OGH 3Ob392/54

OGH3Ob392/5414.7.1954

SZ 27/206

Normen

VersVG §12
VersVG §39
ZPO §468 Abs2
ZPO §482
VersVG §12
VersVG §39
ZPO §468 Abs2
ZPO §482

 

Spruch:

Verjährung bei Haftpflichtversicherung.

Die Wirkungen der Mahnung wegen Nichtzahlung einer Folgeprämie treten nur insoweit ein, als die Mahnung beim Adressaten wirklich eingelangt ist. Dem Versicherer liegt der Beweis ob, daß der Versicherungsnehmer diese Mahnung erhalten und wann er sie erhalten hat.

Die Vorschrift des § 468 Abs. 2 ZPO. bezieht sich nur auf jene Umstände und Beweise, die die angegebenen Berufungsgrunde widerlegen sollen. Das neue Vorbringen muß sich daher auf die Berufungsgrunde selbst beziehen, nicht aber auf die behaupteten Ansprüche und Gegenansprüche als solche.

Entscheidung vom 14. Juli 1954, 3 Ob 392/54.

I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Der Kläger ist bei der beklagten Partei gegen Haftpflicht versichert. Die am 1. Juni 1951 fällig gewordene Jahresprämie wurde erst am 10. August 1950 bezahlt. Am gleichen Tag - vor Einzahlung der Prämie - ereignete sich auf einer Baustelle des Klägers ein Unfall, der der beklagten Partei angezeigt wurde. Die Beklagte bestritt ihre Leistungspflicht unter Berufung darauf, daß sie infolge der qualifizierten Mahnung nach § 39 Abs. 2 VersVG. (§ 3 I Abs. 3 der Allgemeinen Haftpflichtbedingungen) am Unfallstag leistungsfrei gewesen sei, weil zur Zeit des Unfalls die rückständige Prämie noch nicht bezahlt war.

Nachdem die zuständige Krankenversicherungsanstalt des Verletzten erst am 23. Juni 1953 mit einer Schadenersatzforderung an den Kläger herangetreten war, forderte dieser die Beklagte neuerlich auf, eine Erklärung darüber abzugeben, daß sie ihm Rechtsschutz und Leistung für den Unfall gewähren werde und brachte, nachdem eine solche Erklärung nicht abgegeben wurde, die Feststellungsklage ein, die dahin lautete, der Beklagten gegenüber werde festgestellt, daß der Haftpflichtversicherungsvertrag am 10. August 1950 aufrecht und verbindlich gewesen sei und dem Kläger das Recht zustehe, Rechtsschutz und Leistung nach dem Versicherungsvertrag für diesen Haftpflichtfall zu begehren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht änderte ab und gab dem Feststellungsbegehren in einer vom Klagebegehren abweichenden Form statt.

Der Oberste Gerichtshof hob über Revision der beklagten Partei das Berufungsurteil wegen eines Verfahrensmangels auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erblickt die Revisionswerberin in zweifacher Richtung. Der von ihr angebotene Beweis durch Vorlage des Zahlungsabschnittes des Erlagscheines sollte nur der weiteren Stütze des erstrichterlichen Urteils und der Widerlegung der in der Berufungsschrift angegebenen Anfechtungsgrunde dienen. Es sollte damit dargetan werden, daß die Behauptung des Berufungswerbers, daß ein Mahnschreiben nicht eingegangen war, falsch sein mußte, weil auf dem Zahlungsabschnitt die Mahngebühr verzeichnet war. Zu einem solchen Vorbringen sei die Beklagte aber nach der Vorschrift nach § 468 Abs. 2 ZPO. berechtigt gewesen. Es handle sich daher um keine im Berufungsverfahren unzulässige Neuerung.

Dieser Auslegung des § 468 Abs. 2 ZPO. kann nicht beigepflichtet werden. Sie würde dazu führen, daß das Neuerungsverbot überhaupt hinfällig würde. Die Vorschrift des § 468 Abs. 2 ZPO. bezieht sich vielmehr nur auf jene Umstände und Beweise, die die angegebenen Berufungsgrunde widerlegen sollen. Das neue Vorbringen muß sich daher auf die Berufungsgrunde selbst beziehen, nicht aber auf die behaupteten Ansprüche und Gegenansprüche als solche (§ 482 Abs. 2 ZPO.). Die Behauptung, daß der Kläger den Erlagschein benützte, auf dem die Mahngebühr verzeichnet war, ist eine Prozeßbehauptung, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte aufgestellt werden müssen. Das Berufungsgericht ließ daher mit Recht diese Behauptung unbeachtet.

Die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wird aber auch darin erblickt, daß das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von der Feststellung des Erstgerichtes abgewichen ist, wonach dem Kläger die Mahnung zugegangen war. Die Frage, ob ein Beweis erbracht worden sei oder nicht, gehöre in das Gebiet der Tatsachenfeststellung.

Das Erstgericht hatte allerdings, worauf schon das Berufungsgericht hinwies, keine ausdrückliche Feststellung dahin getroffen, daß dem Kläger die Mahnung auch zugekommen war. Es nimmt dies aber nach den gegebenen Verhältnissen doch als erwiesen an. Da das Berufungsgericht die Schlußfolgerungen, auf Grund deren das Erstgericht zu dieser Überzeugung gelangt war, nicht als zwingend ansah, glaubte es ohne Beweiswiederholung diese Tatsache abweichend von der Meinung des Erstrichters beurteilen zu dürfen.

Nun gehören Fragen der natürlichen Ursächlichkeit (im Gegensatz zur juristischen) dann in das Gebiet der Beweiswürdigung und nicht in das der rechtlichen Beurteilung, wenn die Denkgesetze dabei nicht verletzt worden sind. Im vorliegenden Fall ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß die Gründe, die das Erstgericht für seinen Schluß anführt, nicht zwingend sind, weil danach immer noch die Möglichkeit offen blieb, daß die Sendung verlorengegangen oder aus irgendeinem anderen Gründe dem Kläger nicht zugegangen sein konnte. Das Erstgericht war aber zur Überzeugung gekommen, daß die Sendungen beim Kläger auch angekommen sind, nachdem es einerseits auf Grund der Aussage des Zeugen K. die Absendung des Briefes und die Tatsache, daß er nicht an den Absender zurückgelangt war, feststellte und anderseits den Kläger als Partei gehört hatte, der keineswegs den Empfang der Mahnung ausdrücklich bestritten hatte, sondern nur seine Annahme zum Ausdruck brachte, daß die Beklagte ihn wegen einer einmaligen Säumnis nicht gleich gemahnt haben würde. Wenn das Erstgericht dazu noch - wie es nach der Begründung den Anschein hat - die Erfahrung des täglichen Lebens heranzog, nach der im fraglichen Zeitpunkt die Organisation des Postzustelldienstes noch dazu innerhalb des gleichen Stadtgebietes so ausgebaut war, daß mit dem Verlust einer Briefsendung nur in den seltensten Fällen zu rechnen ist, dann erweist sich die als erwiesen angenommene Tatsache, daß die Sendung beim Kläger auch angekommen ist, nicht mehr als bloße Schlußfolgerung aus der Tatsache der Absendung und des Nichtzurücklangens der Sendung, sondern als Ergebnis einer Würdigung der Gesamtsituation, von der das Berufungsgericht, wenn es dagegen Bedenken hatte, nicht ohne Beweiswiederholung abgehen konnte.

Der geltend gemachte Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist daher in dieser Richtung gegeben.

In der Rechtsrüge wendet sich die Revisionswerberin zunächst gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Mahnung mittels eingeschriebenen Briefes zu erfolgen gehabt hätte. Diese Rechtsansicht hat das Berufungsgericht aber gar nicht ausgesprochen, es verlangte aber mit Recht die Erbringung des Beweises durch die Beklagte, daß die Mahnung dem Kläger auch tatsächlich zugegangen war. Diese Auffassung steht mit der Auffassung des Obersten Gerichtshofes im Einklang, der in den Entscheidungen vom 29. Dezember 1928, 2 Ob 1097/28, Rsp. 1929, Nr. 127, und vom 1. Februar 1933, 1 Ob 956/32, in Veröffentlichungen des BKA. betr. Vertragsversicherung 1933 Nr. 150 - entgegen der in 1 Ob 956/32 ausdrücklich abgelehnten Entscheidung vom 20. März 1929, 1 Ob 212/29, Rsp. 1929, Nr. 115 - ausgeführt hat, daß die Wirkungen der Mahnung nur insoweit eintreten, als die Mahnung beim Adressaten wirklich eingelangt ist und daß dem Versicherer der Beweis obliegt, daß der Versicherungsnehmer diese Mahnung erhalten hat und wann er sie erhalten hat.

Ferner wendet sich die Revisionswerberin noch gegen die Ablehnung der Einwendung der Verjährung. Sie verweist auf die im Kommentar Bruck - Möller ausgesprochene Ansicht, daß die Verjährung mit dem Schluß des Jahres beginnt, in dem die Verweigerung der Leistung erklärt worden ist. Da die schriftliche Ablehnung dem Kläger bereits 1950 erklärt worden sei, hätte er bereits seit damals die Feststellungsklage einbringen können.

Der Oberste Gerichtshof kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Sie findet im gesetzlichen Wortlaut keine Deckung. Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Haftpflichtfalles wohl sofort Versicherungsschutz verlangen, Leistung an den Dritten oder Ersatz des an den Dritten Geleisteten aber erst dann, wenn der Dritte Schadenersatz verlangt. Zweifelhaft kann nur bleiben, ob damit der Zeitpunkt gemeint ist, in dem der Dritte erstmals vom Versicherungsnehmer Ersatz verlangt (so ausdrücklich Art. 25 Abs. 2 des französischen VVG. und die deutsche Judikatur), oder der Zeitpunkt, in dem der Versicherungsnehmer rechtskräftig zu einer Zahlung an den Dritten verurteilt worden ist, so SZ. XIX/108 unter Anwendung des früheren österreichischen VersVG., die Entscheidung des Brünner OGH. vom 1. September 1933, Slg. OG. 12.761, die Entscheidung des schweizerischen Bundesgerichtes vom 14. Juni 1935, SVA. VIII, S. 287 und die Entscheidung des italienischen Kassationshofes vom 8. Februar 1938, Assicurazioni 1938, II, S. 274. Die Entscheidung dieser Streitfrage kann aber im vorliegenden Fall offen bleiben, weil es unbestritten ist, daß der Geschädigte erstmals am 23. Juni 1953 an den Kläger herangetreten ist. Die Verjährung ist daher, welcher Auffassung immer man sich anschließt, nicht eingetreten. Jedenfalls aber kann der Versicherungsnehmer auch vor rechtskräftiger Entscheidung über den Anspruch des Dritten auf Feststellung klagen, daß der Versicherer verpflichtet ist, ihn zu entschädigen, wenn dieser bestreitet, zur Gewährung des Versicherungsschutzes verpflichtet zu sein (OG. Brünn, Slg. OG. 12.761).

Die Revision erwies sich daher nur in der Richtung der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als begrundet.

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