European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00063.18B.0117.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Der Antrag der beklagten Partei auf Zuspruch von Kosten für ihre Revisionsbeantwortung wird abgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Streitgegenstand dieses Aufhebungsverfahrens ist (nur) der von der klagenden Partei mit ihrer Aufhebungsklage ausdrücklich und rechtzeitig geltend gemachte Aufhebungsgrund des Fehlens einer Schiedsvereinbarung iSd § 611 Abs 2 Z 1 1. Fall ZPO. Die Beschränkung auf diesen von ihr auch als mangelnde Zuständigkeit des Schiedsgerichts bezeichneten Aufhebungsgrund findet im Urteilsbegehren insofern ihren Niederschlag, als die klagende Partei die mit der Entscheidung über die Sache getroffene Zuständigkeitsentscheidung aufzuheben begehrt.
2.1. Die von der klagenden Partei in ihrer Zulassungsbegründung aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Fortsetzung der Verhandlung unter Verwertung der bisherigen Verfahrensergebnisse nach § 591 Abs 2 ZPOim Fall der Bestellung eines Ersatzschiedsrichters nach gerichtlicher Enthebung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts wegen Befangenheit betreffen nicht den Aufhebungstatbestand des § 611 Abs 2 Z 1 ZPO. Diesen fehlt es daher schon an der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderlichen Präjudizialität (vgl RIS-Justiz RS0088931).
2.2. Gleiches gilt für die weitere von der klagenden Partei als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO angesehene Frage der Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung der Beurteilung des Schiedsgerichts, das Schiedsverfahren sei trotz Zurücknahme der Schiedsklage zufolge Vorliegens eines berechtigten Interesses der beklagten Partei an der endgültigen Beilegung der Streitigkeit iSd § 608 Abs 2 Z 2 ZPO fortzusetzen.
2.3. Ob die Vorwürfe, die die klagende Partei in ihrem Revisionsvortrag im Zusammenhang mit diesen Rechtsfragen erhebt, zur Aufhebung des Schiedsspruchs aufgrund eines Verstoßes gegen den verfahrensrechtlichen ordre public iSd § 611 Abs 2 Z 5 ZPO oder – in Bezug auf die Fortsetzung des Schiedsverfahrens trotz Zurücknahme der Schiedsklage – aufgrund einer Überschreitung der von den Parteien gestellten Sachanträge (Rechtsschutzbegehren) gemäß § 611 Abs 2 Z 3 2. Fall ZPO führen könnten, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Die klagende Partei hat diese Aufhebungsgründe (ausdrücklich) nicht geltend gemacht.
3.1. Nach dem (von der klagenden Partei geltend gemachten) Aufhebungsgrund des § 611 Abs 2 Z 1 1. Fall ZPO ist ein Schiedsspruch aufzuheben, wenn eine gültige Schiedsvereinbarung nicht vorhanden ist. Dieser Aufhebungsgrund erfasst jeden Fall der Nichtexistenz einer Schiedsvereinbarung (für den vorliegenden Streitgegenstand), wenn also gar kein, ein unwirksamer oder formungültiger Schiedsvertrag vorliegt (ErläutRV 1158 BlgNR 22. GP 26; Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 611 Rz 4). Ist eine Schiedsvereinbarung zwar vorhanden, deckt ihre objektive Reichweite aber den Streitgegenstand nicht, so liegt ebenfalls ein Fall des § 611 Abs 2 Z 1 ZPO vor. In diesem Fall besteht eine Doppelerfassung sowohl nach § 611 Abs 2 Z 1 ZPO als auch nach § 611 Abs 2 Z 3 1. Fall ZPO (Hausmaninger in Fasching/Konecny IV/23 § 611 ZPO Rz 92).
3.2. Über das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung entscheidet das Schiedsgericht als Teil seiner Zuständigkeitsentscheidung (ErläutRV 1158 BlgNR 22. GP 15 [zu § 592 Abs 1 ZPO]; Hausmaninger aaO § 592 ZPO Rz 38 mwN). Die Entscheidung kann mit der Entscheidung in der Sache getroffen werden, aber auch gesondert in einem eigenen Schiedsspruch (§ 592 Abs 1 ZPO). Ein Schiedsspruch (Zwischenschiedsspruch oder Endschiedsspruch), mit welchem das Schiedsgericht seine Zuständigkeit nach Ansicht einer Schiedspartei zu Unrecht bejaht oder verneint, ist mit Aufhebungsklage gemäß § 611 Abs 2 Z 1 oder Z 3 ZPO vom zuständigen staatlichen Gericht zu überprüfen (Hausmaninger aaO § 592 ZPO Rz 64). Die Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts ist spätestens mit dem ersten Vorbringen zur Sache zu erheben (§ 592 Abs 2 Satz 1 ZPO). Eine Fristversäumung präkludiert die Rüge nicht nur im (weiteren) Schiedsverfahren, sondern auch im Aufhebungs- und Vollstreckungsverfahren (Hausmaninger aaO § 592 ZPO Rz 57, § 611 ZPO Rz 93 mwN).
3.3. Die klagende Partei stützte ihre Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts (abgesehen von den nicht unter den Aufhebungsgrund des § 611 Abs 2 Z 1 ZPO subsumierbaren Gründen) auf den Wegfall der Schiedsvereinbarung einerseits durch Zeitablauf und andererseits durch deren außerordentliche Kündigung.
4.1. Eine Schiedsvereinbarung ist als Prozessvertrag grundsätzlich einer Befristung zugänglich (Hausmaninger aaO § 581 Rz 115; Zeiler, Schiedsverfahren2 § 579 Rz 27; Koller in Liebscher/Oberhammer/Rechberger Schiedsverfahrensrecht II, Rz 3/154 f). Im Fall der Beendigung einer Schiedsvereinbarung durch Zeitablauf tritt diese außer Kraft. Auch ein solcher Wegfall einer Schiedsvereinbarung ist unter den Aufhebungsgrund des Nichtvorhandenseins einer solchen iSd § 611 Abs 2 Z 1 1. Fall ZPO zu subsumieren (ErläutRV 1158 BlgNR 22. GP 26). Zwar ist fraglich, ob ein Fristablauf erst nach Einleitung aber noch vor Beendigung des Schiedsverfahrens überhaupt zum Wegfall der Schiedsvereinbarung führen darf (vgl Hausmaninger aaO § 581 Rz 115; Zeiler aaO § 579 Rz 27; Koller aaO Rz 3/155 FN 492). Diese Frage wäre hier aber nur dann von Relevanz und zu klären, wenn tatsächlich eine derartige Befristung der Schiedsabrede vereinbart wurde. Gleiches gilt für die Frage, ob die (darauf gegründete) Einrede rechtzeitig erhoben wurde oder iSd § 592 Abs 2 Satz 1 ZPO zufolge Fristversäumnis präkludiert ist.
4.2. Schiedsvereinbarungen sind als Prozesshandlungen (Prozessverträge) zu beurteilen. Zur Auslegung des Schiedsvertrags sind daher grundsätzlich die Vorschriften des Prozessrechts heranzuziehen (RIS-Justiz RS0045045). Entscheidend ist stets der Wille der Vertragsparteien, der im Einzelfall durch Auslegung – anhand des Wortsinns der relevanten Willenserklärungen in seiner gewöhnlichen Bedeutung, den Umständen der Erklärung und den im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuchen (RIS‑Justiz RS0017915) – ermittelt werden muss (18 OCg 1/15v). Das Ergebnis dieser Auslegung ist grundsätzlich einzelfallbezogen und begründet daher keine erhebliche Rechtsfrage, sofern nicht ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936, RS0042776, RS0112106; zum Inhalt einer Schiedsvereinbarung RIS-Justiz RS0018023 [T6, T11]; RS0045045 [T7]). Die Vorinstanzen vertraten hier übereinstimmend die Rechtsansicht, dass die Parteien die Schiedsvereinbarung nicht im eigentlichen Sinne befristet haben, der aus den Bezug habenden Regelungen ableitbare Parteiwille also nicht auf eine echte Befristung der Schiedsvereinbarung und Wegfall der Schiedsvereinbarung nach Zeitablauf gerichtet war. Diese Rechtsansicht ist im Hinblick auf die von den Vorinstanzen eingehend dargestellten Erwägungen jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.
4.3. Bei dieser Sachlage fehlt es den in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Präklusion der auf den Zeitablauf gestützten Einrede der Unzuständigkeit des Schiedsgerichts wiederum an der für die Zulässigkeit des Rechtsmittels erforderlichen Präjudizialität (RIS‑Justiz RS0088931). Diese von den Vorinstanzen zusätzlich herangezogene Hilfsbegründung kann – abgesehen von der Einzelfallbezogenheit der Beurteilung – nicht zum Gegenstand des außerordentlichen Rechtsmittels gemacht werden, weil sie für den Streitausgang nicht (mehr) erheblich ist (RIS‑Justiz RS0042736; RS0118709 [T2]).
5.1. Analoges gilt für den behaupteten Wegfall der Schiedsvereinbarung zufolge außerordentlicher Kündigung.
5.2. Die Kündigung einer Schiedsvereinbarung wird grundsätzlich als möglich angesehen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der bewirkt, dass die Durchführung oder Fortsetzung des Schiedsverfahrens für eine Schiedspartei unzumutbar wird. Ein solcher wichtiger Grund liegt insbesondere auch dann vor, wenn die Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes oder eines fairen Verfahrens nicht mehr sichergestellt ist (Koller aaO Rz 3/383 f; Hausmaninger aaO § 581 Rz 132; vgl RIS‑Justiz RS0045027). Die Kündigung einer Schiedsvereinbarung ist dabei gleich der Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses eine auf Vertragsauflösung gerichtete empfangsbedürftige Willenserklärung, die unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung hat (RIS‑Justiz RS0028586, RS0028555, RS0020951). Für den Zugang einer solchen Willenserklärung reicht es aus, dass sie in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, selbst wenn sie dieser persönlich nicht erhalten hat. Stets ist aber vorausgesetzt, dass die Willenserklärung (Kündigung) dem Vertragspartner gegenüber abgegeben wird; Erklärungen, die nur an einen Dritten gerichtet sind, reichen auch dann nicht aus, wenn der Vertragspartner von ihnen Kenntnis erlangt (2 Ob 117/10k mwN; RIS‑Justiz RS0014030). Das gilt auch für ein Prozessvorbringen, weil auch dieses sich an das Prozessgericht richtet und nicht an die Prozessgegnerin. Die Annahme privatrechtlicher Rechtsfolgen von Prozesshandlungen der Parteien, die ihrem Inhalt nach an die Behörde (und nicht an den Gegner) gerichtete Willensäußerungen sind und in erster Linie verfahrensrechtliche Folgewirkungen herbeiführen sollen, ist nur sehr eingeschränkt möglich (RIS‑Justiz RS0014030 [T5]). So ist etwa die Klagerücknahme (unter Anspruchsverzicht) eine reine Prozesshandlung, der aber die Eignung zur Doppelfunktionalität zukommen kann. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, ob die Rücknahmeerklärung auch eine privatrechtliche Willenserklärung enthält (4 Ob 62/18y).
5.3. Die klagende Partei hat – entgegen ihrer Behauptung in der Zulassungsbegründung – die Schiedsabrede nicht ausdrücklich mit Eingabe vom 16. 1. 2012 außerordentlich gekündigt. An anderer Stelle stellt sie vielmehr selbst dar, dass und warum ihre Eingaben, „insbesondere“ aber die Klagerücknahme mit Eingabe vom 16. 1. 2012, rechtlich ohne jeden Zweifel als außerordentliche Kündigung der Schiedsvereinbarung durch die klagende Partei zu werten seien. Unabhängig davon, ob sie als reine Prozesshandlung oder als doppelfunktionale Prozesshandlung zu verstehen sind, bedürfen die von der klagenden Partei als Kündigung gewerteten Erklärungen einer Auslegung. Bei der Auslegung einer Prozesshandlung kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozesslage und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RIS‑Justiz RS0037416, RS0017881, RS0097531). Bei Prozesshandlungen kommt es also nur auf den objektiven Erklärungswert an (4 Ob 62/18y). Wie eine Erklärung aufzufassen ist, ist jeweils nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und wirft daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage auf. Lediglich grobe Auslegungsfehler und krasse Fehlbeurteilungen sind vom Obersten Gerichtshof aufzugreifen (vgl RIS‑Justiz RS0042555 [T2, T6, T11, T17]; RS0042936; RS0044273 [T52, T53, T56]; RS0042828 [T10; T11, T16, T29, T31]). Solches trifft hier nicht zu. Die vom Berufungsgericht geteilte Auffassung des Erstgerichts, dem Vorbringen der klagenden Partei im Schreiben vom 16. 1. 2012sei eine materiell‑rechtliche Willenserklärung nicht zu entnehmen, ist ebensowenig korrekturbedürftig, wie die Beurteilung des Berufungsgerichts, eine solche sei jedenfalls nicht gegenüber der Beklagten erklärt worden.
6.1. Die Revision ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und zurückzuweisen.
6.2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Die von der beklagten Partei ohne Freistellung durch den Obersten Gerichtshof eingebrachte Revisionsbeantwortung diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung (§ 508a Abs 2 ZPO). Deren Kosten hat die beklagte Partei daher selbst zu tragen.
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