OGH 5Ob227/16t

OGH5Ob227/16t23.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und den Hofrat Mag. Wurzer, die Hofrätin Mag. Malesich und den Hofrat Mag. Painsi als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache des Antragstellers DDr. D* M*, vertreten durch Sluka Hammerer Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die Antragsgegnerin L* GmbH, *, vertreten durch Dr. Eike Lindinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen § 37 Abs 1 Z 8 MRG iVm § 12a MRG über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. September 2016, GZ 39 R 143/16t‑94, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 29. März 2016, GZ 58 Msch 11/12t‑86, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117006

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Sachbeschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Antragsgegnerin aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Antragsteller begehrte vor der Schlichtungsstelle die Feststellung der Unwirksamkeit der von der Antragsgegnerin als Vermieterin ausgesprochenen Anhebung des Hauptmietzinses für das Geschäftslokal top 2 R 7 sowie das Geschäftslokal top 1 R 10. Die Antragsgegnerin rief das Gericht nach § 40 Abs 2 MRG an.

Im Revisionsrekursverfahren ist ausschließlich die Frage umstritten, ob die anlässlich einer Unternehmensveräußerung vom Antragsteller übernommenen Geschäftsobjekte ungeachtet der separaten Anmietung, Bezeichnung und Vorschreibung des Mietzinses ein einheitliches Mietobjekt bilden, und wie das wechselseitige Parteienvorbringen zu diesem Punkt auszulegen ist.

Das Erstgericht stellte die Unwirksamkeit der Anhebung des Hauptmietzinses nach § 12a MRG für das jeweilige Geschäftslokal im bestimmten Ausmaß zu bestimmten Zinsterminen fest. Es traf insbesondere folgende entscheidungsrelevante Feststellung:

„Die Antragsgegnerin ist seit 2007 Eigentümerin sämtlicher Wohnungseigentumsobjekte der Liegenschaft. Sie hat diese von der Stadt Wien als ihrer Rechtsvorgängerin erworben. Wohnungseigentum wurde im Jahr 2002 begründet.

Mit Mietvertrag vom 1. 9. 1989 mietete der Rechtsvorgänger des Antragstellers das Geschäftslokal 1010 Wien, W* 6, Stiege 2, Tür 7 im Ausmaß von 72 m2. Mit Mietvertrag vom 9. 2. 1990 mietete er das Geschäftslokal 1010 Wien, B* 9 Stiege 1 Tür 10 im Ausmaß von 68 m2. Dem Abschluss dieser Mietverträge waren Gespräche zwischen Dr. C* H* und den damals zuständigen Vertretern der Stadt Wien vorausgegangen, bei denen der künftige Mieter den Vertretern der Stadt Wien offenlegte, dass er nur an der Anmietung beider Objekte in der gegenständlichen Liegenschaft interessiert sei, dass er diese zusammenzulegen beabsichtigte und die zusammengelegten Objekte gemeinsam zum Betrieb einer Zahnarztpraxis verwenden werde. Mieter und Vermieterin einigten sich dahin, dass der Mieter beide Objekte gemeinsam zum Betrieb einer Zahnarztpraxis anmieten und zusammenlegen wird. Da jedoch beide Objekte an unterschiedliche Vormieter vermietet worden waren und nicht exakt zum gleichen Zeitpunkt frei wurden, wurden zwei Mietverträge mit unterschiedlichen Abschlussdaten geschlossen. Die Bestandräumlichkeiten waren bei Anmietung durch einen bloßen Bretterverschlag im Bereich der Türöffnung zwischen den Objekten getrennt. Der Mieter ließ diesen entfernen und nahm zur Schaffung einer Zahnarztordination samt notwendigen Nebenräumen in den gemieteten Räumlichkeiten Investitionen vor. Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten betrieb er seit 1993 eine Facharztpraxis für Zahn‑, Mund‑ und Kieferheilkunde. Nach seinem Tod wurde die Praxis mit Unternehmenskaufvertrag an den Antragsteller veräußert.

Rechtlich folgerte das Erstgericht – soweit relevant –, dass der Vormieter nach dem festgestellten Parteiwillen die beiden Objekte zur Schaffung eines einheitlichen Gesamtobjekts und zum Betrieb einer Zahnarztordination gemietet habe, weshalb bei der Ermittlung des angemessenen Mietzinses von einem einheitlichen Gesamtobjekt mit einer Größe von 141 m2 auszugehen sei und nicht von zwei separaten, mit einem insgesamt höheren Mietzins zu bewertenden, einzelnen Bestandobjekten.

Die Antragsgegnerin erhob dagegen einen Rekurs. In der Beweisrüge bekämpfte sie unter anderem die Feststellungen des Erstgerichts im Zusammenhang mit der Anmietung eines einheitlichen Bestandobjekts. Sie strebte Ersatzfeststellungen an, wonach der Vormieter das Bestandobjekt top R 10 deshalb angemietet habe, weil dieses getrennt von der Privatordination liege und er es dringend für die Ausübung seiner gerichtlich beeideten Sachverständigentätigkeit benötigte, nicht jedoch für die Ausübung der Privatordination.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Antragsgegnerin teilweise Folge und folgte – ohne Erledigung der Beweisrüge – ihrem Standpunkt zum Vorliegen zweier separater Bestandverträge mit dem Ergebnis, dass der von der Sachverständigen ermittelte und vom Erstgericht festgestellte angemessene Mietzins von 14,22 EUR/m2 (ohne Berücksichtigung der Investitionen nach § 12a Abs 7 MRG) nicht um 10 % zu vermindern sei. Es erachtete das Eingehen auf die Tatsachen‑ und Beweisrüge der Rekurswerberin deshalb für nicht notwendig, weil der Antragsteller ohnehin in einem Antrag vor der Schlichtungsstelle sowie in einem Schriftsatz vor Gericht die Ansicht vertreten habe, es handle sich tatsächlich um zwei Bestandobjekte, und überdies das ausdrückliche Vorbringen der Antragsgegnerin zum Vorliegen von Einzelobjekten lediglich unsubstanziiert bestritten habe.

Der – nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof beantwortete – außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren trifft die Parteien ungeachtet des Untersuchungsgrundsatzes eine qualifizierte Behauptungspflicht (RIS‑Justiz RS0124141 [T2]; RS0070415). Die Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung des Sachverhalts endet dort, wo ein Vorbringen der Parteien nicht vorliegt und Anhaltspunkte für eine weitere Aufklärungsbedürftigkeit fehlen (RIS‑Justiz RS0070415 [T2]).

2. Ob ein Bestandobjekt eine wirtschaftliche Einheit bildet oder bilden soll, hängt nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in erster Linie vom Parteiwillen bei Vertragsabschluss ab (RIS‑Justiz RS0020405). Der gemeinsame Verwendungszweck der Bestandobjekte indiziert das Vorliegen einer einheitlichen Bestandsache; wenn jedoch – was hier unstrittig der Fall ist – die Mietverträge zu verschiedenen Zeitpunkten sukzessiv abgeschlossen wurden, für die einzelnen Bestandobjekte ein gesonderter Mietzins vereinbart und vorgeschrieben wurde und in den Verträgen nicht festgehalten wurde, dass die neu hinzugemieteten Bestandobjekte eine Einheit mit den bereits angemieteten Teilen bilden sollen, kann mangels Feststellung eines diesbezüglich übereinstimmenden subjektiven Parteiwillens nicht von einem einheitlichen Bestandobjekt ausgegangen werden (RIS‑Justiz RS0020405 [T12]). Der Antragsteller musste daher behaupten, dass nach dem maßgeblichen Parteiwillen der Rechtsvorgänger beider Parteien ein einheitliches Bestandobjekt gemietet wurde.

3. Die Auslegung von Parteienvorbringen begründet nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung keine erhebliche Rechtsfrage, sofern keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung vorliegt (RIS‑Justiz RS0042828 [T13, T15]). Die Interpretation des Vorbringens des Antragstellers ist hier zu korrigieren.

4. Das Gericht kann nach § 33 Abs 1 AußStrG von Erhebungen absehen, wenn es unter anderem schon aufgrund der unbestrittenen und unbedenklichen Angaben einer oder mehrerer Parteien davon überzeugt ist, dass eine Behauptung für wahr zu halten ist. Diese Parallelbestimmung zu den §§ 266 f ZPO (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 33 Rz 14) lässt sowohl ein ausdrückliches als auch ein schlüssiges Geständnis zu. Ein schlüssiges Geständnis wird regelmäßig nur aus bestimmten Parteienerklärungen, nicht aber als bloßem Schweigen abgeleitet werden können. (Höllwerth aaO Rz 17 mwN).

5. Es ist unstrittig, dass die beiden Geschäftslokale zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit jeweils separatem Mietvertrag gemietet wurden und auch die Mietzinse jeweils separat vorgeschrieben wurden. Dieser Umstand erklärt die Antragstellung vor der Schlichtungsstelle, die auf eine separate Überprüfung gerichtet ist, in welchem Ausmaß das gesetzlich zulässige Zinsausmaß durch Vorschreibungen für das jeweilige Objekt überschritten wurde. Die vom Rekursgericht als bedeutsam angesehene Formulierung, wonach beide Mietgegenstände durch erhebliche Investitionen auf einen zeitgemäßen Standard gebracht worden seien, ist zu relativieren: Im Antrag selbst wird ebenfalls behauptet, dass das streitgegenständliche Mietverhältnis dem Vollanwendungsbereich des MRG unterliege. Auch in weiteren Schriftsätzen verwendete der Antragsteller die Einzahl, wenn er vom Mietgegenstand oder (Miet‑)Objekt spricht (Schlichtungsstellenakt S 63, 112). Dem Rekursgericht ist zuzugeben, dass im vorbereitenden Schriftsatz vom 20. 2. 2013 ON 27 S 6 eindeutig die Rede von zwei Bestandobjekten bzw zwei selbständigen Bestandeinheiten ist, denen ein eigener Mietvertrag zugrunde liege, und die zum vorab bedungenen Zweck der Errichtung einer Zahnarztordination angemietet worden seien. Zu diesem Zeitpunkt dürfte dem Antragsteller die Relevanz des Vorliegens eines einheitlichen Bestandobjekts für die Ermittlung des gesetzlich zulässigen Hauptmietzinses nicht bewusst gewesen sein. Erst nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens brachte er vor, dass die derzeitige Situation, nämlich die einheitliche Geschäftsfläche, bewilligter Konsens seit 1959 sei und auch bei Abschluss des Mietverhältnisses zwischen den Rechtsvorgängern der nunmehrigen Partei zugrunde gelegt worden sei. Zitiert wurden Passagen aus einem Urteil über eine Einigung zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien, wonach der Vormieter beide Objekte gemeinsam zum Betrieb einer Zahnarztpraxis anmieten und zusammenlegen sollte (ON 44 S 5 f). In ihrem Ergänzungsgutachten in der Verhandlung vom 13. 3. 2014 (ON 47 S 7 und 8) führte die Sachverständige aus, dass bei Annahme von zwei Bestandobjekten mit jeweils unter 100 m2 im Fall einer gesonderten Vermietung 10 % Zuschlag anzusetzen seien. Die Antragsgegnerin reagierte darauf in der Äußerung vom 9. 10. 2014 (ON 53) mit dem Vorbringen, dass es sich um zwei, mit gesonderten Verträgen zu unterschiedlichen Zeitpunkten vermietete Bestandobjekte handle, die damit nicht als Einheit zu erfassen seien. Dieses Vorbringen wurde in der Verhandlung vom 22. 10. 2014 wiederholt und ergänzt (ON 54 S 5). Der Antragsteller bestritt dieses Vorbringen und verwies insbesondere darauf, dass in beiden Mietverträgen als Mietzweck der Betrieb einer Facharztpraxis für Zahn‑ und Kieferheilkunde angegeben worden sei und der Rechtsvorgänger des Antragstellers nur an einer Anmietung beider Objekte gemeinsam interessiert gewesen sei.

6. Das Vorbringen des Antragstellers zum Vorliegen eines einheitlichen Bestandobjekts mag Widersprüchlichkeiten aufweisen. Eine Aussage in Richtung zweier getrennter Bestandobjekte ist ihm jedoch nicht derart eindeutig zu entnehmen, dass es den Schluss auf einen mit dem Prozessvorbringen der Antragsgegnerin übereinstimmenden Standpunkt zulässt. Er hat das Vorbringen der Gegenpartei zuletzt ausdrücklich bestritten und gegenteilige Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

7. Auch im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren darf das Rekursgericht die vom Erstgericht unmittelbar aufgenommenen Beweise nicht umwürdigen. Will es von den getroffenen Feststellungen abgehen oder ergänzende Tatsachenfeststellungen treffen, muss es in einer mündlichen Rekursverhandlung die Beweisaufnahme wiederholen oder ergänzen. Unterlässt es dies, begründete dies einen Verfahrensmangel iSd § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG (T. Klicka in Hausmann/Vonkilch, Österreichisches Wohnrecht3 § 37 MRG Rz 122).

8. Das Erstgericht hat seine Feststellungen zum Parteiwillen der Rechtsvorgänger der Parteien über die Anmietung eines einheitlichen Bestandobjekts auf die Vernehmung einer Zeugin und des Antragstellers in seiner ergänzenden Parteienvernehmung gestützt. Diese Feststellungen wurden ausdrücklich bekämpft. Das Rekursgericht hätte daher nicht aufgrund eines unzutreffend angenommenen Geständnisses von den getroffenen Feststellungen abgehen dürfen. Seine Entscheidung ist als mangelhaft aufzuheben.

9. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Erst mit der endgültigen Sachentscheidung können die gebotenen Billigkeitserwägungen angestellt werden (RIS‑Justiz RS0123011 [T1]).

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