OGH 5Ob221/05v

OGH5Ob221/05v29.11.2005

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Baumann, Dr. Hurch, Dr. Kalivoda und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragsteller 1. Walter S*****, 2. Ida S*****, 3. Mag. Hubert G*****, alle *****, alle vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die V***** Wohnungsbau- und SiedlungsgesmbH, *****, vertreten durch Dr. Karl Rümmele und Dr. Birgit Breinbauer, Rechtsanwälte in Dornbirn, sowie alle weiteren Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch als Rekursgericht vom 21. Juli 2005, GZ 2 R 78/05v-62, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Bregenz vom 2. Dezember 2004, GZ 18 Msch 10/03i-41, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG, § 52 Abs 2 WEG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nF unzulässig:

1. Gemäß § 24 Abs 6 WEG kann jeder Wohnungseigentümer innerhalb eines Monats ab Anschlag eines Beschlusses der Eigentümergemeinschaft mit einem gegen die übrigen Wohnungseigentümer zu richtenden Antrag verlangen, dass die Rechtsunwirksamkeit des Beschlusses wegen formeller Mängel, Gesetzwidrigkeit oder Fehlens der erforderlichen Mehrheit gerichtlich festgestellt wird. Diese Regelung gilt sowohl für Beschlüsse über Maßnahmen der ordentlichen als auch der außerordentlichen Verwaltung (Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht21, § 24 WEG Rz 38; Mair, Beschlussfassung im Wohnungseigentum, 131; Kletecka, WEG 2002, 150). Die unrichtige Zählung der Stimmen und folglich die unrichtige Ermittlung des Abstimmungsergebnisses stellt einen Mangel im Sinne des § 24 Abs 6 WEG dar (vgl Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht21, § 24 WEG Rz 35; Markl, WEG, 107), welcher binnen Monatsfrist geltend zu machen ist. Wegen der gesteigerten Bedeutung von Beschlüssen in Angelegenheiten der außerordentlichen Verwaltung normiert § 29 WEG, dass diese innerhalb der längeren Frist von drei (bzw sechs) Monaten in inhaltlicher Hinsicht angefochten werden können (5 Ob 183/05f).

2.1. Im verfahrenseinleitenden Antrag vom 10. 6. 2003 (ON 1) wird detailliert auf die Abstimmungsverhältnisse eingegangen, ausführlich begründet, warum für den Sanierungsvorschlag III, insbesondere wegen unrichtiger Stimmenzählung keine Mehrheit vorgelegen habe und es wird als Schlussfolgerung dieser Darstellung der Antrag gestellt, den - am 15. 5. 2003 angeschlagenen - „Mehrheitsbeschluss .... wegen formeller Mängel, Gesetzwidrigkeit oder Fehlens der erforderlichen Mehrheit außer Kraft zu setzen". Mit diesem Vorbringen erfolgte eindeutig eine Anfechtung im Sinne des § 24 Abs 6 WEG, die - wie inzwischen unstrittig - nicht berechtigt ist.

2.2. Der Erstantragsteller hat zwar bereits in seiner Eingabe vom 10. 6. 2003 auch darauf hingewiesen, dass die beschlossenen Sanierungsmaßnahmen „uns, einer angeblichen Minderheit (20 Wohnungen von 45) von vorwiegend älteren Miteigentümern (Kleinpensionisten) vor schwere wirtschaftliche Probleme stellt. Der Schock sitzt bei vielen noch sehr tief, plötzlich 30.000,-- bis 40.000,-- Euro auf den Tisch (der Verwalterin) noch vor Baubeginn legen zu müssen"; die Vorinstanzen haben aber dieses Vorbringen nicht als Anfechtung des Mehrheitsbeschlusses aus den Gründen des § 29 Abs 2 Z 1 und 2 WEG und die erst nach mehr als drei Monaten darauf gestützte Anfechtung als verfristet erkannt.

Die Auslegung von Prozesserklärungen und des Parteienvorbringens ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls, die nur dann revisibel ist, wenn sie mit den Sprachregeln unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstößt (vgl 5 Ob 17/03s mwN; 5 Ob 136/01p; 10 Ob 222/00w); insbesondere die Beurteilung eines Parteienvorbringens als ausreichend konkret, stellt keine erhebliche Rechtsfrage dar, sofern der Rechtsmittelwerber nicht eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzuzeigen vermag (3 Ob 287/03g). Eine solche liegt hier aber nicht vor, weil im verfahrenseinleitenden Antrag das Anfechtungsvorbringen in Richtung des § 24 Abs 6 WEG 2002 nach Inhalt, Umfang und ausdrücklicher Antragstellung eindeutig imponierte, während der Hinweis auf die Kosten nach dem Gesamteindruck der Eingabe nur beiläufig erfolgte, primär einen allgemeinen Unmut über den wirtschaftlichen Aufwand vermittelte und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 29 Abs 2 Z 1 und 2 WEG nicht konkret darstellte. Die Auslegung des Antrags vom 10. 6. 2003 durch die Vorinstanzen und daraus folgend deren Annahme, die Antragsteller hätten die in § 29 WEG normierte Anfechtungsfrist von drei Monaten versäumt, stellt daher keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.

3. Nach § 25 Abs 2 WEG sind die Einberufung der Eigentümerversammlung und die dabei zur Beschlussfassung anstehenden Gegenstände jedem Wohnungseigentümer mindestens zwei Wochen vor dem Versammlungstermin schriftlich zur Kenntnis zu bringen. Die Antragsteller behaupten, der Erstantragsteller habe bereits in seiner Eingabe vom 1. 10. 2003 (ON 5) darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Anbringung einer Wärmeschutzfassade und der dafür erforderlichen Kosten von ca 1,000.000 Euro vor der Versammlung vom 2. 4. 2003 keine Rede gewesen und - entgegen § 25 Abs 2 WEG - auch kein solcher Tagesordnungspunkt bekannt gegeben worden sei. Soweit die Antragsteller daraus eine Anfechtungsfrist von 6 Monaten in Anspruch nehmen wollen, haben sie dies vor dem Erstgericht nicht konkretisiert, insbesondere auch nicht in ihrem Rekurs geltend gemacht. Eine in einem selbstständig beurteilbaren Teilbereich in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge kann aber vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr erfolgreich nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043573 [T33]). Dieser Grundsatz galt auch für Revisionsrekurse in Verfahren nach § 37 MRG aF, in denen das Rekursgericht funktionell gleich einem Berufungsgericht tätig war (5 Ob 6/00v); dass sich insoweit durch das AußStrG 2003 eine Änderung ergeben hätte, ist im Hinblick auf das - von § 49 AußStrG nF abweichend - für das wohnrechtliche Rekursverfahren in § 37 Abs 3 Z 14 MRG nF und ansonsten in § 66 Abs 2 AußStrG nF für das Revisionsrekursverfahren allgemein ausdrücklich normierte Neuerungsverbot nicht anzunehmen. Die erst im Revisionsrekurs erfolgte Berufung auf die Anfechtungsfrist von 6 Monaten ist daher unbeachtlich.

4. Nach Ansicht des Viertantragsteller hafte dem erstinstanzlichen Verfahren eine vom Rekursgericht rechtsirrig verneinte Nichtigkeit an, weil diesem der verfahrenseinleitende Antrag nicht zugestellt und damit die Möglichkeit zur Erstattung eines Vorbringens in erster Instanz entzogen worden sei.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob nach § 66 Abs 1 AußStrG nF auch ein vom Rekursgericht bereits verneinter Nichtigkeitsgrund im Revisionsrekurs neuerlich geltend gemacht werden kann, weil die vom Viertantragsteller behauptete Nichtigkeit jedenfalls materiell nicht vorliegt. Das Erstgericht ist nämlich bei Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags und der Ladungen entsprechend § 52 Abs 2 Z 5 WEG (aF bzw nF) vorgegangen; darauf hat schon das Rekursgericht zutreffend hingewiesen und der Viertantragsteller setzt dem keine inhaltlichen Argumente entgegen.

Da die Antragsteller somit insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nF geltend machen, ist ihr Revisionsrekurs unzulässig und zurückzuweisen.

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