European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:E116732
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 2 AußStrG).
Begründung:
Das Erstgericht betraute die getrennt lebenden Eltern der ehelich geborenen Minderjährigen gemeinsam mit der Obsorge und legte fest, dass das Kind im Haushalt des Vaters hauptsächlich betreut wird. Das Kontaktrecht der Mutter regelte es dahin, dass diese berechtigt ist, ihre Tochter weiterhin wöchentlich für zwei Stunden mit Begleitung durch Mag. T* im S*‑Haus in L* zu sehen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.
Rechtliche Beurteilung
Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.
1. Die Rechtsmittelwerberin wendet sich dagegen, dass das Kind hauptsächlich im Haushalt des Vaters betreut wird. Es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, inwieweit ein hauptsächlicher Aufenthalt der Minderjährigen beim Vater in dessen Haushalt zugesprochen werden könne, wenn der Vater in Österreich keinen hauptsächlichen Aufenthaltsort und keinen Haushalt habe, sich über große Zeiträume nicht in Österreich aufhalte, obwohl die Mutter am hauptsächlichen Aufenthaltsort der Minderjährigen dauerhaft wohne.
Die Frage, welchem Elternteil bei der Entscheidung nach § 180 Abs 2 ABGB die hauptsächliche Betreuung zukommen soll, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (3 Ob 121/16i), sodass regelmäßig keine Frage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu beantworten ist.
Maßstab für die Entscheidung über die Obsorge und der Frage, in wessen Haushalt das Kind hauptsächlich betreut wird (§ 180 Abs 2 ABGB) ist das Kindeswohl. Bei der Beurteilung des Wohles des Kindes darf nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, sondern es sind auch Zukunftsprognosen zu stellen (RIS‑Justiz RS0048632). Es kommt darauf an, welcher Elternteil in einer Gesamtschau unter Gegenüberstellung der Persönlichkeit, der Eigenschaften und der Lebensumstände besser zur Wahrnehmung des Kindeswohls geeignet ist (RIS‑Justiz RS0047832 [T12, T13]). Neben dem materiellen Interesse an möglichst guter Verpflegung und guter Unterbringung des Kindes sind auch das Interesse an möglichst guter Erziehung, möglichst sorgfältiger Beaufsichtigung und an möglichst günstigen Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen seelischen und geistigen Entwicklung usw (vgl § 138 ABGB) zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0047832 [T9]). Auch der mögliche Betreuungsbeitrag von Großeltern kann dabei eine Rolle spielen (RIS‑Justiz RS0047832 [T11]).
Das Rekursgericht hat diese Rechtsprechung seiner Entscheidung zugrundegelegt. Die Erziehungsfähigkeit sei beim Vater unter Berücksichtigung der Unterstützung in der Betreuung durch seine Mutter zweifellos als besser einzuschätzen als jene der Mutter. Daran könne auch die Tatsache nichts ändern, dass der Vater derzeit (noch) keinen eigenen Haushalt in Österreich führe, werde doch die Tochter im Haushalt der väterlichen Großmutter von dieser und dem Vater betreut. Es sei in dieser Situation auch gut möglich, die Kontakte zwischen Mutter und Kind aufrecht zu erhalten und zu intensivieren. Der Elternteil, dem die hauptsächliche Betreuung des Kindes zukomme, könne die Betreuungsleistungen auch an Dritte abgeben, die das Kind– meist während der berufsbedingten Abwesenheit – versorgen, ohne dass dadurch das Wohl des Kindes beeinträchtigt wäre. Die Minderjährige werde seit mehreren Monaten vom Vater mit Unterstützung seiner Mutter betreut und die väterliche Großmutter stelle für das Kind eine wichtige Bezugsperson dar. Insofern spreche auch der Kontinuitätsgrundsatz dafür, dem Vater die hauptsächliche Betreuung durch ihn und seine Mutter zu übertragen.
Diese Beurteilung bedarf auf der Grundlage der Feststellungen keiner Korrektur. Dass das Kindeswohl nicht gefährdet wäre, wenn der hauptsächliche Aufenthalt bei der Mutter läge, kann nicht dazu führen, dass das Kind nicht im Haushalt des anderen Elternteils hauptsächlich betreut wird, der besser dazu geeignet ist.
2. Inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände ein Kontaktrecht eingeräumt werden soll, ist ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls abhängig und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG, wenn leitende Grundsätze der Rechtsprechung nicht verletzt werden (RIS‑Justiz RS0097114).
Das Rekursgericht begrenzte die Festlegung des Umfangs und der Modalität der Ausübung des Kontaktrechts im Hinblick auf die zeitlichen Ressourcen der Besuchsbegleiterin und darauf, dass zumindest eine gewisse Zeit die Zusammentreffen zwischen Mutter und Tochter noch begleitet werden sollten, und zwar jedenfalls solange, bis das Verhalten der Mutter eine sichere Prognose dahin zulasse, dass die Kontakttermine eingehalten und die Kontakte im Sinn des Kindeswohls unter vorrangiger Berücksichtigung der Bedürfnisse des Kindes absolviert werden.
Dass auch die Ressourcen eines Besuchsbegleiters für die Häufigkeit der Besuche relevant sein können, wurde schon für Fälle ausgesprochen, in denen die Terminauswahl dem Besuchsbegleiter überlassen wurde (vgl RIS‑Justiz RS0118260). Auch für die Dauer und Häufigkeit von Besuchskontakten zwischen Kindern und ihren nicht hauptbetreuenden Eltern ist anerkannt, dass oberster Grundsatz jeder Kontaktrechtsregelung das Interesse des Kindes ist. Ihre Ausgestaltung hat sich am Kindeswohl zu orientieren (RIS‑Justiz RS0049070 [T2]). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen sind die Fähigkeiten der Mutter im Umgang mit Kleinkindern eingeschränkt. Das Erstgericht erachtete die Besuchsbegleitung noch für angezeigt, um die Mutter zu unterstützen, die Kontakte für die Minderjährige möglichst stressfrei und pädagogisch sinnvoll zu gestalten. Vor diesem Hintergrund ist die Beurteilung, dass das Interesse der Mutter an länger dauernden Besuchskontakten ohne Besuchsbegleitung weniger ins Gewicht fällt als das Interesse des Kindes, stressfrei und pädagogisch sinnvolle Kontakte mit der Mutter unterhalten zu können, jedenfalls vertretbar.
Gründe, weshalb der Beschluss des Rekursgerichts derart mangelhaft sein soll, dass er einer Überprüfung nicht zugänglich wäre (§ 57 Z 1 AußStrG iVm § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG) legt die Revisionsrekurswerberin nicht dar. Die behauptete Mangelhaftigkeit liegt auch nicht vor.
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