European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00195.21H.0112.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen über die Beugestrafe werden aufgehoben und dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
[1] Der 11‑jährige Minderjährige lebt bei seiner allein obsorgeberechtigten Mutter. Der Vater ist aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 22. 10. 2014 und der gerichtlichen Vereinbarung vom 7. 7. 2015 in Verbindung mit dem (vom Rekursgericht bestätigten) Beschluss des Erstgerichts vom 29. 11. 2019 berechtigt, mit seinem Sohn an jedem Mittwoch von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr und alle 14 Tage von Samstag 9:00 Uhr bis Sonntag 18:00 Uhr Kontakt zu pflegen.
[2] Seit Ende September 2020 finden zwischen Vater und Sohn keine Kontakte mehr statt.
[3] Mit Beschluss vom 12. 10. 2020 setzte das Erstgericht die Familiengerichtshilfe als Besuchsmittlerin zur Durchsetzung des Rechts auf persönlichen Kontakt ein. Während deren fünfmonatiger Tätigkeit war es den Eltern nicht möglich, eine wertschätzende Kommunikation sowie Vertrauen zueinander aufzubauen. Bestimmend in der Zusammenarbeit mit den Eltern waren die durchgehend und wiederholt geäußerten gegenseitigen Vorwürfe sowie die psychische Verfassung des gemeinsamen Sohnes, die sich nach Dezember 2020 auch entsprechend den von der Mutter vorgelegten Befunden deutlich verschlechtert hat. Unter diesen Umständen wurde von der Familiengerichtshilfe von einer Kontaktanbahnung zwischen Vater und Sohn abgesehen. Erst wenn es dem Sohn gesundheitlich deutlich besser geht, wäre – aus Sicht der Besuchsmittlerin – eine Anbahnung der Kontakte dem Kindeswohl entsprechend.
[4] Obwohl der Minderjährige weiß, dass er schöne Erfahrungen mit dem Vater gemacht hat, spricht er über ihn ausschließlich negativ. Er empfindet diesen als „bösesten Menschen der Welt“. Der Vater möge ihn nicht. Er sei für den Vater nicht wertvoll. Er erzählte einem ihn begutachtenden Psychologen, dass er früher geschlagen wurde. Er könne sich an die aggressiven Übergriffe des Vaters erinnern und erzählte sehr detailliert Vorfälle von Aggressionen und Erniedrigungen des Vaters, obwohl es bis auf eine Ohrfeige im März 2019 nie zu einem körperlichen Übergriff des Vaters gekommen ist. Dieser beschimpfte ihn auch nicht etwa als Trottel oder Teufel.
[5] Der Minderjährige ist massiv belastet; er hat bereits Selbstmordgedanken geäußert.
[6] Die Mutter befürwortet Kontakte zum Vater, wenn ihr Sohn diese wolle. Sie fördert – so das Rekursgericht ergänzend – seinen Kontakt „zum Vater nicht in ausreichendem Maß. Durch das Verhalten der Mutter bestehen [beim Sohn] Anzeichen einer ernst zu nehmenden psychischen Kindesmisshandlung“.
[7] Der Vater beantragte im September 2020, über die Mutter eine Beugestrafe zu verhängen. Seit Mitte Juli 2020 habe er seinen Sohn am Mittwoch und Sonntag jeweils nur knappe zehn Minuten gesehen. Der Minderjährige sei höchstens bis zur Haustüre gekommen, habe ihn nicht angeschaut und auch nicht die Hand gegeben. Regelmäßig habe er zu schreien begonnen, dass er ihn nicht sehen wolle, er ihm nie verzeihen könne, er verschwinden solle. Die Mutter hätte als betreuender Elternteil das Kind positiv auf die Kontakte vorzubereiten.
[8] Die Mutter erwiderte, sie habe sich enorm bemüht, ihren Sohn zu Kontakten mit dem Vater zu motivieren, und sich an die vereinbarten Termine gehalten. Sie habe den Minderjährigen ermutigt, einen Neuanfang zu wagen und versucht, ihm die Angst vor den Begegnungen mit dem Vater zu nehmen. Die Nachricht künftiger Treffen mit dem Vater habe ihn sehr aufgewühlt. Er sei plötzlich gestresst und nervös gewesen, habe unter unkontrollierten Verkrampfungen der Gesichtsmuskulatur gelitten. Sie sei mit ihm mehrmals bei einem Gesundheitspsychologen gewesen, der zum Ergebnis gekommen sei, dass er sehr belastet sei und sich an mehrere aggressive Übergriffe und Erniedrigungen des Vaters detailliert erinnern könne.
[9] Die psychischen Probleme des Sohnes seien ernst zu nehmen. Er habe Suizidgedanken geäußert bzw Suizid angedroht, sollte er dazu gezwungen werden, seinen Vater weiterhin zu treffen. Eine Kinder- und Jugendpsychiaterin habe festgestellt, dass der Minderjährige enorm belastet sei und sich Anzeichen von Autismus bzw dem Asperger‑Syndrom manifestieren würden. Die behandelnden Ärzte hätten dringend empfohlen, von weiteren Kontakten mit dem Vater Abstand zu nehmen.
[10] Das Erstgericht enthob die Familiengerichtshilfe als Besuchsmittlerin und wies – für das Revisionsrekursverfahren von Relevanz – den Antrag des Vaters, über die Mutter eine Beugestrafe zu verhängen, ab. Die Verhängung einer Beugestrafe sei unangemessen, weil sie dem Kindeswohl zuwiderlaufe.
[11] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und verhängte über die Mutter eine „Ordnungsstrafe“ von 500 EUR. Rechtlich führte es aus, beim Sohn lägen Anzeichen einer „psychischen Kindesmisshandlung“ durch die Mutter vor. Der Sohn spüre die an ihn gerichteten Erwartungen der Mutter, orientiere seine Empfindungen daran und dürfe seine innere Verbundenheit mit dem Vater nicht ausdrücken, weil er wisse, dass dies von der Mutter nicht mitgetragen und akzeptiert werde. Die Mutter ziehe sich auf eine neutrale Position zurück und überlasse ihrem Sohn, der bereits stark belastet sei und sich an ihren Empfindungen orientiere, die Entscheidung über Kontakte zum Vater. Sie setze – was erforderlich wäre – keine aktiven Schritte zur Kontaktanbahnung und zu deren Gelingen. Ihre negative Haltung zum Vater sei weiter aufrecht und sie zeige kein Bemühen, dass der Minderjährige die Kontakte zum Vater positiv erleben könne. Evident sei aufgrund der Befunde, dass sich der Sohn in einer äußerst belasteten Situation befinde und ihm rasch Hilfe zukommen müsse. „Sein Kindeswohl [sei] gefährdet.“ Sein Verhalten sei als Hilferuf zu verstehen, „ihn aus dem Konflikt zu befreien“. Da durch das Verhalten der Mutter, die den Kontakt zwischen Vater und Sohn „unterbinde“, dessen Wohl bereits massiv gefährdet sei, sei über sie eine „Ordnungsstrafe“ von 500 EUR zu verhängen.
[12] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG für nicht zulässig.
[13] Gegen diesen Beschluss wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[14] Der Vater hat sich – trotz Freistellung – am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
[15] Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und entsprechend dem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag auch berechtigt.
[16] 1. Das Gericht hat auf Antrag oder von Amts wegen zur zwangsweisen Durchsetzung einer Regelung des Rechts auf persönliche Kontakte angemessene Zwangsmittel nach § 79 Abs 2 AußStrG anzuordnen (§ 110 Abs 2 AußStrG). Als Zwangsmittel kommen insbesondere Geldstrafen in Betracht (§ 79 Abs 2 Z 1 AußStrG). Die Zwangsmittel des § 79 Abs 2 AußStrG sind keine Strafe für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung, sondern sollen dazu dienen, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS‑Justiz RS0007310 [T7, T8]; RS0007330 [T2]).
[17] 2.1. Eine Unterbindung der persönlichen Kontakte trotz eines rechtskräftigen Titels ist nur in Ausnahmefällen und nur aus besonders schwerwiegenden Gründen zulässig, etwa wenn die Ausübung des Rechts das Wohl des Kindes gefährdet (RS0008614; vgl RS0047754). Das Gericht kann dementsprechend von der Fortsetzung der Durchsetzung auch von Amts wegen absehen, wenn und solange sie das Wohl des Minderjährigen gefährdet (§ 110 Abs 3 AußStrG).
[18] 2.2. Nach den Feststellungen ist der 11‑Jährige in einer schlechten psychischen Verfassung, massiv belastet und hat bereits Selbstmordgedanken geäußert. Die vom Erstgericht als Besuchsmittlerin eingesetzte Familiengerichtshilfe, die sich mit den Eltern über die konkrete Ausübung der persönlichen Kontakte zu verständigen und bei Konflikten zwischen diesen zu vermitteln hatte (§ 106b AußStrG), erachtete die Anbahnung der Kontakte des Vaters zum Sohn erst dann dessen Wohl entsprechend, wenn es diesem gesundheitlich wieder deutlich besser geht.
[19] Das Rekursgericht geht auch von der Gefährdung des Kindeswohls aus, ordnet die Ursache jedoch allein dem Verhalten der Mutter zu, die die Kontaktanbahnung nicht aktiv und ausreichend fördere. Dabei lässt es den – abweichend vom Sachverhalt der Vorentscheidung zum Kontaktrecht festgestellten – massiv verschlechtertenGesundheitszustand des Minderjährigen unberücksichtigt, der ein äußerst negativ besetztes Bild vom Vater hat. In Verbindung mit der Einschätzung der Besuchsmittlerin, die wegen dieses Gesundheitszustands eine Kontaktanbahnung als nicht dem Kindeswohl entsprechend ansieht, liegen damit konkrete, vom Rekursgericht nicht beachtete und noch zu überprüfende Anhaltspunkte vor, dass durch die zwangsweise Durchsetzung des Kontaktrechts das Wohl des Minderjährigen gefährdet sein könnte. Sollte das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren aufgrund ergänzend zu treffender Feststellungen zur Auffassung gelangen, dass die zwangsweise Durchsetzung des Rechts auf persönlichen Kontakt dem Kindeswohl zuwiderläuft, wäre keine Zwangsmaßnahme gegen die Mutter zu verhängen.
[20] 3.1. Der das unmündige Kind betreuende Elternteil ist verpflichtet, einer unberechtigten Ablehnung des persönlichen Kontakts zum anderen Elternteil durch das Kind positiv und aktiv entgegenzuwirken (RS0047942; RS0047996 [T6]; RS0048068 [T7]). Er muss über die Abstandnahme von einer negativen Beeinflussung des Kindes hinaus alles ihm Zumutbare unternehmen, um in aktiver Weise dem anderen Elternteil den persönlichen Verkehr mit dem Kind selbst gegen dessen Willen zu ermöglichen (RS0007336).
[21] 3.2. Nach den Feststellungen ist ungeklärt, was Ursache des schlechten Gesundheitszustands des Minderjährigen ist. Dadurch kann auch noch nicht abschließend beurteilt werden, ob die Mutter durch Bemühungen, seinem Widerstand entgegenzuwirken, überhaupt maßgeblich zu einem positiv erlebten Kontakt zum Vater beitragen könnte. Auch dieser Umstand wird im fortzusetzenden Verfahren abzuklären sein.
[22] 4. Dem Rekurs ist daher Folge zu geben. Das Erstgericht wird ergänzende Erhebungen durchzuführen und für eine Aufklärung im aufgezeigten Sinn zu sorgen haben.
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