European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E118159
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils (Aufenthalt auf der Liegenschaft) insgesamt zu lauten haben:
„1. Dem Gegner der gefährdeten Partei wird der Aufenthalt auf der Liegenschaft * in S* sowie die telefonische Kontaktaufnahme mit der gefährdeten Partei verboten.
Diese einstweilige Verfügung gilt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Scheidungsverfahrens 1 C 23/16v des Bezirksgerichts S*.
2. Der Antrag, dem Gegner der gefährdeten Partei auch das Zusammentreffen und die sonstige Kontaktaufnahme mit der gefährdeten Partei zu verbieten, wird abgewiesen.“
Die Kostenentscheidung wird dem Erstgericht aufgetragen.
Begründung:
Die Parteien sind verheiratet. Der Antragsgegner zog Ende Juli 2016 aus der Ehewohnung aus und wohnt seither bei seiner Freundin. Ende August 2016 teilte ihm die Antragstellerin über ihren Rechtsvertreter mit, dass sie sich scheiden lassen wolle. Darauf suchte der Antragsgegner sie in der Ehewohnung auf, beschimpfte sie als „Schaf“ und „Arschloch“ und kündigte an, das Haus auszuräumen. Am 31. 8. 2016 um 01:10 Uhr rief er sie an, und sagte, er werde sich nicht scheiden lassen, sondern ihr das Leben zur Hölle machen. Um 02:30 Uhr kam er zum Haus und kündigte an, ihre Sachen zu „zerschnipseln“. In der gleichen Nacht bekam die Antragstellerin zwischen 03:14 Uhr und 05:12 Uhr 25 Anrufe mit unterdrückter Rufnummer, wobei sich niemand meldete. Die Antragstellerin konnte nicht schlafen. Wegen der verwendeten Weckfunktion, konnte sie ihr Handy nicht ganz abschalten. Am nächsten Vormittag rief der Antragsgegner die Antragstellerin an und fragte, ob sie gut geschlafen habe. Bei weiteren Telefonaten bezeichnete er sie wieder als „großes Arschloch“, „Schaf“ und „dumme Gans“. Nachdem die Antragstellerin ihr Handy für seine Telefonnummer gesperrt hatte, bekam sie Anrufe mit unterdrückter Nummer und zwar: einige Tage später zwischen 22:40 Uhr und 06:22 Uhr 30 Anrufe, in den Nächten danach 4, 2 und 5 Anrufe und einige Tage später zwischen 23:45 Uhr und 01:05 Uhr 2 Anrufe, zwischen 04:07 Uhr und 04:36 Uhr 54 Anrufe, zwischen 05:26 Uhr und 05:42 Uhr 33 Anrufe und zwischen 06:27 Uhr und 07:11 Uhr 79 Anrufe. Das Erstgericht ging in der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung davon aus, dass die Anrufe vom Antragsgegner stammten. Auch in der Folge suchte er die Ehewohnung auf, zerriss eine Bluse der Antragstellerin, entfernte persönliche Dokumente von ihr, die er ihr nur gegen Unterfertigung einer von ihm vorbereiteten Bestätigung zurückgeben wollte, und kündigte an, alles verbrennen zu wollen. Er räumte mehrere Kästchen aus und verschwand mit deren Inhalt. In der Ehe hatte es davor immer wieder Vorfälle mit körperlicher Gewalt in der Ehewohnung gegeben.
Die Antragstellerin begehrte die Erlassung eines Betretungs‑ und Kontaktverbots gegenüber dem Antragsgegner. Er sei nach seinem Auszug aus dem ehelichen Haus mehrfach zurückgekommen, habe Gegenstände mitgenommen, die Zerstörung anderer angekündigt, die Antragstellerin beschimpft, ihr gedroht, ihr das Leben zur Hölle zu machen, und sie mit zahllosen nächtlichen Anrufen in ihrer psychischen Gesundheit beeinträchtigt. Drei Jahre zuvor habe er ihr Rippenbrüche zugefügt und auch sonst Gewalt angewendet.
Der Antragsgegner bestritt die Drohungen und Gewaltanwendungen und brachte vor, er habe noch zahlreiche persönliche Gegenstände im Haus.
Das Erstgericht verbot dem Antragsgegner den Aufenthalt in der vormaligen Ehewohnung nach § 382b EO, den Antrag auf Erlassung eines allgemeinen Kontaktverbots nach § 382e EO wies es dagegen ab.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. In Bezug auf die Abweisung des Kontaktverbots sei dem Erstgericht darin beizupflichten, dass der Mann ein Verhalten gesetzt habe, das für die Frau zur Dauerbelastung führe, wobei das Ausmaß der Belastung aber über eines, das typischerweise in einer solchen sozialen Konfliktsituation auftreten könne, nicht hinausgehe. Die einschneidenden Folgen des Kontaktverbots seien nur dort am Platz, wo der naturgemäß bei einer Scheidungssituation gegebene Konflikt derart eskaliere, dass die seelische Gesundheit eines Beteiligten nachhaltig erschüttert werde. Davon sei hier nicht auszugehen. Der Revisionsrekurs wurde mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zugelassen.
Dagegen erhebt die Antragstellerin den außerordentlichen Revisionsrekurs,in dem sie geltend macht, dass die Entscheidung des Rekursgerichts schon insofern unrichtig sei, als das Aufenthalts‑ und Kontaktverbot zwingend kumulativ verhängt werden müssten, und, dass das Kontaktverbot wegen der wiederholten nächtlichen Anrufe erlassen hätte werden müssen, auch weil der Antragsgegner insofern eine Beeinträchtigung seiner Interessen nicht einmal behauptet habe.
Der Antragsgegner erstattete die ihm freigestellte Revisionsrekursbeantwortung nicht.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen die Abweisung des beantragten Kontaktverbots nach § 382e EO ist zulässig, er ist auch teilweise berechtigt.
1. Nach § 382e Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten (Z 1) und aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden (Z 2), soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.
2. Zur kumulativen Verhängung des Aufenthalts‑ und Kontaktverbots:
Abgesehen davon, dass sich das von den Vorinstanzen erlassene Verbot auf § 382b EO bezieht, die Antragstellerin mit ihrem Rechtsmittel aber ein Kontaktverbot nach § 382e EO erreichen will, spricht gegen ihre Auslegung bereits der Gesetzeswortlaut des § 382e EO, wonach zwar die Z 1 und Z 2 durch „und“ verbunden, beide aber letztlich nur „soweit“ zu erlassen sind, als dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen.
Die Formulierung in § 382e EO geht auf das erste Gewaltschutzgesetz, BGBl 759/1996, zurück, das in § 382b Abs 2 EO eine wörtlich idente Anordnungsbefugnis des Gerichts vorsah. In den Materialien dazu weist der Gesetzgeber ausdrücklich darauf hin, dass dem Gericht die Möglichkeit gegeben werden soll, dass die beiden Aufträge „auch kumulativ“ erlassen werden können (EBRV 252 BlgNR 20 GP 8). Den Materialien zur Einführung des nunmehrigen § 382e EO mit dem zweiten Gewaltschutzgesetz, BGBl 40/2009, ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber damit eine Änderung beabsichtigt hätte (JAB 106 BlgNR 24 GP 9 ff). Damit ergibt sich auch aus den Materialien, dass das Aufenthalts‑ und Kontaktverbot nach § 382e EO unabhängig voneinander angeordnet werden können.
Auch wurde weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur die Auffassung vertreten, dass die Anordnungen nur kumulativ erlassen werden dürften. Vielmehr weisen Hopf/Kathrein, Eherecht3 § 382e EO Rz 1, ausdrücklich darauf hin, dass diese Verfügungen auch für sich allein erlassen werden können. Beck in Gitschthaler/Höllwerth, EuPR §§ 382b–382e EO Rz 54, spricht davon, dass das Aufenthaltsverbot und der Auftrag ein Zusammentreffen zu vermeiden „auch kumulativ“ verhängt werden könnten.
3. Zum Kontaktverbot wegen wiederholter nächtlicher Anrufe:
3.1. Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit nach § 382b EO – ebenso wie jener nach § 382e EO (RIS‑Justiz RS0110446 [T16]) – sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits – auch schon länger zurückliegenden – angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei– ernst gemeinten und als solche verstandenen – Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung maßgeblich (7 Ob 232/16t RIS‑Justiz RS0110446). Nach § 382e EO ist zwingend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0127363 [T1]; RS0113699 [T1]): Der Sicherungsantrag nach dieser Bestimmung ist abzuweisen, wenn die Interessenabwägung zugunsten des Antragsgegners ausgeht, das heißt, wenn schwerwiegende Interessen des Antragsgegners entgegenstehen (RIS-Justiz RS0112179 [T2]).
Die Gründe für die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b – und für die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nach § 382e – EO sind verschuldensunabhängig; objektiver Beurteilungsmaßstab sind die Umstände des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0110444 [insb T1, T6, T9 und T10]).
3.2. Nach ständiger Rechtsprechung soll ein effektiver körperlicher Angriff oder die Drohung mit einem solchen und darüber hinaus auch ein sonstiges Verhalten („Psychoterror“) derartige Maßnahmen ermöglichen, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (7 Ob 231/15v; 10 Ob 7/07p; 6 Ob 229/06d). Von Bedeutung ist dabei nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch „als Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (RIS‑Justiz RS0110446 [T4, T8, T15]). Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit des Antragstellers erheblich beeinträchtigt wird (7 Ob 237/07i; RIS‑Justiz RS0121302 [T1]). Die subjektive Auslegung des Begriffs „Psychoterror“ kann aber nicht so weit gehen, dass jegliches Verhalten, das nicht den normalen Umgangsformen entspricht, aus einer subjektiven Sichtweise heraus die Unzumutbarkeit des Zusammenlebens begründen könnte. Die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene nervliche Belastung ist daher noch keine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit (RIS‑Justiz RS0121302).
3.3. Aus der Verwendung des Wortes „Kontaktaufnahme“ in § 382e Abs 1 Z 2 EO ist abzuleiten, dass auch die telefonische Kontaktaufnahme, sowie das Zusenden von Text- und Bildnachrichten unter die Bestimmung fallen können (Beck in Gitschthaler/Höllwerth EuPR §§ 382b–382e EO Rz 55 f; 8 Ob 155/06m). So hat der erkennende Senat in 7 Ob 130/15s – unter dem Blickwinkel des § 382g EO – die beharrliche Versendung von rund 15 SMS monatlich über einen längeren Zeitraum hindurch noch rund 2 Jahre nach Beendigung der Beziehung als unzulässig eingestuft und dargelegt, dass auch der Grund und die Art der Kontaktaufnahme in die Abwägung einzubeziehen sind.
3.4. Dass die mehrfach wiederholte nächtliche Telefonanrufserie in einem Ausmaß von bis zu rund 150 pro Nacht – nicht zuletzt wegen des damit einhergehenden Schlafmangels – die psychische Gesundheit der Antragstellerin erheblich beeinträchtigt, ist evident. Es kann ihr nicht zugemutet werden, ihr Mobiltelefon nächtens regelmäßig auszuschalten und damit unerreichbar zu sein und auch die sonstigen Funktionen ihres Mobiltelefons nicht nutzen zu können. Gleiches gilt für eine allfällige Möglichkeit, ihr Gerät für alle anonymen Anrufe zu sperren, wird damit doch der eigentliche Sinn eines Telefonanschlusses konterkariert. Dies muss umso mehr gelten, wenn man die Anzahl und die zeitliche Platzierung der Anrufe in der Nacht und in den frühen Morgenstunden berücksichtigt, die von der Antragstellerin nur als „Psychoterror“ eingestuft und empfunden werden können, muss sie doch ständig gewärtigen, in ihrer Nachtruhe nachhaltig gestört bzw bis zum Morgen wach gehalten zu werden. Diese Vorgangsweise geht daher weit über die bei einem Scheidungsverfahren üblicherweise eintretenden Beeinträchtigungen und nervlichen Belastungen im Sinne der angeführten Judikatur hinaus.
Die dem widersprechende Ausführung des Erstgerichts im bescheinigten Sachverhalt, es könne nicht „festgestellt“ werden, dass sich die Antragstellerin in einem psychischen Ausnahmezustand befinde oder zumindest eine schwerere als die mit einem Scheidungsverfahren üblicherweise verbundene psychische Belastung bestehe, ist eine rechtliche Beurteilung, der nicht beigetreten werden kann.
Ein berücksichtigungswürdiges Interesse des Antragsgegners an seiner konkreten Vorgangsweise ist nicht einmal ansatzweise ersichtlich und wurde von ihm dazu auch nichts vorgebracht.
Es war daher dem Sicherungsantrag auch im Umfang des Verbots der telefonischen Kontaktaufnahme stattzugeben. Behauptungen, die Grundlage für ein darüber hinausgehendes Aufenthalts‑ und Kontaktverbot nach § 382e EO sein könnten, stellte die Antragstellerin nicht auf, und nannte auch keine nach § 382e Abs 1 Z 1 EO bestimmt zu bezeichnenden Orte, sodass es insofern bei der abweislichen Entscheidung zu verbleiben hatte.
3.5. Die Entscheidung über die Kosten des Provisorialverfahrens ist dem Erstgericht aufzutragen (analog zu RIS‑Justiz RS0124588). Eine sofortige Entscheidung ist nicht möglich, weil für das erstinstanzliche Verfahren eine Kostennote der Antragstellerin im Akt erliegt, die sich auf ein Herausgabeverfahren zu 1 C 24/16s des Erstgerichts bezieht und nicht auf das Provisorialverfahren 1 C 25/16p. Da der Antragsgegnervertreter aber aktenkundig Einwendungen gegen eine zum Provisorialverfahren gelegte Kostennote erhoben hat, ist davon auszugehen, dass eine solche offenbar fristgerecht gelegt und erst in der Folge vertauscht wurde, sodass einerseits eine sofortige Kostenentscheidung nicht möglich und andererseits ein Aufschieben der Entscheidung im Provisorialverfahren nicht zumutbar ist.
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