OGH 5Ob183/17y

OGH5Ob183/17y21.12.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Christina‑Marie P*****, geboren am ***** 2009, und des mj Adrian‑Lukas P*****, geboren am ***** 2012, beide *****, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Horst P*****, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 28. Juni 2017, GZ 42 R 523/16x‑134, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0050OB00183.17Y.1221.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht übertrug die Obsorge für die beiden Kinder im Bereich der gesamten Pflege und Erziehung dem Kinder‑ und Jugendhilfeträger und wies den Antrag der Eltern, ihnen die Obsorge zu übertragen, ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

1. Ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung nach § 181 ABGB erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (1 Ob 7/16k mwN; RIS‑Justiz RS0115719 [T7, T16]). Die Vorinstanzen haben gründlich unter Abwägung auch der intellektuellen Einschränkungen der Kindeseltern begründet, warum die Obsorgeübertragung auf den Kinder‑ und Jugendhilfeträger und die Fremdunterbringung hier erforderlich sind, um eine Gefährdung des Kindeswohls hintanzuhalten. Ihre Beurteilung ist jedenfalls vertretbar.

2. Aus den vom Rekursgericht übernommenen detaillierten Feststellungen geht hervor, dass es den Eltern – wenn auch allenfalls ohne eigenes Verschulden – trotz zahlreicher und langjähriger Unterstützungsmaßnahmen nicht gelungen ist, eine ausreichende Erziehungsfähigkeit zu entwickeln. So fehlt es ihnen etwa an ausreichendem Bewusstsein über die Bedürfnisse der Kinder nicht nur in physischer, sondern auch in psychischer Hinsicht. Die Eltern sind nicht in der Lage, den Kindern Grenzen zu setzen und klare Strukturen zu bieten, auf konkret gefährliche Situationen konnten sie nicht adäquat reagieren. Der Umstand alleine, dass Christina‑Marie mittlerweile knapp acht und Adrian‑Lukas fünfeinhalb Jahre alt sind, vermag die jedenfalls vertretbare Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die Gefährdung des Kindeswohls erfordere hier die Obsorgeübertragung an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger nicht zu erschüttern.

3. Richtig ist, dass wegen des damit regelmäßig verbundenen Eingriffs in das Recht auf Achtung des Privat‑ und Familienlebens (Art 8 EMRK) die Beschränkung der Obsorge nur das letzte Mittel sein kann und nur insoweit angeordnet werden darf, als das zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist (RIS‑Justiz RS0048712 [T1, T9]). Es kommt nicht darauf an, ob die Erziehung bei dritten Personen für das Kind besser wäre als eine ordnungsgemäße Erziehung bei der Mutter oder bei Verwandten, vielmehr ist maßgeblich, ob bei der Übertragung der Obsorge an ein anderes Familienmitglied eine Gefährdung des Kindeswohls zu befürchten wäre (RIS‑Justiz RS0048712 [T4]). Dabei darf nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden, sondern sind auch Zukunftsprognosen anzustellen (RIS‑Justiz RS0048632). Allerdings geht das Kindeswohl dem Elternrecht grundsätzlich vor und entscheidet primär in der Frage der Obsorgezuteilung oder der Aufhebung von Maßnahmen, die die Elternrechte einschränken (RIS‑Justiz RS0118080).

4. Die Vorinstanzen haben im Sinn der zitierten Rechtsprechung sehr wohl eine Zukunftsprognose angestellt und die Auffassung vertreten, die Unterstützung durch den Verein A*****, die der Vater ins Treffen führt, sei weder hinsichtlich der Finanzierung gesichert noch seien sonstige Voraussetzungen geklärt. Dies ist nicht korrekturbedürftig. Den Eltern sei durchaus zugestanden, dass sie sich um ihre Kinder bemühen und die von ihnen vorgeschlagene Familienassistenz für eine schrittweise Ausweitung des Kontakts allenfalls eine Möglichkeit dafür sein könnte. Damit allein sind die nach den Feststellungen der Vorinstanzen aktuell unverändert bestehenden deutlichen Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Eltern (wenn sich diese auch durch die jahrelangen Unterstützungsangebote allenfalls etwas verbessert haben mögen) nach der vertretbaren Auffassung der Vorinstanzen noch nicht ausreichend kompensiert.

5. Soweit der Vater mit dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN‑Behindertenrechtskonvention, Convention on the Right of Person with Disabilities, CRPD, BGBl III 2008/155) argumentiert, übersieht er, dass der Nationalrat anlässlich dessen Ratifikation beschlossen hat, dass das Übereinkommen durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, die UN‑Behindertenrechtskonvention somit unter Erfüllungsvorbehalt steht und daher kein Prüfungsmaßstab für die Beurteilung etwa der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen sein kann (VfGH vom 28. 6. 2017, E 3297/2016). Staatsverträge, die – wie die UN‑Behindertenrechtskonvention – durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen sind, haben vielmehr (zunächst) keine innerstaatlichen Rechtswirkungen, sie sind nicht unmittelbar anwendbar, begründen keine subjektiven Rechte und können daher auch nicht Maßstab für die Rechtmäßigkeit eines anderen Rechtsakts sein (RIS‑Justiz RS0131279).

6. Überdies legt Art 23 Abs 2 der UN‑Behindertenrechtskonvention fest, dass die Vertragsstaaten die Rechte und Pflichten von Menschen mit Behinderungen in Fragen der Vormundschaft, Pflegschaft, Personen‑ und Vermögenssorge, Adoption von Kindern oder ähnlichen Rechtsinstituten gewährleisten, wobei in allen Fällen das Wohl des Kindes ausschlaggebend ist. Dementsprechend sieht Art 23 Abs 4 vor, dass die Vertragsstaaten gewährleisten, dass ein Kind nicht gegen den Willen seiner Eltern von diesen getrennt wird, es sei denn, dass die zuständigen Behörden in einer gerichtlich nachprüfbaren Entscheidung nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften und Verfahren bestimmen, dass diese Trennung zum Wohl des Kindes notwendig ist. In keinem Fall darf das Kind aufgrund einer Behinderung entweder des Kindes oder eines oder beider Elternteile von den Eltern getrennt werden.

7. Hier handelt es sich bei der Entscheidung der Vorinstanzen jedenfalls um eine in Art 23 genannte Entscheidung der zuständigen Behörde, die auf die Gefährdung des Kindeswohls im Fall des Verbleibs der beiden Kinder bei den Eltern gestützt wurde. Die Behinderung der Eltern war nicht der Grund für die Obsorgeübertragung, vielmehr die von den Vorinstanzen im Einzelnen dargestellten Defizite in deren Erziehungsfähigkeit, die trotz sehr engmaschiger Betreuung zur Vernachlässigung der Kinder sowohl in physischer (Hygiene, Körperpflege) als auch psychischer (Sprachentwicklung, Sozialverhalten) Hinsicht führten. Diese Umstände – und nicht eine Behinderung der Eltern – führten zur Obsorgeübertragung an den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, die jedenfalls derzeit die einzige Möglichkeit zur ausreichenden Wahrung des Kindeswohls ist. Die diesbezügliche Beurteilung der Vorinstanzen bedarf keiner Korrektur durch das Höchstgericht.

8. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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