European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0050OB00028.22M.0421.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Beklagte war als vom Gericht beigezogener medizinischer Sachverständiger in einem Schadenersatzprozess tätig (Vorprozess), den ein in einem Krankenhaus der Klägerin behandelter Patient führte. In diesem Vorprozess wurde festgestellt, dass den Ärzten im Zug der Untersuchungen ein Behandlungsfehler (verspätetes Erkennen der Indikation einer erforderlichen Rettungsoperation des Handgelenks) unterlaufen war. Die nunmehrige Klägerin wurde zur Zahlung (eines geringen Teils des Leistungsbegehrens) verpflichtet.
[2] Die Klägerin begehrte, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr den (näher aufgeschlüsselten) Schaden durch den Teilprozessverlust im Vorprozess zu ersetzen. Sie brachte zusammengefasst vor, die gutachterliche Schlussfolgerung des Beklagten sei „objektiv gesehen falsch“ gewesen; bei richtiger Gutachtenserstattung wäre zu ihren Gunsten ein zur Gänze abweisendes Urteil ergangen.
[3] Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, er habe sein Sachverständigengutachten nach den Regeln der Kunst erstattet; dass die Ärzte der Klägerin bei der Behandlung des Patienten einen Fehler zu verantworten hätten, könne ihm nicht angelastet werden.
[4] Das Erstgericht wies die Klage ab.
[5] Die Schlussfolgerungen des Beklagten als gerichtlicher Sachverständiger im Vorprozess seien sachlich richtig gewesen. Ein schuldhaftes, haftungsbegründendes Verhalten liege daher nicht vor.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung.
[7] Im Vorprozess sei der Schadenersatzanspruch des Patienten nicht nur auf Behandlungsfehler, sondern auch auf Aufklärungspflichtverletzungen gestützt worden. Die behandelnden Ärzte der Klägerin hätten eine Röntgenaufnahme vom 5. September 2016 unstrittig nicht befundet, die jedoch umgehend weiterführende Untersuchungen erforderlich gemacht habe; die bereits indizierte Rettungsoperation sei dann erst rund acht Wochen später durchgeführt worden. Da sich gezeigt habe, dass die Schlussfolgerungen des Beklagten im Vorprozess sachlich richtig gewesen seien, hafte er nicht für den teilweisen Prozessverlust der Klägerin.
[8] Nachträglich ließ das Berufungsgericht die Revision mit der Begründung zu, die Verfahrensrüge sei unerledigt geblieben, soweit sie sich darauf bezogen habe, dass das Gutachten des Beklagten (auch) insoweit unrichtig gewesen sei, als er die Rettungsoperation für innerhalb von drei bis vier Tagen erforderlich erachtet habe. Sofern man das Klagebegehren auch in dieser Richtung verstehe, bilde das einen Revisionsgrund.
[9] In ihrer Revision wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Klägerin, das Klagebegehren im stattgebenden Sinn abzuändern, hilfsweise stellt sie Aufhebungsanträge.
[10] Der Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
[11] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil sie keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.
[12] 1.1 Nach Lehre und ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs haftet ein Sachverständiger, der im Prozess ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Parteien gegenüber persönlich nach § 1299 ABGB (RIS-Justiz RS0026316, RS0026319). Er kann aufgrund eigener deliktischer Haftung direkt belangt werden (RS0026353 [T3], RS0026337 [T4, T5]). Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet demnach den Prozessparteien gegenüber für die Folgen dieses Versehens. Ob einer Prozesspartei durch ein solches schuldhaftes Fehlverhalten des Sachverständigen ein Schaden entstanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die Entscheidung im Vorprozess für sie günstiger ausgefallen wäre, wenn der Sachverständige dort ein in allen von ihm begutachteten Fragen richtiges Gutachten abgegeben hätte (RS0026360).
[13] 1.2 Nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen ist ein schuldhaftes Fehlverhalten des Beklagten als medizinischer Sachverständiger im Vorprozess nicht erkennbar: Aufgrund seiner Begutachtung des Patienten kam er zu dem Ergebnis, dass die – von den Ärzten der dort beklagten Krankenhausträgerin (und nunmehrigen Klägerin) unstrittig nicht beachtete – Röntgenaufnahme vom 5. September 2016 weitere Schritte, insbesondere einen umgehenden operativen Eingriff (Rettungsoperation) indiziert habe und das Zuwarten nicht lege artis gewesen sei; die erst am 28. Oktober 2016 tatsächlich durchgeführte Operation des Handgelenks des Patienten sei daher verspätet. Auf dieser Grundlage gelangte das Gericht im Vorprozess zum Zuspruch eines Teils des Zahlungsbegehrens (im Wesentlichen Schmerzengeld und Ersatz der Kosten für Unterstützungsleistungen, die dem Patienten infolge der um rund acht Wochen verzögerten Operation entstanden waren). Im vorliegenden Verfahren steht nun (ebenfalls) fest, dass die Kenntnis des Röntgenbildes vom 5. September 2016 die Ärzte der Klägerin umgehend zu weiterführenden Untersuchungen hätte veranlassen müssen, dass die Unterlassung dieser weiteren Schritte die Sorgfaltspflicht grob verletzt hatte und dass ein Zuwarten keine Alternative zur sofortigen Indikation einer Rettungsoperation war, weil ein Einheilen des (auf dem Röntgenbild sichtbar) herausgerutschten Knochenankers „extrem unwahrscheinlich“ gewesen wäre. Die Schlussfolgerungen des Beklagten in seinem Gutachten waren „lege artis und sachlich richtig“.
[14] 1.3 Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung der Entscheidung des Berufungsgerichts vermag die Revision daher nicht aufzuzeigen. Soweit sie sich von den Feststellungen entfernt, ist sie nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043603 [T2, T8]; RS0043312). Dies gilt etwa für die Behauptung, die (infolge der unterbliebenen Beachtung des Röntgenbildes) verzögerte Behandlung des Patienten habe keinen Behandlungsfehler bewirkt.
[15] 2.1 Der Frage, wie ein bestimmtes Vorbringen zu verstehen ist, kommt grundsätzlich keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RS0042828 [T3]). Die Klägerin stützte ihren Ersatzanspruch im erstinstanzlichen Verfahren zunächst nur auf die Behauptung, eine Operation des Patienten sei entgegen der Auffassung des Beklagten am 5. September 2016 nicht medizinisch indiziert gewesen; es habe die Möglichkeit bestanden, dass das gelockerte Transplantat noch einheile. Erst nach Erörterung des im Verfahren eingeholten Gutachtens brachte die Klägerin ergänzend vor, der Patient hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Situation aufgrund der Röntgenaufnahme „jedenfalls für ein Zuwarten entschieden“, und beantragte ergänzend die Einvernahme des Patienten. Das Berufungsgericht verneinte die von der Klägerin gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit Hinweis darauf, dass das Erstgericht diesen Beweisantrag wegen schuldhafter Verspätung zu Recht zurückgewiesen habe.
[16] 2.2 Weder kann dem Berufungsgericht eine unzutreffende Auslegung des Vorbringens vorgeworfen werden, noch hat sich – wie die Revisionswerberin meint – das Berufungsgericht in seinen Ausführungen zur gerügten Mangelhaftigkeit im Bezug auf die unterbliebene Zeugeneinvernahme „vom Akteninhalt entfernt“. Abgesehen davon ist die Frage, wie der Patient auf eine (hier unterbliebene) Aufklärung über die Situation reagiert hätte, im Schadenersatzprozess gegen den beklagten Sachverständigen nicht relevant, weil sich daraus kein haftungsbegründendes Verhalten seinerseits ergeben könnte. Maßgeblich ist allein, dass ihm in seiner gutachterlichen Tätigkeit im Vorprozess kein Fehler unterlaufen ist.
[17] 2.3 Die vom Berufungsgericht als Zulassungsbegründung erwähnte Verfahrensrüge betreffend das Vorbringen zur Unrichtigkeit des Gutachtens des Beklagten im Vorprozess im Bezug auf die „sofort bzw innerhalb von drei bis vier Tagen“ durchzuführende Rettungsoperation ist ebenfalls für die Entscheidung über das von der Klägerin erhobene Schadenersatzbegehren ohne Bedeutung, weil feststeht, dass die gutachterliche Tätigkeit des Beklagten im Vorprozess „lege artis und sachlich richtig“ war.
[18] 3.1 Wenn die Revisionswerberin schließlich argumentiert, es liege ein „sekundärer Verfahrensmangel“ darin, dass nähere Feststellungen zum „zeitlichen Rahmen zur Durchführung“ der Rettungsoperationen fehlten, so übersieht sie wiederum die Feststellungen zur groben Sorgfaltspflichtverletzung der behandelnden Ärzte sowie dazu, dass die Schlussfolgerungen des Beklagten in seinem Gutachten zutreffend waren.
[19] 3.2 Eine Aktenwidrigkeit ist nur bei einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstücks einerseits und dessen Zugrundelegung und Wiedergabe durch das (Rechtsmittel‑)Gericht andererseits gegeben (RS0043397 [T2]). Relevant wäre ein solcher Verstoß nur, wenn er eine entscheidungswesentliche Tatsache betrifft (RS0043367 [T1]). Hier steht allerdings – nach umfassender Erörterung des Gutachtens des im vorliegenden Verfahren beigezogenen Sachverständigen – fest, dass dem Beklagten bei seiner Gutachtertätigkeit im Vorverfahren kein Fehler unterlaufen ist. Daraus, dass der Sachverständige ausführte, es habe „keine hoch akute Situation“ vorgelegen, es sei aber „umgehend eine weiterführende Untersuchung zu veranlassen“ gewesen, lässt sich – entgegen der Ansicht der Revisionswerberin – keine Aktenwidrigkeit ableiten.
[20] 4. Eine Kostenentscheidung war entbehrlich, weil der Beklagte keine Revisionsbeantwortung erstattete.
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