Spruch:
Mit dem Eintritt der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches, der die Abwehr der Forderungen des geschädigten Dritten gegen den VN beinhaltet, nimmt nicht auch die Verjährungsfrist für den Befreiungsanspruch ihren Anfang
Für den Eintritt der Fälligkeit des Deckungsanspruches und damit für den Verjährungsbeginn ist nur entscheidend, ab wann der VN diesen Anspruch zu erheben berechtigt war, nicht hingegen eine schon früher bestandene Erfüllungsbereitschaft des Versicherers
OGH 13. November 1975, 7 Ob 173/75 (OLG Innsbruck 1 R 214/75; LG Innsbruck 25 Cg 620/74)
Text
Weil der Kläger als Rechtsanwalt im Jahre 1968 es versehentlich unterlassen hatte, zur Besicherung einer sich auf mehr als eine Million Schilling belaufenden Darlehensforderung seines Klienten Jakob L die Einverleibung einer Hypothek im ersten Rang zu Lasten der Liegenschaft EZ 358 II KG P zu erwirken, wurde er vom Landesgericht Innsbruck zu 1 Cg 98/71 am 9. Oktober 1973 verurteilt, an Jakob L einen Schadenersatz von 480.000 S samt 4% Zinsen am 22. Juli 1970 und die mit 140.257.92 S bestimmten Prozeßkosten zu bezahlen. In dem nachfolgenden, von beiden Teilen angestrengten Berufungsverfahren kam zwischen ihnen am 19. Feber 1974 vor dem Oberlandesgericht Innsbruck ein Vergleich zustande, auf Grund dessen der nunmehrige Kläger an Jakob L zu zahlen sich verpflichtete, und zwar bis längstens 31. März 1974 einen Teilbetrag von 300.000 S, bis längstens 30. November 1974 die restlichen 180.000 S und bis längstens 30. Juni 1975 die mit 160.000 S pauschalierten Prozeßkosten, sowie die bis dahin seit dem 22. Juli 1970 aufgelaufenen 4%igen Zinsen aus 480.000 S. In diesem Haftpflichtprozeß hatte der dort beklagte Kläger das Schadenersatzbegehren des Jakob L dem Gründe und der Höhe nach bestritten; im ersteren Belange unter anderem mit der Einwendung, der Meinung gewesen zu sein, daß zur Sicherung der Darlehensforderung seines Mandanten L lediglich die zu dessen Gunsten im ersten Rang gepfändete Liegenschaft EZ 11 II KG P mit Gasthof und Wohngebäude hätte dienen sollen, wogegen die Liegenschaft EZ 358 II KG P nach Abreißen des darauf befindlichen Nebengebäudes zum Verkauf als Tankstellenplatz vorgesehen gewesen wäre. Hätte der Kläger auch die Pfändung der letzteren Liegenschaft im ersten Rang veranlaßt, dann wäre bei der späteren Zwangsversteigerung der beiden Liegenschaften die Darlehensforderung L zur Gänze befriedigt worden. Am 22. Jänner 1974 übermittelte der Kläger die Schadensmeldung und den Schadenersatzprozeß betreffende Aktenkopien an die I Versicherungsaktiengesellschaft, die diese Schriftstücke am 18. Feber 1974 der Beklagten zugehen ließ, bei der der Kläger in der Zeit vom 15. Mai 1966 bis 6. November 1970 gegen die Folgen der gesetzlichen Haftpflicht für aus seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt erwachsende Vermögensschäden mit einer Versicherungssumme von 100.000 S abzüglich eines 10%igen Selbstbehaltes versichert war. Am 19. Feber 1974 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß am 31. Dezember 1972 Verjährung des fraglichen Versicherungsanspruches eingetreten sei und sie daher keine Zahlung leisten werde. Die am 20. Juli 1970 beim Landesgericht Innsbruck eingebrachte Schadenersatzklage war dem nunmehrigen Kläger am 22. Juli 1970 samt der Ladung zur ersten Tagsatzung zugestellt worden. In der Folgezeit war dieser der Meinung, den Schaden im Falle des Jakob L der Beklagten bereits angezeigt zu haben. Kurz vor der für den 19. Feber 1974 angesetzten Berufungsverhandlung beim Oberlandesgericht Innsbruck unterzog der Kläger seinen Handakt nochmals einer Durchsicht und stellte fest, daß darin der Durchschlag einer Schadensmeldung nicht vorhanden war. Daraufhin erstattete er die vom 22. Jänner 1974 datierte und bei der Beklagten am 18. Feber 1974 eingelangte Schadensmeldung. Deren verspätete Vornahme lag nicht in der Absicht des Klägers. Er hegte bis zur Beendigung des Haftpflichtprozesses die zuversichtliche Erwartung, die gegen ihn gerichteten Schadenersatzansprüche mit Erfolg abwehren zu können. Dem zwischen den Streitteilen geschlossenen Versicherungsvertrag lagen die "Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden" (AVBV) sowie die auf der Rückseite der betreffenden Versicherungspolizze abgedruckten "Besonderen Bedingungen" zugrunde.
Zu seinem Klagebegehren nach Zahlung von 90.000 S (= 100.000 S weniger 10% Selbstbehalt) machte der Kläger geltend, es seien für ihn erst bei Beendigung des Vorprozesses Bestand und Höhe der Schadenersatzansprüche des Jakob L festgestanden, weshalb er seinen Deckungsanspruch gegen die Beklagte nicht früher habe erheben können.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete Verjährung ein, wobei sie behauptete, daß dem Kläger schon im Jahre 1970 das Schadensereignis bekannt gewesen sei. Auch habe er seine Pflicht zur Schadensmeldung bewußtermaßen nicht erfüllt und damit eine Obliegenheitsverletzung im Sinne des Art. 5 AVBV begangen, die das Erlöschen seines Versicherungsanspruches mit sich gebracht habe.
Das Erstgericht erkannte nach dem Klagebegehren. Seiner Auffassung nach habe die Verjährung des klägerischen Versicherungsanspruches mit Ablauf des 31. Dezember 1974 ihren Anfang genommen, denn erst nach Abschluß des Haftpflichtprozesses habe der Kläger von der Beklagten Deckung verlangen können. Eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung des Klägers liege nicht vor. Allerdings stelle es eine grobe Fahrlässigkeit dar, daß er durch dreieinhalb Jahre keine Schadensanzeige erstattete, was aber ohne Einfluß auf die Feststellung des Versicherungsfalles sowie auf die Feststellung und den Umfang der vom Versicherer zu erbringenden Leistung geblieben sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Sie stimmte unter Bezugnahme auf Ehrenzweig, Deutsches (österr.) Versicherungsvertragsrecht, 183, 184 und auf die Entscheidungen SZ 19/108, SZ 33/90 und SZ 41/104 mit dem Erstgericht darin überein, daß der Beginn der in § 12 Abs. 1 VersVG normierten Verjährungszeit von der in § 11 VersVG geregelten Fälligkeit abhänge, die, wenn es sich um Geldleistungen des Versicherers handle, die Feststellung des Versicherungsfalles und des Umfanges der dem Versicherer obliegenden Leistung voraussetze. Der Einwurf der Beklagten als Berufungswerberin, es sei schon angesichts der Schadenersatzklage klar gewesen, daß gegen den nunmehrigen Kläger auf jeden Fall ein Schadenersatzanspruch von 100.000 S, also mindestens in der Höhe der Versicherungssumme bestehe, gehe daran vorbei, daß der Kläger den Schadenersatzanspruch auch dem Gründe nach bekämpft habe und die Entscheidung darüber wegen seines diesbezüglichen Prozeßvorbringens von einem umfangreichen Beweisverfahren abhängig gewesen sei. Daher sei der Kläger erst am 19. Feber 1974, als mit dem Abschluß des Vergleiches der Ausgang des Haftpflichtprozesses festgestanden sei, objektiv in der Lage gewesen, seinen Anspruch aus dem Versicherungsvertrag geltend zu machen. Demnach habe die zweijährige Verjährungszeit erst mit dem Ablauf des Jahres 1974 begonnen. Die gegenwärtige, am 8. Oktober 1974 eingebrachte Klage sei daher rechtzeitig erhoben worden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
In Verbindung mit ihrem Hinweis auf die rechtspolitische Bedeutsamkeit der nur zweijährigen Verjährungszeit des § 12 Abs. 1 VersVG für die Bildung von Schadensreserven durch den Versicherer und damit für eine geordnete Versicherungswirtschaft, versucht die Rechtsmittelwerberin zwischen der Obliegenheitsverletzung des Klägers, begangen durch Unterlassung der Schadensanzeige, und der Frage des Verjährungsbeginns einen der gegebenen Sachlage nicht gerecht werdenden Zusammenhang herzustellen, indem sie anführt, es könne nicht dem Versicherungsnehmer anheimgestellt werden, den Anfang der Verjährungszeit beliebig hinauszuschieben. Nun hat aber der letztere mit der erwähnten Obliegenheitsverletzung nichts zu tun, vielmehr kommt es für die Ingangsetzung des Laufes der Verjährungsfrist nur darauf an, wann die Beklagte als Haftpflichtversicherer Deckung zu leisten hatte. Das aber war unter den festgestellten Verhältnissen der Fall, als der Schadenersatzanspruch des Jakob L durch Vergleich am 19. Feber 1974 festgestellt war (§ 154 Abs. 1 Satz 1 letzter Fall VersVG; SZ 19/108). Da nun der Versicherungsnehmer die Frage des von ihm nach Bestand und Höhe bestrittenen Schadenersatzanspruches nicht mit dem Haftpflichtversicherer, sondern mit dem geschädigten Dritten im Prozeß zu klären hatte, spielt die Unterlassung der Schadensmeldung an den Versicherer hier keine Rolle, es wäre denn, daß sie, was aber festgestelltermaßen nicht zutrifft, die Feststellung des Versicherungsfalles oder der vom Versicherer zu erbringenden Leistung beeinträchtigt hätte. Verfehlt ist darum der in der Revision vorgebrachte Einwand, die Beklagte hätte den Schaden, wäre er ihr zur Kenntnis gelangt, schon im Jahre 1970 liquidiert, weil damals ohnehin schon festgestanden sei, daß er 90.000 S übersteige. Abgesehen davon nämlich, daß zu jener Zeit bei dem vom Kläger als Beklagten im Vorprozeß behaupteten Sachverhalt noch ungewiß war, ob dem Jakob L ein Schadenersatzanspruch überhaupt zustand, ist es für den Eintritt der Fälligkeit des Deckungsanspruches, sohin auch für den Verjährungsbeginn (§ 12 Abs. 1 Satz 2 VersVG) nur entscheidend, ab wann der Kläger diesen Anspruch zu erheben berechtigt war, nicht hingegen eine schon früher bestandene Bereitschaft der Beklagten, ihn zu erfüllen. Der Gedanke, daß die Fälligkeit des Versicherungsanspruches dessen Einforderbarkeit voraussetzt, liegt auch den Entscheidungen SZ 33/90 und SZ 41/104 zugrunde, weswegen diese entgegen der Meinung der Revisionswerberin vom Berufungsgericht zu Recht als Belege für seine Rechtsansicht herangezogen wurden.
Bei all dem soll nicht unerörtert bleiben, daß, was die Verjährungsfrage betrifft, die herrschende Meinung in der bundesdeutschen Fachliteratur und Rechtsprechung in eine andere Richtung weist. Danach bilden der dem Versicherungsnehmer gegen den Haftpflichtversicherer zustehende Rechtsschutz- und Befreiungsanspruch eine Einheit, so daß mit dem Eintritt der Möglichkeit der Geltendmachung des Rechtsschutzanspruches, der die Abwehr der Forderungen des geschädigten Dritten gegen den Versicherungsnehmer (Versicherten) beinhaltet, auch für den Befreiungsanspruch die Verjährungsfrist ihren Anfang nimmt (Prölß - Martin, VersVG[20], Anm. 1 zu § 149, 669/670; Stiefel - Wussow, Kraftfahrtversicherung[9], 423; Bruck - Möller - Johannsen, VersVG[8] IV, 73/74, 81, doch bemerkenswerterweise den Unterschied zwischen Rechtsschutz- und Entschädigungsfunktion des Haftpflichtversicherers betonend und die Einheitlichkeit der Verjährung abschwächend gleichfalls Bruck - Möller, VersVG[8] I, Anm. 13 zu § 12, 260 Abs. 3; RG 150, 227; BGH, VersR 1956, 187 u. a.). Diese Rechtsauffassung hat sich aber die österreichische Judikatur nie zu eigen gemacht, die denn auch gegenteilig zu dem auf die rechtskräftige Erledigung des Haftpflichtprozesses abstellenden Erkenntnis SZ 19/108 in der Folge, soweit sich dies überblicken läßt, nicht entschieden hat (vgl. VersR 1961 815 mit Glosse von Wahle; ferner SZ 27/206 = VersSlg. Nr. 54; allenfalls auch Wahle - Grubmann, Versicherungsvertragsgesetz, MGA 14 a, 158 ENr. 10). Im übrigen kommt man nicht daran vorbei, daß der Befreiungs- und der Rechtsschutzanspruch, die im Rechtsbereich der Bundesrepublik Deutschland nunmehr überwiegend als Ausformungen eines einzigen Gesamtanspruches angesehen werden, zwar im Versicherungsvertrag die nämliche Rechtsgrundlage haben, nach Zweck und Imhalt aber durchaus verschieden sind und in letzter Konsequenz nebeneinander gar nicht gleichzeitig bestehen können. Der Rechtsschutzanspruch ist nämlich ein solcher auf Abwehr von Forderungen Dritter (Art. 3 Abs. 6 lit. a AVBV), aber doch wohl nur von unberechtigten Forderungen, denn berechtigte sind, was dem fundamentalen Grundsatz von der Einheit der Rechtsordnung entspricht, nicht abzuwehren, sondern zu erfüllen. Deutlich genug bringt dies Art. 1 AKHB zum Ausdruck, wonach die Versicherung "die Befriedigung begrundeter und die Abwehr unbegrundeter Ersatzansprüche" umfaßt. Der Abwehranspruch mag sich im Einzelfall freilich erst hinterher als nicht gegeben herausstellen, sobald sich erweist, daß die Ersatzforderung des Dritten im vollen Umfang zu Recht besteht und daher der Befreiungsanspruch gegen den Versicherer Platz greift, wozu es gar nicht kommen könnte, wenn die Ersatzforderung vom Dritten zu Unrecht erhoben worden, die Abwehr also berechtigt und damit auch der Anspruch des Versicherungsnehmers auf die letztere begrundet gewesen wäre. Auch ist es denkbar, daß schon von vornherein nur der Befreiungs- nicht aber der Abwehranspruch in Betracht kommt, weil die Berechtigung des Ersatzbegehrens des Geschädigten für jeden verständigen Beurteiler der Sachlage außer jeden Zweifel steht. Demnach zeigt sich die weitgehende Eigenständigkeit beider dem Versicherungsvertrag entspringenden Ansprüche, so daß sich kein zwingender Grund ersehen läßt, warum die Verjährung des Rechtsschutzanspruches auch die des Befreiungsanspruches notwendig nach sich zöge, zumal dies auch gar nicht mit der für die Haftpflichtversicherung geltenden Fälligkeitsvorschrift des § 154 Abs. 1 VersVG im Einklang stunde. Die Kritik an dieser Bestimmung bei Bruck - Möller - Johannsen IV, 73/74, die besagt, daß diese Regelung dem Haftpflichtversicherungsschutz "in der modernen Ausprägung" nicht mehr gerecht werde, ist lediglich eine rechtspolitische Überlegung, die aber nichts daran zu ändern vermag, daß die letzterwähnte Vorschrift im Sinne ihres eindeutigen Wortlautes zu verstehen ist.
Da sich somit die Rechtsrüge als unbegrundet erweist, war der Revision nicht Folge zu geben.
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