OGH 5Ob200/21d

OGH5Ob200/21d13.12.2021

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch Mag. Gottfried Tazol, Rechtsanwalt in Völkermarkt, gegen die beklagte Partei O*, vertreten durch Dr. Gerhard Lebitsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 9.454,02 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Juli 2021, GZ 53 R 82/21x‑38, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 1. März 2021, GZ 10 C 147/20b‑34, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00200.21D.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensgergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Zusammenhang mit Umbau, Sanierung und Aufstockung eines Gewerbeobjekts mit diversen Zimmermannsarbeiten sowie – im Zug der Bauführung – zusätzlich mit einer neuen Überdachung und dem Einbau neuer Türen. Vereinbart wurden die Anwendung der ÖNORM B 2110, Zahlungen nach Baufortschritt und Freigabe durch die Bauleitung, ein bei der Schlussrechnung abzuziehender Nachlass von 3 % und ein Skonto von 3 % bei einer Zahlung binnen acht Tagen nach Legung der jeweiligen Teilrechnung. Zuständige Bauleiter waren M* (Klägerin) und Ing. * W* (Beklagte).

Die ÖNORM B 2110 enthält unter anderem folgende Regelungen:

8.3.1.2. Rechnungen sind in einer Form zu erstellen, die eine Prüfung mit zumutbarem Aufwand ermöglicht. Die zur Prüfung notwendigen Unterlagen (Rechnungen, Abrechnungspläne, Preisumrechnungen, Zeichnungen, Lieferscheine, Stundennachweise, Leistungsberichte udgl) sind beizulegen.

8.3.3. Schlussrechnung

Die Gesamtleistung ist in der Schlussrechnung, die als solche zu bezeichnen ist, abzurechnen. Etwaige Abschlagsrechnungen und ‑zahlungen sowie Haftungsrücklass, Vertragsstrafe, Prämie u. dgl sind anzuführen.

8.3.4. Teilschlussrechnungen

Über vereinbarte Teilleistungen können Teilschlussrechnungen gelegt werden. Sie sind wie Schlussrechnungen zu behandeln.

8.3.6.1. Ist eine Schluss‑ oder Teilschlussrechnung so mangelhaft, dass der AG sie weder prüfen noch berichtigen kann, ist sie dem AN binnen 30 Tagen zur Verbesserung zurückzustellen und von diesem binnen 30 Tagen neu vorzulegen.

8.3.6.2. Fehlen nur einzelne Unterlagen, ist die Rechnung innerhalb der Zahlungsfrist so weit wie möglich zu prüfen. Der AN ist sofort nach Feststellung der Unvollständigkeit der Unterlagen aufzufordern, die fehlenden Unterlagen innerhalb angemessener Frist nachzubringen. Die Nachforderung aller fehlenden Unterlagen muss innerhalb der jeweiligen Frist nach 8.4.1. erfolgen.

8.3.7. Verzug bei Rechnungslegung

Unterlässt es der AN innerhalb der sich aus 8.3.5.2. ergebenden Frist eine überprüfbare Schluss‑ oder Teilschlussrechnung vorzulegen und hält er eine ihm gestellte Nachfrist nicht ein, ist der AG berechtigt, selbst eine Abrechnung aufzustellen oder aufstellen zu lassen. Hiefür kann er eine angemessene Vergütung verlangen.

8.4.1.2. Schluss‑ oder Teilschlussrechnungen sind drei Monate nach Eingang der Rechnung fällig, sofern keine andere Frist vereinbart wurde.

8.4.1.3. Werden Rechnungen nach 8.3.6.1. zurückgestellt, beginnt der Fristenlauf für die Fälligkeit erst mit der Vorlage einer neuen Rechnung. In den übrigen Fällen wird die Zahlungsfrist um so viele Tage verlängert wie aus Gründen, die beim AN liegen, mit der Prüfung der Rechnung ausgesetzt werden musste.

8.4.1.5. Weicht eine Zahlung vom Rechnungsbetrag ab, hat der AG dem AN spätestens bei der Zahlung die Gründe hiefür schriftlich und nachvollziehbar bekannt zu geben.

8.4.2. Annahme der Zahlung, Vorbehalt

Die Annahme der Schlusszahlung aufgrund einer Schluss‑ oder Teilschlussrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen drei Monaten nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen.

Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von drei Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages durch den AG.“

[2] Die klagende Partei legte vereinbarungsgemäß im September 2017 die erste Teilrechnung über 48.000 EUR brutto und die zweite Teilrechnung über 72.000 EUR brutto. Nach Kontrolle durch ihren Bauleiter zahlte die Beklagte auf die erste Teilrechnung unter Abzug des 3%igen Skontos 46.560 EUR. Auf die zweite Teilrechnung wurden unter Abzug eines Skontos von 2 % 69.840 EUR überwiesen.

[3] Die Klägerin erstellte jeweils am 13. 12. 2017 – im Einverständnis mit der Beklagten noch vor Übernahme des Objekts – die Schlussrechnung für den Hauptauftrag (Rechnungsnummer 17322) und die Rechnung für den Zusatzauftrag (Rechnungsnummer 17323). In der Schlussrechnung Nr 17322 wurden 133.328,29 EUR netto und in der Rechnung Nr 17323 8.063,98 EUR netto verrechnet. Beide Rechnungen langten am 15. 12. 2017 bei der Beklagten ein. In der Schlussrechnung Nr 17322 wurde das Ausmaß nicht ausreichend festgestellt. Der Beklagten war die Abrechnungsprüfung nicht möglich, weil aus bautechnischer Sicht für Holzbauarbeiten Unterlagen wie Aufmaßpläne, Maßblätter, Aufmaßblätter, positionszugeordnete Massen, Werk‑, Abbund‑ oder Polierpläne der tatsächlich ausgeführten Konstruktion beigefügt hätten werden müssen, aber fehlten. Ing. W* verlangte daraufhin telefonisch vom Bauleiter der Klägerin die Übermittlung der Werkstättenpläne mit Bemaßung, um das Aufmaß kontrollieren zu können. Mit E‑Mail vom 18. 12. 2017 forderte er unter anderem neuerlich die Übermittlung der statischen und bauphysikalischen Beilagen sowie der Abrechnungsunterlagen. Er wies darauf hin, dass der Beginn der Prüffrist der Schlussrechnung erst mit der formellen Übernahme beginne. Diese Aufforderungen blieben ergebnislos.

[4] Bei einer Besichtigung am 19. 12. 2017 wurden einige Mängel am Bauobjekt, insbesondere bei der Dampfbremse festgestellt, die die Klägerin bis Mai 2018 behob.

[5] Am 9. 2. 2018 korrigierte Ing. W* die gelegten Rechnungen auf eigens erstellten Tabellen, die er am selben Tag (bezeichnet als „dritte Teilrechnung“) dem Bauleiter der Klägerin übermittelte.

[6] Ing. W* reduzierte dabei die verrechneten Beträge auf 114.709,62 EUR (Rechnung Nr 17322) sowie 6.254,58 EUR + 1.805 EUR (Rechnung Nr 17323), insgesamt auf 122.769,20 EUR netto. Nach Abzug von 3 % NL (Nachlass) und 5 % DR (Deckrücklass) sowie der ersten beiden Teilzahlungen von 100.000 EUR netto kam er zu einem Rechnungsbetrag von 13.131,82 EUR netto = 15.758,18 EUR brutto. Nach Abzug eines Skontos von 3 % ergab sich ein Betrag von 15.285,44 EUR, den die Beklagte am 15. 2. 2018 an die Klägerin überwies. Am selben Tag antwortete der Bauleiter der Klägerin mit folgender E‑Mail:

„Zu den vorgenommenen Korrekturen der Schlussrechnung muss ich mit Verwunderung feststellen, welche Abweichungen hier zustande gekommen sind?!“

[7] Mitte Februar 2018 trafen sich die beiden Bauleiter zur Klärung der Abrechnung und gingen dabei die einzelnen Punkte durch. Ing. W* kritisierte die für ihn nicht nachvollziehbare Anzahl von Säulen und die nicht den vorgelegten Plänen entsprechende tatsächliche Höhe. Er schlug einige Korrekturen vor, mit welchen sein Gegenüber nicht einverstanden war. Die Bauleiter verblieben so, dass sie sich erst nach Mängelbehebung erneut zur Bereinigung der Unstimmigkeiten treffen sollten. Zu einem solchen Treffen kam es nicht mehr.

[8] Am 2. 4. 2018 korrigierte Ing. W* die Rechnung Nr 17323 zum Zusatzauftrag (neuerlich). Die bereits im Februar 2018 korrigierten Rechnungsbeträge von 6.254,58 EUR und 1.805 EUR netto blieben gleich. Im Vergleich zur Korrektur im Februar wurde kein Nachlass von 3 % abgezogen.

[9] Am 5. 4. 2018 korrigierte Ing. W* beide Rechnungen Nr 17322 und 17323 (neuerlich). Dabei erhöhte er bei der Rechnung Nr 17322 den im Februar 2018 korrigierten Betrag von 114.709,62 EUR netto auf 126.756,79 EUR. Der gesamte Nettobetrag aus beiden Rechnungen wurde um 3 % Nachlass sowie die erfolgten Nettoteilzahlungen auf 17.640,07 EUR netto = 21.168,08 EUR brutto reduziert. Nach Abzug eines Skontos von 3 % ergab sich der frei gegebene und am 11. 4. 2018 auf dem Konto der Klägerin eingelangte Betrag von 20.533,04 EUR. Diese Korrekturen erstellte Ing. W* anhand von Aufmaßblättern, nachdem er selbst die erforderlichen Maße genommen hatte.

[10] Über ein halbes Jahr nach der Korrektur der Schlussrechnung teilte der Bauleiter der Klägerin per E‑Mail vom 19. 2. 2019 seine Verwunderung über die nochmalige Korrektur der gemeinsam durchgegangenen Aufmaße laut der letzten Besprechung mit und übermittelte im Anhang zur Erinnerung die gemeinsam durchgegangenen Aufmaße und die Zusammenstellung der noch offenen Forderungen mit der Bitte um endgültige Freigabe und Veranlassung und Ausführung der aushaftenden Zahlung. Angeschlossen waren die von Ing. W* für die Korrektur der Rechnungen Nr 17322 und 17323 erstellten Rechnungsaufstellungstabellen samt den handschriftlichen Änderungen des Bauleiters der Klägerin.

[11] Einige Zeit später trafen sich die beiden Bauleiter zufällig auf einer anderen Baustelle. Ing. W* sagte dem Bauleiter der Klägerin für die Kalenderwoche 17 ein Treffen zu, um die Schlussrechnung nochmals durchzugehen und die angeblich offenen Rechnungen und die Rechnungskorrekturen zu klären. Zu einem Treffen kam es nicht mehr.

[12] Die Klägerin begehrt aus den Rechnungen Nr 17323 und 17322 (ihrer Berechnung nach 164.580,60 EUR brutto) den nach Abzug der vier Teilzahlungen und einer einvernehmlich erfolgten Korrektur der Schlussrechnung über 2.908,11 EUR aushaftenden restlichen Betrag.

[13] Die Beklagte wandte ein, Rechnungen seien nach Prüfung und zutreffenden Korrekturen fristgerecht unter Abzug des Skontos bezahlt worden. Entgegen der ÖNORM B 2110 habe die Klägerin das Aufmaß der durchgeführten Arbeiten in der Schlussrechnung nicht übermittelt. Mangels schriftlich begründeten Vorbehalts schließe die Annahme der Schlusszahlung aufgrund einer Schluss‑ oder Teilschlussrechnung nachträgliche Forderungen aus. Das Klagebegehren sei unschlüssig, weil die Klägerin vier Versionen des offenen Betrags nenne und nicht nachvollziehbare oder bezahlte Positionen geltend mache.

[14] Erstgericht und Berufungsgericht wiesen das Klagebegehren übereinstimmend als verfristet im Sinn der Vorbehaltsregelung in Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 ab.

[15] Das Berufungsgericht ließ die Revision mangels Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs 1) zu einem vergleichbaren Fall der Erstellung einer „Teilrechnung“ durch den mit der Rechnungsprüfung betrauten Bauleiter, einer nachfolgenden Besprechung und einer erst dann folgenden endgültigen Korrektur der Schlussrechnung, 2) zur Frage, ob ein Vorbehalt ausdrücklich auch hinsichtlich erfolgter Skontoabzüge erforderlich sei, zu.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die – beantwortete – Revision der Klägerin ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

[17] 1. Nach Punkt 8.4.2. der ÖNORM B 2110 schließt die Annahme der Schlusszahlung aufgrund einer Schluss‑ oder Teilschlussrechnung nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen drei Monaten nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen.

[18] 1.1 Die Funktion dieser Regelung liegt darin, dass strittige Forderungen bei Bauprojekten mit zumeist hohen Auftragssummen möglichst innerhalb kurzer Zeit geklärt werden und der Auftraggeber innerhalb eines überschaubaren Zeitraums das gesamte Ausmaß seiner Verpflichtungen überschauen und erfahren kann (RIS‑Justiz RS0122419).

[19] 1.2 Auch wenn bei der Verpflichtung, den Vorbehalt zu begründen, keine unnötigen, vom Normzweck nicht verlangte Hürden aufgebaut und die Anforderungen an den Werkunternehmer nicht überspannt werden dürfen (9 Ob 111/06y), muss der Vorbehalt nach der – vom Berufungsgericht zitierten – Rechtsprechung die vorbehaltenen Ansprüche in erkennbarer Weise individualisieren und wenigstens schlagwortartig den Standpunkt des Werkunternehmers erkennen lassen (9 Ob 81/14y = RS0070863 [T14]; 9 Ob 4/16b). In Fällen von Erklärungen „dass sie die Abstriche beeinspruche und die Korrekturen falsch seien“ (8 Ob 109/04v) sowie „die vorgenommenen Rechnungskorrekturen, Nichtanerkenntnisse, Streichungen und Skontoabzüge seien keinesfalls zu akzeptieren“ (9 Ob 4/16b), hat der Oberste Gerichtshof die Beurteilung der Vorinstanzen zur mangelnden Bestimmtheit nicht beanstandet.

[20] 1.3 Hier lautete die Erklärung der Klägerin vom 15. 2. 2018: „Zu den vorgenommenen Korrekturen der Schlussrechnung muss ich mit Verwunderung feststellen, welche Abweichungen hier zustande gekommen sind ?!“. Es rechtfertigt allerdings im konkreten Fall keinen Anspruchsverlust, dass diese Erklärung keinen Grund für einen Einwand nennt und unbestimmt gehalten ist.

[21] 1.4 Die Klägerin beruft sich in der Revision zu Recht auf jene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die eine Präklusion im Sinn einer derartigen Vorbehaltsklausel ausschließt, wenn der Auftragnehmer die gegenüber der Schlussrechnung verminderte Schlusszahlung annimmt und innerhalb der Präklusionsfrist – wenn auch nicht ausreichend schriftlich begründet – widerspricht. Der Auftragnehmer muss gegen eine weitere Schlusszahlung nicht neuerlich seinen Vorbehalt erklären, wenn nach dem ersten Vorbehalt vor der weiteren Zahlung Gespräche über die unterschiedlichen Standpunkte geführt wurden (RS0124589; 8 Ob 164/08p; 3 Ob 157/13d). Ein rechtzeitiger Widerspruch stellt für den Besteller ausreichend klar, dass er sich auf die künftige Geltendmachung des Differenzbetrags durch den Unternehmer einstellen muss. Dass es in solchen Fällen nach einem „Vorbehalt“ noch zu Gesprächen kommt, in denen Auffassungsunterschiede in einzelnen Punkten ausgeräumt werden und der Werkbesteller nachträglich vorher bestrittene Rechenpositionen akzeptiert, begründet kein zusätzliches oder neues Klarstellungsinteresse, sondern führt lediglich zur Verminderung der strittigen Rechnungspositionen (10 Ob 65/12z = RS0124589 [T1 und T2]).

[22] 2.2 Nach Auffassung der Vorinstanzen lösten erst der Zugang der Rechnungskorrekturen vom April 2018 und die darauf erfolgte Zahlung die Frist für den Vorbehalt aus, weshalb diese Rechtsprechung nicht anwendbar sei. Diese Ansicht begründen sie damit, dass die beklagte Bestellerin mangels einer korrekten, Punkt 8.3.1.2. der ÖNORM entsprechenden Schlussrechnung diese nicht überprüfen konnte und deshalb nach Punkt 8.3.7 der ÖNORM selbst eine Abrechnung erstellen durfte.

[23] 2.3 Das Recht eines Bestellers, selbst eine Rechnung gegen eine entsprechende Vergütung erstellen zu können, schließt den Beginn der Präklusionsfrist für einen Vorbehalt nicht unbedingt aus. Nach dem Wortlaut der Vorbehaltsklausel hängt der Anspruchsverlust nur von der Annahme der Zahlung aufgrund einer Schlussrechnung ab, und nicht von der Person des Rechnungslegers. Die Klägerin hat (Schluss-)Rechnungen gelegt, welche die Beklagte bereits im Februar 2018 mit ihrer „dritten Teilrechnung“ eindeutig nach unten korrigierte. Entsprechend dieser Korrektur zahlte sie. Ob es sich dabei mangels Übermittlung entsprechender Unterlagen durch die Klägerin nur um eine vorläufige Korrektur handelte, ist nicht relevant, weil der Zweck der Vorbehaltsregelung samt Verfristung von weiteren Ansprüchen des Unternehmers eben in der raschen Klärung strittiger Positionen liegt (s Punkt 1.1.). Zudem wäre die Beklagte nach Punkt 8.3.7. der ÖNORM verpflichtet gewesen, der Klägerin eine Nachfrist zu setzen, bevor sie das Recht einer eigenen Rechnungslegung in Anspruch nehmen durfte. Das ist jedoch nach den Feststellungen nicht geschehen. Der Bauleiter der Beklagten hatte in seiner zweiten Aufforderung sogar erklärt, dass die Prüffrist erst mit der Abgabe beginne. Die Setzung einer Nachfrist ergibt sich daraus nicht.

[24] 2.4 Ungeachtet der von Ing. W* gewählten Bezeichnung als „dritte Teilrechnung“ war für den Empfänger, den Bauleiter der Klägerin, eindeutig erkennbar, dass die Beklagte als Auftraggeberin die von der Auftragnehmerin verrechneten Beträge korrigierte und wie sich der zur Zahlung freigegebene und bezahlte Betrag von 15.285,44 EUR zusammensetzte. Das Unverständnis und den Einwand gegen diese Korrekturen brachte der Bauleiter der Klägerin in seiner Antwortmail vom 15. 2. 2018 innerhalb einer dreimonatigen Frist unmissverständlich zum Ausdruck. Ebenfalls noch vor Fristablauf trafen sich die beiden Bauleiter zu einer Besprechung, um die Abrechnung zu klären. Sie gingen die einzelnen Punkte der Abrechnung der Klägerin durch. Dabei sprach Ing. W* konkrete Punkte (Anzahl der Säulen, tatsächliche Höhe) an, schlug zur Klärung der Angelegenheit einige Korrekturen vor, mit denen sein Ansprechpartner jedoch nicht einverstanden war. Mangels Einigung sollten zunächst die festgestellten Mängel behoben werden und dann erneut ein Treffen zur Bereinigung der Unstimmigkeiten stattfinden. Dass die Beklagte noch vor Durchführung eines in Aussicht gestellten – letztlich nie stattgefundenen – endgültigen klärenden Gesprächs in ihrer zweiten Korrektur im April 2018 einen höheren Rechnungsbetrag akzeptierte und eine zusätzliche Zahlung leistete, begründet kein zusätzliches oder neues Klarstellungsinteresse. Die Klägerin war deshalb nicht verpflichtet, innerhalb einer dreimonatigen Frist nach Annahme der letzten Zahlung einen (weiteren) schriftlichen Vorbehalt zu erheben.

[25] 2.5 Der Bauleiter der Beklagten konnte in dieser Situation auch nicht davon ausgehen, dass die beklagte Partei die Reduktion ihrer Forderungen akzeptiert und damit die Höhe der Forderung endgültig geklärt ist, wenn noch innerhalb der Präklusivfrist ein weiteres klärendes Gespräch in Aussicht gestellt wird.

[26] 2.6 Der durch den Ablauf einer Präklusivfrist Begünstigte muss die Ausübung des Rechts auch nach abgelaufener Frist zulassen und ein erloschenes Recht hinnehmen, wenn seine Berufung auf die Präklusion gegen Treu und Glauben verstößt (RS0116131). Dies ist der Fall, wenn er beim Anderen nach objektiven Maßstäben den Eindruck erweckt, er werde dessen Ansprüche nur mit sachlichen Einwänden bekämpfen (3 Ob 157/13d; RS0016824). Es reicht aus, wenn der Schuldner den Gläubiger (unbewusst) veranlasst, den Anspruch nicht innerhalb der Frist geltend zu machen (3 Ob 157/13d mwN).

[27] 2.7 Die Beklagte hat nach Rechnungslegung den Eindruck erweckt, dass die noch nicht ausgeräumten Unstimmigkeiten in einem Gespräch noch geklärt werden können, ohne im Hinblick auf die Präklusivfrist und deren Zweck auf eine rasche Klärung zu drängen, um sich des Ausmaßes ihrer Verpflichtung sicher zu sein. Erstmals im gerichtlichen Verfahren berief sie sich auf die Verfristung des Anspruchs. Ihr Einwand verstößt nach den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung gegen Treu und Glauben.

[28] 3. Da der Anspruch der Klägerin nicht im Sinn der hier anzuwendenden Vorbehaltsklausel präkludiert ist, sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die Berechtigung der angeblich offenen Werklohnforderung (insbesondere unter dem Aspekt der Schlüssigkeit) zu prüfen haben.

[29] 4. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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