OGH 7Ob171/15w

OGH7Ob171/15w19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in Lienz, gegen die beklagte Partei Wegegemeinschaft D*****, vertreten durch Dr. Martin Wöll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Erteilung einer Zustimmung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. August 2015, GZ 2 R 96/15g‑93, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00171.15W.1119.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Klägerin beschäftigt sich mit der Herstellung von Holzprodukten für die europäische Möbelindustrie. Im Rahmen dieser Tätigkeit errichtete sie eine zweite Produktionsstätte. Zur Absicherung gegen die stark schwankenden Strompreise und zur Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit beabsichtigt sie zur Deckung des Strombedarfs für den Drei‑Schicht‑Betrieb ein Wasserkraftwerk zu errichten.

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Verfahrens bildet die Frage, ob die beklagte Straßenverwalterin verpflichtet ist, die Zustimmung zu Verlegung, Betrieb und Erhaltung der Druckrohrleitung samt Zubehör im Straßenkörper der verwalteten Straße zu erteilen.

1.1 § 5 Tiroler Straßengesetz (Tir StraßenG) lautet auszugsweise:

„Sondergebrauch

(1) Ein Sondergebrauch bedarf außer in den gesetzlich bestimmten Fällen ‑ unbeschadet der hierfür allenfalls erforderlichen Bewilligungen ‑ der schriftlichen Zustimmung des Straßenverwalters,

(2) Die Zustimmung darf ‑ unbeschadet des Abs 6  ‑

a) nur erteilt werden, wenn der beabsichtigte Sondergebrauch die Schutzinteressen der Straße nicht beeinträchtigt,

b) nur unter Beschränkungen erteilt werden, soweit die Schutzinteressen der Straße dies erfordern.

Die Zustimmung darf nur befristet oder unbefristet auf jederzeitigen Widerruf erteilt werden. (...)

(6) Soweit bei einer Landesstraße, Gemeindestraße oder öffentlichen Interessentenstraße der Straßengrund im Eigentum des Landes, der Gemeinde bzw der Straßeninteressentschaft steht, haben diese ‑ unbeschadet Abs 1 und 2 ‑ die Benützung des Straßengrundes für die Errichtung, die Erhaltung und den Betrieb von

a) Anlagen, die öffentlichen Zwecken dienen

b) (...)

c) (...)

gegen ein angemessenes Entgelt zu gestatten. Eine solche Gestattung darf nur schriftlich, nur in Übereinstimmung mit der Zustimmung nach Abs 1 und nur befristet oder unbefristet auf jederzeitigen Widerruf eingeräumt werden. Mit dem Widerruf der Zustimmung nach Abs 3 gilt auch die Gestattung der Benützung des Straßengrundes als widerrufen.

(...)“

1.2 Die Materialien (Erläut LGBl Nr 13/1989 S 21 ff) lauten auszugsweise: „In Abs 2 werden die Voraussetzungen, unter denen die Zustimmung zu einem Sondergebrauch erteilt werden darf, festgelegt. Einem Sondergebrauch darf jedenfalls nur dann zugestimmt werden, wenn er mit den Schutzinteressen der Straße vereinbar ist (...).

Steht der Straßengrund einer öffentlichen Straße nicht im Eigentum des Straßenverwalters, so ist für die rechtmäßige Ausübung eines Sondergebrauchs sowohl die Zustimmung des Straßenverwalters als auch die Zustimmung des Grundeigentümers erforderlich. Ob der Straßenverwalter die Zustimmung zu erteilen hat oder nicht, ist ausschließlich nach Abs 2 zu beurteilen (...). Ob der Grundeigentümer die Zustimmung zur außerordentlichen Benützung des Straßengrundes gibt oder nicht, ist zufolge des auf dem Gebiet des Zivilrechts herrschenden Grundsatzes der Vertragsfreiheit seinem Belieben überlassen.

Diese Grundsätze können jedoch nicht analog auf jene Fälle angewendet werden, bei denen der Straßenverwalter auch Eigentümer des Straßengrundes ist (...). Der Straßenverwalter kann im Gegensatz zu einem privaten Grundeigentümer nicht nach freiem Ermessen entscheiden, ob er als Grundeigentümer einem Sondergebrauch zustimmt oder nicht (...). Durch die Übertragung der Straßenverwaltung wurde nämlich dem Straßenverwalter, was Zu‑ und Abfahrten betrifft, eine Monopolstellung gegenüber den Anrainern eingeräumt, weil diese ohne Benützung der öffentlichen Straße außer Stande sind, sich Zu‑ und Abfahrten zu ihren Liegenschaften auf andere Weise zu verschaffen. Auf Grund dieser Monopolstellung leitete der Oberste Gerichtshof (1 Ob 227/71) einen Kontrahierungszwang des Straßenverwalters ab. (...)

Die Bestimmung des Abs 6 trägt dem zitierten Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs dadurch Rechnung, dass dem Straßenverwalter in bestimmten Fällen ein Kontrahierungszwang auferlegt wird. Nach dieser Bestimmung werden das Land, die Gemeinden und die Straßeninteressentenschaften verpflichtet, Gestattungs-verträge abzuschließen, die privatrechtlich zur Benützung des in ihrem Eigentum stehenden Straßengrundes zur Errichtung, zur Erhaltung und zum Betrieb von Anlagen im Sinn der lit a bis c ermächtigen. (...) Die vom Obersten Gerichtshof im vorhin zitierten Erkenntnis aufgezeigte faktische Übermacht des Straßenverwalters ist jedoch nicht nur hinsichtlich der Zufahrten zu angrenzenden Grundstücken und der Einbindungen von Privatstraßen gegeben (lit b und c). Eine gewisse Monopolstellung des Straßenverwalters liegt auch gegenüber den Betreibern öffentlicher Ver‑ und Entsorgungsanlagen vor, sofern der Betreiber einer solchen Anlage nur als Träger von Privatrechten auftreten kann (...).

In den lit a bis c des Abs 6 werden also jene Fälle eines Sondergebrauchs angeführt, auf die das vorhin zitierte Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs sinngemäß angewendet werden kann und bei denen auch nach den bisherigen Erfahrungen aus der Praxis ein öffentliches Interesse an einem gesicherten Rechtsanspruch auf Benützung des Straßengrundes besteht. Bei öffentlichen Privatstraßen ist hingegen für keine Art von Sondergebrauch ein Kontrahierungszwang vorgesehen (...). Soweit es sich nicht um einen Sondergebrauch im Sinn der lit a bis c handelt, kann aber auch bei Landesstraßen, Gemeindestraßen und öffentlichen Interessentenstraßen der Straßenverwalter ‑ aus der Sicht des Straßengesetzes ‑ nach freiem Ermessen entscheiden, ob er einer außerordentlichen Benützung des Straßengrundes zustimmt oder nicht (...).“

1.3 Der Oberste Gerichtshof hat auch schon zu § 5 Abs 6 Tir StraßenG dahin Stellung genommen, dass diese Bestimmung unter den näher geregelten Voraussetzungen einen Kontrahierungszwang der dort genannten Grundeigentümer zum Abschluss eines Gestattungsvertrags statuiert (1 Ob 175/11h).

1.4 Die Klägerin argumentiert, § 5 Abs 2 Tir StraßenG auferlege auch dem Straßenverwalter, selbst wenn er nicht Grundeigentümer sei, einen gesetzlichen Kontrahierungszwang.

1.4.1 Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656). Dies ist hier der Fall.

1.4.2 Die Auslegung eines Gesetzes beginnt mit der Wortinterpretation, worunter die Erforschung des Wortsinns, der Bedeutung eines Ausdrucks oder eines Gesetzes nach dem Sprachgebrauch zu verstehen ist (RIS‑Justiz RS0008896). Dabei steckt der äußert mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung ab, die auch mit den sonstigen Interpretationsmethoden nicht überschritten werden darf (RIS‑Justiz RS0008788 [T2], RS0031382).

1.4.3 Das Tir StraßenG unterscheidet selbst und völlig unmissverständlich zwischen den beiden Eigenschaften der Straßenverwaltung und des Grundeigentums, sieht doch § 5 neben der im Abs 1 und 2 angeführten behördlichen Zustimmung des Straßenverwalters in Abs 6, wenn der Straßengrund im Eigentum der dort angeführten Grundeigentümer steht, in den genannten Fällen ausdrücklich eine Gestattungspflicht vor (6 Ob 191/05i, 7 Ob 287/05i).

Im Unterschied zu § 5 Abs 6 Tir StraßenG, in dem ausdrücklich angeordnet ist, dass die genannten Eigentümer „die Benützung zu gestatten haben“, spricht § 5 Abs 2 Tir StraßenG davon, dass der Straßenverwalter, „nur“ unter den dort genannten Voraussetzungen „die Zustimmung erteilen darf“. Bereits aus dem Wortlaut des § 5 Abs 2 ist damit ‑ entgegen der Ansicht der Klägerin ‑ eine gesetzliche Zustimmungspflicht des Straßenverwalters nicht ableitbar, impliziert das Wort „dürfen“ gerade kein „müssen“. Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich aber nicht nur allein aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut, sondern auch aus der Gegenüberstellung der Abs 2 und 6. Hätte der Gesetzgeber die Absicht gehabt, auch in § 5 Abs 2 leg cit einen Kontrahierungszwang zu normieren, hätte er dies durch den in Abs 6 gewählten Wortlaut leicht tun können.

1.4.4 Die Regelung des § 5 Abs 2 Tir StraßenG lässt damit eindeutig erkennen, dass dem Straßenverwalter, der ‑ wie hier ‑ nicht auch einer der in § 5 Abs 6 Tir StraßenG angeführten Grundeigentümer ist, kein gesetzlicher Kontrahierungszwang auferlegt wird. Dieses Verständnis wird auch durch die auszugsweise wiedergegebenen Materialien gestützt.

2. Neben den ‑ hier nicht gegebenen ‑ Fällen gesetzlich normierten Kontrahierungszwangs nehmen Lehre und Rechtsprechung unter gewissen Voraussetzungen einen „allgemeinen“ Kontrahierungszwang überall dort an, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloß formaler Parität diesem die Möglichkeit der „Fremdbestimmung“ über andere gibt, also insbesondere bei Innehabung einer Monopolstellung (RIS‑Justiz RS0016745 [T13], RS0016744). Die Pflicht zum Vertragsabschluss wird insbesondere dort bejaht, wo ein Unternehmen eine Monopolstellung inne hat, diese Stellung durch Verweigerung des Vertragsabschlusses sittenwidrig ausnützt und dem Interessenten zumutbare Ausweichmöglichkeiten fehlen. Aus den von der Rechtsprechung zum Kontrahierungszwang entwickelten Rechtssätzen ist abzuleiten, dass es dem Monopolisten ganz allgemein verwehrt ist, seine faktische Übermacht in unsachlicher Weise auszunützen (RIS‑Justiz RS0110808). Eine Pflicht zum Vertragsabschluss besteht dann nicht, wenn das Unternehmen für die Weigerung sachlich gerechtfertigte Gründe ins Treffen führen kann (RIS‑Justiz RS0016744 [T5]). Entbehren Unternehmen der öffentlichen Hand einer Monopolstellung sind sie dennoch soweit zum Vertragsabschluss verhalten, als dessen Verweigerung ihrer Pflicht zur Gleichbehandlung widerspräche. Der Vertragsabschluss darf jedenfalls nicht aus unsachlichen Gründen verweigert werden (RIS‑Justiz RS0016745 [T8]).

Ob solche Gründe vorliegen, aus denen ein Vertragsabschluss abgelehnt werden darf, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründen (RIS‑Justiz RS0016762 [T4]).

2.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen, die während der 2‑jährigen Bauphase des Kraftwerks ‑ selbst bei optimaler Planung und Durchführung ‑ über Monate dauernde wesentliche Beeinträchtigung der Nutzbarkeit der Straße für die Allgemeinheit stelle insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin nicht einmal behaupte, dass der Weiterbestand ihres Betriebs ohne das Kraftwerk gefährdet wäre, einen sachlichen Grund für die Verweigerung der Zustimmung durch die Beklagte dar, weshalb eine Verpflichtung zu einer Zustimmung weder aufgrund Monopolstellung noch aufgrund Gleichheitssatz in Betracht komme, ist zumindest vertretbar.

3. Davon ausgehend kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte überhaupt ein Kontrahierungszwang, sei es aufgrund allfälliger Monopolstellung, sei es aufgrund allfälliger Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes, treffen würde.

4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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