OGH 6Ob62/09z

OGH6Ob62/09z2.7.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Stephan O*****, vertreten durch Opperer - Schartner Rechtsanwälte GmbH in Telfs, und deren Nebenintervenienten 1. O***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Manfred Opperer, Rechtsanwalt in Telfs, 2. Dr. Manfred O*****, vertreten durch Mag. Dr. Gerhard Schartner, Rechtsanwalt in Telfs, 3. Mag. Dr. Gerhard S*****, vertreten durch Dr. Manfred Opperer, Rechtsanwalt in Telfs, gegen die beklagte Partei Mag. Gerald H*****, vertreten durch Dr. Andreas Oberhofer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Februar 2009, GZ 2 R 269/08p-14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 4. August 2008, GZ 6 Cg 51/08y-8, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit 6.466,70 EUR (darin 883,12 EUR Umsatzsteuer und 1.168 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Ortsparteiobmann der Ö***** in T***** und seit 7. 1. 2004 Bürgermeister der Marktgemeinde T*****. Der Beklagte ist Landesparteiobmann der F***** Tirol und Landtagsabgeordneter. Der Zweit- und der Drittnebenintervenient führten bis 2. 1. 2001 eine Kanzleigemeinschaft mit Sitz in T*****, und zwar auch bereits im Jahr 1998, als der Kläger noch als Konzipient in I***** tätig war. Ab seiner Eintragung als Rechtsanwalt am 3. 1. 2001 war der Kläger in der ab diesem Zeitpunkt bestehenden O***** ***** Rechtsanwaltskanzlei tätig, die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts fungierte. Diese wurde am 7. 2. 2006 in die mit Gesellschaftsvertrag vom 25. 1. 2006 gegründete Erstnebenintervenientin eingebracht, die am 7. 2. 2006 ins Firmenbuch eingetragen wurde. Mitgesellschafter des Klägers in den beiden Gesellschaften waren jeweils der Zweit- und der Drittnebenintervenient; der Zweitnebenintervenient ist auch der Vater des Klägers.

Im Jahr 1998 verkaufte das ***** R***** K*****, Bezirksstelle T***** des Landesverbands Tirol (kurz: R***** K*****), eine Liegenschaft an die T***** Union ***** (***** [kurz: A*****]), wobei der Zweitnebenintervenient im Auftrag des R***** K***** den Kaufvertrag errichtete. Dem ging eine umfangreiche Korrespondenz mit den zuständigen Gremien der A***** in W***** voraus.

Am 22. 12. 1998 zeigten der Zweit- und der Drittnebenintervenient den Rechtserwerb der A***** bei der Bezirkshauptmannschaft I*****, Grundverkehrsbehörde T*****, an, wobei sie namens und als bevollmächtigte Vertreter der A***** auftraten. Im Rechtsmittelverfahren - der Landesgrundverkehrsreferent hatte die grundverkehrsbehördliche Genehmigung des Kaufvertrags angefochten - wurde vom Zweitnebenintervenienten eine Stellungnahme gefordert, wonach bestimmte Personen der A***** bzw deren Mitgliedsvereine zumindest überwiegend österreichische Staatsangehörige seien. Der Zweitnebenintervenient nahm diesbezüglich mit der A***** Kontakt auf, erhielt eine entsprechende Erklärung übermittelt und legte diese der Grundverkehrsbehörde vor. Daraufhin zog der Landesgrundverkehrsreferent sein Rechtsmittel zurück. Am 4. 12. 1999 schlossen das R***** K***** und (unter anderem) die A***** einen Räumungsvergleich, bei dem der Zweit- und der Drittnebenintervenient das R***** K***** vertraten; am 5. 7. 2000 brachten der Zweit- und der Drittnebenintervenient in Vertretung des R***** K***** und der A***** eine Grundbuchseingabe ein. Im Jahr 2005 trat die A***** an den Kläger (als Bürgermeister) im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebetsturms (Minarett) heran, woraufhin Verhandlungen über die Einräumung von Dienstbarkeiten zugunsten der Marktgemeinde T***** auf der Liegenschaft der A***** geführt wurden. Nach Fassung eines entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses beauftragte der Kläger seinen Vater mit der Errichtung eines Dienstbarkeitsvertrags und eines Nachtrags dazu. Darin ging es um die Unterlassung jeglicher das ortsübliche Ausmaß überschreitender Lärmbeeinträchtigung, insbesondere durch Beschallung des Gebetsraums oder der Gebetssäule, weiters durch Gebetsaufruf durch einen Muezzin oder ähnliches sowohl im Zuge der Errichtung als auch des Bestandes von Gebetsraum und Gebetssäule. Der Zweitnebenintervenient übermittelte einen Entwurf des Dienstbarkeitsvertrags an die A***** zur Überprüfung, Bekanntgabe allfälliger Änderungswünsche und Unterfertigung. Darüber hinaus entfaltete er im Zusammenhang mit dem Dienstbarkeitsvertrag gegenüber der A***** keine Beratungstätigkeiten.

Am 14. 11. 2005 leitete der Kläger als Baubehörde erster Instanz die Bauverhandlung für die Errichtung des Gebetsturms. In dieser Bauverhandlung lehnte eine Anrainerin den Kläger mit der Begründung als befangen ab, der Dienstbarkeitsvertrag sei (ebenfalls) von der Kanzlei abgefasst, in welcher der Bürgermeister tätig sei. Der Kläger erklärte sich nicht für befangen und verwies darauf, dass der Dienstbarkeitsvertrag im Auftrag der Marktgemeinde errichtet worden sei; zum Zeitpunkt der Errichtung des Kaufvertrags im Jahr 1998 sei er weder Rechtsanwalt noch Bürgermeister gewesen.

Der Beklagte erfuhr von diesem Ablehnungsantrag aus den Medien. Er versuchte, Informationen einzuholen, woraufhin er an den Genehmigungsbescheid der Grundverkehrsbehörde aus dem Jahr 1999 und die Information gelangte, dass der Zweitnebenintervenient den Kaufvertrag abgewickelt hatte. Er wandte sich daraufhin am 7. 2. 2006 an die Tiroler Rechtsanwaltskammer, die jedoch nach Einholung einer Stellungnahme des Klägers am 11. 4. 2006 das Vorliegen einer Kollision oder einer Befangenheit verneinte. Diese Auskunft übermittelte der Beklagte dem Leiter der Gemeindeabteilung des Landes Tirol mit dem Ersuchen um Rechtsauskunft zu einer allfälligen Befangenheit des Klägers. Von dort erhielt er am 31. 7. 2006 die Mitteilung, aus rechtlicher Sicht hätte eine Ablehnung auf Landesebene oder beim Verwaltungsgerichtshof kaum Aussicht auf Erfolg gezeitigt; aus politischer Sicht sei die Auseinandersetzung jedoch offener, weil in den politischen Begriff der Befangenheit auch Sauberkeit, Anstand udgl einfließen könnten, welche Begriffe allerdings von den politischen Akteuren differenziert interpretiert würden.

Am 14. 3. 2008 wurde der Beklagte in der Tiroler Tageszeitung mit folgender Äußerung (richtig) zitiert: „Statt Amtsmissbrauchsvorwürfe zu erheben, sollte Bürgermeister O***** darüber nachdenken, ob er bei den Minarett-Bauverhandlungen befangen war. Schließlich hat Bürgermeister O***** die Verhandlungen in Sachen Minarettbau abgewickelt, obwohl er Mitgesellschafter jener Rechtsanwaltskanzlei ist, die den Bauwerber vertreten hat."

Der Hinweis auf die Amtsmissbrauchsvorwürfe bezog sich laut dem erschienenen Beitrag darauf, dass der Kläger dem Vizebürgermeister und S*****-Bezirksparteiobmann Erwin N***** Amtsmissbrauch vorgeworfen und ihm mit der Begründung „Ich tue mich wesentlich schwerer, 'Sie Stinker' zu sagen als 'Du Stinker'", das Du-Wort entzogen hatte.

Zwischen der Erstnebenintervenientin und der A***** bestand zu keinem Zeitpunkt ein Vollmachtsverhältnis.

Der Kläger begehrt unter Berufung auf § 1330 Abs 1 und 2 ABGB vom Beklagten die Unterlassung der in der Tiroler Tageszeitung vom 14. 3. 2008 wiedergegebenen Äußerung, deren Widerruf und die Veröffentlichung des Widerrufs. Der Beklagte werfe dem Kläger strafgesetzwidriges bzw amts- und standespflichtverletzendes Verhalten vor, wobei die Behauptungen unwahr seien und der Beklagte dies auch wisse. Die Nebenintervenienten seien im Auftrag des R***** K***** oder der Marktgemeinde T*****, nicht der A***** tätig geworden.

Der Beklagte wendet demgegenüber ein, auch wenn die Erstnebenintervenientin nicht in einem Vollmachtsverhältnis mit der A***** gestanden sei, hätten doch der Zweit- und der Drittnebenintervenient den Kaufvertrag errichtet und die A***** sowohl im grundverkehrsbehördlichen Verfahren als auch im Grundbuchsverfahren vertreten. Er habe den Kläger auch nur zum Nachdenken über eine Befangenheit aufgefordert, die in politischer Hinsicht selbst vom Leiter der Gemeindeabteilung des Landes Tirol nicht ausgeschlossen worden sei. Über die Errichtung des Gebetsturms sei es in T***** zu einer öffentlichen Diskussion gekommen, weshalb die Allgemeinheit einen Anspruch auf Information gehabt habe. Im Übrigen stünden der Kläger und der Beklagte im politischen Wettstreit, weshalb der Persönlichkeitsschutz der Klägers einschränkt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der sachliche Kern der Äußerung des Beklagten stimme mit der Wirklichkeit überein, sei doch die Kanzleigemeinschaft O***** im Jahr 1998 als Vertreterin der A***** aufgetreten; in diese sei der Kläger im Jahr 2001 eingetreten, diese Gesellschaft nach bürgerlichem Recht sei schließlich in die Erstnebenintervenientin eingebracht worden. Außerdem habe sich der Beklagte als Politiker zu Wort gemeldet; deren Äußerungen seien insbesondere in (Vor-)Wahlzeiten nicht auf die Goldwaage zu legen. Und schließlich habe der Beklagte dem Kläger nicht Befangenheit vorgeworfen, sondern ihn nur aufgefordert, darüber nachzudenken. Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines Teilveröffentlichungsbegehrens statt und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteigt und dass die ordentliche Revision nicht zulässig ist. In der Sache selbst vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, der Beklagte habe dem Kläger Befangenheit bei der Bauverhandlung und damit ein strafrechtlich relevantes Verhalten, nämlich Amtsmissbrauch, vorgeworfen. Es sei ihm jedoch der Wahrheitsbeweis nicht gelungen, weil seine Äußerung vom unbefangenen Durchschnittsleser so verstanden worden sei, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Baubehörde erster Instanz die Bauverhandlungen abgewickelt habe, obwohl die Rechtsanwaltskanzlei, deren Mitgesellschafter er ist, den Bauwerber bei diesen Bauverhandlungen vertreten habe; dies indiziere die Verwendung des Begriffs „Bauwerber".

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist auch berechtigt.

1. § 1330 ABGB schützt die Ehre von Personen, also ihre Personenwürde (Abs 1) und ihren Ruf (Abs 2). Abs 1 sanktioniert Ehrenbeleidigungen, die zugleich Tatsachenbehauptungen sein können, Abs 2 hingegen nur unwahre rufschädigende Tatsachenbehauptungen, nicht jedoch Werturteile (Danzl in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, ABGB² [2007] § 1330 Rz 2 mwN). Das Recht auf freie Meinungsäußerung deckt unwahre Tatsachenbehauptungen nicht. Daher dürfen auch Werturteile, die konkludente Tatsachenbehauptungen sind, nicht schrankenlos geäußert werden; allerdings sind angesichts der heutigen Reizüberflutung selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (Danzl aaO Rz 3 mwN; 6 Ob 159/06k MR 2006, 362 [Korn]; 6 Ob 218/08i). Ob durch eine Äußerung Tatsachen verbreitet werden oder eine wertende Meinungsäußerung vorliegt, richtet sich nach dem Gesamtzusammenhang und dem dadurch vermittelten Gesamteindruck für den unbefangenen Durchschnittsadressaten. Wesentlich ist, ob sich ihr Bedeutungsinhalt auf einen Tatsachenkern zurückführen lässt, der einem Beweis zugänglich ist, sodass sie nicht nur subjektiv angenommen oder abgelehnt, sondern als richtig oder falsch beurteilt werden kann (6 Ob 295/03f MR 2005, 371 mwN; 6 Ob 159/06k).

Die Ermittlung ihres Bedeutungsinhalts ist im Allgemeinen eine Rechtsfrage, die von den näheren Umständen des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Formulierung und dem Zusammenhang, in dem sie geäußert wurde, abhängt (6 Ob 160/99v; 6 Ob 159/06k). Außerdem ist dabei die ständige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0054817, RS0115541, RS0082182) zu berücksichtigen, wonach bei Politikern die Grenzen erheblich weiter gezogen werden als bei Privatpersonen (vgl die konkreten Beispiele aus der Rechtsprechung bei Danzl aaO Rz 3). Der Politiker muss ein größeres Maß an Toleranz zeigen, und zwar insbesondere dann, wenn er selbst öffentlich Ankündigungen tätigt, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen (6 Ob 83/04f MR 2004, 325 mwN; 6 Ob 159/06k; 6 Ob 218/08i).

2. Die Parteien dieses Verfahrens standen und stehen in einer politischen Auseinandersetzung, was im Revisionsverfahren nicht strittig ist. Vor diesem Hintergrund überschreitet aber der vom Berufungsgericht angenommene Bedeutungsinhalt der Äußerungen des Beklagten, dieser habe dem Kläger den Vorwurf einer strafbaren Handlung, nämlich des Amtsmissbrauchs, gemacht, insbesondere dann die Auslegungsgrenzen, wenn - wie dargestellt - von Politikern ein größeres Maß an Toleranz verlangt wird. Ein massiver Wertungsexzess liegt jedenfalls nicht vor (vgl in diesem Sinn bereits 6 Ob 159/06k zum angeblichen Vorwurf [ebenfalls] des Amtsmissbrauchs und 6 Ob 218/08i zum angeblichen Vorwurf der verdeckten Parteienfinanzierung). Zu berücksichtigen ist außerdem, dass nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch der Kläger im Umgang mit seinen politischen Mitbewerbern nicht gerade zimperlich zu sein scheint, warf er selbst doch einem (anderen) politischen Mitbewerber Amtsmissbrauch vor und bezeichnete diesen als „Stinker".

3. Das Erstgericht hat zwar festgestellt, dass zwischen der Erstnebenintervenientin und der A***** zu keinem Zeitpunkt ein Vollmachtsverhältnis bestanden habe. Allerdings betrieben der Zweit- und der Drittnebenintervenient bereits in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts eine Kanzleigemeinschaft, in welche im Jahr 2001 der Kläger eintrat und die in weiterer Folge als Gesellschaft nach bürgerlichem Recht geführt wurde. Zuletzt wurde diese Gesellschaft im Jahr 2006 in die Nebenintervenientin eingebracht. Diese „Rechtsanwaltskanzlei" trat sowohl im Verfahren vor der Grundverkehrsbehörde als auch (im Juli 2000) im Grundbuchsverfahren (auch) für die A***** auf.

Es ist daher die Tatsachenbehauptung des Beklagten insofern wahr, als er sagte, jene Rechtsanwaltskanzlei, deren Mitgesellschafter der Kläger ist, habe den Bauwerber vertreten; Bauwerber war die A*****. Den Äußerungen des Beklagten ist hingegen nicht zu entnehmen, dass er behaupte, die Rechtsanwaltskanzlei habe den Bauwerber im Bauverfahren vertreten, wie das Berufungsgericht meint. Der unbefangene Leser des Zeitungsartikels musste die Äußerungen des Beklagten auch nicht zwingend in dieser Richtung verstehen.

4. Damit war aber die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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