OGH 7Ob2393/96d

OGH7Ob2393/96d2.4.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Michael Goller, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Hubert P*****, vertreten durch Dr.Gerhard Dorer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 52.480 sA, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck vom 1.August 1996, GZ 4 R 350/96s-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 7.Mai 1996, GZ 14 C 947/95v-11, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Beklagte hat bei der klagenden Partei eine Familien-Unfallversicherung abgeschlossen, der die AUVB 1979 zugrunde lagen. Gemäß Art 8 III. dieser Bedingungen ist im Fall einer dauernden oder vorübergehenden Invalidität, abgestuft nach dem Grad der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Versicherten in seinem angegebenen Beruf, für die Dauer der ärztlichen Heilbehandlung ein Taggeld mit der Maßgabe zu zahlen, daß die Taggeldzahlungen spätestens mit dem auf den Unfalltag folgenden 365.Tag enden.

Der Beklagte erlitt am 5.7.1993 einen Verkehrsunfall. Er legte der klagenden Partei zugleich mit der Schadensmeldung am 2.8.1993 eine Bestätigung über seine Arbeitsunfähigkeit vor. Die klagende Partei zahlte daraufhin am 26.8.1993 S 19.124 und leistete in der Zeit vom 11.3.1993 bis zuletzt am 18.4.1994 weitere Zahlungen, die insgesamt den Zeitraum bis zum 17.4.1994 umfaßten und denen ein Taggeld von S 328 zugrunde lag. Für den Zeitraum vom 8.11. bis 30.11.1993 erfolgte irrtümlich eine zweimalige Zahlung in Höhe von S 7.544.

Im Juni 1994 forderte die klagende Partei den Beklagten auf, sich ärztlich untersuchen zu lassen. Diese Untersuchung wurde am 1.7.1994 von Dr.D***** durchgeführt, der im Auftrag der klagenden Partei ein neurologisches Gutachten erstattete, in welchem er zum Schluß kam, daß beim Beklagten eine unfallsbedingte Arbeitsunfähigkeit längstens bis zum 1.12.1993 anzuerkennen sei. Die klagende Partei forderte den Beklagten mit Schreiben vom 2.8.1994 auf, den zuviel erhaltenen Geldbetrag von S 52.480 zurückzuzahlen.

Der Beklagte befand sich nach dem Unfall bis 23.10.1994 im Krankenstand. Anschließend ging er in die Arbeitsunfähigkeitspension, weil er seinen Beruf als LKW-Fahrer nicht mehr ausüben konnte. Der Beklagte hat sich auf Vorschreibung der Tiroler Gebietskrankenkasse immer wieder ärztlichen Behandlungen unterzogen und der klagenden Partei gegenüber vorgewiesen, daß er die vorgeschriebenen Therapien einhielt, die bis Jahresende 1994 andauerten. Der Beklagte befindet sich noch heute in neurologischer Behandlung.

Der Beklagte hat sämtliche ihm seitens der klagenden Partei überwiesenen Beträge im Rahmen seiner Lebensführung verbraucht. Er verwendete das Geld für die Begleichung von Wohnungskosten, von laufenden Krediten und für das Essen.

Die klagende Partei begehrte die Rückzahlung der irrtümlichen Doppelzahlung von S 7.544 und der von ihr ab 1.12.1993 geleisteten Beträge von insgesamt S 44.936, weil eine unfallsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Beklagten nur bis höchstens 1.12.1993 vorgelegen sei und sie der Beklagte hinsichtlich des darüber hinausgehenden Zeitraumes in Irrtum geführt habe.

Der Beklagte bestritt, die klagende Partei irregeführt zu haben. Er habe auch keine Obliegenheitsverletzung begangen. Er habe die Zahlungen gutgläubig entgegengenommen und verbraucht. Er leide heute noch an den Unfallsfolgen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte sei der Aufforderung der klagenden Partei, sich untersuchen zu lassen, unverzüglich nachgekommen und habe sie schon deshalb nicht irregeführt. Die klagende Partei habe den Beklagten erst nach den erfolgten Zahlungen auf eine eventuelle Rückersatzpflicht hingewiesen. Der Beklagte habe in der Zwischenzeit das Geld gutgläubig zur Lebensführung verwendet.

Das Gericht zweiter Instanz änderte dieses Urteil teilweise dahin ab, daß es den Beklagten zur Zahlung von S 7.544 sA verpflichtete. Im übrigen, also hinsichtlich der Abweisung von S 44.936 sA hob es das Ersturteil auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß die (ordentliche) Revision gegen den abändernden Teil nicht zulässig und der Rekurs gegen den aufhebenden Teil der Berufungsentscheidung zulässig sei. Eine irrtümlich bezahlte Geldschuld sei vom Leistungsempfänger grundsätzlich auch dann zurückzuerstatten, wenn er das Geld in gutem Glauben verbraucht habe, werde doch bei Geld stets die nützliche Verwendung durch den Empfänger unterstellt, sodaß eine Berufung auf den Wegfall der Bereicherung nicht gestattet sei (Rummel in Rummel ABGB2, II Rz 12 zu § 1437 ABGB). Anders verhalte es sich jedoch bei kondizierbaren Leistungen mit Unterhaltscharakter. Insbesondere im Arbeitsrecht und im öffentlichen Dienstrecht lasse die Rechtsprechung bei derartigen Zahlungen den Einwand gutgläubigen Verbrauches zu (Jud 33 neu; Rummel in Rummel aaO mwN auf die umfangreiche Rechtsprechung). Die Grundsätze des Jud 33 neu gälten insbesondere dann, wenn die irrtümlich und rechtsgrundlos erbrachte Leistung wenigstens wirtschaftlich gesehen - ohne Rücksicht auf die rechtliche Konstruktion des Verhältnisses zwischen dem Leistenden und dem Empfänger - die Funktion gehabt habe, den Lebensunterhalt des Empfängers zu dienen (ZAS 1979/22). Die Frage des "Wegfalles der Bereicherung" sei jedoch bei kondizierbaren Leistungen, bei denen es sich nicht um Unterhaltsleistungen im eigentlichen Sinn oder um Arbeitsentgelt handle, problematisch. Unterhaltszahlungen und Arbeitsentgelt dienten nämlich typischerweise dem Unterhalt des Berechtigten bzw des Arbeitnehmers, während bei sonstigen Leistungen die zugrunde liegende Vermögensverschiebung diesen Zweck oft nicht (direkt) erreichen solle oder für einen anderen Zweck der Verwendung beim Empfänger bestimmt sei. In diesem Fall müsse weder der aufgrund eines beliebigen (Schein-)Zweckes Leistende damit rechnen, daß die Zuwendung primär dem Unterhalt des Empfängers dienen solle, noch handle es sich beim Empfänger typischerweise um eine Einnahme, aus der regelmäßig der Unterhaltsaufwand bestritten werde (Zemen in ZAS 1979, 169).

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sei im vorliegenden Fall der Charakter des Taggeldes in der privaten Unfallversicherung zu prüfen. Das Taggeld sei vom Versicherer im Falle einer dauernden oder vorübergehenden Invalidität, abgestuft nach dem Grad der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Versicherten in seinem angegebenen Beruf, für die Dauer der ärztlichen Heilbehandlung, längstens bis zu dem auf den Unfalltag folgenden 365.Tag, zu zahlen. Der Zweck des Taggeldes diene also dem Ausgleich für die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Versicherungsnehmers im angegebenen Beruf. Die Leistungspflicht des Versicherers bestehe bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen unabhängig davon, ob der Versicherungsnehmer durch die Schmälerung seiner Arbeitskraft eine vermögensmäßige Einbuße erleide oder nicht (vgl JBl 1993, 50), so daß es sich also bei dem von einer privaten Krankenversicherung bezahlten Taggeld nicht um eine Leistung aus einer Schadensversicherung, sondern um eine solche aus einer Summenversicherung handle, bei der nach Eintritt des Versicherungsfalles eine im voraus fixierte Geldleistung vom Versicherer ohne Eintritt eines Schadens zu erbringen sei (Prölss/Martin, VersVG25, Rz 1 A zu § 1; SZ 59/149). Wenngleich die Meinung vertreten werde, daß die Taggeldleistung von ihrer Funktion her unfallbedingte Einkommensverluste abdecken solle (Prölss/Martin aaO Rz 10a zu § 7 AUB 88; JBl 1993, 50 mwN), so folge doch aus der Tatsache, daß nach den AUVB 1979 die Verpflichtung des Versicherers zur Leistung des Taggeldes nicht an eine Minderung des Einkommens, sondern nur an eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Versicherten in seinem angegebenen Beruf und an die ärztliche Heilbehandlung geknüpft sei, daß der Zweck des Taggeldes abstrakt betrachtet nicht in einem Abdecken unfallsbedingter Einkommensverluste liegen solle, sondern in einem Ausgleich der mit der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit verbundenen Nachteile, etwa dem Mehraufwand an Mühe. Damit habe aber ein derartiges Taggeld nicht wie jenes nach § 195 ASVG Lohnersatzfunktion (vgl Ertl in ZVR 1984, 164), und es diene auch nicht der Erhaltung des bisherigen Unterhaltsstandards des Versicherungsnehmers. Damit habe es wirtschaftlich betrachtet nicht die Funktion, den Lebensunterhalt des Versicherungsnehmers abzudecken. Den Taggeldzahlungen einer privaten Unfallversicherungsanstalt komme daher kein Unterhaltscharakter zu, so daß sich der Versicherungsnehmer auf den gutgläubigen Verbrauch irrtümlich bezahlter derartiger Taggelder nicht berufen könne. Aus diesen Erwägungen gehe der Einwand des Beklagten, er habe die von der Klägerin geleisteten Zahlungen gutgläubig verbraucht, ins Leere.

Hinsichtlich der Doppelzahlung in Höhe von S 7.544 könne sich der Kläger schon deshalb nicht erfolgreich auf seine Gutgläubigkeit berufen, weil er nach objektiven Kriterien erkennen hätte können, daß die klagende Partei bezogen auf den bekanntgegebenen Abrechnungszeitraum eine Überzahlung von S 7.544 geleistet habe. Diesen Betrag habe er daher jedenfalls zurückzuerstatten.

Hinsichtlich des restlichen Begehrens von S 44.936 sei noch zu prüfen, ob die für den rechtmäßigen Bezug des Taggeldes notwendige Voraussetzung der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit tatsächlich, wie die klagende Partei behaupte, ab einem bestimmten Zeitpunkt weggefallen sei.

Der Rekurs gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliege, ob Taggeldzahlungen aus einer privaten Unfallversicherung Unterhaltscharakter haben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten gegen den stattgebenden Teil der Entscheidung ist aus dem vom Gericht zweiter Instanz dargelegten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Das Gericht zweiter Instanz hat ausführlich und überzeugend sowie durch zutreffende Judikatur- und Literaturhinweise untermauert dargelegt, warum gemäß Art 8 III AUVB geleistete Zahlungen eines Versicherers kein Fall für die Anwendbarkeit des Judikates 33 neu sind. Wenngleich in der Lehre die Funktion des Taggeldes darin erblickt wird, daß es Einkommensverluste abdecke, die durch den Unfall und die damit verbundene Arbeitsunfähigkeit entstehen können (vgl etwa auch Grimm, Unfallversicherung2, Rz 45 zu § 7 AUB; Wussow, AUB6, 220), wurde dennoch zutreffend der Unterhaltscharakter verneint. Es kommt beim Anspruch auf Taggeld nicht darauf an, ob und wie sich das Einkommen des Versicherten tatsächlich verringert hat. Es wird auch gewährt, wenn die Behinderung der Arbeitsfähigkeit keinerlei Vermögensnachteil gebracht hat (Summenversicherung - vgl zusätzlich zu den vom Gericht zweiter Instanz zitierten Belegstellen weiters Grimm, aaO; BGH in VersR 1974, 184). Im Gegensatz zu den zwei Bereichen der eigentlichen Unterhaltsleistungen einerseits und des Arbeitsentgeltes andererseits muß hier der Versicherer nicht damit rechnen, daß die Zuwendung primär dem Unterhalt des Empfängers dienen soll, wie gerade der vorliegende Fall zeigt: Der Beklagte hatte als unselbständig Erwerbstätiger Ansprüche auf Entgeltfortzahlung und auf Krankengeld (vgl hiezu ebenfalls Zemen aaO, 169).

Dieser Argumentation vermag der Rekurs nichts Überzeugendes entgegenzuhalten. Durch den Hinweis auf die Kritik an der Einteilung in Summen- und Schadensversicherung und auf die Aufgabe der Versicherung, durch ungewisse Ereignisse ausgelöste Störungen in den Wirtschaftsplänen der Versicherten auszugleichen (vgl Ertl in ZVR 1984, 163 mwN, ua Braeß, ZVersWiss 1970), läßt sich eine Gleichstellung der Taggeldversicherung mit einem Arbeitseinkommen im Sinn des Jud 33 neu nicht begründen. Diese Argumentation führte in letzter Konsequenz zum unhaltbaren Ergebnis, daß Zahlungen der Versicherungsunternehmungen in nahezu allen Versicherungszweigen als Leistungen mit Unterhaltscharakter anzusehen wären.

Der aufhebende Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz war daher zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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