7 Ob 40/77 (LGZ Graz 4 R 13/77; BG Fürstenfeld C 199/76 )

Text

Die Zweitbeklagte, die, ebenso wie ihr Ehegatte, der Erstbeklagte, deutscher Staatsbürger ist, verschuldete am 30. April 1975 mit dem ihr vom Erstbeklagten überlassenen PKW, pol. Kennzeichen St 511 737, einen Verkehrsunfall. Die Klägerin mußte wegen dieses Unfalles als Haftpflichtversicherer an den geschädigten Dritten 28 233.20 S bezahlen.

Die Zweitbeklagte lenkte damals das Fahrzeug mit einer Lenkerberechtigung, die am 29. August 1961 vom Landkreis D, Bundesrepublik Deutschland, ausgestellt worden war. Sie war nicht im Besitz einer österreichischen Lenkerberechtigung. Eine solche wurde ihr gemäß § 64 Abs. 6 KFG 1967 erst am 30. März 1976 von der Bezirkshauptmannschaft F lediglich auf Grund des deutschen Führerscheines erteilt. Die beiden Beklagten haben neben zwei deutschen Wohnsitzen seit 1972 auch in Österreich einen ständigen Wohnsitz.

Die Klägerin erblickt in dem Lenken des PKWs mit deutschem Führerschein eine Verletzung der in Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB festgesetzten Obliegenheit, weshalb sie den Rückersatz der von ihr erbrachten Leistungen im Betrage von 28 233.20 S samt Anhang begehrt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat den Standpunkt, § 64 Abs. 5 KFG 1967 sei nicht anzuwenden, wenn ein Ausländer neben seinem österreichischen Wohnsitz auch im Ausland seinen Wohnsitz behalten habe. Diesfalls stelle es keine Obliegenheitsverletzung dar, wenn er auch nach Ablauf eines Jahres ab Begründung seines Wohnsitzes in Österreich hier mit dem ausländischen Führerschein fahre.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es lehnte die Rechtsansicht des Erstgerichtes ab und führte aus, § 64 Abs. 5 KFG 1967 stelle ausschließlich auf die Dauer des inländischen Wohnsitzes ab. Demnach sei es unerheblich, ob auch im Ausland ein Wohnsitz bestehe. Wenn seit der Begründung des inländischen Wohnsitzes mehr als ein Jahr verstrichen sei, verliere die im Ausland erteilte Lenkerberechtigung im Inland ihre Gültigkeit. Sohin habe die Zweitbeklagte die ihr angelastete Obliegenheitsverletzung begangen. Ungeachtet einer solchen Verletzung könne der Versicherer jedoch nicht Regreß nehmen, wenn diese Verletzung für das Zustandekommen des Unfalles und das Ausmaß seiner Folgen nicht kausal gewesen sei. Im Hinblick darauf, daß Personen, deren Lenkerberechtigung in einem Ausland ausgestellt wurde, mit dem Gegenseitigkeit besteht, unter erleichterten Bedingungen eine österreichische Lenkerberechtigung erhalten können, sei der Gegenbeweis schon erbracht, wenn der Unfall nicht auf Unkenntnis der Verkehrsvorschriften oder mangelnde Verläßlichkeit zurückzuführen sei. Wäre die Behauptung der Beklagten, die Erteilung der Lenkerberechtigung vor dem Unfall sei nur an der Nichtvorlage einer Geburtsurkunde gescheitert, richtig, so hätten die Beklagten den notwendigen Gegenbeweis erbracht. Diesfalls wäre das Klagebegehren abzuweisen. Sollte dieser Beweis dagegen nicht gelingen, müßte der Klage stattgegeben werden.

Der Oberste Gerichtshof hob infolge der Rekurse beider Parteien den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an die zweite Instanz zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß § 64 Abs. 5 KFG 1967 die Verpflichtung zum Besitz einer österreichischen Lenkerberechtigung nur von der Dauer des inländischen Wohnsitzes abhängig macht.

Nach dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung verliert die im Ausland erteilte Lenkerberechtigung in Österreich ihre Gültigkeit, wenn seit der Begründung des Wohnsitzes in Österreich durch den Besitzer der ausländischen Lenkerberechtigung mehr als ein Jahr verstrichen ist. Allfällige Zweit- oder Dritt-Wohnsitze im Ausland sind unbeachtlich (ÖJZ 1971, 220/129).

Diese Rechtsansicht führt auch keineswegs zu einer Diskriminierung von Ausländern, wie das Erstgericht meint. Vielmehr gewährt § 64 Abs. 5 KFG 1967 den Besitzern ausländischer Lenkerberechtigungen eine Ausnahme von der allgemeinen Verpflichtung, ein Fahrzeug im Inland nur mit einer inländischen Lenkerberechtigung zu lenken. Nach Ablauf der dort genannten Frist fällt diese Privilegierung weg. Es kann daher nicht von einer Schlechterstellung der Ausländer gesprochen werden.

Die Zweitbeklagte hatte daher am 30. April 1975 keine in Österreich gültige Lenkerberechtigung, weshalb der Erstbeklagte durch das Überlassen seines PKWs an sie eine Verletzung der im Art. 6 Abs. 2 lit. b AKHB festgesetzten Obliegenheit begangen hat.

Zutreffend ist jedoch auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß es sich bei der erwähnten Obliegenheit um eine solche im Sinne des § 6 Abs. 2 VersVG handelt, weshalb die Leistungsfreiheit nicht eintritt, wenn die Verletzung auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung keinen Einfluß gehabt hat. Da nach § 64 Abs. 2 KFG 1967 im Falle der Gegenseitigkeit die laut Erlaß des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 29. Jänner 1969, 181 714-II/18-69, im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland gegeben ist - Besitzer einer ausländischen Lenkerberechtigung ohne Ablegen einer Prüfung eine österreichische Lenkerberechtigung erhalten können, hat der OGH in Übereinstimmung mit der deutschen Lehre und Judikatur (VersR 1969, 147; Stiefel - Wussow - Hofmann[10], Anm.64, 65 zu §2 AKB; Prölß - Martin, VVG[20], 849) ausgesprochen, daß sich der Versicherer in einem solchen Fall nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen kann, wenn der Versicherungsfall weder auf Unkenntnis der inländischen Verkehrsvorschriften noch auf mangelnder Eignung des Fahrers beruht (7 Ob 20/76).

Diese Judikatur und Literatur hat ihre Grundlage in der Erwägung, daß das Fehlen einer inländischen Lenkerberechtigung dann nicht zur Leistungsfreiheit führen solle, wenn deren Erteilung nur ein bloßer Formalakt ist, dem keine materiellen Hindernisse im Wege stehen. Dieser Entscheidung lag jedoch noch ein Unfall zugrunde, der sich vor dem Inkrafttreten der 2. KFG-Novelle, BGBl. 286/1974, (29. Mai 1974) ereignet hat. Zum vorliegenden Versicherungsfall aber war es flach dem Inkrafttreten dieser Teilbestimmung der Novelle, nämlich am 30. April 1975, gekommen. Er muß daher unter dem Gesichtspunkt des § 64 Abs. 6 KFG 1967 i. d. F. dieser Novelle beurteilt werden. Durch eine Novelle hat § 64 Abs. 6 insofern eine wesentliche Änderung erfahren, als nunmehr den Besitzern einer im Ausland erteilten Lenkerberechtigung - Gegenseitigkeit vorausgesetzt -, wenn sie länger als sechs Monate ihren ordentlichen Wohnsitz in Österreich haben und glaubhaft machen, daß sie auf Grund der im Ausland erteilten Lenkerberechtigung seit mindestens einem Jahr Kraftfahrzeuge der Gruppe gelenkt haben, für die die Lenkerberechtigung erteilt wurde (dies ist hier unbestritten), auf Antrag ohne Ermittlungsverfahren eine Lenkerberechtigung zu erteilen ist. Die Erteilung kann nur versagt werden, wenn Bedenken hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit, der geistigen und körperlichen Eignung und faktischen Befähigung bestehen. Sohin ist also in diesen Fällen die Erteilung der inländischen Lenkerberechtigung nicht einmal mehr von einem Ermittlungsverfahren abhängig. Nicht der Ansuchende muß das Fehlen von Hindernissen glaubhaft machen. Vielmehr wäre es Sache der Behörde, allfällige begrundete Bedenken entsprechend darzutun. Hat sie solche Bedenken nicht, ist die Erteilung der österreichischen Lenkerberechtigung faktisch ein bloßer Formalakt.

Es kann unerörtert bleiben, inwieweit diese Änderung der Rechtslage allgemein zu einer Änderung der bisher aufgestellten Grundsätze über die Beweislastverteilung führen kann. Erteilt die Behörde eine inländische Lenkerberechtigung bloß auf Grund der ausländischen, so tut sie damit dar, daß Bedenken im Sinne des § 64 Abs. 6 KFG 1967 nicht vorliegen. Ist nun die Frist zwischen dieser Erteilung und dem vorangegangenen Versicherungsfall nicht so groß, daß von vorneherein eine wesentliche Änderung der Verhältnisse seit dem Versicherungsfall angenommen werden muß, dann kann im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß, falls die übrigen Voraussetzungen des § 64 Abs. 6 KFG 1967 bereits zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles vorlagen, das Nichtvorhandensein solcher Bedenken auch für den damaligen Zeitpunkt hinreichend dargetan ist. In einem solchen Fall wäre es Sache des die Leistungsfreiheit in Anspruch nehmenden Versicherers, seinerseits konkrete Umstände darzutun, die Bedenken der Behörde gegen die Verläßlichkeit des Versicherungsnehmers, bzw. jener Person, die den Versicherungsfall herbeigeführt hat, zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles hervorrufen hätten können.

Unterläßt er dies, muß in der erwiesenen Erteilung der inländischen Lenkerberechtigung bloß auf Grund der ausländischen ein ausreichender Nachweis der fehlenden Kausalität des Mangels der inländischen Lenkerberechtigung im Sinne des § 6 Abs. 2 VersVG erblickt werden. Im übrigen hat auf Grund der nunmehr gleichartigen Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland der Bundesgerichtshof ebenfalls seine Rechtsprechung im Hinblick auf die Erleichterung der "Umschreibung" des ausländischen Führerscheines weiter gemildert (VersR 1974, 1072), so daß er im wesentlichen zu einem Ergebnis gelangt, das dem hier aufgezeigten entspricht.

Der Zweitbeklagten wurde am 30. März 1976, sohin weniger als ein Jahr nach dem Versicherungsfall, eine inländische Lenkerberechtigung ausschließlich auf Grund ihres deutschen Führerscheines erteilt. Dieser Zeitraum ist so kurz, daß von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse seit dem Versicherungsfall nicht von vornherein ausgegangen werden kann. Sohin haben die Beklagten hinreichend Umstände bewiesen, aus denen die fehlende Kausalität im Sinne des § 6 Abs. 2 VersVG hervorgeht. (Aus ihren Einwendungen ist auch eine entsprechende Behauptung abzuleiten.) Da die Klägerin keine Umstände dargetan hat, die einen Schluß darauf zuließen, daß zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles für die Zweitbeklagte wesentlich ungünstigere Umstände vorgelegen wären, kann sie Leistungsfreiheit nicht in Anspruch nehmen. Es erübrigen sich daher weitere Beweisaufnahmen über zusätzliche Behauptungen der Beklagten. Vielmehr ist die Sache im Sinne einer Bestätigung des Ersturteiles, wenn auch aus anderen Gründen als den dort angeführten, spruchreif.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte