European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0060OB00201.20G.0218.000
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
[1] Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag, den in der Generalversammlung am 28. 12. 2018 zum Liquidator der 1***** GesmbH in Liqu. (künftig: die Gesellschaft) bestellten Antragsgegner aus wichtigem Grund gemäß § 89 Abs 2 GmbHG abzuberufen und an seiner Stelle einen anderen Liquidator zu bestellen. Der Antragsteller, der Antragsgegner und die Einschreiterin F***** sind Gesellschafter der Gesellschaft, die weitere Gesellschafterin X***** beteiligte sich nicht am Verfahren.
[2] Das Erstgericht gab dem Antrag statt und bestellte einen nicht dem Kreis der Gesellschafter angehörenden Rechtsanwalt zum selbständig vertretungsbefugten Liquidator.
[3] Das Rekursgericht änderte die Entscheidung über Rekurs des Antragsgegners und der Gesellschafterin F***** ab und wies die Anträge ab.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dem Rechtsmittelwerber gelingt es nicht, eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzuzeigen.
[5] 1. Ein wichtiger Grund zur Abberufung eines Liquidators liegt vor, wenn eine ordnungsgemäße und ungestörte Liquidation ohne Nachteile für die Beteiligten nicht zu erwarten ist (6 Ob 28/20s; vgl RS0060068 [T1]; Haberer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter , WK GmbHG [85. Lfg] § 89 Rz 33 mwN).
[6] Bei der Beurteilung, ob ein wichtiger Grund für die gerichtliche Abberufung von Liquidatoren vorliegt, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (6 Ob 28/20s mwN). Sie hängt daher stets von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass sie regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage bildet, sofern dem Rekursgericht bei seiner Einschätzung nicht eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (6 Ob 219/18a; vgl RS0118175).
[7] 2. Der Rechtsmittelwerber macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, das Rekursgericht habe rechtsirrig angenommen, einem Jahresabschluss könne die Eignung als Liquidationseröffnungsbilanz zukommen; dazu liege keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vor. Die richtige Beurteilung dieser Frage hätte zur Abberufung des Antragsgegners als Liquidator führen müssen. Auf die in erster Instanz behauptete, vom Rekursgericht nicht als solche qualifizierte Interessenkollision zwischen dem Antragsgegner und der Gesellschaft im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren kommt der Rechtsmittelwerber nicht zurück.
[8] 3.1. Gemäß § 91 Abs 1 GmbHG haben die Liquidatoren bezogen auf den Tag der Auflösung eine Eröffnungsbilanz aufzustellen. Dafür gilt eine Frist von fünf Monaten ab Auflösung der Gesellschaft (§ 91 Abs 1 GmbHG iVm § 211 Abs 2 AktG, § 222 Abs 1 UGB; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 91 Rz 4). Auch die für die werbende Gesellschaft geltenden Publizitätsvorschriften sind einzuhalten; die Eröffnungsbilanz ist daher gemäß §§ 277 bis 279, 281 UGB offenzulegen (§ 91 Abs 1 GmbHG iVm § 211 Abs 2 AktG, §§ 277 bis 279, 281 UGB; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 91 Rz 5 aE; Haberer/Zehetner in Straube/Ratka/Rauter , WK GmbHG § 91 Rz 15). Nach §§ 92 iVm 22 Abs 2 GmbHG haben die Gesellschafter Anspruch auf Zusendung der Eröffnungsbilanz ( Haberer/Zehetner in WK GmbHG § 91 Rz 15; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 91 Rz 5 aE).
[9] 3.2. Zusätzlich ist für das mit dem Zeitpunkt der Auflösung endende Rumpfgeschäftsjahr der werbenden Gesellschaft zum Stichtag des Tags vor der Auflösung ein Jahresabschluss nach dem 3. Buch UGB zu erstellen ( Gelter in Gruber/Harrer , GmbHG² § 91 Rz 4; Puchinger/Goess , Leitfaden zur Liquidation kleiner GmbHs, ecolex 2005, 122). Dies ist erforderlich, um eine Beurteilung der Tätigkeit der Geschäftsführer und ihre Entlastung zu ermöglichen und den Erfolg der werbenden Geschäftstätigkeit vom Liquidationserlös abzugrenzen ( Gelter in Gruber/Harrer , GmbHG² § 91 Rz 4; vgl Dellinger , Rechtsfähige Personengesellschaften in der Liquidation [2001] 325). Auch diese Verpflichtung trifft die Liquidatoren ( Haberer/Zehetner in WK GmbHG § 91 Rz 6).
[10] 3.3. Der Jahresabschluss der werbenden Gesellschaft unterscheidet sich von der Liquidationseröffnungsbilanz durch den abweichenden Zweck, was auch auf die Bewertung durchschlägt (ausführlich Dellinger , Personengesellschaften 322 ff). Während bei der werbenden Gesellschaft grundsätzlich vom Going-Concern-Prinzip auszugehen ist (§ 201 Abs 2 Z 2 UGB), liegt der Zweck der Liquidationseröffnungsbilanz in der Darstellung des zu erwartenden Liquidationsergebnisses, typischer Weise durch Zerschlagung der Gesellschaft und Veräußerung der Einzelteile ( Gelter in Gruber/Harrer , GmbHG² § 91 Rz 6). Die Bestimmungen der §§ 201 bis 211 UGB über die Wertansätze und die §§ 224 bis 230 UGB über die Gliederung sind für die Eröffnungsbilanz nicht anwendbar (§ 91 Abs 1 GmbHG iVm § 211 Abs 3 AktG); die Aktiva und Passiva der Gesellschaft sind zu realen Liquidationswerten in die Eröffnungsbilanz aufzunehmen ( Haberer/Zehetner in WK GmbHG § 91 Rz 7; Gelter in Gruber/Harrer , GmbHG² § 91 Rz 7 ff; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 91 Rz 4; Dellinger , Personengesellschaften 330 ff).
[11] 4. Wenn der Liquidator nicht für die zeitgerechte Aufstellung und Zustellung der in § 91 Abs 1 GmbHG verlangten Bilanzen sorgt, kann dies einen wichtigen Grund im Sinn des § 89 Abs 2 GmbHG bilden ( Koppensteiner/Rüffler , GmbHG³ § 89 Rz 18; Gelter in Gruber/Harrer , GmbHG² § 91 Rz 20; vgl 6 Ob 26/19w [aber keine Anwendung des § 89 GmbHG auf den konkreten Fall]).
[12] 5. Im vorliegenden Fall erstellte der Antragsgegner als Liquidator der Gesellschaft einen Jahresabschluss zum 31. 12. 2018, der den Gesellschaftern zugemittelt und offengelegt wurde; er teilte der damaligen Vertreterin des Antragstellers und der Gesellschafterin X***** darüber hinaus mit, dass der Jahresabschluss nach Auskunft des Steuerberaters auch als Liquidationseröffnungsbilanz fungiere.
[13] Nach Zustellung des Antrags auf Abberufung vom 18. 2. 2020 im vorliegenden Verfahren legte der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 9. 3. 2020 eine Liquidationseröffnungsbilanz zum 28. 2. 2018 vor und brachte vor, es sei unrichtig, dass eine solche nicht erstellt worden sei. Die vorgelegte Urkunde wurde den Gesellschaftern zugestellt. Der Rechtsmittelwerber nahm dazu nicht Stellung.
[14] 6. Das Rekursgericht erachtete als ausschlaggebend, dass der Antragsgegner den Gesellschaftern mitgeteilt habe, dass der Jahresabschluss gleichzeitig als Liquidationseröffnungsbilanz herangezogen werde und der Antragsteller gar nicht behauptete, der Jahresabschluss sei als Liquidationseröffnungsbilanz (inhaltlich) ungeeignet gewesen oder nicht nach den für die Liquidationseröffnungsbilanz geltenden Grundsätzen erstellt worden. Derartiges sei auch nicht festgestellt. Ausgehend von diesen Erwägungen verneinte es das Vorliegen einer Pflichtverletzung, die geeignet sei, eine ordnungsgemäße Abwicklung zu verhindern oder verzögern.
[15] 7.1. Die Rechtsansicht des Rechtsmittelwerbers, dass der Liquidator eine Liquidationseröffnungsbilanz und einen Jahresabschluss des durch die Liquidation beendeten Rumpfgeschäftsjahrs aufzustellen, diese den Gesellschaftern jeweils zu übermitteln und sie offenzulegen hat, trifft nach dem oben Gesagten zu. Vorliegend hat der Antragsgegner die ihn als Liquidator treffenden Pflichten offenkundig nicht vollständig eingehalten. Das Rekursgericht maß seiner Pflichtverletzung jedoch nicht das Gewicht eines Abberufungsgrundes nach § 89 Abs 2 GmbHG zu.
[16] 7.2. Der Rechtsmittelwerber nimmt zu den tragenden Erwägungen des Rekursgerichts, im konkreten Fall sei ein Abweichen der im Jahresabschluss vorgenommenen Bewertungen von den für die Eröffnungsbilanz anzuwendenden Grundsätzen nicht behauptet worden oder hervorgekommen, sodass die Gesellschafter ohnehin über die maßgeblichen Informationen verfügt hätten, nicht Stellung. Er verweist lediglich (zutreffend) auf die Verpflichtung zur Aufstellung einer gesonderten Eröffnungsbilanz. Damit wird aber noch nicht dargetan, dass dem Rekursgericht eine unvertretbare Anwendung der dargestellten Grundsätze unterlaufen wären, indem es die Pflichtverletzung des Antragsgegners im vorliegenden Einzelfall nicht als Gefährdung der ordnungsgemäßen Abwicklung ansah.
[17] 7.3. Die generelle Befürchtung, Liquidatoren würden künftig Liquidationstermine im zeitlichen Nahebereich zum Ende des Geschäftsjahres anstreben, um die Aufstellung einer gesonderten Eröffnungsbilanz zu vermeiden, ist unbegründet, weil der Jahresabschluss des (Rumpf‑)Geschäftsjahres und die Liquidationseröffnungsbilanz ohnehin für den Tag vor der Auflösung (Jahresabschluss) bzw den Tag der Liquidation (Eröffnungsbilanz) aufzustellen sind, sodass die zeitliche Nähe stets gegeben ist. Das Rekursgericht hat auch nicht vertreten, dass der Jahresabschluss der werbenden Gesellschaft die Erstellung der Liquidationseröffnungsbilanz ersetzen könnte, sondern der hier stattgefundenen Pflichtverletzung des Liquidators im Einzelfall nicht das Gewicht eines Abberufungsgrundes nach § 89 Abs 2 GmbHG zugemessen.
[18] Die von den Rechtsmittelwerbern als erhebliche Rechtsfrage aufgeworfene Fragestellung, ob bzw unter welchen Umständen von der Aufstellung einer Liquidationseröffnungsbilanz abgesehen werden könne, ist daher für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht entscheidend (vgl RS0088931).
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