OGH 6Ob26/23a

OGH6Ob26/23a18.4.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A* T*, geboren am * 1961, *, vertreten durch Mag. Simone Gratzl‑Rockenschaub, Rechtsanwältin in Linz, gegen die beklagte Partei B* G*, geboren am * 1976, *, vertreten durch Mag. Lothar Korn, Rechtsanwalt in Linz, wegen 18.631,38 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. September 2022, GZ 2 R 130/22h‑64, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 29. Juni 2022, GZ 3 Cg 79/19a‑57, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0060OB00026.23A.0418.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.253,88 EUR (darin enthalten 208,98 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

[2] Die Klägerin ging mit ihrer Schwiegertochter und deren Golden-Retriever‑Hündin in L* innerhalb der weitläufigen, beschilderten Hundefreilauffläche am F* spazieren. Auch die Beklagte war dort mit einem Bekannten und der von ihr gehaltenen, folgsamen und nicht aggressiven Schäfermischlings‑Hündin unterwegs. Beide Tiere waren nicht angeleint. In der Folge lief der Hund der Beklagten schnell auf den Hund der Schwiegertochter der Klägerin zu, drehte wieder um, lief zurück zur Beklagten und schließlich wieder mit hoher Geschwindigkeit in Richtung des Hundes der Schwiegertochter. Diese rief nach ihrem Hund und forderte die Beklagte auf, auf deren Hund aufzupassen, worauf die Beklagte aber nicht reagierte. Die Beklagte hatte ihren Hund vielmehr nicht im Blick, achtete nicht auf sein Verhalten und überhörte auch den Zuruf der Schwiegertochter der Klägerin. Deren Hund lief zur Schwiegertochter, der Hund der Beklagten verfolgte ihn zunächst. Nachdem sich der Hund der Schwiegertochter wieder nach Norden entfernt hatte, schoss der Hund der Beklagten auf ihn zu und verfolgte den nun wieder zur Klägerin und ihrer Schwiegertochter laufenden Hund. Die mit dem Blick nach Süden ausgerichtete Klägerin war dem Hund der Beklagten abgewandt, ihre Schwiegertochter stand ein paar Meter weiter links nach Norden blickend in der Wiese neben dem Weg. Der Hund der Schwiegertochter lief zwischen der Klägerin und ihrer Schwiegertochter durch. Der Hund der Beklagten, der hinter ihm herlief, prallte mit hoher Geschwindigkeit und Wucht außen gegen das rechte Knie der Klägerin, wodurch diese Verletzungen erlitt.

[3] Die Klägerin begehrt 18.631,38 EUR sA an Schadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Folgen des Unfalls, weil die Beklagte ihren Hund unzureichend beaufsichtigt habe.

[4] Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Beklagten sei das freie Laufenlassen aufgrund des Wesens ihres Hundes nicht als Sorgfaltsverstoß anzulasten.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung im Umfang von 2.009,71 EUR sA und gab der Klage im Übrigen statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und ließ die ordentliche Revision zunächst nicht zu. Es war der Ansicht, die Beklagte hafte gemäß § 1320 ABGB für die Verletzungen der Klägerin.

[6] In weiterer Folge änderte das Berufungsgericht jedoch auf Antrag der Beklagten seinen Zulassungsausspruch zur Frage, ob ein im allgemeinen Verhalten durchschnittlicher oder folgsamer Hund auch in einer Hundefreilauffläche vom Hundehalter so weit in Ruf- und Sichtweite behalten werden müsse, dass er gegebenenfalls zurückgerufen werden könne, wenn ein anderer Hundehalter zu erkennen gibt, mit einem „gemeinsamen Herumtollen“ beider Hunde nicht einverstanden zu sein.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die erkennbar gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils gerichtete Revision der Beklagten ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der Zulassungsbegründung noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt:

[8] 1. Die von der Beklagten behaupteteAktenwidrigkeit und die Mangelhaftigkeit des zweitinstanzlichen Verfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[9] 2.1. Bereits das Erstgericht hat festgehalten, dass gemäß § 6 Abs 1 Oö Hundehaltergesetz 2002 Hunde an öffentlichen Orten grundsätzlich an der Leine oder mit Maulkorb geführt werden müssen. Innerhalb einer – wie hier – durch Verordnung des Gemeinderats gemäß § 6 Abs 4 Z 1 Oö Hundehaltergesetz 2002 angeordneten „Hundefreilauffläche“ gilt weder Leinen- noch Maulkorbpflicht. Auch innerhalb dieser „Hundefreilaufflächen“ ist gemäß § 3 Abs 2 Z 1 und 2 Oö Hundehaltegesetz 2002 ein Hund in einer Weise zu beaufsichtigen, zu verwahren oder zu führen, dass Menschen und Tiere durch den Hund nicht gefährdet oder über ein zumutbares Maß hinaus belästigt werden.

[10] Im Hinblick darauf begegnet es keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht die zu den Sorgfaltspflichten des Hundehalters in Bezug auf frei laufende Hunde ergangenen höchstgerichtlichen Rechtsprechungsgrundsätze der Beurteilung des vorliegenden Falls zugrunde gelegt hat.

[11] 2.2. Danach können auch von gutmütigen Hunden schon allein durch ihren Spieltrieb Gefahren für Menschen ausgehen, insbesondere wenn es sich um kräftige und schwere Tiere handelt (vgl 6 Ob 104/04v). Bei Spaziergängen im freien Gelände (einem Stadtwäldchen) wurde eine Verkehrsübung anerkannt, dass die Hundehalter ihre nicht bösartigen, folgsamen Hunde frei umherlaufen lassen. Eine Haftung des Tierhalters kommt dann nur bei Erkennbarkeit einer Gefährdung von Personen in Frage (6 Ob 227/05h). Lassen Hundehalter ihre an sich gutmütigen Hunde im gegenseitigen, aus ihrem Verhalten abgeleiteten schlüssigen Einverständnis frei laufen, um ihnen einerseits den Auslauf und andererseits das Umhertollen miteinander zu ermöglichen, so kann dem einen Halter keine Vernachlässigung seiner Verwahrungspflicht und Beaufsichtigungspflicht vorgeworfen werden, wenn sich der andere bei einem Zusammenstoß mit den spielenden Hunden verletzt (1 Ob 57/02t). Ein Hundehalter, der seinen Hund frei laufen lässt, erklärt allerdings nicht schon allgemein sein Einverständnis, auf Ersatzansprüche für Schäden zu verzichten, die auf die allgemeine Unberechenbarkeit des Tieres zurückzuführen sind. Das Nichtanleinen des eigenen Hundes als schlüssiges Verhalten ist nicht schlechthin als Einlassung in alle möglichen Gefahrensituationen auszulegen. Hat der beklagte Halter seinen Hund zum Zeitpunkt des Unfalls nicht im Blickfeld, kann dies den Verlust der Aufsicht und der Möglichkeit, durch Zurückrufen des Tieres eine Gefahrensituation zu vermeiden, indizieren (6 Ob 227/05h [ErwGr 2.]).

[12] Das Maß der Sorgfaltspflichten bei Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage auf (RS0030567 [T1]; RS0030157 [T10]).

[13] 2.3. Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass durch den Spieltrieb von Hunden auch eine Gefahr von diesen ausgehen könne, die sich hier realisiert habe. Für die Beklagte wäre die Gefährdung anderer Personen durch ihren 27 kg schweren, im schnellen Lauf befindlichen Hund erkennbar gewesen. Der Beklagten sei anzulasten, dass sie ihren Hund nicht im Blickfeld behalten habe, nicht auf sein Verhalten geachtet und ihn nicht zu sich gerufen habe, obwohl ihr Hund nicht nur einmal auf jenen der Schwiegertochter der Klägerin zulief, diese ihren Hund selbst zu sich rief und die Beklagte aufforderte, auf ihren Hund zu achten. Daher habe die Beklagte nicht davon ausgehen können, dass sich die Klägerin und deren Schwiegertochter auf die mit dem gemeinsamen Herumtollen von Hunden üblicherweise verbundenen Gefahren eingelassen hätten. Die Beklagte hafte daher für die Verletzungen der Klägerin nach § 1320 Abs 1 ABGB. Darin ist keine vom Obersten Gerichtshof im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken.

[14] 2.4. Soweit die Revision meint, der Beklagten sei der „Entlastungsbeweis“ dahin gelungen, dass für sie keine Gefahr und die Möglichkeit einer Schädigung anderer Personen durch ihren Hund erkennbar gewesen sei, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.

[15] 3. Ob den Kläger ein Mitverschulden am von ihm geltend gemachten Schaden trifft, ist eine Frage des Einzelfalls, die die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nicht verwirklicht (RS0087606 [T11]).

[16] Mit seiner Beurteilung, angesichts der von der Beklagten zu verantwortenden Sorglosigkeit sei es zu vernachlässigen, dass die Klägerin ihren Blick im Unfallszeitpunkt nicht auf die Hunde gerichtet hatte, hat das Berufungsgericht den ihm zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Mit dem bloßen Hinweis, die Klägerin habe der für sie erkennbaren Gefährdung nicht die ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt, zeigt die Revision auch nicht auf, worin eine zumutbare „Selbstsicherung“ der Klägerin bestehen hätte sollen.

[17] 4. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Kostenbemessungsgrundlage im Revisionsverfahren betrug jedoch lediglich 18.121,67 EUR; an Einheitssatz gebühren nur 50 % (§ 23 Abs 5 RATG).

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