OGH 6Ob111/10g

OGH6Ob111/10g24.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** AG, *****, vertreten durch Dr. Reinhard Kraler, Rechtsanwalt GmbH in Lienz, gegen die beklagte Partei Ing. W***** L*****, vertreten durch Mag. Claudia Egarter, Rechtsanwältin in Klagenfurt, als Verfahrenshelferin, wegen 29.109,25 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 16. März 2010, GZ 2 R 36/10x-20, womit das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. Jänner 2010, GZ 20 Cg 54/09g-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.680,84 EUR (darin 280,14 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die klagende Partei räumte dem Beklagten mit Vereinbarung vom 27. 11. 1996 ein Geschäftskonto ein. Auf diesem Konto stieg im Laufe der Jahre das Obligo immer mehr an. Zur Sicherstellung aller vergangenen und künftigen Forderungen der Klägerin verpfändete der Beklagte am 13. 6. 2007 seine bei der Aspecta Lebensversicherungs AG bestehende Lebensversicherung, die er am 1. 12. 2003 mit einer Laufzeit von 28 Jahren und einer Prämiensumme von 40.117,32 EUR bei monatlichen Prämien von 40 EUR abgeschlossen hatte. Gleichzeitig übergab der Beklagte der Klägerin ein Kündigungsschreiben; die Aspecta wurde von der Verpfändung verständigt.

Mit weiterem Pfandvertrag vom 13. 6. 2007 verpfändete auch M***** U***** der Klägerin zur Sicherstellung ihrer bestehenden und künftigen Forderungen aus dem angeführten Konto seine Lebensversicherung bei der Nürnberger Versicherung Aktiengesellschaft Österreich, die er am 1. 1. 2000 mit einer Laufzeit von 35 Jahren abgeschlossen und auf die er letztlich zwischen 18.000 EUR bis 20.000 EUR eingezahlt hatte.

Am 28. 4. 2008 bestand auf dem Konto ein Überziehungsrahmen von 28.000 EUR. Der tatsächliche Negativsaldo betrug aber 37.112,23 EUR. Über Ersuchen des Beklagten vereinbarten die Streitteile, dass dem Beklagten bis 31. 5. 2008 ein weiterer Überziehungsrahmen von 12.000 EUR gewährt werde, das Obligo aber bis 30. 6. 2008 auf 38.000 EUR und bis 31. 12. 2008 auf 31.000 EUR zurückgeführt werde.

Da dem Beklagten bis 30. 6. 2008 die Rückführung nicht gelang, verlängerte die Klägerin die Frist zur Rückführung des Obligos um rund 3.200 EUR bis 31. 7. 2008.

Mit Schreiben vom 1. 8. 2008 räumte die Klägerin dem Beklagten die weitere Möglichkeit der Saldoverringerung um 3.200 EUR bis 4. 8. 2008 ein, widrigenfalls sie ihm die Veranlassung des sofortigen Rückkaufs der ihr verpfändeten Versicherungen ankündigte.

Sie wiederholte diese Androhung mit weiterem Schreiben vom 20. 8. 2008 für den Fall, dass die Saldoverringerung auf 38.000 EUR nicht bis zum 22. 8. 2008 erfolge.

Nachdem am 17. 9. 2008 das Obligo 41.181,54 EUR erreicht hatte, veranlasste die Klägerin am 18. 9. 2008 den Rückkauf der Lebensversicherungen zum 1. 12. 2008, worüber der Beklagte mit Schreiben vom 6. 10. 2008 von der Aspecta schriftlich verständigt wurde. Die Aspecta überwies in der Folge die aus dem Rückkauf resultierenden 10.136 EUR; die Nürnberger Lebensversicherung überwies den aus dem Rückkauf resultierenden Betrag von 4.449,30 EUR. Daraus resultierte eine Saldoverringerung auf 29.109,25 EUR.

Nachdem es bei einem Treffen im Jänner 2009 zu keiner Einigung gekommen war, forderte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 24. 2. 2009 letztmalig auf, den zum 13. 3. 2009 bestehenden Soll-Stand auf dem Konto von 29.980,36 EUR bis dahin abzudecken.

Die Klägerin begehrt nunmehr Zahlung dieses Betrags. Der Beklagte wandte ein, durch den Rückkauf der Lebensversicherung habe er einen Verlust von zumindest 35.000 EUR erlitten, welcher Betrag kompensando eingewendet werde. Hätte der Beklagte von einer Realisierung der verpfändeten Lebensversicherungen ausgehen müssen, hätte er ein Angebot des M***** U*****, ihm 10.000 EUR zur Obligoverringerung zur Verfügung zu stellen, angenommen oder seine Verwandten um die vorerst nötigen 3.000 EUR gebeten.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Dabei stellte es zusätzlich zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest, dass sich der Beklagte auch nach Verständigung durch die Aspecta Lebensversicherung von der Kündigung seiner Lebensversicherung durch die Klägerin mit Schreiben vom 6. 10. 2008 bei der Klägerin nicht meldete, sondern erst für den 1. 12. 2008 einen in der Folge wegen starken Schneefalls nicht zustande gekommenen Termin vereinbarte.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass die Klägerin aufgrund der Nichteinhaltung des „Zahlungsplans“ gemäß §§ 460a, 466a ff ABGB und § 368 UGB zur außergerichtlichen Verwertung der verpfändeten Lebensversicherungen berechtigt gewesen sei. Im Hinblick auf die mehrfachen Zahlungszielverlängerungen und die Untätigkeit des Beklagten habe die Klägerin auch angemessen iSd § 466a Abs 2 ABGB auf die Interessen des Beklagten Bedacht genommen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach Verwerfung einer Beweisrüge erwog es in rechtlicher Sicht, dass bei der Interessenwahrungspflicht nach § 466a Abs 2 ABGB keine allzu strengen Maßstäbe angelegt werden dürften. Warum die klagende Partei nicht zur Fälligstellung im Umfang der Pfanddeckung berechtigt gewesen sein solle, habe doch der Beklagte nicht nur das Konto überzogen, sondern durch Monate auch die vereinbarte Rückführung des Obligos nicht bewirken können und sich danach gar nicht mehr gemeldet, sei nicht ersichtlich.

Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision mit der Begründung zu, zwar habe das Berufungsgericht keine den Einzelfall an Bedeutung übersteigende Rechtsfragen erkannt, der Revisionswerber zeige aber auf, dass zu der 2005 neu eingeführten Bestimmung des § 466a ABGB noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Zulässigkeitsausspruch nicht zulässig.

1. Nach § 508 Abs 3 ZPO hat das Berufungsgericht, wenn es einen Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO für stichhältig hält, seinen Ausspruch mit Beschluss abzuändern und auszusprechen, dass die ordentliche Revision doch nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist. Nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes ist nicht zweifelhaft, dass das Berufungsgericht gemäß § 508 Abs 3 und 4 ZPO die Stichhältigkeit eines Abänderungsantrags prüfen muss (Zechner in Fasching/Konecny 2 § 508 ZPO Rz 9). Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision darf daher nur dann abgeändert werden, wenn der Rechtsmittelwerber nach der Überzeugung des Berufungsgerichts tatsächlich eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigte, von deren Lösung die Entscheidung abhängt, die jedoch bei der ersten Beurteilung der Zulässigkeitsfrage übergangen wurde. Die Möglichkeit zur nachträglichen Zulassung der ordentlichen Revision soll daher als Notventil dienen, um auf diesem Weg den - nach der späteren Überzeugung der zweiten Instanz - versehentlich ergangenen fehlerhaften Ausspruch über die Unzulässigkeit der ordentlichen Revision zu korrigieren. Dieser Stichhältigkeitsprüfung wird nicht entsprochen, wenn das Berufungsgericht ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung die bloße Behauptung des Abänderungswerbers über das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zur Begründung für die Zulassung der Revision heranzieht (vgl 1 Ob 46/04b; Zechner aaO), haben doch - neben der vom Gesetzgeber beabsichtigten Entlastung des Obersten Gerichtshofs - beide Parteien einen Anspruch auf effizienten Rechtsschutz unter Vermeidung unnötiger Kosten (1 Ob 8/99d; Zechner aaO). Das bloße Fehlen höchstgerichtlicher Entscheidungen reicht für das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dann nicht aus, wenn die Lösung der maßgebenden Rechtsfrage selbstverständlich ist bzw sich schon aus dem Gesetzeswortlaut eindeutig ergibt (4 Ob 45/95; 3 Ob 20/04v; Zechner in Fasching/Konecny 2 § 502 ZPO Rz 47), sodass nur die in der angefochtenen Entscheidung zweiter Instanz erstmals vorgenommene Auslegung ernsthaft in Betracht zu ziehen ist, soweit demnach gar keine Zweifel entstehen können (Zechner aaO; RIS-Justiz RS0042656).

2.1. Nach der durch das HaRÄG eingefügten Bestimmung des § 466a ABGB kann der Pfandgläubiger sich aus einer beweglichen körperlichen Sache auch durch den Verkauf der Sache befriedigen. Nach § 466a Abs 2 ABGB hat der Pfandgläubiger bei der Verwertung der Sache angemessen auf die Interessen des Pfandgebers Bedacht zu nehmen.

Diese Bestimmung ist als Grundregel für die Durchführung der Verwertung zu verstehen; die folgenden Bestimmungen stellen eine Konkretisierung dar (ErläutRV 1058 BlgNR 22. GP 69; Schauer in Krejci, Reformkommentar UGB § 466a ABGB Rz 4). Dazu gehört auch die in § 466b ABGB angeordnete Verpflichtung zur vorherigen Androhung des Verkaufs. Durch die Pflicht zur Verständigung des Pfandbestellers von der Verwertung soll diesem Gelegenheit eröffnet werden, die Schuld zu begleichen und eine Pfandverwertung abzuwehren (ErläutRV 1058 BlgNR 22. GP 69).

2.2. § 466a Abs 2 ABGB trägt dem Interessenkonflikt Rechnung, dass der Pfandgläubiger in der Regel nur daran interessiert ist, einen die gesicherte Forderung deckenden Erlös zu erzielen, während das Interesse des Pfandgebers wegen der Chance auf eine Hyperocha auf einen möglichst hohen Erlös gerichtet ist (Schauer aaO; vgl auch ErläutRV 1058 BlgNR 22. GP 69).

2.3. Bei der Interessenabwägung zugunsten des Gläubigers sind keine zu strengen Maßstäbe anzulegen (Schauer aaO), weil die Pfandverwertung dem Befriedigungsinteresse des Gläubigers nach der Fälligkeit der Forderung dient. Die Prävalenz der Gläubigerinteressen findet auch im Gesetzeswortlaut einen Niederschlag: § 466a Abs 1 ABGB geht offenkundig vom Verwertungsinteresse des Gläubigers aus und verpflichtet diesen nur, angemessen auf die Interessen des Pfandgebers Bedacht zu nehmen (Schauer aaO).

3. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Verwertung ist dem Gläubiger weitgehende Freiheit einzuräumen, weil er nach Fälligkeit der Forderung berechtigt ist, sich zu jeder Zeit von der Pfandsache zu befriedigen (Schauer aaO Rz 4, 5). Eine Schadenersatzpflicht des Gläubigers käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Gläubiger rechtsmissbräuchlich einen ungünstigen Zeitpunkt auswählt (Schauer aaO; vgl auch Wiegand in Staudinger, BGB § 235 Rz 4).

4.1. Von einer Verletzung der Interessenwahrungspflicht durch die Klägerin kann keine Rede sein. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat die Klägerin den Beklagten unter Angabe der ausstehenden Forderung vor dem Rückkauf seiner Lebensversicherung sogar mehrmals verständigt. Allenfalls könnte dem Gläubiger im Rahmen der Interessenwahrungspflicht ein kurzfristiges Zuwarten dann zugemutet werden, wenn dadurch ein wesentlich größerer Erlös erzielt werden könnte. Dies wurde im vorliegenden Fall aber nicht einmal behauptet; die Feststellungen der Vorinstanzen bieten dafür auch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Vielmehr wäre es am Beklagten gelegen, durch Bezahlung des entsprechenden Betrags die Verwertung zu verhindern.

4.2. Nicht stichhältig ist auch der Einwand des Beklagten, dass die Klägerin zunächst lediglich die von M***** U***** verpfändete Lebensversicherung hätte verwerten sollen, weil der fällige Betrag von ca 3.000 EUR darin bereits Deckung gefunden hätte. Einerseits kann der Gläubiger, dem für dieselbe Forderung mehrere Sicherheiten zustehen, grundsätzlich frei entscheiden, welche Sicherheit er verwertet und ob er auf mehrere Sicherheiten gleichzeitig greifen will (RIS-Justiz RS0003455, RS0003648). Eine Verpflichtung, zuerst die ausreichende Pfandhaftung geltend zu machen, bedürfte einer besonderen Vereinbarung (Hinteregger in Schwimann, ABGB3 § 465 Rz 1). Andererseits hat das Erstgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung die Feststellung nachgetragen, dass es sich beim Obligo des Beklagen um eine täglich fällige Schuld handelte. Damit sind die zwischen den Streitteilen vereinbarten Zahlungsziele aber als reine Stundungen, welche die Fälligkeit unberührt lassen (RIS-Justiz RS0017597), zu verstehen. Es wäre dem Beklagten freigestanden, vom Angebot der klagenden Partei Gebrauch zu machen, durch Zahlung von ca 3.000 EUR die Verwertung der Lebensversicherungen abzuwenden. Durch Nichtannahme dieses Angebots wurde jedoch die Verwertungsbefugnis der klagenden Partei nicht auf diesen Betrag beschränkt.

5. Der Einwand, dass das Erstgericht nicht über die eingewendete Gegenforderung ausdrücklich abgesprochen hat, geht ins Leere. Das Unterlassen der ausdrücklichen Entscheidung über die Gegenforderung hat der Beklagte nämlich in seiner Berufung nicht gerügt, sodass dieser Formalfehler vom Obersten Gerichtshof nicht mehr aufgegriffen werden kann (vgl 6 Ob 110/02y).

6. Die Beweiswürdigung ist im Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof, der nur Rechts-, aber nicht Tatsacheninstanz ist, nur dann anfechtbar, wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht auseinandergesetzt hat (RIS-Justiz RS0043371). Auf die Frage, ob von der Klägerin zugesichert wurde, dass die Sicherheiten nicht realisiert werden, ist das Berufungsgericht ausführlich eingegangen. Die inhaltliche Überprüfung dieser Erwägungen ist dem Obersten Gerichtshof verwehrt.

7. Weil der eingewendete Schadenersatzanspruch des Beklagten schon dem Grunde nach nicht berechtigt ist, erübrigt sich ein Eingehen auf den gerügten Verfahrensmangel, den der Beklagte darin erblickt, dass die Vorinstanzen keinen Sachverständigen zur Ermittlung der Schadenshöhe beigezogen haben.

8. Zusammenfassend bringt der Beklagte somit keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

9. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die klagende Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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