OGH 7Ob316/04b

OGH7Ob316/04b2.3.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1061 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Dr. Aldo Frischenschlager und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei B***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Helmut Valenta und Dr. Gerhard Gfrerer, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 9.285,60 sA über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 30. September 2004, GZ 14 R 112/04w-14, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 29. April 2004, GZ 16 C 2588/03s-10, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 665,66 EUR (darin enthalten EUR 110,94 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Andreas S***** schloss am 1. 4. 2000 bei der Beklagten eine Unfallversicherung ab, die neben der Leistung einer Versicherungssumme bei dauernder Invalidität infolge eines Unfalls auch die Leistung von Taggeld beinhaltet. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1994) zugrunde. Art 6.3 AUVB 1994 lautet:

Taggeld wird bei dauernder oder vorübergehender Invalidität für die Dauer der vollständigen Arbeitsunfähigkeit im Beruf oder in der Beschäftigung des Versicherten für längstens 365 Tage innerhalb von zwei Jahren ab dem Unfalltag gezahlt."

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages übte Andreas S***** den Beruf des Monteurs aus. Ab Oktober/November 2001 war er arbeitslos. Am Montag, den 29. 4. 2002, schloss Andreas S***** mündlich einen Arbeitsvertrag als Spengler/Monteur ab. Arbeitsbeginn sollte aufgrund des Feiertages der 2. 5. 2002 sein. Die Anmeldung bei der Sozialversicherung hätte rückwirkend datiert mit 29. 4. 2002 erfolgen sollen.

Am 1. 5. 2002 wurde Andreas S***** bei einem Verkehrsunfalls so schwer verletzt, dass er seither invalid ist. Aufgrund des Unfalls und seiner Folgen wurde der Arbeitsvertrag einvernehmlich aufgelöst und von einer Anmeldung zur Sozialversicherung abgesehen.

Andreas S***** trat seine Forderung gegen die Beklagte an den Kläger ab.

Der Kläger begehrt nun die Bezahlung des vereinbarten Taggeldes. Im Zeitpunkt des Unfalles sei bereits ein Dienstvertrag abgeschlossen gewesen. Art 6.3 AUVB 1994 nenne überdies als Voraussetzung für den Taggeldbezug nicht das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung - soweit das für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist - mit der Begründung, dass nach Art 6.3 AUVB 1994 während der Zeit der Arbeitslosigkeit kein Anspruch auf Taggeld bestehe. Selbst wenn er am 2. 5. 2002 ein Arbeitsverhältnis begonnen hätte, wäre dies erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalles gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, dass sich aus Art 6.3 AUVB 1994 nicht ergebe, dass nur aktuell erwerbstätige Versicherungsnehmer Anspruch auf das Taggeld hätten. Nach Abschluss eines Arbeitsvertrages sei Arbeitslosigkeit nicht mehr gegeben. Bei ausreichender inhaltlicher Bestimmtheit käme der Dienstvertrag auch als Konsensualvertrag durch Willenseinigung der Vertragsparteien zustande, sodass am Unfallstag der Arbeitsvertrag bereits bestanden habe und der Versicherungsnehmer daher nicht arbeitslos gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es vertrat die Rechtsansicht, dass Art 6.3 AUVB 1994 lege mit der Formulierung „im Beruf oder in der Beschäftigung des Versicherten" das Verständnis nahe, dass der Versicherungsfall mit der unfallsbedingten Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit schlechthin eintrete. Als Summenversicherung werde das Taggeld auch gewährt, wenn die Behinderung der Arbeitsfähigkeit keinerlei Vermögensnachteil gebracht habe. Die Auffassung, dass nur aktuell erwerbstätigen Versicherungsnehmern ein Anspruch auf Taggeld zustünde, führe im Übrigen zu einer unangemessenen Benachteiligung, weil der Versicherer für diese Leistung auch eine Prämie erhalte. In Art 2.2.1 AUVB 1994 sei für Arbeitslose kein Ausschluss der Versicherung geregelt. Unklare Formulierungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen gingen aber zu Lasten des Versicherers, sodass nach Art 6.3 AUVB 1994 auch arbeitslosen Versicherungsnehmern Taggeld gebühre.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung der Leistungspflicht nach Art 6.3 AUVB 1994 keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes existiere.

Dagegen richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Zunächst ist auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Vorweg ist zu erinnern, dass der Maßstab, an dem sich die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu orientieren hat, dem Verständnis eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers entspricht, einem Maßstab, der den Kriterien der §§ 914 f ABGB weitgehend gleichkommt. Daher sind Unklarheiten zu Lasten des Versicherers auszulegen, weil dies die Interessen des Vertrauensschutzes erfordern, der „erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen" muss aber stets beachtet werden (7 Ob 372/98a, 7 Ob 127/99v, 7 Ob 169/03h, 7 Ob 73/02i; RIS-Justiz RS0112256, RS0008901, RS0050063). Die einzelnen Klauseln sind objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (7 Ob 73/02i, RIS-Justiz RS0008901).

Die private Unfallversicherung iSd §§ 179 ff VersVG dient der Abdeckung bestimmter Folgen eines Unfalles, insbesondere auch der einer eingetretenen dauernden Invalidität. Soweit der Anspruch auf Taggeld betroffen ist, handelt es sich um eine Summenversicherung, da die Leistung - anders als etwa bei der Abgeltung der Unfallkosten - unabhängig von dem Nachweis eines konkreten Vermögensnachteiles in voller Höhe gebührt (7 Ob 2393/96d, 7 Ob 301/03w; Schauer, Das Österreichische Versicherungsvertragsrecht3, 505; Grimm, Unfallversicherung3, § 7, Rn 45).

Nach Art 6.3 AUVB 1994 wird Taggeld bei dauernder oder vorübergehender Invalidität für die Dauer der vollständigen Arbeitsunfähigkeit „im Beruf oder in der Beschäftigung des Versicherten" gewährt. Dass dieser Beruf oder die Beschäftigung im Zeitpunkt des Versicherungsfalles auch ausgeübt werden muss, ist der Bestimmung nicht zu entnehmen. Aus der Wortinterpretation ergibt sich vielmehr, dass der angegebene Beruf oder die Beschäftigung der Maßstab ist, an dem die Arbeitsunfähigkeit gemessen wird. Nur dauernd vollständig arbeitsunfähige Personen sind nach Art 2.2.1 AUVB 1994 unversicherbar. Da aber die Arbeitslosigkeit nur eine vorübergehende Nichtausübung des Berufes darstellt und einer Arbeitsunfähigkeit, und damit Unversicherbarkeit, nicht gleichzustellen ist, ergibt die Interpretation des Art 6.3. AUVB 1994, dass auch arbeitslose Personen Taggeld erhalten (in diesem Sinn auch Schauer in JBl 1993 S 54; Grimm, aaO, § 7, Rn 45). Dies entspricht dem Zweck des Taggeldes als Ausgleich für die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit (zum Zweck: Schauer, aaO S 53). Die Invalidität hat auch auf die Arbeitsfähigkeit eines Arbeitslosen Einfluss, nämlich auf seine potentielle Chance, wieder ins Berufsleben einzusteigen. Der vorliegende Fall ist insoferne noch krasser als durch den Versicherungsfall nicht nur seine potentielle Chance beeinträchtigt war, sondern sein konkret im Zeitpunkt des Versicherungsfalls schon abgeschlossener Arbeitsvertrag (Arbeitsbeginn zwei Tage nach dem Versicherungsfall) wurde aufgelöst. Seine Arbeitsfähigkeit wurde zweifellos beeinträchtigt.

Aus der Entscheidung 7 Ob 18/91 = JBl 1993, 50 [Schauer] ist für die Beklagte nichts zu gewinnen. Einerseits waren auf den Rechtsfall nicht die AUVB 1994, sondern die (nicht wortgleichen) AUVB 1965 anzuwenden, andererseits übte der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages nicht den angegebenen Beruf aus, sondern war bereits (auf Dauer) Pensionist.

Ein verständiger Versicherungsnehmer kann nach dem Dargelegten Art 6.3 AUVB 1994 also nur so auslegen, dass Taggeld auch einem arbeitslosen Versicherungsnehmer zusteht.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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