OGH 5Ob197/12z

OGH5Ob197/12z23.10.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** M*****, vertreten durch Mag. Gabriel Wutti, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei DI (FH) R***** S*****, vertreten durch Doschek Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. März 2012, GZ 38 R 345/11h-87, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin macht als Ersteherin im Zwangsversteigerungsverfahren über eine Eigentumswohnung geltend, dass der von der Voreigentümerin mit dem Beklagten nach Anmerkung der Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens im Grundbuch abgeschlossene Mietvertrag ihr gegenüber unwirksam sei, und gründet ihr Begehren insofern auf § 138 Abs 2 EO idF der EO-Novelle 2000, BGBl I 2000/59. Sie legt hiebei zugrunde, dass der abgeschlossene Mietvertrag eine Reihe von für den Vermieter ungünstigen Vertragsbedingungen enthalte, sodass er nicht mehr der ordentlichen Verwaltung zugeordnet werden könne.

Die Klägerin hatte bei Zuschlagserteilung Kenntnis vom Mietvertrag, der auch im Schätzwert durch einen 30%igen Abschlag Berücksichtigung fand. Die in der Versteigerungstagsatzung aufgeworfene Frage der Wirksamkeit des Mietvertrags wurde dort ausdrücklich offen gelassen.

Beide Vorinstanzen bejahten das Vorliegen der Voraussetzungen des § 138 Abs 2 EO und damit die Unwirksamkeit des mit dem Beklagten abgeschlossenen Mietvertrags und gaben der Räumungsklage infolge titelloser Benutzung der Wohnung durch den Beklagten statt.

Die Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision begründet der Beklagte im Wesentlichen damit, dass noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob sich ein Ersteher auch dann auf § 138 Abs 2 EO berufen könne, wenn der Mietvertrag im Versteigerungsverfahren bei Ermittlung des Schätzwerts Berücksichtigung gefunden habe, und überdies die Frage noch nicht geklärt sei, unter welchen Voraussetzungen der Abschluss von Mietverträgen nach Anmerkung der Zwangsversteigerung nicht zur ordentlichen Verwaltung iSd § 138 Abs 2 EO gehöre.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Abschluss eines Mietvertrags durch den Verpflichteten nach Einleitung des Versteigerungsverfahrens ist zweifellos der Hauptanwendungsfall einer Rechtshandlung iSd § 138 Abs 2 EO, die gegenüber den Gläubigern und dem Ersteher unwirksam ist, wenn er nicht zur ordentlichen Verwaltung der Liegenschaft gehört. Zweck der Regelung ist, eine Verminderung der Erfolgsaussichten der Exekution durch Verringerung der Verkaufschancen hintanzuhalten (EB zur RV 93 BlgNR 21. GP 25). Die in § 138 Abs 2 EO angeordnete (relative) Unwirksamkeit eines Mietvertragsabschlusses kann im Exekutionsverfahren nicht geltend gemacht werden. Die Frage, ob ein Bestandverhältnis gültig zustandegekommen und daher vom Ersteher zu übernehmen ist, kann allerdings eine Vorfrage für die Feststellung des Schätzwerts sein. Eine Bindung des Erstehers folgt daraus jedoch nicht (3 Ob 170/94; 3 Ob 25/00y; RIS-Justiz RS0061785; zur Rechtslage nach der EO-Novelle 2000 9 Ob 31/11s).

2. Die vom Revisionswerber gewünschte teleologische Reduktion der gesetzlichen Regelung des § 138 Abs 2 EO dahin, dass die (relative) Unwirksamkeit eines Mietvertragsabschlusses nach Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens vom Ersteher nur dann geltend gemacht werden könnte, wenn sie nicht bereits bei der Schätzung, also im Versteigerungsverfahren, berücksichtigt worden sei, findet im Wortlaut der Bestimmung keine Deckung. Dazu wäre der klare Nachweis des Gesetzeszwecks erforderlich, an dem sich die letztlich eine den Gesetzeswortlaut korrigierende Auslegung orientieren soll (vgl RIS-Justiz RS0106113). Nach den bereits zitierten Gesetzesmaterialien (RV 93 BlgNR 21. GP) hat die Bestimmung den Zweck, „die Effektivität der Exekution zu erhöhen“ und „eine Verminderung der Erfolgsaussichten der Exekution durch Verringerung der Verkaufschancen hintanzuhalten“.

Dem trägt auch die Entscheidung 9 Ob 31/11s Rechnung, die dem Ersteher die Berufung auf die Unwirksamkeit des Bestandverhältnisses unabhängig von dessen Berücksichtigung im Schätzwert und der Kenntnis des Erstehers zubilligt, der die relative Unwirksamkeit des Mietvertrags daher auch nicht im Exekutionsverfahren, sondern im streitigen Rechtsweg durchzusetzen hat.

Diese in der außerordentlichen Revision relevierte Rechtsfrage ist daher durch höchstgerichtliche Rechtsprechung bereits geklärt.

3. Ob jede Vermietung einer Eigentumswohnung oder eines Einfamilienhauses nach Anmerkung der Zwangsversteigerung die Rechtsfolgen des § 138 Abs 2 EO nach sich zieht, wie die zitierten Materialien zur EO-Novelle 2000 unterstellen, muss hier in Anbetracht der festgestellten Modalitäten der auf unbestimmte Zeit vereinbarten Vermietung nicht geklärt werden. Bereits die Tatsache des Verzichts auf die Geltendmachung sämtlicher Kündigungstatbestände des § 30 Abs 2 Z 4 MRG kann geeignet sein, ein Versteigerungsverfahren durch Entwertung der Eigentumswohnung zu verhindern. Zieht man noch die von § 10 MRG zu Ungunsten des Vermieters abweichende Vereinbarung eines jedenfalls binnen vier Wochen nach Beendigung des Bestandverhältnisses zu leistenden Investitionskostenersatzes, das Unterlassen einer schriftlichen Wertsicherungsvereinbarung und die Mietzinsfälligkeit jeweils erst zum Quartalsende in Betracht, so ist die Gesamtbeurteilung der Vorinstanzen durchaus vertretbar. Daneben kommt der Frage, ob der mit 200 EUR vereinbarte Gesamtmietzins durch den Zustand der Wohnung gerechtfertigt sein konnte, keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Zu grundsätzlichen Erwägungen über den Begriff der ordentlichen Verwaltung iSd § 138 Abs 2 EO bietet der vorliegende Einzelfall keinen Anlass.

Es liegen somit Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht vor. Das hatte zur Zurückweisung des außerordentlichen Rechtsmittels des Beklagten zu führen.

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