OGH 7Ob33/95

OGH7Ob33/9531.1.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schalich, Dr.Tittel, Dr.I.Huber und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****bank *****, reg.GenmbH, ***** vertreten durch Dr.Manfred Moser, Rechtsanwalt in Pöttsching, wider die beklagte Partei R*****-Versicherung Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Josef Bock und Dr.Thomas Wiesinger, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 5,234.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. März 1995, GZ 6 R 509/95-36, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 18.November 1994, GZ 15 Cg 127/93f-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 33.840,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 5.640,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen Zoltan B***** und der beklagten Partei bestehen ein Unfall- und ein Kreditrestschuldversicherungsvertrag. Dem Unfallversicherungsvertrag liegen die AUVB 1989 zugrunde. Art.21 Z 1 dieser Versicherungsbedingungen bestimmt als Obliegenheit, deren Verletzung die Leistungsfreiheit nach § 6 Abs.2 VersVG bewirkt, daß der Versicherte als Lenker eines Kraftfahrzeuges die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, die für das Lenken des Fahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr vorgeschrieben ist.

Am 6.6.1992 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei welchem Zoltan B***** mit seinem Fahrzeug von der Fahrbahn abkam und sich eine Querschnittlähmung zuzog. Er war im Zeitpunkt dieses Unfalles nicht im Besitz einer gültigen Lenkerberechtigung. Diese war ihm am 29.8.1986 aufgrund einer vorhandenen Sehschwäche befristet bis 29.8.1991 unter der Auflage "Brillenträger und Augenschutz verwenden" ausgestellt worden. Zoltan B***** hatte es unterlassen, fristgerecht die Verlängerung zu beantragen. Er trug im Unfallszeitpunkt die vorgeschriebene Brille.

Die Sehschwäche des Zoltan B***** hat sich bis zum Unfallszeitpunkt nicht derart verschlechtert, daß ihm die Behörde bei fristgerechter Antragstellung eine Verlängerung seiner Lenkerberechtigung verweigert hätte. Am 27.3.1993 erhielt er problemlos die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge mit Getriebeautomatik, Handgas und Handbremse. Anhaltspunkte dafür, daß sein geistiger Zustand auf die Befristung oder Verlängerung der Lenkerberechtigung Einfluß gehabt hätte, liegen nicht vor. Zoltan B***** war im Unfallszeitpunkt weder aus augenärztlicher noch aus psychiatrischer Sicht in seiner Wahrnehmungs- oder Reaktionsfähigkeit behindert.

Am 8. und 9.3.1993 trat Zoltan B***** seine Forderungen aus dem Unfallversicherungsvertrag im Betrag von S 4,5 Millionen und aus dem Kreditrestschuldversicherungsvertrag von S 734.000,-- an die klagende Partei ab, welche die Beklagte mit Schreiben vom 25.6.1993 von der Zession verständigte.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Bezahlung von S 5,234.000,-- sA an Versicherungsleistungen aus dem Unfall- und Kreditrestschuldversicherungsvertrag unter Hinweis auf die erfolgte Zession. Die Lenkerberechtigung sei dem Versicherungsnehmer der Beklagten nur wegen der Sehschwäche zeitlich beschränkt ausgestellt worden. Die Verlängerung dieser Berechtigung nach Untersuchung der Sehschwäche habe nur eine Formalität dargestellt, eine Verschlechterung der Sehleistung sei nicht eingetreten. Die gegebene Obliegenheitsverletzung habe daher keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles gehabt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete Leistungsfreiheit gemäß Art.21 Z 1 AUVB 1989 iVm § 6 Abs 2 VersVG ein; der Unfall sei auf einen Fahrfehler des Versicherungsnehmers zurückzuführen, wobei die Obliegenheitsverletzung Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles gehabt habe. Zoltan B***** hätte im Unfallszeitpunkt nicht nur aufgrund seiner Sehschwäche, sondern auch aufgrund seines allgemeinen geistigen und psychischen Zustandes eine Lenkerberechtigung nicht erhalten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die vom Versicherungsnehmer begangene Obliegenheitsverletzung führe im konkreten Fall nicht zur Leistungsfreiheit, weil sie keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles gehabt habe. Die Erteilung (Verlängerung) der Lenkerberechtigung wäre vor dem Versicherungsfall bloß ein Formalakt gewesen, dem keine materiellen Hindernisse im Wege gestanden wären. Der klagenden Partei sei damit der Nachweis gelungen, daß die Obliegenheitsverletzung für den Unfall nicht kausal war.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Zweck der Führerscheinklausel sei es, den Versicherer vor Risken zu schützen, die durch Personen entstünden, die die zur Lenkung eines Kraftfahrzeuges erforderlichen Fähigkeiten nicht aufwiesen. Diese Interessen des Versicherers würden dann nicht berührt, wenn die Voraussetzungen für die Verlängerung der Lenkerberechtigung zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles ebenso gegeben gewesen seien wie zum Zeitpunkt der später tatsächlich bewirkten Verlängerung. Damit habe die klagende Partei trotz einer Verletzung der "Führerscheinklausel" des Versicherungsnehmers der beklagten Partei den geforderten Kausalitätsgegenbeweis erbracht. Dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei sei die Lenkerberechtigung ausschließlich wegen seiner Sehschwäche befristet erteilt worden, um der Behörde die Möglichkeit für eine Nachuntersuchung zu eröffnen. Anhaltspunkte dafür, daß über die Überprüfung der Sehschwäche hinaus ein weiteres Ermittlungsverfahren im Falle eines Verlängerungsantrages durchgeführt worden wäre, hätten sich nicht ergeben. Zweck dieser Nachuntersuchung habe daher nur sein können, allfällige relevante Verschlechterungen der im Zeitpunkt der Erteilung der Lenkerberechtigung gegebenen Sehstärke festzustellen, um gegebenenfalls - sollte eine wesentliche Verschlechterung die Verkehrstauglichkeit beeinflussen - eine Verlängerung der Lenkerberechtigung nicht mehr vorzunehmen. Diese - zwar durch einen Arzt durchzuführende - Nachuntersuchung habe somit lediglich der Überprüfung gedient, ob sich die im Zeitpunkt der Ausstellung der Lenkerberechtigung gegebene Sehschwäche bis zum Untersuchungszeitpunkt geändert habe. Im Falle einer unveränderten Sehstärke wäre der befristet erteilte Führerschein ohne weiteres Ermittlungsverfahren verlängert worden.

Die Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Art.21 Z 1 der AUVB 1989 bestimmt - gleich wie § 6 Abs 2 Z 1 AKHB 1988 - als Obliegenheit im Sinne des § 6 Abs 2 VersVG, deren Verletzung im Zeitpunkt des Schadensereignisses die Freiheit des Versicherers von der Verpflichtung zur Leistung bewirkt, daß der Lenker die kraftfahrrechtliche Berechtigung besitzt, das versicherte Fahrzeug zu lenken. Ist eine Obliegenheit verletzt, die vom Versicherungsnehmer zum Zweck der Verhinderung der Gefahr oder der Verhütung einer Erhöhung der Gefahr dem Versicherer gegenüber zu erfüllen ist, so kann sich der Versicherer auf die vereinbarte Leistungsfreiheit nicht berufen, wenn die Verletzung keinen Einfluß auf den Eintritt des Versicherungsfalles oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat (§ 6 Abs.2 VersVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der VersVGNov BGBl 1994/509). Der Versicherer hat bei Geltendmachung der Leistungsfreiheit wegen eines Verstoßes gegen die "Führerscheinklausel" nur den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nachzuweisen (vgl Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den KFZ-Versicherungen, ZVR 1985, 65 ff [68]; ZVR 1984/329; VR 1987, 98; ZVR 1991/27; VR 1993, 423, zuletzt 7 Ob 36/95). Der Versicherungsnehmer kann dann den Gegenbeweis der fehlenden Kausalität der objektiv erwiesenen Obliegenheitsverletzung führen. An diesen sind nach ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen. So kann er nach herrschender Rechtsprechung beim Fehlen der allgemeinen Lenkerberechtigung nicht durch einen Nachweis des tatsächlichen Fahrkönnens ersetzt werden (ZVR 1983/40; ZVR 1983/289; VR 1993, 423 und 424, 7 Ob 36/95). Dem Fahrer ohne Lenkerberechtigung bleibt demnach ein eingeschränkter Kausalitätsgegenbeweis nur in der Richtung offen, daß der Unfall durch keinerlei Fahrfehler, sondern etwa durch ein technisches Gebrechen oder das Verschulden eines Dritten verursacht wurde. Jeder Fahrfehler, der mit der fehlenden Lenkerberechtigung im Zusammenhang stehen kann, ist dem Lenker zuzurechnen. Höchstens der Nachweis eines solchen eigenen Fehlers kann zum Kausalitätsgegenbeweis hinreichen, der schon seiner Art nach außer jedem Zusammenhang mit dem erhöhten Risiko steht. Der Nachweis aber, daß der Unfall einem anderen geprüften Lenker ebenso widerfahren könnte, genügt nicht; erforderlich ist vielmehr der Beweis dafür, daß der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit mit Sicherheit eingetreten wäre, daß also der Eintritt und der Umfang des Versicherungsfalles nicht auf der erhöhten Gefahrenlage beruhen, die typischerweise durch die Obliegenheitsverletzung entsteht (SZ 50/114, 7 Ob 36/95).

Wie der erkennende Senat in seiner letzten zu dieser Frage ergangenen Entscheidung 7 Ob 36/95 mit Judikaturbeispielen dargelegt hat, sind bei der Verletzung der "Führerscheinklausel" an die Kriterien des Kausalitätsgegenbeweises ausnahmsweise dann geringere Anforderungen zu stellen, wenn der Formalisierung der Erteilung der Lenkerberechtigung aus besonderen Gründen keine entscheidende Bedeutung mehr zukommt. So hat der Oberste Gerichtshof den Kausalitätsgegenbeweis für den Fall als erbracht angesehen, daß zwar der Versicherungsfall nach bestandener Lenkerprüfung, aber noch vor Aushändigung des Führerscheins eingetreten war (SZ 56/23), weil alle Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung vorlagen und letztere nicht aus sachlichen, sondern bloß aus verfahrenstechnischen Gründen unterblieb. Ebenso wurde das Lenken eines Kraftfahrzeuges nach Ablauf einer im Inland zunächst gültigen ausländischen Fahrerlaubnis beurteilt (vgl SZ 50/94). Auch hier konnte sich der Versicherer in diesem Ausnahmsfall trotz eines Fahrfehlers des Versicherten nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen, weil der Versicherungsfall erweislich weder auf Unkenntnis der inländischen Verkehrsvorschriften noch auf mangelnder Eignung des Fahrers beruhte (vgl Petrasch aaO, 73). Schließlich wurde nach diesen Grundsätzen auch der Fall beurteilt, daß eine Person mit ordentlichem Wohnsitz in Österreich und im Ausland, welche gemäß § 79 KFG von einem ausländischen Führerschein im Bundesgebiet Gebrauch machen darf, sofern sie eine Bestätigung vorlegen kann, in der das Vorliegen eines Doppelwohnsitzes festgestellt wurde, diese die Einholung dieser Bestätigung aber versäumt hatte (VR 1993, 424).

Nach diesen Grundsätzen ist dem Beklagten, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, der Kausalitätsgegenbeweis gelungen. Die beim Versicherungsnehmer der beklagten Partei zur Verlängerung seiner Lenkerberechtigung erforderliche Kontrolluntersuchung stellte, wie das folgende Geschehen ergab, nur einen auf verwaltungstechnische Gründe zurückzuführenden Ablauf dar. Die Befristung erfolgte, um nicht die Kontrolluntersuchung von der Behörde aus initiieren zu müssen, sondern den Lenker von sich aus dazu zu bringen, sich rechtzeitig selbst zur Kontrolle zu melden. Im vorliegenden Ausnahmsfall war dem Versicherten die Lenkerberechtigung nicht entzogen worden, ihre Wiedererlangung hing nicht von der Ermittlung eines neuen Sachverhaltes, der die körperliche und geistige Tauglichkeit erheben sollte, sondern von einer Kontrolluntersuchung ab. Tatsächlich steht fest, daß dem Versicherungsnehmer der beklagten Partei, hätte er rechtzeitig um die Verlängerung seiner Lenkerberechtigung angesucht, diese noch vor dem Versicherungsfall bewilligt worden wäre. Der vorliegende Versicherungsfall ist daher erweislich weder auf die fehlende körperliche bzw geistige Eignung des Fahrers zum Lenken eines Kraftfahrzeuges zurückzuführen.

Der vorliegende Versicherungsfall wäre daher auch mit Sicherheit ohne die Verletzung der Obliegenheit eingetreten; sein Eintritt und der von ihm verursachte Schadensumfang beruhen daher nicht auf der erhöhten Gefahrenlage, die typischerweise durch die Verletzung einer Obliegenheit iSd § 6 Abs.2 VersVG entsteht.

Aus den dargelegten Gründen war daher der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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