European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0060OB00018.14M.0410.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag der Minderjährigen vom 21. 5. 2013, die Zustimmung des Vaters T***** H***** zur klagsweisen Geltendmachung der Schadenersatzansprüche der Minderjährigen aus dem Vorfall vom 25. 12. 2012 durch gerichtliche Entscheidung zu ersetzen, zurückgewiesen wird.
Begründung:
Beiden Eltern, deren Ehe geschieden ist, steht die gemeinsame Obsorge für ihre 2006 geborene Tochter zu.
Am 21. 5. 2013 beantragte die Tochter, vertreten durch ihre Mutter, die vom Vater verweigerte Zustimmung zu ihrer Klagsführung gegen die Lebensgefährtin des Vaters gemäß § 181 Abs 1 Satz 3 ABGB zu ersetzen. Sie sei am 25. 12. 2012 als damals Sechsjährige vom Hund der Lebensgefährtin an der Wange gekratzt und verletzt worden. Die Lebensgefährtin solle als Hundehalterin, die ihre Pflichten nach § 1320 ABGB verletzt habe, auf Schadenersatz, insbesondere auf Schmerzengeld in Höhe von 2.500 EUR, in Anspruch genommen werden.
Das Erstgericht wies den Antrag ab, weil gerechtfertigte Gründe im Sinn des § 181 Abs 1 Satz 3 ABGB für die Weigerung des Vaters vorlägen.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung, trug aber gleichzeitig dem Erstgericht die Bestellung eines Kollisionskurators für die Tochter auf. Es liege kein Fall des § 181 Abs 1 Satz 3 ABGB, sondern ein solcher des § 271 Abs 1 ABGB vor. Der Vater befinde sich in einer Interessenkollision zwischen dem von ihm wahrzunehmenden Interesse der Tochter an der Erlangung von Schadenersatz einerseits und seinem eigenen Interesse, seine Lebensgefährtin nicht mit finanziellen Ansprüchen der Tochter zu belasten, andererseits. Er sei daher von der Vertretung ausgeschlossen. Im Fall der Zustimmung des Kollisionskurators zur Klagsführung werde die Klage einer Entscheidung über die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung zu unterziehen sein; für den Fall der Nichtzustimmung wäre eine Klageführung nicht möglich.
Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu; es bestehe divergierende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Verhältnis von § 181 Abs 1 Satz 3 ABGB (§ 176 Abs 1 Satz 3 ABGB idF vor dem KindNamRÄG 2013; RIS‑Justiz RS0123272; 2 Ob 195/07a) und des § 271 ABGB in Kollisionsfällen im Zusammenhang mit der Zustimmung zu einer Klagsführung oder Antragstellung gemäß § 167 Abs 3 ABGB (§ 154 Abs 3 ABGB idF vor dem KindNamRÄG 2013; RIS‑Justiz RS0049147; 4 Ob 174/99p).
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist im Ergebnis jedoch nicht berechtigt.
1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 4 Ob 174/99p zu einem weitgehend vergleichbaren Sachverhalt klargestellt, dass ein an sich vertretungsbefugter Elternteil von der Vertretung des Kindes infolge Kollision im Sinn des § 271 ABGB für die Dauer seiner Lebensgemeinschaft mit dem (behaupteten) Schädiger des Kindes ausgeschlossen ist. Es liege nämlich ein Widerstreit zwischen den Interessen dieses Elternteils als gesetzlichen Vertreters des Kindes einerseits und jenen des Kindes andererseits (konkret: im Zusammenhang mit der Verfolgung der dem Kind aufgrund eines Hundebisses zustehenden Ansprüche) vor; dieser resultiere aus der Konkurrenz zwischen allfälligen eigenen Wünschen des vertretungsbefugten Elternteils, seinen Lebensgefährten (konkret: als Halter des Hundes) nicht mit finanziellen Ansprüchen des Kindes zu belasten, und dem Interesse des Kindes, berechtigte Ansprüche aus dem Vorfall abgegolten zu erhalten; dieser Widerstreit an Interessen rechtfertige die Besorgnis, der Elternteil als gesetzlicher Vertreter sei in seiner Fähigkeit zur unbefangenen Beurteilung der Ansprüche des Kindes deshalb beeinträchtigt, weil er der Lebensgefährte des in Anspruch zu nehmenden Hundehalters ist.
Diesen Überlegungen schließt sich auch der erkennende Senat an; der Vater ist damit von der Vertretung der Minderjährigen bei der (Nicht‑)Verfolgung ihrer Schadenersatzansprüche ausgeschlossen.
2. Laut RIS-Justiz RS0049030 (T2) ersetzt eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung nicht das Fehlen sonstiger gesetzlicher Erfordernisse, das die Ungültigkeit eines Vertrags zur Folge hat, so insbesondere auch nicht die fehlende Zustimmung eines Kollisionskurators (vgl auch RIS‑Justiz RS0116839). Dies hat das Rekursgericht veranlasst, dem Erstgericht die Bestellung eines Kollisionskurators aufzutragen.
2.1. Der der bereits erwähnten Entscheidung 4 Ob 174/99p zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich vom hier zu beurteilenden insofern, als in ersterem Fall die kollisionsbehaftete Mutter alleinige gesetzliche Vertreterin des Kindes war, während hier nicht nur dem kollisionsbehafteten Vater, sondern auch der Mutter die Obsorge zukommt. Damit ist die Tochter aber auch hinsichtlich der Verfolgung ihrer Schadenersatzansprüche nicht vertreterlos.
2.2. In der Literatur wird für eine solche Konstellation einhellig (Stabentheiner in Rummel 3 Ergbd [2003] §§ 145a‑145c ABGB Rz 2; Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 Bd 1 [2011] §§ 271, 272 Rz 6; ders in Schwimann/Kodek, ABGB4 ErgBd 1a [2013] §§ 271, 272 Rz 6; ebenda Nademleinsky § 167 Rz 3; Mondel, Die Kuratoren im österreichischen Recht2 [2013] Rz 6/113) die Meinung vertreten, dass das Zustimmungserfordernis des von der Kollision betroffenen Elternteils entfällt und ein Kollisionskurator nicht bestellt werden muss.
2.3. Die in RIS-Justiz RS0049030 (T2) indizierten Entscheidungen sprechen nicht gegen die von der Literatur vertretene Auffassung: 6 Ob 518/82 behandelt eine Sachwalterschaft (siehe die Veröffentlichung dieser Entscheidung in MietSlg 34.008); für einen Betroffenen kann aber immer nur ein Sachwalter bestellt werden. In den Fällen der Entscheidungen 7 Ob 112/02z und 1 Ob 95/12w wiederum bestand jeweils (offensichtlich) Alleinobsorge jenes Elternteils, der durch den Kollisionskurator zu ersetzen gewesen wäre; dies war auch im Fall der Entscheidung 7 Ob 134/10x so. Dass in solchen Fallkonstellationen eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Prozessführung die Bestellung eines Kollisionskurators nicht zu ersetzen vermag, bedarf keiner weiteren Erörterung.
2.4. Der erkennende Senat schließt sich der von der Literatur vertretenen Auffassung an. Vor allem die Begründung Mondels (Kuratoren Rz 6/110 ff) überzeugt, der darauf hinweist, dass § 167 ABGB nicht zwingend die Vertretung des Kindes durch mehrere bei Maßnahmen des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs beziehungsweise einer Klagsführung vorsieht; vielmehr könne doch auch der allein obsorgeberechtigte Elternteil allein (!) vertreten.
Dies gilt auch in den Fällen des § 167 Abs 2 und 3 ABGB, der ja nur dann einschlägig ist, wenn dem anderen Elternteil überhaupt Mitobsorge zukommt; gerade dies ist hier aber nicht der Fall, fehlt es doch dem Vater aufgrund seines Interessenwiderstreits an einer Vertretungsbefugnis.
Im Übrigen haben die Absätze 2 und 3 des § 167 ABGB wohl eher eine Schutzfunktion zugunsten des anderen Elternteils, der etwa durch eine Namensänderung nicht überrascht werden, sondern insofern mitentscheiden können soll. Ist dieser Elternteil aber von einem Interessenwiderstreit erfasst, bedarf er eines solchen Schutzes nicht.
2.4. Dass dem ABGB Alleinvertretung des Kindes durch einen Elternteil trotz an sich vorhandenem mitobsorgeberechtigten Elternteil nicht gänzlich unbekannt ist, zeigt § 178 Abs 1 Satz 1. Diese Bestimmung sieht in bestimmten Fällen der Verhinderung eines von zwei obsorgeberechtigten Elternteilen (etwa bei unbekanntem Aufenthalt) die alleinige Vertretung durch den anderen Elternteil vor. Dass der Fall der Interessenkollision eines Elternteils hier nicht genannt ist, schadet nicht; die Bestimmung kann durchaus analog angewendet werden (Weitzenböck aaO; weitere Anwendungsfälle siehe bei Gitschthaler/Haberl in Schwimann/Kodek, ABGB4 ErgBd 1a § 178 Rz 7).
2.5. Zuletzt ist noch auf die Entscheidung 1 Ob 2410/96k zu verweisen: Dort wurde ein eheliches Kind während aufrechter Ehe (also bei alleiniger Obsorge beider Elternteile) von der Mutter vertreten, dem der Vater eine Liegenschaft schenkte. Der Oberste Gerichtshof hielt dies ‑ auch ohne Bestellung eines Kollisionskurators ‑ für wirksam.
3. Da somit der Vater die Tochter bei Verfolgung ihrer Schadenersatzansprüche infolge Interessenwiderstreits nicht vertreten kann, verliert er auch sein Zustimmungsrecht nach § 167 Abs 2 und 3 ABGB, ohne dass es der Bestellung eines Kollisionskurators bedarf. Damit wäre der Antrag der Tochter auf Ersetzung der väterlichen Zustimmung aber zurückzuweisen gewesen. Diese Richtigstellung war mittels Maßgabebestätigung vorzunehmen.
Das Erstgericht wird nun in weiterer Folge über die Genehmigung der Schadenersatzklage der Tochter zu entscheiden haben.
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