Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Text
Begründung
Die Kläger sind Eigentümer des Hauses Alserstraße 45 in Wien. Der am 14. 10. 1996 verstorbene Dr. Hermann S***** war Mieter der in diesem Haus gelegenen 343 m2 großen, aus 5 Zimmern und Nebenräumen bestehenden Wohnung top Nr 6.
Die Kläger kündigten der beklagten Verlassenschaft nach Dr. Hermann S***** die Wohnung am 8. 8. 1997 auf. Als Kündigungsgründe machten sie § 30 Abs 2 Z 5 und 6 MRG geltend. Nach dem Tod des bisherigen Mieters diene das Bestandobjekt nicht dem dringenden Wohnbedürfnis eintrittsberechtigter Personen iSd § 14 Abs 3 MRG.
Die beklagte Partei wendete ein, der Sohn des verstorbenen Mieters Dr. Hermann Georg S***** habe mit diesem im selben Haushalt gewohnt und bewohne das Bestandobjekt nach wie vor. Er habe ein dringendes Wohnbedürfnis und sei eintrittsberechtigt.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam und verurteilte die beklagte Partei, die Wohnung binnen 14 Tagen zu räumen. Seine für das Revisionsverfahren wesentlichen Feststellungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der am 7. 8. 1898 geborene Dr. Hermann S***** mietete das streitgegenständliche Bestandobjekt am 11. 3. 1955 für Wohnzwecke und zum Betrieb einer Ordination. Mit seiner Ehefrau Dr. Ilse S*****, die als Kinderpsychologin ebenfalls ihre Ordination im Mietobjekt hatte, und seinen 1957 bzw 1959 geborenen Söhnen Hermann Georg und Andreas wohnte er dort bis 1964. Dann übersiedelte die Familie in ein Haus am Semmering, in dem Dr. Hermann S***** ein Kurhaus betrieb. Die Ehegatten Dr. S***** übten im Bestandobjekt, das sie nur anläßlich von Opern- und Theaterbesuchen weiterhin für Wohnzwecke benützten, allerdings weiter ihre Ordinationstätigkeit aus. 1972 stellte Dr. Ilse S***** ihre Ordination ein. Von ihrem Ehemann wurde die Ordination als praktischer Arzt in Wien im Jahr 1987 beendet. Von 1975 bis 1977 wurde das Bestandobjekt allein vom älteren Sohn Hermann Georg S***** ständig bewohnt; 1977 bis 1984 wohnte auch der jüngere Sohn Andreas dort. Im Jahr 1987 übertrug Dr. Hermann S***** die Leitung des Kurhauses am Semmering an seinen Sohn Dr. Andreas S***** und kehrte mit seiner Ehefrau in das streitgegenständliche Bestandobjekt zurück, das von ihnen in der Folge bis 1993 gemeinsam mit dem Sohn Dr. Hermann Georg S***** bewohnt wurde. Wegen seines immer schlechter werdenden Gesundheitszustandes wohnte Dr. Hermann S***** mit seiner Ehefrau seit Ende 1993 bis zu seinem Tod am 14. 10. 1996 ausschließlich im Kurhaus am Semmering und hielt sich im streitgegenständlichen Bestandobjekt nur mehr zu den Familienfesten bzw anläßlich von Opern- und Theaterbesuchen ca 3 bis 7 mal pro Jahr auf. Die Ehegatten S***** beabsichtigten vor dem Tod des Dr. Hermann S***** nicht, wieder in das streitgegenständliche Bestandobjekt zurückzukehren.
In rechtlicher Würdigung dieses festgestellten Sachverhaltes erachtete das Erstgericht den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG als gegeben. Dr. Hermann Georg S***** habe zwar zwischen 1987 und 1993 mit seinen Eltern in der gegenständlichen Wohnung einen gemeinsamen Haushalt geführt. Ein gemeinsamer Haushalt werde zwar grundsätzlich durch nicht allzu lange Unterbrechungen des Zusammenlebens nicht beendet. Bei dauernder Trennung, wenn also keine Absicht mehr bestehe, in das gemeinsam genützte Bestandobjekt zurückzukehren, werde der ursprünglich einmal vorhandene gemeinsame Haushalt aber beendet. Weil Dr. Hermann S***** nach 1993 nicht mehr die Absicht gehabt habe, in das streitgegenständliche Bestandobjekt zurückzukehren, sei im Zeitpunkt seines Todes kein gemeinsamer Haushalt mit Dr. Hermann Georg S***** mehr vorgelegen, weshalb dieser nicht eintrittsberechtigt im Sinne des § 14 MRG sei.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es verneinte im Unterbleiben einer von der beklagten Partei beantragten Zeugenvernehmung und der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von der beklagten Partei erblickte Verfahrensmängel, weil dieses Beweisanbot in Verschleppungsabsicht erhoben und daher vom Erstgericht zu Recht abgelehnt worden sei. Das Berufungsgericht erachtete auch die Tatsachen- und Beweisrüge der beklagten Partei für unberechtigt. Ausgehend daher von den Feststellungen des Erstgerichts billigte es auch dessen Rechtsansicht, wonach der Sohn des verstorbenen Mieters Dr. Hermann Georg S***** nicht eintrittsberechtigt sei. Soweit die beklagte Partei in der Berufung vorbringe, daß der Verstorbene in Entsprechung der vertraglichen Vereinbarung im verfahrensgegenständlichen Objekt eine Ordination betrieben habe und das Bestandobjekt nicht nur für Wohnzwecke, sondern auch zum Betrieb einer Ordination angemietet habe, handle es sich um ein unzulässiges neues Vorbringen im Sinne des § 482 ZPO, worauf nicht inhaltlich einzugehen sei.
Rechtliche Beurteilung
Diese letzteren Ausführungen des Berufungsgerichtes weichen, wie die außerordentliche Revision der beklagten Partei zutreffend bemerkt, von der oberstgerichtlichen Judikatur ab, die eine Änderung der rechtlichen Argumentation einer Partei bzw die Geltendmachung eines neuen Gesichtspunktes bei der rechtlichen Beurteilung auch im Rechtsmittelverfahren als zulässig bezeichnet, sofern die hiezu erforderlichen Tatsachen bereits im Verfahren erster Instanz behauptet oder festgestellt wurden (siehe die zahlreichen Entscheidungsnachweise in RIS-Justiz RS0016473). Zwar hat die beklagte Partei in erster Instanz kein Vorbringen dahin erstattet, daß - entgegen der von den Klägern offenbar vertretenen Ansicht - nicht ausschließlich Wohnraum- sondern auch Geschäftsraummiete vorliege. Das Erstgericht hat aber festgestellt, daß Dr. Hermann S***** die Wohnung top Nr 6 nicht nur für eigene Wohnzwecke, sondern auch ausdrücklich zum Betrieb einer Ordination angemietet hatte. Die an diese Feststellung anknüpfende Kritik der Revisionswerberin daran, daß sich das Berufungsgericht mit ihrem rechtlichen Einwand, die Kläger hätten im Hinblick auf die demnach vorliegende Geschäftsraummiete den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 7 MRG geltend zu machen gehabt, nicht inhaltlich auseinandergesetzt hat, vermag aber dennoch keine einen Revisionsgrund bildende Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht aufzuzeigen; der betreffende Einwand der beklagten Partei hält nämlich einer meritorischen Untersuchung nicht stand:
Ob ein Hauptmietvertrag über eine Wohnung oder ein solcher über Geschäftsräume vorliegt, hängt nach einhelliger Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0070039) davon ab, ob der Mietgegenstand nach der Parteienabsicht bei Abschluß des Mietvertrages zu Wohnzwecken oder zu Geschäftszwecken in Bestand gegeben und genommen wurde oder welcher Zweck von den Parteien später einvernehmlich zum Vertragszweck gemacht worden ist.
Hinsichtlich der Frage, ob ein Mietgegenstand, der nach der Parteiabsicht sowohl für Wohn- als auch für Geschäftszwecke verwendet wird, als Wohnung oder Geschäftslokal zu qualifizieren ist, ist - wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 5 Ob 513, 514/94 hingewiesen hat - die Rechtsprechung nicht einhellig. Nach einem Teil der Entscheidungen, die die nach ihrem Wortlaut für die Zinsbildung maßgebliche Bestimmung nach § 16 Abs 1 Z 1 MRG analog anwenden, liegt ein Geschäftslokal dann vor, wenn die Verwendung für Geschäftszwecke bedeutend überwiegt (RdW 1986, 241). Nach anderen Entscheidungen, die eine analoge Anwendung der Zinsbildungsvorschrift als Beurteilungskriterium für andere Fragen als die Zinsbildung ablehnen, hängt die Beurteilung davon ab, ob der Bestandgegenstand nach der vielfach auch in der Verkehrsauffassung zum Ausdruck kommenden Parteiabsicht (bloß) überwiegend (nicht bedeutend überwiegend) zu Wohn- oder Geschäftszwecken verwendet wird (MietSlg 19.341; SZ 47/4;
MietSlg 30.404; MietSlg 41.341); wobei auch zum Ausdruck gebracht wurde, daß der Geschäftszweck maßgebend ist, wenn Wohn- und Geschäftszweck einander die Waage halten (SZ 8/264; MietSlg 8227;
MietSlg 41.341). Auf diese unterschiedliche - zum Teil zinsrechtliche Fragen betreffende, zum anderen für die Kündigungsmöglichkeit bedeutsame - Beurteilung braucht hier aber nicht eingegangen zu werden, weil das gegenständliche Bestandobjekt nach den vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht zur Gänze übernommenen Feststellungen bereits seit 1987 ausschließlich für Wohnzwecke verwendet wurde. Daß das mit Wissen der Vermieter geschah, kann nach den festgestellten Umständen nicht zweifelhaft sein. Daraus folgt, daß die Parteienabsicht von einer Widmung des Bestandgegenstandes entsprechend der tatsächlichen Verwendung als Wohnraum ausging (vgl neuerlich 5 Ob 513, 514/94). Unter diesen Gegebenheiten haben die Kläger und mit ihnen die Vorinstanzen zutreffend die für Wohnungen geltenden Kündigungsbestimmungen für maßgebend erachtet - hier also § 30 Abs 2 Z 5 MRG.
Die beklagte Partei wirft aber auch sonst in der Revision keine im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfragen auf. Außer der bereits untersuchten "Geschäftslokalproblematik" macht die Revisionswerberin nur noch eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend, die darin liegen soll, daß die Aufnahme von Beweisen unterblieb, was bereits mit der Berufung erfolglos gerügt wurde. Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die schon in der Berufung geltend gemacht, vom Berufungsgericht jedoch verneint wurden, können aber nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr in der Revision gerügt werden (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 503 mwN). Dieser Grundsatz gilt zwar nicht, wenn das Berufungsgericht einen Verfahrensmangel erster Instanz infolge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht wahrgenommen hat; in diesem Fall liegt ja ein Feststellungsmangel vor, der mit der Rechtsrüge geltend zu machen ist (Kodek aaO mwH). Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin ist ein solcher Fall hier aber nicht gegeben, was keiner weiteren Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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