OGH 6Ob34/95

OGH6Ob34/9522.2.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Kellner, Dr.Schiemer und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Helmut F*****, vertreten durch Dr.Ewald Weiss, Rechtsanwalt in Wien, wider die Beklagte und Gegnerin der gefährdeten Partei M*****-Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Gottfried Korn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung (hier wegen einstweiliger Verfügung), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom 16.August 1995, GZ 4 R 160/95-10, womit der Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 30.Mai 1995, GZ 38 Cg 25/95b-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei, die die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels endgültig selbst zu tragen hat, ist schuldig, der beklagten Partei die mit 9.900 S (darin 1.650 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger wurde wegen Mordes an Fritz Köberl zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die er derzeit in der Strafvollzugsanstalt Garsten verbüßt. Die beklagte Partei ist Medieninhaberin der periodischen Druckschrift "Wiener-Basta", in deren Ausgabe Nr 11/94 nachstehender Artikel veröffentlicht wurde:

Der Kläger stellte ein auf § 1330 ABGB gestütztes Begehren auf Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufes sowie den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, daß zur Sicherung seines Anspruches auf Unterlassung der Verbreitung wahrheitswidriger herabsetzender Behauptungen der Beklagten und Gegnerin ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteiles die Verbreitung der Behauptung verboten werde, der Kläger habe im Auftrag des Finanzministeriums einen Schulfilm gedreht, hiefür überhöhte Kosten in Rechnung gestellt und sei deshalb zur Anzeige gebracht worden.

Die Veröffentlichung erfülle den Vorwurf der üblen Nachrede im Sinne des § 111 StGB und verwirkliche den Tatbestand des § 1330 Abs 1 ABGB. Für den Durchschnittsleser ergebe sich der Eindruck, der Kläger habe nicht nur einen Mord, sondern darüber hinaus auch einen Betrug begangen, was nicht zutreffe. Der unwiederbringliche Schaden im Sinne des § 381 Z 2 EO für den Kläger sei notorisch und bedürfe nach der Rechtsprechung keiner gesonderten Bescheinigung. Die erhobenen Behauptungen seien unwahr, der Kläger habe weder einen Auftrag des Finanzministeriums erhalten noch den Film verkauft und auch keine überhöhten Kosten verrechnet. Er sei von Fritz Köberl deswegen auch nicht angezeigt worden.

Die beklagte Partei wandte ein, es liege kein Verstoß gegen § 1330 Abs 1 ABGB vor; für den Durchschnittsleser ergebe sich aus dem Zeitungsartikel nicht der Vorwurf einer strafbaren Handlung. Eine Gefährdung des wirtschaftlichen Rufes des zu lebenslanger Haft wegen eines besonders abscheulichen Mordes verurteilten Klägers sei nicht eingetreten, der Kläger habe eine Gefährdung im Sinne des § 381 EO nicht einmal behauptet.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag mit der Begründung ab, die Formulierung der Veröffentlichung stelle keine Ehrverletzung des Klägers dar und sei daher nicht unter § 1330 Abs 1 ABGB zu subsumieren. Der Vorwurf sei wohl geeignet, den Kläger bei potentiellen künftigen Auftraggebern in Mißkredit zu bringen, doch könne in der konkreten Situation des Klägers keine negative Auswirkung erkannt werden. Die Gefahr eines unwiederbringlichen Schadens gemäß § 381 Z 2 EO sei nicht bescheinigt, der Sicherungsantrag daher abzuweisen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers keine Folge. Für die Beurteilung, ob eine Äußerung (Verbreitung) ehrkränkend oder rufschädigend sei, komme es nicht auf den subjektiven Willen des Erklärenden, sondern darauf an, wie der unbefangene Durchschnittsleser eine solche Äußerung verstehe; wesentlich sei immer der Gesamteindruck. Beim Lesen des Artikels könne kein Zweifel bestehen, daß versucht werde, ein Motiv für den Mord des Klägers an Fritz Köberl aufzudecken, nämlich eine Anzeige des Fritz Köberl. Im übrigen stelle der Artikel den Kläger als besonders geschäftstüchtig dar, da er die Schauspieler bei den Gagen drücke (Zitat Bilgeri) und einen "Schnellschuß" um 600.000 S an den Auftraggeber verkaufte, das sei der Vorwurf der Ablieferung eines Werkes von nicht sehr hoher Qualität, was sich auch in dem weiteren Vorwurf "überhöhter Kosten" niederschlage. Daraus aber ergebe sich für den Durchschnittsleser keineswegs der Vorwurf einer strafbaren Handlung, insbesondere nicht des Betruges, sondern nur jener, billige Ware zu einem teuren Preis verkauft zu haben. Dies erwecke beim Leser wohl den Eindruck besonderer Geschäftstüchtigkeit und gebe möglichen Vertragspartnern Grund zu besonderen Überlegungen, bei der beschriebenen Person Werke nicht oder nur mit besonderer Vorsicht in Auftrag zu geben, keineswegs aber werde damit die persönliche Ehre des Klägers in Abrede gestellt. Das Argument des Klägers, der weitere Hinweis auf eine "Anzeige" durch Fritz Köberl wegen dieser Vorgänge erwecke den Eindruck einer strafbaren Handlung, müsse als konstruiert betrachtet werden, zumal in keiner Weise auf etwaige strafrechtliche Konsequenzen aufgrund der Vorgangsweise hingewiesen werde. Auch einem Durchschnittsleser sei bekannt, daß Anzeigen allein zunächst nur zu Erhebungen, nicht jedoch zu unmittelbaren Verfolgungshandlungen führten. Eine Ehrverletzung im Sinne des § 1330 Abs 1 ABGB liege daher nicht vor.

Der Vorwurf an den Kläger, als (selbständiger) Regisseur bei seiner Arbeit hohe Kosten zu verursachen, sei allerdings grundsätzlich geeignet, den wirtschaftlichen Ruf zu gefährden. Nach § 381 Z 2 EO könnten zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen einstweilige Verfügungen getroffen werden, wenn derartige Verfügungen zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erschienen. Diese Gefahr sei grundsätzlich zu bescheinigen. Von diesem Grundsatz sei der Oberste Gerichtshof in Fällen abgewichen, bei denen durch einen Eingriff in die Ehre, aber auch in den wirtschaftlichen Ruf einer Person unwiederbringlicher Schaden drohe, weil die Auswirkungen einer Ehrverletzung oder Rufschädigung kaum zu überblicken seien und sich durch Geldersatz nicht völlig ausgleichen ließen. In solchen Fällen bedürfe es keiner gesonderten Gefahrenbescheinigung. Im konkreten Fall sei aber eine Gefährdung des wirtschaftlichen Rufes keineswegs als inhärent zu erkennen. Durch die lebenslange Freiheitsstrafe komme es zu massiven Einschränkungen auch der wirtschaftlichen Betätigung. Der Kläger habe weder behauptet noch bescheinigt, daß er derzeit (während der Strafhaft) irgendwelche geschäftlichen Tätigkeiten entfalte oder Geschäfte abzuwickeln habe oder solches bevorstehe. Die konkrete Situation des Klägers führe dazu, daß ein drohender unwiederbringlicher Schade prima-facie keineswegs vorliege. Es wäre daher im Sicherungsantrag sowohl die Behauptung als auch die Bescheinigung einer konkreten Gefahr erforderlich gewesen.

Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der konkrete Fall mit der bisherigen Rechtsprechung, es bedürfe auch bei Eingriffen in den wirtschaftlichen Ruf keiner Gefahrenbescheinigung, nicht vergleichbar sei und das Rekursgericht deshalb von dieser Rechtsprechung abgegangen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Die Ausführungen des Rekursgerichtes, durch den Inhalt des veröffentlichten Artikels werde in seinem Gesamtzusammenhang der Tatbestand des § 1330 Abs 1 ABGB nicht verwirklicht, dieser sei vielmehr nur Abs 2 leg cit zu unterstellen, sind zutreffend, es kann daher auf sie verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Anders als etwa § 81 Abs 2 UrhG oder § 24 UWG bestehen zur Sicherung der in § 1330 ABGB bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung keine speziellen Sondernormen für deren Sicherung durch einstweilige Verfügung. Solche können daher nur auf § 381 EO gestützt werden, nach dessen Z 2 zur Sicherung anderer Ansprüche als Geldforderungen einstweilige Verfügungen getroffen werden können, wenn sie zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen.

Die ältere Rechtsprechung hat daher bei Verstößen gegen § 1330 Abs 2 ABGB, also bei Verbreitung unwahrer Tatsachen, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen einer Person gefährden, die Auffassung vertreten, eine abstrakte Gefährdung des geltend gemachten Anspruches genüge nicht, vielmehr müßten Umstände vorhanden sein, die ohne Bewilligung der einstweiligen Verfügung die Vereitelung der gerichtlichen Verfolgung, eine Gewaltanwendung oder die Entstehung eines unwiederbringlichen Schadens als wahrscheinlich erscheinen ließen. Es müsse daher eine konkrete Gefährdung vorliegen, wozu es eines konkreten Vorbringens bedürfe, weil keineswegs allgemein gesagt werden könne, daß bei Unterlassungsansprüchen eine solche konkrete Gefährdung schon deshalb immer gegeben sei, weil der Beklagte möglicherweise seine Handlungsweise bis zur Rechtskraft des Urteils fortsetzen könnte (ÖBl 1981, 96 mwN).

In der Folge hat der Oberste Gerichtshof (in Übereinstimmung mit Heller/Berger/Stix) ausgeführt, daß einer in ihrer Ehre beeinträchtigten Person nicht nur Vermögensnachteile drohen, die durch Geld adäquat ausgeglichen werden können, sondern auch unmittelbare Eingriffe in ihr Persönlichkeitsrecht, die sich auch außerhalb des vermögensrechtlichen Bereiches durch Kränkung, gesellschaftliche Ächtung und ähnliches auswirken können (MR 1988, 158). Bei solchen Eingriffen gegen die Ehre und Persönlichkeit einer Person (§ 1330 Abs 1 ABGB) sei daher die Bescheinigung eines unwiederbringlichen Schadens nicht erforderlich.

Korn/Neumayer (Persönlichkeitsschutz 72) vertreten die Auffassung, daß auch im Bereich des durch § 1330 Abs 2 ABGB geschützten wirtschaftlichen Rufes von Unternehmen die Bescheinigung eines unwiederbringlichen Schadens dann nicht erforderlich ist, wenn die pesönlichkeitsbeeinträchtigenden Angriffe auf Unternehmen außerhalb des vermögensrechtlichen Bereiches gelegene Beeinträchtigungen des guten Rufes zur Konsequenz haben können und wenn aufgrund der Intensität des Angriffes (nach der Lebenserfahrung) auf eine Beeinträchtigung des guten Rufes eines Unternehmens geschlossen werden kann.

Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 4 Ob 1073,1074/92 ausgesprochen, daß ein wegen einer kreditschädigenden Äußerung zustehender Unterlassungsanspruch durch eine einstweilige Verfügung gesichert werden kann, ohne daß es einer gesonderten Gefahrenbescheinigung bedürfe, wenn die Auswirkungen der Rufschädigung kaum zu überblicken seien und sich durch Geldersatz nicht völlig ausgleichen ließen.

In der Entscheidung 4 Ob 132/93 (MR 1993,221) wurde erkannt, daß bei einem Eingriff in die Ehre, aber auch bei einem Eingriff in den wirtschaftlichen Ruf einer Person ein unwiederbringlicher Schade drohe, zu dessen Abwendung eine einstweilige Verfügung notwendig erscheine, weil die Auswirkungen einer Ehrverletzung oder Rufschädigung kaum zu überblicken seien und sich durch Geldersatz nicht völlig ausgleichen ließen. Zu Recht hat Korn (aaO) in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung ausgeführt, daß aus diesem Leitsatz geschlossen werden könnte, bei Verstößen gegen den wirtschaftlichen Ruf im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB sei in allen Fällen eine Sicherung durch einstweilige Verfügung ohne gesonderte Behauptung und Bescheinigung einer konkreten Gefahr zulässig. Es seien aber Fälle kreditschädigender Äußerungen denkbar, die den wirtschaftlichen Ruf völlig unberührt ließen und die sich als ausschließlich Vermögensschäden auslösende Behauptungen durch Geldersatz völlig ausgleichen ließen.

Diesen Ausführungen ist zuzustimmen. Es darf nicht übersehen werden, daß in der letztzitierten Entscheidung die Schädigung des wirtschaftlichen Rufes eines nicht auf Gewinn gerichteten Vereines, der sich Musiktherapie für behinderte Kinder und Erwachsene zur Aufgabe gemacht hatte und seinen finanziellen Aufwand durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Subventionen deckte, zu beurteilen war. In diesen oder ähnlichen Fällen ergibt sich aber schon ohne konkrete Gefahrenbescheinigung nach der Lebenserfahrung, prima-facie, eine außerhalb des vermögensrechtlichen Bereiches gelegene Beeinträchtigung des guten Rufes.

In der Entscheidung 4 Ob 5/94 wurde die Frage, ob bei bloßer Schädigung des wirtschaftlichen Rufes im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB unbeschränkt auf eine Gefahrenbescheinigung verzichtet werden kann oder ob es darauf ankommt, ob aus der Intensität des Eingriffes nach der Lebenserfahrung auf eine solche Gefährdung des wirtschaftlichen Rufes geschlossen werden kann, ausdrücklich offengelassen, weil ohnedies auch ein Fall des § 1330 Abs 1 ABGB vorlag.

Der erkennende Senat teilt die von Korn/Neumayer (aaO) und von Korn zu MR 1993, 221 [225]) vertretene Ansicht, daß bei bloßer Schädigung des wirtschaftlichen Rufes im Sinne des § 1330 Abs 2 ABGB - neben der Behauptung im Antrag - die nach § 381 Z 2 EO ausdrücklich erforderliche Gefahrenbescheinigung nur dann entbehrlich ist, wenn nach der Art und Intensität des Eingriffes im konkreten Einzelfall nach der Lebenserfahrung, prima-facie, auf eine Gefährdung des überdies in Geld nicht zur Gänze wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Rufes geschlossen werden kann.

Nach den Umständen des hier vorliegenden Einzelfalles war danach aber die Behauptung und Bescheinigung erforderlich, daß eine einstweilige Verfügung zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens erforderlich sei. Prima-facie ergibt sich nämlich ein solcher unwiederbringlicher Schaden keineswegs: Der Kläger steht erst am Beginn seiner lebenslangen Haftstrafe. Es ist daher nach aller Erfahrung nicht zu erwarten, daß er in näherer Zukunft zu seinem Erwerb eine selbständige Tätigkeit (als Regisseur) ausüben kann, in welcher die Behauptung, er verkaufe minderwertige Filme zu überhöhten Kosten, seinen wirtschaftlichen Ruf bei potentiellen Vertragspartnern schädigen könnte.

Die Vorinstanzen haben daher zu Recht mangels Behauptung und Bescheinigung einer konkreten Gefahr den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung abgewiesen.

Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 402, 78 EO und §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte