OGH 1Ob175/11h

OGH1Ob175/11h13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in Lienz, gegen die beklagte Partei Gemeinde D*****, vertreten durch Dr. Martin Wöll, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Zustimmung (Streitwert 35.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 14. Juli 2011, GZ 5 R 27/11a-16, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 15. April 2011, GZ 14 Cg 20/11b-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin beabsichtigt die Errichtung und den Betrieb einer Wasserkraftanlage, wobei eine Druckrohrleitung im Straßenkörper einer öffentlichen Interessentenstraße (§§ 16 ff Tir StraßenG) verlaufen soll. Diese Straße verläuft auch über eine Liegenschaft (öffentliches Gut) der beklagten Gemeinde, die ihre Zustimmung zur Verlegung der Rohrleitung auf ihrer Liegenschaft verweigert.

Die Klägerin begehrt nun, die Beklagte schuldig zu erkennen, als Eigentümerin der betreffenden Liegenschaft der Verlegung, dem Betrieb und der Erhaltung einer Druckrohrleitung samt Zubehör im Straßenkörper zum Zwecke der Errichtung des Betriebs einer Wasserkraftanlage gegen angemessenes Entgelt zuzustimmen. Die von ihr geplanten Maßnahmen stellten einen Sondergebrauch iSd § 2 Abs 6 Tir StraßenG dar. Aus § 5 Abs 6 lit a Tir StraßenG ergebe sich ein privatrechtlicher Kontrahierungszwang der beklagten Liegenschaftseigentümerin zum Abschluss eines (privatrechtlichen) Gestattungsvertrags gegen angemessenes Entgelt, weil die Benützung des (in einem bestimmten Abschnitt) im Eigentum der beklagten Gemeinde stehenden Straßengrundes für die Errichtung, die Erhaltung und den Betrieb einer Anlage erforderlich sei, die öffentlichen Zwecken diene.

Die Beklagte bestritt die Zulässigkeit des Rechtswegs. Ein zivilrechtlicher Anspruch auf Zustimmung zur Verlegung einer Druckrohrleitung in den Straßengrund bestehe nicht, weil die Verlegung einer Druckrohrleitung für einen privaten Kraftwerksbetreiber nicht vom Schutzzweck des Tir StraßenG erfasst sei. Es stehe der Klägerin frei, im Verwaltungsweg gemäß dem WRG Enteignungsanträge bzw Anträge auf Einräumung von Zwangsrechten zu stellen, was diese allerdings bisher erfolglos versucht habe, da das Kraftwerksprojekt nicht dem öffentlichen Interesse diene. Die vorliegende Klageführung erweise sich zudem als rechtsmissbräuchlich und schikanös, weil die Verwirklichung des Projekts auch bei Zustimmung eines einzigen von vielen von der Leitungsverlegung betroffenen Grundeigentümern nicht möglich sei und es der Klägerin ohnehin nicht gelingen werde, die notwendigen verwaltungsbehördlichen Bewilligungen für die Errichtung des Kraftwerks zu erlangen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Ob der Grundeigentümer die Zustimmung zur außerordentlichen Benutzung des Straßengrundes gibt oder nicht, stehe aufgrund des auf dem Gebiet des Zivilrechts herrschenden Grundsatzes der Vertragsfreiheit in seinem Belieben. Ein behaupteter Kontrahierungszwang könnte - bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen - lediglich gegenüber dem Straßenverwalter bestehen (hier: der Straßeninteressentschaft gemäß den §§ 20 ff Tir StraßenG), nicht jedoch gegenüber dem Eigentümer, der wegen der Vertragsfreiheit eine Gestattungsvereinbarung auch ablehnen dürfe. Es bestehe für die Klägerin die Möglichkeit, entsprechende Anträge auf Einräumung von Zwangsrechten in den entsprechenden Verwaltungsverfahren zu stellen. Zudem statuiere Art 94 B-VG ein grundsätzliches Verbot wechselseitiger Instanzenzüge, insbesondere ein Verbot der Überprüfung von Verwaltungsakten durch ordentliche Gerichte. Würde das ordentliche Gericht ein von der Verwaltungsbehörde abgelehntes Zwangsrecht auf dem Zivilrechtsweg erteilen, käme dies wohl einer Kontrolle gleich.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verwarf und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auftrug; weiters sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Für die Entscheidung über die Rechtswegszulässigkeit seien der Wortlaut des Begehrens und der Klagssachverhalt maßgebend. Ob eine Rechtssache vor ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde gehöre, richte sich in erster Linie nach den positiven Anordnungen des Gesetzgebers. Sonst seien für die Abgrenzung eines Akts zur Hoheits- oder zur Privatwirtschaftsverwaltung insbesondere die Verschiedenheit der Mittel und die Form des Handelns des Hoheitsträgers von Bedeutung. Eine Gebietskörperschaft werde im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig, wenn sie sich für ihr Handeln jener Rechtsformen bediene oder zu bedienen habe, die auch dem Rechtsunterworfenen zur Verfügung stehen. Daran, dass es sich beim Vorhaben der Klägerin um einen Sondergebrauch iSd § 2 Abs 6 Tir StraßenG handle, könne kein Zweifel bestehen, weil dazu etwa auch das Einlegen von Gleisen, Leitungen und ähnlichen Anlagen in den Straßenkörper gehöre. Dass die außerordentliche Nutzung eines Straßengrundes auch der Zustimmung des Straßengrundeigentümers bedürfe, stehe außer Frage, wobei der Grundsatz der Vertragsfreiheit herrsche, wenn es sich beim Eigentümer nicht um einen öffentlichen Rechtsträger handle. Stehe der vom Sondergebrauch tangierte Straßengrund hingegen im Eigentum des Landes, einer Straßeninteressentschaft oder - wie hier - einer Gemeinde, bestehe gemäß § 5 Abs 6 Tir StraßenG bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen eine Gestattungspflicht im Sinne eines Kontrahierungszwangs zum Abschluss eines ein Dauerschuldverhältnis begründenden privatrechtlichen Gestattungsvertrags, zumal Sondernutzungen am öffentlichen Gut regelmäßig auf privatrechtlicher Basis beruhten, sofern das Nutzungsrecht nicht insgesamt öffentlich-rechtlich ausgestaltet sei. Die Durchsetzung dieser privatrechtlichen Pflicht habe in Ermangelung entgegenlautender gesetzlicher Anordnungen im ordentlichen Rechtsweg stattzufinden.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten erweist sich als nicht zulässig, weil die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs von keiner iSd § 528 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage abhängt. Vorweg ist festzuhalten, dass der ersichtlich irrtümlich aufgenommene Beisatz „in Arbeits- und Sozialrechtssachen“ schon deshalb ohne Bedeutung ist, weil das Rekursgericht ohnehin in einem Senat aus drei Berufsrichtern entschieden hat und auch sonst keine Abweichung von den Verfahrensregeln der ZPO behauptet wird.

Die Auffassung des Rekursgerichts, § 5 Abs 6 Tir StraßenG statuiere unter den näher geregelten Voraussetzungen einen Kontrahierungszwang des „öffentlichen“ Grundeigentümers zum Abschluss eines Gestattungsvertrags mit demjenigen, der den Straßengrund für die Errichtung, die Erhaltung und den Betrieb einer öffentlichen Zwecken dienenden Anlage benützen will - und dem auch keine Schutzinteressen (§ 5 Abs 2 iVm § 2 Abs 9 Tir StraßenG) entgegenstehen -, begegnet keinen Bedenken und steht auch mit der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Einklang, die derartige Gestattungsverträge als privatrechtlich qualifiziert (vgl etwa 6 Ob 191/05i, 7 Ob 287/05i). Schon aus dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung, aus der die Klägerin den von ihr behaupteten Kontrahierungszwang ableitet, ergibt sich eine privatrechtliche Einordnung. So wird die Gestattung der Benützung des Straßengrundes „gegen ein angemessenes Entgelt“ vorgesehen, nicht etwa die Vorschreibung einer „Gebühr“ mit Bescheid, die in SZ 72/14 (6 Ob 280/98i) als denkbare gesetzliche Ausgestaltung erörtert wird. Auch die Anordnung, dass eine solche Gestattung „nur schriftlich“ eingeräumt werden darf, spricht für eine Einordnung ins Privatrecht, zumal im Verwaltungsverfahren nur die Erledigung eines Antrags mit Bescheid in Betracht käme, was hier jedoch nicht vorgesehen ist. Letztlich ist auch darauf hinzuweisen, dass § 75 Tir StraßenG in seinem Abs 2 lit a etwa die Zuständigkeit einer (Verwaltungs-)Behörde für Angelegenheiten nach § 5 Abs 3 bis 5 vorsieht, nicht aber für die Zustimmung nach § 5 Abs 6, der lediglich allgemein anordnet, dass der jeweilige Eigentümer (Land, Gemeinde, Straßeninteressentschaft) die Benützung zu gestatten hat. In der Literatur (Gstöttner, Tiroler Straßengesetz 51) wird darauf hingewiesen, dass § 5 Abs 6 Tir StraßenG einem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs zum Kontrahierungszwang Rechnung trage und bestimmten Eigentümern einen solchen auferlege, wobei die danach abzuschließenden Gestattungsverträge privatrechtlich zur Benützung ermächtigen.

Welche sachlichen Erwägungen es rechtfertigen könnten, § 5 Abs 6 Tir StraßenG so zu interpretieren, dass eine Gestattungspflicht nur dann bestünde, wenn Personenidentität zwischen dem Straßeneigentümer und dem Straßenverwalter besteht, ist nicht ersichtlich und wird von der Revisionsrekurswerberin auch nicht dargelegt. Im Übrigen betreffen derartige Bedenken nicht die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs, sondern der materiellen Berechtigung des Klagebegehrens, leitet die Klägerin ihren Anspruch doch ausschließlich aus einer grundsätzlich als privatrechtlich zu qualifizierenden Rechtsnorm ab. Ob deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, ist im derzeitigen Verfahrensstadium nicht zu prüfen; auch bei einem als unberechtigt erkannten Begehren muss ja geklärt werden, ob es vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde geltend zu machen ist. Entsprechendes gilt für die Einwendungen, der (beabsichtigte) Einbau einer Druckrohrleitung für ein Privatkraftwerk in einen Straßenkörper sei nicht als Sondergebrauch gemäß § 2 Abs 6 Tir StraßenG zu qualifizieren bzw die Vorschriften des WRG würden als Spezialregelungen den Anwendungsbereich von § 5 Abs 6 Tir StraßenG einschränken.

All dies wird erst im fortgesetzten Verfahren bei der meritorischen Prüfung des Klagebegehrens zu beurteilen sein.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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