European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00130.15S.0902.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Gegnerin der gefährdeten Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.
Begründung:
Nach Beendigung ihrer Beziehung im März 2013 zeigte die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen beharrlicher Verfolgung bei der Polizei an; das Verfahren wurde eingestellt. Ab Sommer 2013 sandte die Antragsgegnerin dem Antragsteller wiederholt SMS. Der Antragsteller reagierte zunächst darauf nicht. Letztlich antwortete er ihr doch und „gab ihr zu verstehen“, keinen Kontakt mehr mit ihr haben zu wollen.
Im September 2013 versandte die Antragsgegnerin an den Antragsteller 15 SMS. Auf seine per SMS gestellte Frage, ob es sich um etwas Wichtiges gehandelt habe, erwiderte sie mit einer nicht mehr feststellbaren Anzahl von SMS, dass es sich um nichts Wichtiges gehandelt habe.
Beginnend mit Ende September 2013 kam es etwa einmal monatlich zu derartigen Versuchen der Kontaktaufnahme. Die Antragsgegnerin schickte dabei an den Antragsteller etwa je 15 SMS.
Ungefähr Ende 2013 rief die Antragsgegnerin die Mutter des Antragstellers, die sie erst ein einziges Mal gesehen und kaum gekannt und deren Telefonnummer sie erst aus dem Telefonbuch erheben musste, an. Sie warf dem Antragsteller vor, sie zu belästigen.
Der Antragsteller schickte an die Antragsgegnerin am 25. 10. 2014 eine SMS mit den Worten „Hör auf, mich anzurufen!“.
Zuletzt versuchte die Antragsgegnerin nach Zustellung des Sicherungsantrags am 9. 11. 2014, zwischen 13:40 Uhr und 13:49 Uhr insgesamt sechs Mal, den Antragsteller anzurufen.
Der Antragsteller begehrte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382g EO. Der Antragsgegnerin solle die briefliche, telefonische oder sonstige Kontaktaufnahme (SMS, Anrufe, E-Mails) mit dem Antragsteller verboten werden. Zudem solle ihr verboten werden, über eine dritte Person, etwa über gemeinsame Freunde oder die Familie, Kontakt mit dem Antragsteller aufzunehmen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich nicht zum Sicherungsantrag.
Das Erstgericht erließ antragsgemäß die einstweilige Verfügung für die Dauer eines Jahres. Durch das bescheinigte Verhalten der Antragsgegnerin sei der Tatbestand des § 382g EO erfüllt. Es sei auch mit einer dritten Person Kontakt aufgenommen worden. Es liege Wiederholungsgefahr vor.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei. Schon die zeitliche Intensität stelle eine fortwährende und beharrliche Verfolgung durch die Antragsgegnerin im Sinn des § 382g EO dar. Die Hartnäckigkeit sei auch daraus abzuleiten, dass sie, obwohl ihr der Antragsteller vor September 2013 zu verstehen gegeben habe, keinen Kontakt mehr mit ihr haben zu wollen, und ihr am 25. 10. 2014 per SMS mitgeteilt habe, dass er keinen Kontakt mehr mit ihr wünsche, dennoch ihr Verhalten fortgesetzt habe. Dies sprenge den Rahmen des sozial Verträglichen. Im Hinblick darauf, dass die Antragsgegnerin die Mutter des Antragstellers, obwohl sie diese kaum gekannt habe, angerufen habe, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie diese oder Dritte weiter kontaktieren würde, um Kontakt mit dem Antragsteller aufzunehmen. Würde man lediglich die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller selbst verbieten, könnte die Antragsgegnerin das Verbot durch Kontaktaufnahme über Dritte umgehen. Da die Antragsgegnerin ihr Verhalten über rund eineinhalb Jahre (und selbst nach Zustellung des Sicherungsantrags) aufrecht erhalten habe, habe das Erstgericht die einstweilige Verfügung zu Recht für die Dauer von einem Jahr erlassen.
Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Antragsteller hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
1. Zu den Voraussetzungen des § 382g EO:
1.1. § 382g EO regelt den Anspruch auf Unterlassung von Eingriffen in die Privatsphäre, ohne zu definieren, was unter „Privatsphäre“ zu verstehen ist. Der zivilrechtliche Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre war bereits vor dem Inkrafttreten dieser Gesetzesbestimmung am 1. 7. 2006 durch § 16 ABGB und § 1328a ABGB gewährleistet. § 382g EO schafft keine neue Anspruchsgrundlage, sondern setzt diese vielmehr voraus (RIS-Justiz RS0121886). Zweck der „Anti‑Stalking-Regelung“ des § 382g EO ist die Verbesserung des Schutzes für Opfer, denen rasche Abhilfe gegen Belästigungen durch Stalker geboten werden soll (7 Ob 54/11h; 7 Ob 248/09k; 2 Ob 82/08k; 8 Ob 155/06m). Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO ist nur die Bescheinigung des Anspruchs auf Unterlassung weiterer „Stalking“-Handlungen. Mit der Anspruchsbescheinigung sind gleichzeitig auch die Anforderungen des § 381 Z 2 EO erfüllt (RIS-Justiz RS0121887).
1.2. Zur Beurteilung, was zur Privatsphäre nach § 382g EO gehört, kann auf die bisherigen Grundsätze zurückgegriffen werden. Aus § 16 ABGB wird ‑ ebenso wie aus anderen durch die Rechtsordnung geschützten Grundwerten wie Art 8 MRK ‑ das jedermann angeborene Persönlichkeitsrecht auf Achtung seines Privatbereichs und seiner Geheimnissphäre abgeleitet (7 Ob 248/09k; RIS‑Justiz RS0008993 [T6, T11]). Unerwünschte Kontaktaufnahmen als Kernfall des Stalkings können einen unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre darstellen (Wolfrum/Dimmel, Das „Anti‑Stalking‑Gesetz“, ÖJZ 2006, 482; Sailer in Burgstaller/Deixler‑Hübner, EO [20. Lfg 2015] § 382g Rz 4), sofern sie erheblich sind (Beck in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, § 382g EO Rz 8). Die Rechtsprechung betont allerdings, dass eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen würde; es bedarf daher einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen der Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen (RIS‑Justiz RS0008990; vgl auch Sailer aaO; Wolfrum/Dimmel aaO; E. Kodek in Angst, EO² § 382g Rz 4; C. Graf, Die einstweiligen Verfügungen nach § 382g EO zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre („Stalking“), Zak 2006, 304; Aicher in Rummel³, § 16 ABGB Rz 27; Kathrein, Zweites Gewaltschutzgesetz - Die wichtigsten Neuerungen bei den einstweiligen Verfügungen, FS Koziol [2010] 1177). Wenn die Kontaktaufnahmen in Art und Umfang eine Intensität erreichen, die den Rahmen des sozial Verträglichen sprengen, kann das Recht auf Privatsphäre verletzt sein. In die Abwägung sind insbesondere der Grund der Kontaktaufnahme und die Art der Kontakte einzubeziehen (Wolfrum/Dimmel aaO 482 f). Jedenfalls muss im Verhalten eine gewisse Beharrlichkeit zum Ausdruck kommen, wie sie dem Stalking begriffsimmanent ist (Beck aaO).
1.3. Die bisher vom Obersten Gerichtshof im Zusammenhang mit SMS beurteilten Sachverhalte, die eine Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382g EO rechtfertigten, sind mit dem hier vorliegenden nicht vergleichbar. Während der Entscheidung 8 Ob 155/06m ua mehrere tägliche Kontaktaufnahmen durch Telefonanrufe und SMS sowie zumindest eine Nachricht per E‑Mail pro Tag über eine Dauer von zwei Monaten zu Grunde lagen, hat in der Entscheidung 1 Ob 61/08i der Antragsgegner die Antragstellerin nach ihrem Beziehungsende durch eine körperliche Attacke und anschließend durch Anrufe und SMS behelligt sowie bei zwei zufälligen Aufeinandertreffen in einem Abstand von zwei Monaten angeschrien, beschimpft und (einmal) mit dem Umbringen bedroht. Der hier zu beurteilende Sachverhalt liegt anders:
Der Antragsteller machte der Antragsgegnerin zwei Mal klar, dass er keine Kontaktaufnahme mehr wünschte. Dennoch kontaktierte sie ihn über rund eineinhalb Jahre konsequent in Monatsabständen mit 15 SMS. Darin kommt eine besondere Beharrlichkeit auf Seiten der Antragsgegnerin zum Ausdruck, und dies noch dazu rund zwei Jahre nach Auflösung der Beziehung. Die Intensität des Eingriffs ist nicht unerheblich, ist doch damit der Antragsteller gezwungen, sich noch immer gegen seinen Willen zumindest einmal im Monat von ihr belästigen zu lassen, und zwar massiv durch 15 SMS. Ein die Kontaktaufnahmen rechtfertigender Grund besteht nicht. Die Antragsgegnerin verwies selbst darauf, dass sie nichts Wichtiges mitzuteilen hatte. Bei Gesamtbetrachtung dieser Umstände wird durch die konsequent wiederholte Kontaktaufnahme nach Beendigung der Beziehung vor rund zwei Jahren mit SMS über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren, für die absolut kein Grund besteht, die Grenze des sozial Verträglichen gesprengt und damit das Recht des Antragstellers auf Privatsphäre verletzt.
1.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382g EO vorliegen.
2. Zu den Sicherungsmitteln:
2.1. Auf den Umfang des Sicherungsmittels gemäß § 382g Abs 1 Z 2 EO (Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme) ist nicht einzugehen, weil nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wenn im Rekurs nur in bestimmten Punkten eine Rechtsrüge ausgeführt wurde, andere Punkte im Revisionsrekurs - jedenfalls wenn es um mehrere selbständig zu beurteilende Rechtsfragen geht ‑ nicht mehr geltend gemacht werden können (RIS‑Justiz RS0043573 [T43, T50]). Die Antragsgegnerin hat in ihrem Rekurs nur das nach § 382g Abs 1 Z 6 EO angeordnete Verbot der Kontaktaufnahme über Dritte, nicht aber das nach § 382g Abs 1 Z 2 EO angeordnete Verbot brieflicher, telefonischer oder sonstiger Kontaktaufnahme als überzogen bekämpft. Im Übrigen würden auch hiezu die nachfolgenden Ausführungen gelten.
2.2. Das von den Vorinstanzen ausgesprochene Kontaktverbot entspricht § 382g Abs 1 Z 2 und 6 EO.
2.3. Die Antragsgegnerin bekämpft in ihrem Revisionsrekurs das gemäß § 382g Abs 1 Z 6 EO auferlegte Verbot, über eine dritte Person, etwa über gemeinsame Freunde oder die Familie, Kontakt mit dem Antragsteller aufzunehmen.
2.3.1. Für die Berechtigung des Unterlassungsbegehrens reicht schon ein drohender Eingriff aus. Es muss daher nicht jeweils eine konkrete Verletzungshandlung abgewartet werden, um gerichtlichen Schutz im Wege einer Unterlassungsklage oder einer einstweiligen Verfügung nach § 382g EO zu erlangen. Das ist insbesondere dann bedeutsam, wenn der Täter auf eine bestimmte Weise in die Privatsphäre des Opfers eingreift, aber aufgrund seines Verhaltens bei einer Gesamtbetrachtung andere Begehungsweisen konkret zu befürchten sind (RIS‑Justiz RS0121888). Um ein Ausweichen des „Stalkers“ auf andere, bisher noch nicht konkret eingesetzte Methoden, das Opfer zu „terrorisieren“, zu verhindern, kann im Einzelfall ein Verbot bisher noch nicht verwendeter, aber naheliegender Mittel zur Kontaktaufnahme durchaus zulässig sein (RIS‑Justiz RS0121888 [T1]; Beck aaO § 382g EO Rz 15; König, Einstweilige Verfügungen4 Rz 4/81; Sailer aaO § 382g EO Rz 7; E. Kodek aaO § 382g EO Rz 3). Je massiver und vielgestaltiger der Antragsgegner bisher schon gegen den Antragsteller vorgegangen ist und je deutlicher die Gefahr weiterer Eingriffe unter Bedachtnahme auf die Intensität und Nachhaltigkeit von Verfolgungshandlungen zutage tritt, desto mehr sind breiter gefasste Verbote indiziert (Beck aaO).
2.3.2. Im vorliegenden Fall kontaktierte die Antragsgegnerin auch die Mutter des Antragstellers und behauptete, von ihm belästigt zu werden. Zu berücksichtigen sind die näheren Umstände dieses Anrufs. Die Antragsgegnerin hatte die Mutter des Antragstellers zuvor nur ein einziges Mal gesehen und musste deren Telefonnummer erst aus dem Telefonbuch erheben. Der Anruf, für den es nach den Feststellungen keinen Grund gab, kann nur den Zweck verfolgt haben, sich über die Mutter beim Antragsteller in Erinnerung zu rufen. Es ist nämlich naheliegend, dass die Mutter dem Antragsteller darüber erzählen würde. Damit hat die Antragsgegnerin bereits einmal versucht, über Dritte mit dem Antragsteller in Kontakt zu treten. Aufgrund der beharrlichen Verfolgung mit SMS, ist bereits im Hinblick auf diesen Anruf konkret zu befürchten, dass die Antragsgegnerin bei Ausspruch eines Kontaktverbots nur gemäß § 382g Abs 1 Z 2 EO wieder und massiver versuchen wird, über Dritte Kontakt zum Antragsteller aufzunehmen. Damit haben die Vorinstanzen zu Recht auch das Sicherungsmittel des § 382g Abs 1 Z 6 EO verfügt.
3. Zur Dauer:
3.1. Gemäß § 382g Abs 2 EO können einstweilige Verfügungen nach Abs 1 ‑ ohne Einleitung eines Hauptverfahrens ‑ für eine Höchstdauer von einem Jahr erlassen werden. Die im Einzelfall angemessene Geltungsfrist der einstweiligen Verfügung hängt vom als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ab. Die gesetzlich zulässige Höchstdauer ist demnach nicht immer auszuschöpfen (Beck aaO § 382g EO Rz 23).
3.2. Hier spricht schon der lange Eingriffszeitraum gegen eine von der Antragsgegnerin in ihrem Revisionsrekurs angestrebte Verkürzung der Geltungsfrist. Berücksichtigt man weiters, dass das Kontaktaufnahmeverbot mit dem Antragsteller keinen Eingriff in ihre Lebensführung mit sich bringt, haben die Vorinstanzen zu Recht die Geltungsdauer mit einem Jahr befristet.
4. Dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist daher ein Erfolg zu versagen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 2 EO iVm §§ 50, 40 ZPO.
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