OGH 4Ob132/93

OGH4Ob132/9321.9.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Kodek, Dr.Redl und Dr.Griß als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei prot. Verein "N*****, vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer, Dr.Wolfram Themmer und Dr.Josef Toth, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei Andreas O*****, vertreten durch Dr.Daniel Charim, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung, Feststellung und Widerruf (Streitwert im Provisorialverfahren S 350.000) infolge Revisionsrekurses des Klägers gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 11. Jänner 1993, GZ 1 R 296/92-10, womit der Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 4.November 1992, GZ 8 Cg 150/92-6, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Die Urkundenvorlage des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß er - einschließlich des bestätigten Teils - insgesamt wie folgt zu lauten hat:

"Einstweilige Verfügung

Zur Sicherung des Anspruches des Klägers gegen den Beklagten auf Unterlassung wird dem Beklagten bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteiles verboten, die Äußerungen,

sowie gleichsinnige Äußerungen zu verbreiten.

Das Mehrbegehren, dem Beklagten zu untersagen, die Äußerungen

sowie gleichsinnige Äußerungen zu verbreiten.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 4.759,20 bestimmten anteiligen Äußerungskosten (darin S 793,20 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Der Kläger hat drei Sechstel der Kosten des Rechtsmittelverfahrens vorläufig und drei Sechstel dieser Kosten hat er endgültig selbst zu tragen.

Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 13.104 bestimmten anteiligen Kosten der Rekursbeantwortung und der Revisionsrekursbeantwortung (darin S 2.184,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger ist ein nicht auf Gewinn gerichteter Verein, dessen Zweck es ist, behinderte Kinder und geistig körperlich mehrfach behinderte Erwachsene im "No Problem Musiktherapiezentrum Kärnten" nach der von Mag.Josef B.S***** durchgeführten und begründeten "No Problem Musiktherapie" musiktherapeutisch zu betreuen. Das aus behinderten Musikern bestehende "No Problem Orchester" gibt Konzerte; durch die dabei erzielten Einnahmen soll, ebenso wie durch Mitgliedbeiträge, Spenden und Subventionen, der Vereinszweck erreicht werden. Vorstandsmitglieder des Klägers sind Mag.Josef B.S*****, seine Gattin Julia S***** und Harald S*****.

Vom 23. bis 26.9.1992 fand in Altenhof/Hausruck die Reha-Messe 1992 - das ist eine Messeveranstaltung, die sich insbesondere mit den Problemen behinderter Menschen befaßt - statt. Zu dieser Messe wurden das "No Problem Orchester" zu Konzertauftritten sowie der Beklagte, seine Gattin Silvia O*****, Dr.Volker S***** und Aiha Z***** als Referenten eingeladen. Der Beklagte und die drei weiteren Referenten sagten aber ihre Teilnahme an der Messe aus Protest wegen des geplanten Auftrittes des "No Problem Orchesters" ab. Ihre Gründe legten sie im August 1992 in folgendem Schreiben dar:

"Stellungnahme zum geplanten Auftritt des 'No Problem Orchestra' anläßlich der Reha-Messe am 23. bis 26.September in Altenhof.

Begründung der Referentenabsage zur Reha-Messe:

Die Idee, daß behinderte Menschen mit nichtbehinderten Menschen gemeinsam musizieren, singen und Theater spielen, und auch öffentlich mit Erfolg auftreten, halten wir für positiv. Leider gibt es wenige Gruppen dieser Art.

Hier sei stellvertretend das 'Münchner Crüppel Cabaret' angeführt, dessen Ensemble aus behinderten und nichtbehinderten Schauspielern besteht. Unter ihnen befand sich auch 'Alois', ein geistig behinderter junger Mann. 'Manchmal war es sehr anstrengend, mit Alois zu arbeiten und spontane Gefühlsausbrüche von Alois in der Gruppe aufzufangen', sagte der Regisseur Werner G*****, in einem Gespräch. 'Aber die Arbeit hat Spaß gemacht', fügte er hinzu. G***** käme nie auf die Idee, seine Arbeit als Therapieform zu bezeichnen, sondern als normale Regiearbeit. Dieses 'Münchner Crüppel Cabaret' besteht nun seit 10 Jahren und spielt in Europa vor ausverkauften Häusern.

Der Name dieses Ensembles wurde so gewählt, weil 'Krüppel' als Ehrentitel für behinderte Menschen verstanden wird. Für den Namen 'No Problem' gibt es eine Eigendefinition des Leiters Mag.Josef B.S*****:

'Bei professionellen Musikern tauchen vor, während und nach dem Auftritt nicht selten Probleme auf, Probleme wie die Kommunikation untereinander, die psychische Belastung usw. Diese treten bei den Behinderten nicht auf. Sie sind über ihre Aufgabe und die Fähigkeit, echte Leistungen zu erbringen, so erfreut, daß kein Grund für solche Probleme der nichtbehinderten Musikerkollegen besteht' (in den 'Kärntner Nachrichten', FPÖ-Wochenzeitung, 30.1.92).

Damit unterstellt S*****, welcher sich als führender Musiktherapeut fühlt, daß geistig behinderte Menschen ausschließlich positive Gefühle entwickeln können, oder es bedeutet, daß lediglich 'problemlose Behinderte' in diesem Orchester aufgenommen werden. Nervosität, unvorhergesehene Gefühlsausbrüche oder gestörte Kommunikation dürfen hier keinesfalls zum falschen Zeitpunkt auftauchen. Die Musiker werden immer wieder ausgewechselt (vgl. Interview mit S***** in der 'Kleinen Zeitung' v. 23.1.92). Im entscheidenden Moment können so die braven, ausgeglichenen und fröhlichen Vorzeigekrüppel ausgewählt werden. Dahinter sehen wir eine politische Überzeugung, die gerade auch von der FPÖ vertreten wird:

Den nichtbehinderten Menschen soll nur eine 'erträgliche und herzeigbare Dosis' an behinderten Menschen zugemutet werden.

Ein weiteres Argument S*****s ist, daß hier Integration 'auf ehrliche Art und Weise' ohne 'Mitleidsmasche' funktioniere (S***** in der 'Kleinen Zeitung' v. 29.8.90), und der Mitarbeiter von S*****, Dr.Günther W*****, meint an anderer Stelle, daß die Behindertenintegration dadurch erreicht werde, daß die Behinderten auch durch ihre Leistung den Nichtbehinderten ehrlichen Respekt abnötigten (vgl. den Leserbrief W***** in der 'Kleinen Zeitung' v. 25.5.91).

Die besonderen Leistungen der behinderten Menschen bestehen im Abspielen elektronisch vorprogrammierter Melodien. Volksschüler können damit angeblich innerhalb von 15 Minuten Schlagermelodien spielen. Auch wenn diese Form des Musizierens behinderten Menschen Spaß machen kann, so bezweifeln wir doch, daß nichtbehinderte Menschen im Abspielen dieser Melodien eine besondere Leistung erblicken. Die besondere Leistung wird wohl eher in der Entwicklung der Instrumente durch S***** erblickt.

Doch wir finden es auch prinzipiell problematisch, die Möglichkeit einer Integration behinderter Menschen mit deren Leistungsfähigkeit in Verbindung zu bringen. Jörg Haider, FPÖ-Obmann und Unterstützer des 'No Problem Orchestra', der das Orchester auch in seiner Wahlwerbung verwendet hat, definiert Integration so: 'Integration findet erst dann statt, wenn der Nichtbehinderte seinem geistig behinderten Mitmenschen mit Ehrfurcht und echt empfundener Anerkennung gegenübertritt, was jedoch erst dann geschehen kann, wenn der Behinderte eine Leistung bringt, die nicht als selbstverständlich für diesen Personenkreis angesehen wird, oder etwas besser kann als ein Nichtbehinderter.' Im selben Leserbrief ('Kleine Zeitung' v. 16.4.91) führt Haider diese Band als Beispiel gelungener Integration an.

S***** liefert Herrn Haider damit nicht nur 'vorzeigbare und integrierbare Behinderte'; er versucht zu beweisen, daß nur professionelles Musizieren und öffentliches Auftreten als Therapie und Integration zu verstehen sei. Wer diesen Kriterien nicht entspricht, wird als nicht therapierbar und damit als nicht integrierbar angesehen. Mit solchen Thesen ermöglicht S*****, wenn auch ungewollt, der FPÖ ihre behindertenfeindlichen Ansichten allmählich unter dem Deckmantel besonders fortschrittlicher Therapien wieder gesellschaftsfähig zu machen.

Wir meinen, daß die Leistungsfähigkeit behinderter Menschen gefördert und auch gesellschaftlich anerkannt werden soll. Doch diese konventionelle Form der Leistungsfähigkeit als Eintrittsbedingung zur Integration und damit als Bedingung für die Anerkennung von Menschenrechten für die betroffenen behinderten Menschen zu sehen, halten wir als besonders gefährlich. Solche Argumentationen führen allzu leicht zu neuen Gedanken vom 'lebensunwerten Leben', wie wir sie auch in der neuen Euthanasie-Debatte finden. Dazu folgendes Zitat: 'Gleichzeitig wären die nach S*****/W*****'schen Kriterien nicht im 'No Problem Orchestra' einsetzbaren Behinderten und psychisch Kranken als nicht therapierbar bzw als therapieresistent zu beurteilen und in der Folge als bildungsunfähig, wenn es nicht gelingt, sie mittels dieses Konzeptes zu fördern. Das aber kommt dem Wiederaufgreifen der klassischen Dogmen der Erziehungs- und Bildungsunfähigkeit der betroffenen Menschen gleich und muß - unter Heranziehung der Wirkung dieser Attributierung in der Geschichte - unter den gegenwärtigen Bedingungen als psychische Euthanasie begriffen werden' (Prof.Georg F***** in einem Referat bei der Podiumsdiskussion 'Formen der Musiktherapie in Österreich und ihr Beitrag zur Integration', 27.6.91, Universität Klagenfurt, Manuskript S. 7).

Doch selbst wenn man das 'No Problem Orchestra' für die 'leistungsfähigen Behinderten' als positiv ansieht, fragt sich, wie die Integration dieser Menschen aussieht. Wir konnten nirgends Ansätze dafür finden, daß ein gezielter individueller Kontakt zwischen Publikum und Orchester stattfindet.

Es sind nur Hinweise auf ganz normale Konzerte zu finden, deren finanzielle und geschäftliche Bedingungen nicht genügend offengelegt sind, und nicht klar ist, wer und wieviel an den Patentrechten auf die Musikinstrumente und an den entsprechenden Lizenzen verdient. Die Auftritte sind sicher auch als Werbeveranstaltungen für den Verkauf der 'No Problem Musikinstrumente' zu verstehen. Die behinderten Menschen erhalten für ihre Auftritte keine angemessene Gage, wie sie andere Bands erhalten, da diese Form des Auftretens ja als Therapie verstanden wird. Außerhalb der 'Therapie' besuchen die behinderten Menschen offensichtlich die üblichen Sonderinstitutionen und leben entsprechend isoliert.

Wir stellen fest, daß S***** auf kritische Argumentationen, wie wir sie vorbringen, überhaupt nicht bereit ist einzugehen (s. Protokoll von Elena F***** zur Podiumsdiskussion 'Formen der Musiktherapie in Österreich und ihr Beitrag zur Integration' am 27.6.91, Universität Klagenfurt) und nur in äußerst polemischer Weise versucht, die behinderten Orchestermitglieder gegen Kritiker auszuspielen. Zitat S*****: 'Die Psychogurus und klerikalen Therapiepäpste sind leiser geworden. Sie beschimpfen unsere behinderten Musiker nicht mehr, sondern gratulieren zum Erfolg, freilich bleibt ein Hauch von Peinlichkeit zurück' (in: 'Kärntner Monat', April 1991). Bei einer derartigen Haltung, die die Organisatoren der Reha-Messe offensichtlich zu tolerieren bereit sind, scheint uns eine Diskussion in Altenhof selbst zum Auftritt des 'No Problem Orchestra' sinnlos.

Wir haben unter der Annahme unsere Referententeilnahme zugesagt, daß bei dieser Veranstaltung das Selbstbestimmungs- und individuelle Selbstentfaltungsrecht der behinderten Menschen im Mittelpunkt stehen wird. Wir sehen diese Bedingung nicht mehr erfüllt und werden deshalb an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen.

Nachsatz: Da die Ausladung des 'No Problem Orchestras' am 26.August 1992 seitens der Organisatoren der Reha-Messe in Altenhof erfolgt ist, werden wir jetzt doch an dieser Reha-Messe teilnehmen".

Die Stellungnahme wurde in der Zeitschrift "Integration, Rundbrief der Elterninitiative für Integration" v. September 1992, Nr. 1/92, in einem mit "Kommentar" überschriebenen Artikel veröffentlicht.

Bei Überprüfung der Gebarung des Klägers in den Jahren 1990 bis 1991 stellte das Landeskontrollamt des Kärntner Landtages fest, daß Einnahmenbelge nicht im erforderlichen Ausmaß vorlagen und daß auch vereinzelt die Ausgaben nur mangelhaft nachgewiesen wurden.

Der Kläger begehrt zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruches, dem Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu untersagen, die Äußerungen,

sowie gleichsinnige Äußerungen zu verbreiten.

Da der Beklagte die Stellungnahme in einer Zeitschrift veröffentlicht habe, bestehe die dringende Besorgnis, daß er die unwahren, ehrenrührigen und kreditschädigenden Behauptungen weiterverbreiten werde; dem Kläger drohe ein unwiderbringlicher Schaden an seiner Ehre und seinem wirtschaftlichen Ruf. Bei unmittelbaren Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht, die sich außerhalb des vermögensrechtlichen Bereiches durch gesellschaftliche Ächtung usw. auswirken könnten, sei eine einstweilige Verfügung auch ohne besondere Gefahrenbescheinigung zu erlassen.

Die Äußerungen des Beklagten seien unwahr; der Kläger stütze aber seine Ansprüche auch auf § 1330 Abs 1 ABGB: Der Kläger werde durch die Behauptungen des Beklagten in der Öffentlichkeit schwerstens herabgesetzt und beeinträchtigt; daher liege eine Ehrenbeleidigung nach bürgerlichem Recht vor.

Der Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Die beanstandeten Äußerungen seien Wertungen und daher nicht § 1330 ABGB zu unterstellen; das gelte jedenfalls für die von den ersten vier Punkten des Unterlassungsbegehrens erfaßten Behauptungen. Der Beklagte habe jeweils den Sachverhalt richtig wiedergegeben und daran seine Kritik angeschlossen. Zum Teil richteten sich die Äußerungen gegen Mag.Josef B.S*****; der Kläger sei insoweit nicht aktiv legitimiert. Der Vorwurf mangelnder Offenlegung der finanziellen und geschäftlichen Bedingungen und der Einnahmen aus den Patentrechten sei wahr. Mag.Josef B.S***** und Harald S***** seien Angestellte des Vereins; die von ihnen als Vorstandsmitglieder des Klägers abgeschlossenen Dienstverträge seien Insichgeschäfte. Die Verträge seien demnach nicht wirksam zustande gekommen; dennoch bezögen beide vom Kläger beträchtliche Zahlungen, die den für ihre Tätigkeit angemessenen Betrag überstiegen. Mag.Josef B.S***** habe selbst eingeräumt, daß ein Großteil der Mittel des Vereins ihm selbst und Harald S***** zufließe. Die Musikinstrumente seien unter Verwendung von Vereinsmitteln entwickelt worden; sie würden aber von Mag.Josef B.S***** auf eigene Rechnung verwertet. Auch der Vorwurf, die Musiker erhielten keine angemessene Gage, sei wahr. Bei den Mitwirkenden handle es sich nach Aussage von Mag.Josef B.S***** um professionelle Musiker, deren Gage von S 200 bis S 1.000 jedoch weit unter den Beträgen liege, die professionelle Bandmitglieder für einen Auftritt erhalten.

Der Kläger habe eine Gefährdung seines Anspruches weder behauptet noch bescheinigt; auch bei Ehrverletzungen sei eine Gefahrenbescheinigung erforderlich; die beanstandeten Äußerungen seien im übrigen nicht ehrenrührig. Der Kläger hätte daher die Unwahrheit behaupten und bescheinigen müssen.

Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Die beanstandeten Äußerungen seien zwar Tatsachenbehauptungen; der Kläger habe aber eine Gefährdung seines Anspruches weder behauptet noch bescheinigt. Auch bestehe keine Wiederholungsgefahr.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die beanstandeten Äußerungen seien in der Mehrzahl Werturteile; soweit Tatsachenbehauptungen vorlägen, habe der Kläger ihre Unrichtigkeit nicht ausdrücklich behauptet und/oder nicht bescheinigt. Was als Therapie und Integration zu verstehen ist bzw welche Personen in welcher Form therapierbar sind, sei eine Sachverständigenfrage; sie könne nicht im Provisorialverfahren geklärt werden. Das gleiche gelte für die Frage, ob die Musiker angemessene Gagen erhalten. Da der Kläger somit seinen Unterlassungsanspruch nicht hinreichend bescheinigt habe, erübrige es sich, auf das Erfordernis der Gefahrenbescheinigung und der Wiederholungsgefahr einzugehen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers. Der Rechtsmittelwerber beantragt, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die einstweilige Verfügung erlassen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die beanstandeten Äußerungen entgegen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (MR 1993, 101 mwN) nicht nach dem Zusammenhang beurteilt hat, in dem sie gemacht wurden, und weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage besteht, wie weit Kritik in einem "Schulenstreit" gehen darf; er ist auch teilweise berechtigt.

Der Rechtsmittelwerber verweist darauf, daß die Äußerungen in einer einheitlichen Publikation gemacht wurden; sie seien daher in ihrem Gesamtzusammenhang rechtlich zu würdigen. Der Rundbrief enthalte keinerlei konkrete Sachinformation; die wenigen Zitate dienten lediglich als Aufhänger dafür, massivste Vorwürfe gegen den Kläger zu erheben. Würden die Äußerungen in ihrer Gesamtheit ausgelegt, dann zeige sich, daß sie eigenständige Tatsachenbehauptungen sind, die im übrigen Text keine volle Deckung finden.

Der Begriff der "Tatsachenbehauptung" ist nach ständiger Rechtsprechung weit auszulegen (SZ 61/193 uva). "Tatsache" ist jede objektiv überprüfbare Umstand (SZ 50/111 ua; s. auch Reischauer in Rummel, ABGB2 § 1330 Rz 8); Werturteile hingegen sind rein subjektive Aussagen, die nicht objektiv überprüft werden können (ÖBl 1979, 76 ua). Läßt ein Werturteil auf eine Tatsache schließen, dann liegt eine konkludente Tatsachenbehauptung vor (MR 1990, 183 ua). Unwahre Tatsachenbehauptungen werden von § 1330 Abs 2 ABGB erfaßt; ihre Verbreitung verpflichtet (auch) zur Unterlassung, wenn sie den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden. Werturteile fallen nicht unter § 1330 Abs 2 ABGB; sie können aber unter Umständen Ehrenbeleidigungen sein, wie auch Tatsachenbehauptungen zugleich Ehrenbeleidigungen sein können (Reischauer in Rummel, ABGB2, Rz 10, 6 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

§ 1330 Abs 1 ABGB schützt die Ehre der (natürlichen oder juristischen) Person, § 1330 Abs 2 ABGB ihren wirtschaftlichen Ruf. Ehre und wirtschaftlicher Ruf sind absolute Rechte (SZ 61/210, SZ 61/193 uva; s. Reischauer in Rummel, ABGB2, § 1330 Rz 1, 23 mwN); ihre Verletzung rechtfertigt eine verschuldensunabhängige Unterlassungsklage. Der Unterlassungsanspruch kann durch einstweilige Verfügung gesichert werden (SZ 61/193). Bei einem Eingriff in die Ehre, aber auch bei einem Eingriff in den wirtschaftlichen Ruf einer Person droht ein unwiederbringlicher Schaden, zu dessen Abwendung eine einstweilige Verfügung notwendig erscheint (§ 381 Z 2 EO), weil die Auswirkungen einer Ehrverletzung oder Rufschädigung kaum zu überblicken sind und sich durch Geldersatz nicht völlig ausgleichen lassen (Heller-Berger-Stix, Komm z Exekutionsordnung4, 2724; Korn-Neumayer, Persönlichkeitsschutz im Zivil- und Wettbewerbsrecht 72; MR 1991, 18; MR 1988, 159; SZ 61/193 ua). Ein wegen einer Ehrverletzung oder wegen einer kreditschädigenden Äußerung zustehender Unterlassungsanspruch kann daher durch einstweilige Verfügung gesichert werden, ohne daß es einer gesonderten Gefahrenbescheinigung bedarf.

Es ist daher zu prüfen, ob die beanstandeten Äußerungen ehrverletzend und/oder kreditschädigend im Sinne des § 1330 ABGB sind. Vorauszuschicken ist, daß eine juristische Person auch von jenen Äußerungen betroffen wird, die sich gegen ihre Organe richten, wenn die über die physische Person verbreiteten Tatsachen mit dem Betrieb des Unternehmens in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen und daher auch auf das Unternehmen selbst bezogen werden können (JBl 1990, 660). Das trifft für alle hier beanstandeten Äußerungen zu, so daß die Einwendungen des Beklagten gegen die Aktivlegitimation des Klägers nicht berechtigt sind.

Der Rundbrief des Beklagten gibt Äußerungen von Mag.Josef B.S***** wieder, welche interpretiert und kritisiert werden. Diese Interpretationen können Werturteile sein; sie sind aber insoweit Tatsachenbehauptungen, als damit eine bestimmte Überzeugung unterstellt wird. Ob der andere diese Überzeugung hat, ist objektiv nachprüfbar. Sind kreditschädigende Tatsachenbehauptungen gleichzeitig ehrenrührig, so hat nicht der Angegriffene, sondern der Täter die Wahrheit zu beweisen (MR 1993, 101 mwN).

Der Beklagte verweist darauf, daß kritische Äußerungen über Fragen, die öffentliche Angelegenheiten betreffen, schon angesichts des Interesses an einer von Pluralismus und Toleranz geleiteten Fortentwicklung einer demokratischen Gesellschaft zulässig sind. Daran ist auch nicht zu zweifeln; Kritik muß jedoch immer sachbezogen sein. Von sachbezogener Kritik kann aber nur gesprochen werden, wenn das Werturteil den unbestrittenen oder bewiesenen Tatsachen entspricht, ermöglicht doch nur eine korrekte, den Tatsachen entsprechende Information dem Adressaten eine selbständige Beurteilung des Geschehens und der geäußerten Kritik (MR 1993, 101 mwN). Das muß auch für einen "Schulenstreit" gelten. Auch die Anhänger verschiedener (hier: Behindertentherapie)Schulen müssen in ihrer Kritik sachlich bleiben; sie dürfen nur tatsächliche Überzeugungen der gegnerischen Schule kritisieren und sich nicht das "Feindbild" durch bewußte Fehlinterpretationen und Unterstellungen erst schaffen, um es dann umso wirkungsvoller bekämpfen zu können. Werden aber die beanstandeten Äußerungen nach diesen Grundsätzen beurteilt, dann ergibt sich folgendes:

Im ersten Punkt des Begehrens beantragt der Kläger, dem Beklagten die Behauptung zu untersagen, der Kläger vertrete durch seinen Vorstand Mag.Josef B.S***** die Auffassung, geistig behinderte Menschen könnten ausschließlich positive Gefühle entwickeln, und es würden lediglich "problemlose Behinderte" im Orchester des Klägers aufgenommen.

Eine Behauptung dieses Inhaltes ist dem Rundbrief nicht zu entnehmen. Dort wird nur eine Äußerung von Mag.Josef B.S***** in einem Interview wiedergegeben, wonach bei behinderten Musikern Probleme nicht auftreten, wie sie professionelle Musiker haben; behinderte Musiker seien über die Aufgabe und die Fähigkeit, echte Leistungen zu erbringen, so erfreut, daß kein Grund für solche Probleme der nichtbehinderten Musikerkollegen bestehe. Daran schließt sich die Interpretation, Mag.Josef B.S***** unterstelle damit, daß geistig behinderte Menschen ausschließlich positive Gefühle entwickeln könnten oder es bedeute, daß lediglich "problemlose Behinderte" in diesem Orchester aufgenommen werden. Es wird daher nicht behauptet, daß Mag.Josef B.S***** Behinderten nur positive Gefühle zuschreibe und nur "problemlose Behinderte" in das Orchester aufgenommen würden, sondern der vorangestellte Ausschnitt aus einem Interview wird so interpretiert, daß zwei, wie eindeutig erkennbar, nach Meinung der Verfasser mögliche Auslegungen nebeneinandergestellt, nicht aber, wie das Begehren vermuten läßt, beide Auslegungsvarianten dem Vorstandsmitglied des Klägers als Überzeugung unterstellt werden. Die in diesem Zusammenhang beanstandete Äußerung ist eine Wertung, die nicht ehrenrührig ist, sondern mit der eine Aussage von Mag.Josef B.S***** sachbezogen kritisiert wird.

Der zweite Punkt des Begehrens hat jene Ausführungen des Beklagten (und der übrigen Rundbriefverfasser) zum Gegenstand, die an das S*****-Zitat, die Musiker würden immer wieder ausgewechselt, anschließen. Die Rundbriefverfasser vertreten hier die Auffassung, daß so im entscheidenden Moment die braven, ausgeglichenen und frohen Vorzeigekrüppel ausgewechselt werden könnten; dahinter sähen sie eine politische Überzeugung, die gerade auch von der FPÖ vertreten werde; den nichtbehinderten Menschen solle nur eine "erträgliche und herzeigbare Dosis" an behinderten Menschen zugemutet werden.

Damit unterstellen die Artikelverfasser dem Kläger, in der Behindertentherapie auf Grund einer mit der Menschenwürde der Behinderten unvereinbaren politischen Überzeugung selektiv vorzugehen. Dieser Vorwurf geht über eine Interpretation des vorangestellten Zitates weit hinaus; er ist ehrenrührig, besagt er doch, daß die Behindertenarbeit nicht von der Achtung vor dem Behinderten und seinen Bedürfnissen, sondern von Rücksichten auf die nichtbehinderten Menschen bestimmt wird. Die Bescheinigung, daß der Kläger (sein Vorstandsmitglied) diese Überzeugung hat, hätte der Beklagte erbringen müssen; er hat ihn aber nicht erbracht. Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, mit dieser Äußerung des Klägers nur sachbezogen kritisiert zu haben, bauen doch seine Ausführungen nicht auf feststehenden Tatsachen, sondern auf unbewiesenen Unterstellungen auf.

Im dritten Punkt des Begehrens beantragt der Kläger die Unterlassung der Behauptung, der Kläger versuche durch seinen Vorstand Mag. Josef B.S***** zu beweisen, daß nur professionelles Musizieren und öffentliches Auftreten als Therapie und Integration zu verstehen seien. Er sehe die Personen, die diesen Kriterien nicht entsprechen, als nicht therapierbar an; dadurch werde ermöglicht, behindertenfeindliche Ansichten unter dem Deckmantel besonders fortschrittlicher Therapien gesellschaftsfähig zu machen.

Die unter diesem Punkt beanstandeten Ausführungen schließen an die Stellungnahme der Rundbriefverfasser an, daß es auch prinzipiell problematisch sei, die Möglichkeit einer Integration behinderter Menschen mit ihrer Leistungsfähigkeit in Verbindung zu bringen. Die Rundbriefverfasser zitieren Dr.Jörg Haider, den sie als Unterstützer des "No Problem Orchesters" bezeichnen; dieser hatte in einem Leserbrief die Auffassung vertreten, daß Behinderte eine für sie nicht selbstverständliche Leistung erbringen müßten, um integriert werden zu können.

Die sich darauf beziehenden Ausführungen der Rundbriefverfasser gehen über sachbezogene Kritik nicht hinaus: Es ist unstreitig, daß das Therapiekonzept des Klägers nur Behinderte erfaßt, die fähig sind, Musikinstrumente zu bedienen; daß Mag.Josef B.S***** ausschließlich seine Therapieform gelten lasse, ist eine Interpretation der Tätigkeit des Klägers und weder ehrenrührig noch kreditschädigend. Die abschließende Beurteilung, Mag.Josef S*****, ermögliche es mit solchen Thesen der FPÖ, ihre behindertenfeindlichen Ansichten allmählich unter dem Deckmantel besonders fortschrittlicher Therapien wieder gesellschaftsfähig zu machen, ist eine Wertung, die nicht objektiv überprüft werden kann; sie ist nicht ehrenrührig, weil ausdrücklich eingeräumt wird, daß dies ungewollt geschehe.

Gegenstand des vierten Punktes des Begehrens ist die Behauptung, die Kriterien des Klägers, die Leistungsfähigkeit als Eintrittsbedingung zur Integration und damit als Bedingung für die Anerkennung von Menschenrechten für die betroffenen behinderten Menschen zu sehen, seien besonders gefährlich und könnten als psychische Euthanasie begriffen werden. Der Begriff "psychische Euthanasie" findet sich in einem Zitat, das die Rundbriefverfasser wiedergeben. Bereits damit hat der Beklagte diese Äußerung verbreitet, weil darunter sowohl die Mitteilung eigener Überzeugung als auch die Weitergabe der Behauptung eines Dritten, ohne daß sich der Äußernde mit ihr identifiziert, fällt (ÖBl 1991, 161 mwN). Die Aussage über die Gefährlichkeit der Kriterien des Klägers ist nicht als objektive Behauptung im Rundbrief enthalten, sondern als subjektive Überzeugung der Verfasser (" ... halten wir als besonders gefährlich"); sie ist daher eine Wertung, die nicht nach § 1330 Abs 2 ABGB, wohl aber nach § 1330 Abs 1 ABGB zu beurteilen ist. Durch den Zusammenhang mit den nachfolgenden Ausführungen über neue Gedanken vom "lebensunwerten Leben" und die Euthanasie-Debatte sowie mit dem erwähnten Zitat, welches das Therapiekonzept des Klägers mit "psychischer Euthanasie" gleichsetzt, erhält die Wertung einen für den Kläger ehrenrührigen Charakter. Dem Kläger wird damit vorgeworfen, ein Therapiekonzept zu verfolgen, das die Menschenwürde des Behinderten nicht achtet, sondern an ihm "psychische Euthanasie" begeht. Dieser Begriff ist vielschichtig; er ist aber jedenfalls, wie auch immer er verstanden wird, extrem negativ besetzt; enthält er doch jedenfalls den Vorwurf, den Behinderten in Wirklichkeit nicht zu helfen, sondern einen entscheidenden Teil ihrer Persönlichkeit zu unterdrücken und damit absterben zu lassen. Die im vierten Punkt des Begehrens enthaltenen Äußerungen verstoßen daher gegen § 1330 Abs 1 ABGB.

Der fünfte Punkt des Begehrens betrifft die Äußerung über die mangelnde Offenlegung der finanziellen und geschäftlichen Bedingungen der Konzerte sowie der Einnahmen aus den Patentrechten und den Lizenzen. Diese Behauptungen sind Tatsachenbehauptungen, welche aber nicht ehrenrührig sind: Wenn jemand seine finanziellen Verhältnisse nicht offenlegt, handelt er im Regelfall weder besonders verwerflich, noch setzt er ein Verhalten, dessen Vorwurf als kränkend oder schmähend empfunden werden müßte.

Die Unrichtigkeit der beanstandeten Äußerungen hätte daher der Kläger bescheinigen müssen; er hat dies aber nicht getan.

In Punkt 6 seines Antrages begehrt der Kläger das Verbot der Äußerung, die behinderten Musiker erhielten für ihre Auftritte keine angemessene Gage. Auch diese Behauptung ist eine Tatsachenbehauptung; sie ist aber, im Gegensatz zu der von Punkt 5 des Antrages erfaßten Behauptung, ehrenrührig. Der Vorwurf, (Arbeits)-Leistungen nicht angemessen zu entlohnen, enthält den Vorwurf der Ausbeutung. Das gilt umso mehr, wenn er sich, wie hier, auf die Leistungen behinderter Menschen bezieht. Als ehrenrührige Tatsachenbehauptung ist die Äußerung sowohl Abs 1 als auch Abs 2 des § 1330 ABGB zu unterstellen. Daraus folgt, daß die Beweislast für die Wahrheit der Behauptungen den Beklagten trifft (MR 1993, 101 mwN). Der Beklagte hat dazu vorgebracht, daß die behinderten Musiker des Klägers weniger als professionelle Bandmitglieder erhielten. Daß daraus noch nicht die Unangemessenheit dieser Gagen folgt, bedarf keiner weiteren Begründung. Ob aber die Gagen angemessen sind, ist, wie das Rekursgericht zutreffend ausführt, im übrigen eine Sachverständigenfrage, die im Provisorialverfahren nicht geklärt werden kann.

Dem Rekurs war somit teilweise Folge zu geben, ohne daß auf die im Revisionsrekursverfahren vorgelegten Urkunden des Klägers Bedacht genommen werden konnte.

Die Entscheidung über die Kosten des Klägers beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten des Beklagten auf §§ 402, 78 EO; §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger ist mit drei von sechs Punkten seines Antrages durchgedrungen; dabei waren die einzelnen Punkte - mangels anderer Anhaltspunkte - gleich zu bewerten.

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