European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E121200
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Nach einem von beiden Streitteilen unterfertigten Vertrag mietete die Beklagte vom Kläger die Wohnung Nummer 3 in dem auf dessen Liegenschaft errichteten Haus. Mietvertragsbeginn war danach der 1. 7. 2014; die monatliche Miete betrug nach dem Inhalt dieses Vertrags 660 EUR, die Betriebskostenvorauszahlungen monatlich 150 EUR.
Der Kläger begehrte zuletzt 20.660 EUR an rückständigem Mietzins und/oder Benützungsentgelt, in eventu zuletzt 17.228 EUR Benützungsentgelt, sowie die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm die Wohnung geräumt zu übergeben. In der Klage brachte er dazu vor, die Beklagte sei mit der Zahlung des Zinses derart säumig, dass sie mit Ablauf des Termins den rückständigen Bestandzins trotz Mahnung nicht entrichtet habe. Er habe das Bestandverhältnis daher mit Schreiben vom 28. 7. 2015 gemäß § 1118 ABGB mit sofortiger Wirkung aufgelöst.
In Erwiderung der von ihm bestrittenen Prozessbehauptungen der Beklagten machte er geltend, dass die von ihr behauptete vertragliche Konstruktion mangels Bestimmtheit und aus formellen Gründen nicht wirksam sein könne und seine Ansprüche selbst bei allfälliger Unwirksamkeit des Mietvertrags zumindest aus bereicherungsrechtlicher Sicht gedeckt seien.
Die Beklagte wendete ein, über das Vermögen ihres Ehemanns sei ein Insolvenzverfahren eröffnet worden, worauf der Kläger die hier gegenständliche Liegenschaft aus der Insolvenzmasse erworben habe. Mit ihrem Ehemann sei vereinbart worden, dass der Kläger die Liegenschaft nach Aufhebung der Insolvenz wieder an diesen gegen Übernahme der Kreditverbindlichkeiten rückübertrage. Zur Tilgung der Raten des vom Kläger zum Ankauf der Liegenschaft aufgenommenen Kredits hätten die Einnahmen aus der Vermietung einer weiteren Wohnung im Haus sowie ein von ihrem Mann monatlich bezahlter Betrag von 180 EUR, der die Differenz zwischen den Mieteinnahmen und der Kreditrate abgedeckt habe, gedient. Die Bezahlung einer Miete sei hingegen nie vereinbart worden.
Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren– rechtskräftig – ab und gab dem Räumungsbegehren statt. Dazu stellte es unter anderem folgenden Sachverhalt fest:
„Es kann nicht festgestellt werden, ob die im schriftlichen Mietvertrag enthaltenen Regelungen dem Willen der Parteien entsprechen. Es kann weder festgestellt werden, dass zwischen den Parteien ein Mietverhältnis begründet werden sollte, noch kann festgestellt werden, dass eine monatliche Zahlung von € 810,00 seitens der Beklagten oder ihres Gatten vereinbart worden sei. Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger der Beklagten oder ihrem Ehemann zugesagt habe, sie könnten – zumindest für eine bestimmte Dauer – unentgeltlich oder gegen Zahlung von monatlich € 180,00 oder gegen Bezahlung von sonstigen Kosten, die auf die Liegenschaft entfallen, in der Wohnung wohnen.“
Darüber hinaus traf es Negativfeststellungen zur Höhe einer ortsüblichen Miete und zum gewöhnlichen oder höchst erzielbaren Benützungsentgelt für eine Wohnung, wie sie die Beklagte im Haus des Klägers nützt.
In rechtlicher Hinsicht führte es zu dem im Revisionsverfahren noch relevanten Räumungsbegehren aus, dass kein Rechtsgrund habe festgestellt werden können, der die Beklagte zur Nutzung der Wohnung berechtigt, weswegen sie titellos benütze und das Räumungsbegehren des Klägers berechtigt sei.
Das Gericht zweiter Instanz änderte das Urteil des Erstgerichts über Berufung der Beklagten dahin ab, dass es auch das Räumungsbegehren abwies. Dazu führte es zusammengefasst aus, der Kläger stütze das Räumungsbegehren ausschließlich auf die Auflösung (gemeint: eines Mietvertrags) aufgrund eines (vermeintlichen) Mietzinsrückstands der Beklagten gemäß § 1118 Fall 2 ABGB. Daher könne seinem Begehren aus einem anderen Rechtsgrund (hier: titellose Benützung) nicht stattgegeben werden. Dem Räumungsbegehren könnte nur bei Vorliegen eines qualifizierten Mietzinsrückstands Berechtigung zukommen. Ein solcher sei vom Erstgericht durch die unbekämpft gebliebene Abweisung des darauf gerichteten Zahlungsbegehrens rechtskräftig verneint worden, sodass das Räumungsbegehren unabhängig davon abzuweisen sei, ob die Rechtsansicht des Erstgerichts bei den zahlreichen Negativfeststellungen zutreffe oder nicht.
Dagegen richtet sich die von der Beklagtenbeantwortete außerordentliche Revision des Klägers.
Rechtliche Beurteilung
1. Bei der Beurteilung, ob eine Bestandstreitigkeit gemäß § 49 Abs 2 Z 5 JN vorliegt und damit die in § 502 Abs 5 Z 2 ZPO normierte Ausnahme von der wertmäßigen Beschränkung der Revisionszulässigkeit zum Tragen kommt, ist von den Klagebehauptungen auszugehen (RIS‑Justiz RS0046865 [T12]). Der Kläger hat sein Räumungsbegehren aus der Auflösung des Mietverhältnisses wegen eines der Beklagten angelasteten Mietzinsrückstands abgeleitet, sodass die Zulässigkeit der Revision nicht vom Streitwert abhängt, sondern davon, ob die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vorliegen. Das ist hier der Fall, weil dem Berufungsgericht eine Aktenwidrigkeit unterlaufen ist; die außerordentliche Revision des Klägers ist im Sinn des auf Aufhebung gerichteten Eventualbegehrens auch berechtigt.
2.1 Der Tatbestand des § 1118 Fall 2 ABGB berechtigt den Vermieter zur vorzeitigen Aufhebung des Mietverhältnisses, wenn ein qualifizierter Zinsrückstand vorliegt, der Bestandnehmer also mit der Bezahlung des Mietzinses dergestalt säumig ist, dass er mit Ablauf des Termins den rückständigen Bestandzins nicht vollständig entrichtet hat (Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1118 Rz 75).
2.2 Gestützt auf diesen Tatbestand hat der Kläger sein Räumungsbegehren zunächst damit begründet, dass er der Beklagten gegenüber die Auflösung des Mietverhältnisses mit Schreiben vom 28. 7. 2015 erklärt habe. Voraussetzung für ein (hier:) auf § 1118 Fall 2 ABGB gestütztes Räumungsbegehren ist zunächst, dass die Vertragsauflösung im Zeitpunkt ihrer Erklärung rechtswirksam war. In einem weiteren Schritt ist dann zu prüfen, ob im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung der aus der rechtswirksamen Vertragsauflösung abgeleitete Räumungsanspruch besteht (1 Ob 550/88).
2.3 Davon unterscheidet sich der vom Erstgericht der Klagestattgebung zugrundegelegte Rechtsgrund der titellosen Benutzung, der voraussetzt, dass die Beklagte die Wohnung von Anfang an rechtsgrundlos benutzt hat. Wird das Klagebegehren ausdrücklich auf bestimmte Klagegründe beschränkt, ist es dem Gericht verwehrt, dem Begehren aus einem anderen Rechtsgrund stattzugeben (RIS‑Justiz RS0037610 [T43]; 1 Ob 210/97g mwN). Zutreffend verweist das Berufungsgericht daher darauf, dass der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, wenn der klagende Vermieter sein Begehren ausdrücklich und ausschließlich im Sinn des § 1118 Fall 2 ABGB darauf stützt, der beklagte Mieter habe den Mietzins nicht entrichtet, könne dem Klagebegehren nicht aus dem Rechtsgrund der titellosen Benützung stattgegeben werden, wenn dieser im Verfahren nicht geltend gemacht worden sei (1 Ob 210/97g; 5 Ob 13/07h; 10 Ob 1/15d). Die Beschränkung auf einen von mehreren nach dem Sachvortrag in Frage kommenden Rechtsgründen ist im Zweifel jedoch nicht anzunehmen (1 Ob 379/98m; 4 Ob 183/12h).
3.1 Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kläger habe sein Räumungsbegehren ausdrücklich und ausschließlich auf die Auflösung des Mietverhältnisses wegen qualifizierten Zahlungsrückstands gestützt und damit einen einzigen Rechtsgrund geltend gemacht, an den das Gericht gebunden wäre, ist durch die Aktenlage nicht gedeckt.
3.2 Die Rechtsgründe für die Auflösung eines Bestandverhältnisses nach § 1118 ABGB und die titellose Benützung können in einer Räumungsklage nebeneinander geltend gemacht werden (6 Ob 589/91; 1 Ob 210/97g; 1 Ob 75/17m). Der Bestandgeber, der sich auf die Auflösung des Vertrags aus den in § 1118 ABGB genannten Gründen stützt, kann daher für den Fall der Annahme, dass ein Bestandverhältnis nicht vorliege, auch erklären, es liege titellose Benützung vor.
3.3 Der Kläger muss seinen Anspruch nicht rechtlich qualifizieren. Es genügt, dass er seinen aus irgendeinem Rechtsgrund ableitbaren Anspruch durch das Vorbringen von Tatsachen umschreibt (RIS‑Justiz RS0037447, RS0037551, RS0107229). Im vorliegenden Fall hat der Kläger zunächst zwar (nur) geltend gemacht, er habe, gestützt auf § 1118 Fall 2 ABGB, die Auflösung der schriftlichen Vereinbarung vom 1. 7. 2014 erklärt und darauf sein Räumungsbegehren gestützt. In weiterer Folge hat er jedoch auf das Vorbringen der Beklagten reagiert und hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit des Mietvertrags seine Ansprüche mit einem Hinweis auf das Bereicherungsrecht begründet. Damit hat er sich ausreichend deutlich auf sein Eigentumsrecht und die ihm aus dieser sachenrechtlichen Zuordnung zukommenden Befugnisse als Eigentümer berufen, sodass im Zweifel auch nicht mehr davon ausgegangen werden kann, er wollte seinen Räumungsanspruch ausschließlich aus § 1118 Fall 2 ABGB ableiten. Die erkennbare Berufung auf sein Eigentumsrecht für den Fall, dass der Mietvertrag unwirksam sein sollte, schließt im Zusammenhalt mit der Inanspruchnahme von dessen Eigentum durch die Beklagte die Behauptung einer (auch) anfänglichen titellosen Nutzung durch sie ausreichend deutlich mit ein.
4. Die Begründung des Berufungsgerichts vermag die Abweisung des Räumungsbegehrens daher nicht zu tragen. Das Eigentumsrecht des Klägers steht nicht grundsätzlich in Frage. Es ist daher Sache der Beklagten, ein Rechtsverhältnis zum Kläger zu behaupten und unter Beweis zu stellen, das die Nutzung der Sache rechtfertigt. Die Beklagte hat sich in ihrer Berufung auf ein konkludentes Vertragsverhältnis mit dem Kläger gestützt, das sie aus dem Umstand der festgestellten Zahlungen ableitet und von dem sie unterstellt, dass es die Nutzung der im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung rechtfertigt. Das Berufungsgericht hat diese rechtlichen Erwägungen der Beklagten ebenso wenig geprüft, wie deren Tatsachen‑ und Beweisrüge, sodass sein Urteil aufzuheben und ihm die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen ist.
5. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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