OGH 6Ob362/97x

OGH6Ob362/97x29.1.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Hans Jörg S*****, Mitglied der Niederösterreichischen Landesregierung, ***** vertreten durch Dr.Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei Ernst S*****, Landesparteisekretär der Niederösterreichischen Volkspartei und Landtagsabgeordneter, ***** vertreten durch Dr.Ulrich Brandstetter ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerrufs und Veröffentlichung (hier wegen einstweiliger Verfügung), infolge Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 11.September 1997, GZ 14 R 153/97s-10, womit der Beschluß des Landesgerichtes St.Pölten vom 4.Juni 1997, GZ 3 Cg 63/97a-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß dem Sicherungsantrag der klagenden und gefährdeten Partei stattgegeben und nachstehende einstweilige Verfügung erlassen wird:

"Zur Sicherung des Anspruches der klagenden und gefährdeten Partei auf Unterlassung tatsachenwidriger rufschädigender Behauptungen wird dem Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteiles geboten, die Verbreitung der Behauptungen

a) der Kläger habe sich sein Dienstauto um 350.000 S aus Steuergeldern umbauen lassen,

b) der Kläger kassiere eine ORF-Pension

sowie sinngleiche Behauptungen zu unterlassen.

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens vorläufig, der Beklagte und Gegner der gefährdeten Partei seine Kosten des Sicherungsverfahrens endgültig selbst zu tragen.

Text

Begründung

In der Ausgabe des "Kurier" vom 9.5.1997 erschien unter dem Titel "Der Pyramidenbau für Bezüge hat Hochkonjunktur" ein Artikel über die geplante neue Gehaltspyramide. Der Bericht gibt zunächst die Ansichten von Spitzenpolitikern der ÖVP und SPÖ wieder und schließt dann wörtlich an: "Einzig FPÖ-Chef Haider grantelt über die Feuerwehraktion Klimas und die Einkommenspyramide für Politiker. Dem hält der nö VP-Geschäftsführer S***** entgegen, Haider möge in den eigenen Reihen für Ordnung sorgen: Der nö Landesrat S***** kassiere eine ORF-Pension, der dritte Parlamentspräsident habe zu seinem Uni-Sold zwei politische Bezüge."

In der "Presse" vom selben Tag wurde unter dem Titel:

"Gehaltspyramide: Landeshauptleute wurden besänftigt, aber Unmut im Westen" ebenfalls ein Beitrag zum selben Thema veröffentlicht und eine Kritik Haiders zum Gesetzesentwurf wiedergegeben. Dann heißt es wörtlich "Die Kritik Haiders rief den nö VP-Sekretär Ernst S***** auf den Plan: Haider möge, so meinte er im Gespräch mit der Presse, den "Privilegienstadl" in seiner Landes-FPÖ ausräumen, bevor er vollmundige Äußerungen mache. FP-Landesrat S***** habe sich nämlich sein Dienstauto um 350.000 S aus Steuergeldern umbauen lassen".

Der Kläger begehrt, gestützt auf § 1330 Abs 2 ABGB die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung, zum Widerruf und zur Veröffentlichung der Behauptungen, der Kläger habe sich sein Dienstauto um 350.000 S aus Steuergeld umbauen lassen und beziehe eine ORF-Pension. Er verband mit der Klage auch den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, die genannten Äußerungen bis zur Rechtskraft des Urteiles zu unterlassen. Die inkriminierten Tatsachenbehauptungen seien unwahr und für ihn als Politiker für sein Fortkommen und seinen wirtschaftlichen Ruf schädigend. Er sei nach der Veröffentlichung der Berichte nicht nur scharf zur Rede gestellt worden, es seien ihm auch Konsequenzen bei den bevorstehenden Wahlen zum nö Landtag angedroht worden.

Der Beklagte wandte in seiner Äußerung lediglich ein, es fehle an einer Gefahrenbescheinigung, daß die Äußerungen das berufliche Fortkommen des Klägers gefährdeten. Dem Beklagten sei als Mitglied des ORF-Kuratoriums das Alter des Klägers nicht bekannt, er könne daher nicht wissen, ob dieser bereits das Pensionsalter erreicht habe oder die Pension erst in Zukunft beziehen werde.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung ab. Es nahm über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus als bescheinigt an, daß am Dienstwagen des Klägers keine Umbauarbeiten vorgenommen worden seien; es sei lediglich die Telefonantenne ausgewechselt und ein Telefonverstärker montiert worden, was eher geringfügige Kosten verursacht habe. Der Kläger habe das 60.Lebensjahr noch nicht erreicht, eine vertraglich vereinbarte Betriebspension, für die er Einzahlungen geleistet habe, beziehe er (noch) nicht. Der Beklagte sei Mitglied des ORF-Kuratoriums, das Alter des Klägers sei ihm nicht bekannt.

Rechtlich seien die Äußerungen des Beklagten § 1330 Abs 2 ABGB zu unterstellen. Der Kläger habe nicht nur zu behaupten und zu beweisen, daß die Tatsachen unwahr seien, sondern auch, daß dem Beklagten die Unwahrheit bekannt gewesen sei oder bekannt hätte sein müssen. Dies sei ebensowenig bescheinigt worden wie eine konkrete wirtschaftliche Gefährdung im Sinne des § 381 Z 2 EO.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers keine Folge.

Die inkriminierten Äußerungen seien - wie dies auch im Antrag zum Ausdruck komme - nur § 1330 Abs 2 ABGB zu unterstellen, ein Angriff auf die Ehre im Sinne des Abs 1 liege nicht vor. Bei bloßer Schädigung des wirtschaftlichen Rufes sei die nach § 381 Z 2 EO ausdrücklich erforderliche Gefahrenbescheinigung nur dann entbehrlich, wenn nach Art und Intensität des Angriffes im konkreten Einzelfall auf eine Gefährdung des überdies in Geld nicht zur Gänze wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Rufes geschlossen werden könne. Die Äußerungen des Beklagten seien als Äußerungen im täglichen Widerstreit zweier konkurrierender politischer Parteien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung, insbesondere der wahlberechtigten Bevölkerung aufzufasssen. Politische Äußerungen seien im Rahmen des Rechtes der freien Meinungsäußerung gemäß Art 10 MRK gerechtfertigt. Die in der politischen Auseinandersetzung erfolgten Äußerungen des Beklagten seien nicht schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung (prima facie) geeignet, den politischen Ruf des Klägers nachhaltig zu gefährden. Der Kläger hätte daher konkrete Umstände behaupten und bescheinigen müssen, daß die Wiederholung solcher Äußerungen drohe und dadurch sein politischer Ruf nachhaltig gefährdet sei. Dies sei unterblieben.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nach der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht von der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates mehrfach abgewichen ist; er ist auch berechtigt.

Die inkriminierten Äußerungen sind keine Werturteile, nicht einmal Werturteile, denen konkludente Tatsachenbehauptungen zugrunde liegen, sondern bloße, nach den Feststellungen unwahre, Tatsachenbehauptungen. Zu beurteilen ist im Provisorialverfahren lediglich der verschuldensunabhängige Unterlassungsanspruch. Ob dem Beklagten die Unwahrheit der Behauptungen bekannt war oder bekannt sein mußte, ist erst im Rahmen der Prüfung der Berechtigung des ein Verschulden voraussetzenden Widerrufs- und Veröffentlichungsbegehrens von Bedeutung.

Es entspricht der ständigen, vom Rekursgericht zitierten Rechtsprechung des erkennenden Senates (MR 1996, 237 uva), daß im politischen Meinungsstreit im Hinblick auf die Funktion der Parteien und Politiker in einem demokratischen Gemeinwesen auch scharfe und kontroversielle Auseinandersetzungen zulässig sind und bei Politikern die Grenze dort zu ziehen ist, wo unabhängig von den zur Debatte gestellten rein politischen Verhaltensweisen ein persönlich unehrenhaftes Verhalten behauptet wird und bei Abwägung der Interessen ein nicht mehr vertretbarer Wertungsexzeß vorliegt. Der erkennende Senat hat wiederholt ausgesprochen, daß durch unwahre Tatsachenbehauptungen, also nicht durch unüberprüfbare Wertungen, das Maß zulässiger politischer Kritik überschritten wird und auch selbst im Wege einer umfassenden Interessenabwägung oder mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung nicht gerechtfertigt werden kann (6 Ob 17/94, 6 Ob 21/94, zuletzt 6 Ob 2350/96y uva).

Bei einer (bloßen) Schädigung des wirtschaftlichen Rufes im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB, die nicht auch eine Ehrenbeleidigung darstellt, ist - neben der Behauptung im Antrag - die nach § 381 Z 2 EO ausdrücklich erforderliche Gefahrenbescheinigung dann entbehrlich, wenn nach Art und Intensität des Eingriffes im konkreten Einzelfall nach der Lebenserfahrung, prima facie, auf eine Gefährdung des überdies in Geld nicht zur Gänze wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Rufes geschlossen werden kann (6 Ob 34/95, 6 Ob 3/96 ua). Wird "in Zeiten der Sparpakete" und der Diskussion um überhöhte oder mehrfache Bezüge von Politikern dem Politiker einer Partei, die sich vehement für geringere Bezüge, als von den beiden Regierungsparteien vorgeschlagen, einsetzt, wahrheitswidrig vorgeworfen, er lasse aus Steuergeldern seinen Dienstwagen um 350.000 S umbauen und beziehe (neben seinem Aktivbezug als Politiker) eine - nach dem Leserverständnis weit über dem Durchschnitt liegende - ORF-Pension, dann liegt, noch dazu wenn Neuwahlen in naher Zukunft bevorstehen, eine Schädigung des wirtschaftlichen Rufes, der überdies in Geld nicht zur Gänze wiedergutzumachen ist, prima facie auf der Hand (Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden, Verlust der Glaubwürdigkeit), so daß es neben dem vom Kläger hiezu erstatteten Vorbringen einer besonderen Gefahrenbescheinigung im einzelnen nicht bedarf.

Schließlich wird nach der ständigen Rechtsprechung bei Verstößen nach § 1330 ABGB das Vorliegen der Wiederholungsgefahr, bei der schon grundsätzlich keine engherzige Beurteilung zu erfolgen hat, insbesondere dann vermutet, wenn der Beklagte im Prozeß weiterhin seinen Standpunkt vertritt, zu den inkriminierten Äußerungen berechtigt zu sein. Es läge dann am Beklagten, glaubhaft zu machen, daß eine Gefahr der Wiederholung der tatsachenwidrigen Behauptungen nicht gegeben ist.

Der Ausspruch über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 EO, jener über die Kosten des Beklagten auf §§ 402 und 78 EO iVm §§ 41 und 50 ZPO.

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