OGH 7Ob108/13b

OGH7Ob108/13b17.9.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. E***** E*****, vertreten durch Zumtobel Kronberger Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Anlegerentschädigung von Wertpapierfirmen GmbH, Rainergasse 31/8, 1040 Wien, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 14.400 EUR sA, über die Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 800 EUR sA) und beklagten Partei (Revisionsinteresse: 13.600 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Februar 2013, GZ 16 R 13/13v-31, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 31. Oktober 2012, GZ 55 Cg 68/10i-25, teilweise abgeändert wurde, zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

I. Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird im Punkt 1 dahin abgeändert, dass das Ersturteil zur Gänze wiederhergestellt, also auch im Zuspruch von Zinseszinsen bestätigt wird.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 299,50 EUR (darin 49,90 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

II. Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 908,64 EUR (darin 151,44 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Unstrittig ist, dass die Beklagte die nach § 32 Z 8 WAG idF BGBl I Nr 743/1996 (WAG 1996) eingerichtete Entschädigungseinrichtung nach §§ 23b bis 23d WAG 1996 ist. Die AMIS-Asset Management Investment Services AG (AMIS-A) und ihre Tochtergesellschaft AMIS Financial Consulting AG (AMIS-F) waren Mitglieder der Beklagten. Dem AMIS SICAV-Fonds, welcher unter der tatsächlichen Einflussnahme der AMIS-A und AMIS-F stand, wurden zumindest teilweise Gelder zugeführt. Die Verfügungsanweisungen an die Depotbanken erfolgten nicht im Namen der Anleger, sondern im Namen von AMIS-A und AMIS-F. Im November 2005 wurde über das Vermögen beider AMIS Gesellschaften der Konkurs eröffnet. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz wurden aus dem SICAV-Fonds keine Gelder an den Kläger geleistet.

Der Kläger vereinbarte mit AMIS-A und AMIS-F, aufbauend Vermögen zu veranlagen, und investierte ab 1. 3. 2004 insgesamt 13.600 EUR. Es wurde ihm ein Anlegerzertifikat ausgestellt, in dem unter dem Titel: „Zweit-/Dritt-/Viert-/zeichner und Verfügungsberechtigung“ seine Ehefrau eingetragen war, mit den weiteren Worten: „gemeinsame Zeichnungsberechtigung“. Er übermittelte der Beklagten erst während des Verfahrens am 30. 3. 2011 das Anlegerzertifikat und ein Konvolut an Überweisungen. Mit der Beilage ./R erklärte die Ehefrau des Klägers, dass das veranlagte Geld aus dem Vermögen des Klägers stamme und dass sie mit sämtlichen Dispositionen einverstanden sei.

Der Kläger begehrt von der Beklagten (auch zuletzt noch) die Zahlung von 14.400 EUR sA, weil er in dieser Höhe investiert habe; in eventu die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche Schäden aus seinem Investment bei AMIS.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung und wendete - soweit noch von Bedeutung - ein, der Kläger sei nicht aktiv legitimiert, weil für eine wirksame Anmeldung der Forderung auch seine Ehefrau hätte beteiligt sein müssen; der Anspruch sei daher gemäß § 23c Abs 2 WAG 1996 verfristet. Die Forderung sei vor der Gesamtauswertung durch den Sachverständigen Mag. W***** Mitte April 2012 nicht zu überprüfen gewesen. Ansprüche gegenüber dem SICAV-Fonds seien vorrangig. Ein Zuspruch sei nur Zug um Zug gegen Abtretung der Forderungen gegen SICAV möglich. Das Klagebegehren sei auf das Treuhandvermögen nach WAG 1996 zu konkretisieren, weil zwischen diesem und jenem nach WAG 2007 zu unterscheiden sei. Es könne nur eine quotenmäßige Verteilung erfolgen, weil das Vermögen der Beklagten nicht für alle Anleger ausreiche.

Das Erstgericht verpflichtete die Beklagte, dem Kläger 13.600 EUR samt 4 % Zinsen und 4 % Zinseszinsen jeweils seit 31. 12. 2011 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution in das Treuhandvermögen zu bezahlen und wies das Mehrbegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, jener der Beklagten teilweise Folge. Es bestätigte das Ersturteil mit Ausnahme des Zuspruchs der Zinseszinsen. Dieses Begehren sei abzuweisen, weil eine Verzinsung durch Zinseszinsen zu einem späteren Zeitpunkt als jenem der Streitanhängigkeit nicht in Betracht komme.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung zu folgenden Fragen fehle:

- Subsidiarität der Entschädigungsansprüche nach dem WAG 1996 gegenüber Ansprüchen der Anleger gegen die Insolvenzmasse der beiden SICAV-Fonds in Luxemburg.

- Legalzession auch für Ansprüche der Anleger gegen die Insolvenzmasse der SICAV-Fonds in Luxemburg bei vorheriger Erfüllung der Entschädigungsansprüche durch die Entschädigungseinrichtung.

- Anwendbarkeit des Mittelaufbringungssystems nach der WAG-Novelle BGBl I 39/2009 auf den AMIS-Entschädigungsfall.

- Analoge Anwendung der Regeln über den Deckungskonkurs nach § 16 Abs 2 EKHG bzw § 156 Abs 3 VersVG bei unzureichendem Treuhandvermögen nach § 76 Abs 6 WAG 2007.

Gegen die Abweisung des Mehrbegehrens von 800 EUR und des Zinseszinsenbegehrens richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Revision der Beklagten wendet sich gegen die Stattgebung des Klagebegehrens mit dem Antrag, das Klagebegehren auch in diesem Umfang abzuweisen, und weiteren Eventualanträgen, die ihren Einwendungen (und den daraus abzuleitenden Eventualanträgen) entsprechen.

Die Parteien beantragen jeweils, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen; jedenfalls ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig und auch teilweise berechtigt, jene der Beklagten ist nicht zulässig.

Zur Revision des Klägers:

Soweit sich der Kläger gegen die Abweisung des Mehrbegehrens wendet, weist die Revisionsbeantwortung der Beklagten zutreffend darauf hin, dass er nicht von der - im Revisionsverfahren unangreifbaren - Tatsachengrundlage der angefochtenen Entscheidung ausgeht; danach sind hier nämlich nur 13.600 EUR (und nicht 14.400 EUR) veranlagt worden. Was den weiterhin begehrten Mehrbetrag von 800 EUR betrifft, ist die Revision somit nicht dem Gesetz entsprechend ausgeführt.

Darüber hinaus macht der Revisionswerber nur noch geltend, auch das Berufungsgericht hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung - wie das Erstgericht - „jedenfalls Zinseszinsen zusprechen müssen“; der § 1000 Abs 2 ABGB, wonach Zinseszinsen vom Tag der Streitanhängigkeit gefordert werden können, schließe einen „späteren Zeitpunkt der Verzinsung“ nicht aus. Die Fälligkeit müsse bis spätestens zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetreten sein. Waren die Zinseszinsen erst nach Klagseinbringung fällig, könnten sie „ab diesem Zeitpunkt“ (den die Revision nicht konkret bezeichnet) begehrt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat in vergleichbaren Fällen bereits wiederholt ausgesprochen, dass kein Grund dafür ersichtlich ist, weshalb der Lauf der Zinseszinsen nicht auch nach Streitanhängigkeit (das heißt Zustellung der Klage an die beklagte Partei - § 232 ZPO) beginnen sollte, wenn die Voraussetzungen dafür (fällige Zinsen, die eingeklagt werden) erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten. Der Kläger ist somit ab dem nach Streitanhängigkeit gelegenen Zeitpunkt der Fälligkeit (hier ab 31. 12. 2011) berechtigt, Zahlung der gesetzlichen Zinseszinsen zu begehren (10 Ob 27/13p mwN; 9 Ob 37/13a; 2 Ob 77/13g; 6 Ob 49/13v; 7 Ob 74/13b).

Die Revision des Klägers erweist sich daher - wie im Spruch ersichtlich - als teilweise berechtigt.

Zur Revision der Beklagten:

Die Zurückweisung der Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführungen der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Die als erheblich geltend gemachten Rechtsfragen wurden mittlerweile von der Judikatur geklärt.

Zur Frage der Beschränkung der Haftung der Beklagten auf das Treuhandvermögen „gemäß § 23c WAG 1996 iVm § 76 Abs 6 WAG idF BGBl I Nr 107/2007“ wurde bereits judiziert, dass in Fällen wie dem vorliegenden der Rechtsgrund (das Gesetz) für die Haftung der Beklagten derselbe ist. Die eingeführte Änderung zielt gerade darauf ab, die Beklagte durch den in Form eines Treuhandvermögens neu definierten Haftungsumfang auch hinsichtlich bereits geltend gemachter Ansprüche vor einem Insolvenzrisiko zu schützen (9 Ob 50/09g: 9 Ob 35/13g). Es bestehen nicht zwei getrennte Treuhandfonds, sondern es gibt nur ein einheitliches Treuhandvermögen (9 Ob 50/09g; 9 Ob 35/13g; 1 Ob 21/13i; 1 Ob 31/13k; 9 Ob 37/13a; 6 Ob 49/13v).

Nach gefestigter Rechtsprechung sind Entschädigungsforderungen des Anlegers nach dem WAG unabhängig vom Konkursverfahren anzumelden und nach der vorgesehenen Prüfung durch die Beklagte ohne Rücksicht auf den Verfahrensstand im Konkursverfahren des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder der SICAV-Fonds zur Zahlung fällig. Es gilt das Prioritätsprinzip, sodass es nicht zu einer quotenmäßigen Befriedigung der Anleger durch die Beklagte kommt, falls ihr Vermögen zur Befriedigung aller Anspruchsberechtigter nicht ausreicht (2 Ob 171/12d; 4 Ob 182/12m; 1 Ob 21/13i; 9 Ob 37/13a; 6 Ob 49/13v; 2 Ob 77/13g). Demnach liegen auch die von der Beklagten behaupteten sekundären Feststellungs- bzw Verfahrensmängel bezüglich des Anspruchs des Klägers gegenüber dem SICAV-Fonds nicht vor (9 Ob 55/12x; 10 Ob 27/13p). Die Beurteilung, dass es keiner weiteren Feststellungen dazu bedarf, welche Quoten im Konkursverfahren über die luxemburgischen SICAV-Fonds zu erwarten sind, hält sich im Rahmen der Judikatur.

Die Beklagte will mit ihrem Zug-um-Zug-Begehren offenkundig Rückforderungsansprüche gegenüber den SICAV-Liquidationsmassen sicherstellen. Den Zug-um-Zug-Einwand verwarf bereits die Entscheidung 9 Ob 37/13a:

Die Konstellation, dass die in der Liquidationsmasse des SICAV-Fonds vorhandenen Gelder von Wertpapierdienstleistungsunternehmen mittelbar gehalten wurden, begründet den Entschädigungsfall (so schon 9 Ob 50/09g). Würde man in einem solchen Fall den gesetzlichen Rückgriff gerade gegen denjenigen Rechtsträger versagen, bei dem die unter dem Einfluss des Wertpapierdienstleisters veranlagten Gelder vorhanden sind und gegen den ein Anleger auch ein direktes Forderungsrecht hat, so würden der Beklagten besonders raffinierte Umgehungskonstruktionen des Wertpapierdienstleisters grundlos zum Nachteil gereichen. Ein derart einschränkendes Verständnis des gesetzlichen Rückgriffs gebietet auch Art 12 der Richtlinie 97/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. März 1997 über Systeme für die Entschädigung der Anleger nicht, wonach unbeschadet anderer Rechte auf Grund einzelstaatlicher Rechtsvorschriften die Systeme, die Zahlungen zur Entschädigung der Anleger leisten, berechtigt sind, „beim Liquidationsverfahren in Höhe der von ihnen geleisteten Zahlung in die Rechte dieser Anleger einzutreten“. Selbst wenn man aber eine Legalzession nach § 1358 ABGB verneinen wollte, so käme auf Grund der im Umfang des Entschädigungsbetrags bestehenden gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten und der SICAV-Fonds bei Zahlung der Beklagten die Regressregel des § 896 ABGB zum Tragen. Auch in diesem Fall bedarf es keiner rechtsgeschäftlichen Abtretung einer Forderung durch den Kläger, weil der Regressanspruch bereits von Gesetzes wegen besteht. Dass die Beklagte auch nach tatsächlicher Entschädigung eines Anlegers und infolge eines gesetzlichen Regressanspruchs keine Ansprüche gegenüber den SICAV-Fonds geltend machen könnte, hat sie nicht behauptet.

Diesen Ausführungen folgten bereits die Entscheidungen 6 Ob 49/13v und 2 Ob 77/13g. Die Rechtsfrage ist damit ebenfalls schon geklärt.

Wenn die Revisionswerberin weiterhin den Einwand der mangelnden Aktivlegitimation des Klägers erhebt, ist ihr entgegenzuhalten, dass dem Zertifikat gar nicht zu entnehmen ist, dass auch die alleinige Verfügungs- oder Zeichnungsberechtigung des Klägers - auf den alleine das Zertifikat lautete - beschränkt werden sollte. Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass auch der Kläger nur mitzeichnungsberechtigt gewesen sein sollte, wäre es jedenfalls vertretbar, die Erklärung seiner Frau in der Beilage ./R dahin zu beurteilen, dass er darin von ihr mit alleiniger Zeichnungsberechtigung ausgestattet wurde (vgl dazu Apathy/Iro/Koziol, Bankvertragsrecht² II Rz 1/97 mwN).

Insgesamt werden von der Revision der Beklagten somit keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht.

Zu den Kosten:

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 43 ZPO. Die Abänderung des angefochtenen Urteils in Bezug auf das (geringfügige) Durchdringen des Klägers mit dem - für den Kostenersatz nicht relevanten - Zinseszinsenbegehren war für die Entscheidung über die Verfahrenskosten bedeutungslos. Da der Kläger hinsichtlich des (auch in der Revision aufrecht erhaltenen) Mehrbegehrens von 800 EUR zur Gänze unterlag, hat er der Beklagten die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen. Die Beklagte ist jedoch, weil der Kläger auf die Unzulässigkeit ihrer Revision hinwies, zum Ersatz der Kosten seiner Revisionsbeantwortung verpflichtet.

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