OGH 4Ob97/24d

OGH4Ob97/24d27.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Dr. Kikinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch Dr. Daniel Charim, Mag. Jakob Charim, LL.M., Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. *, und 2. *, beide vertreten durch die VÖLK Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Unterlassung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 6. Mai 2024, GZ 33 R 4/24m‑10, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00097.24D.0827.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurswird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Dem klagenden Verlag stehen verschiedene Rechte im Zusammenhang mit der Kinderbuchserie „Der Räuber Hotzenplotz“ zu. Die Cover dieser Bücher zeigen die Figur des „Räuber Hotzenplotz“ mit groß dimensioniertem, schwarzem Hut mit hochgebogener Krempe, rotem Hutband und großer Feder hinter einem Zaun stehend wie folgt:

 

[2] Der Erstbeklagte ist Landesparteiobmann der Zweitbeklagten, einer politischen Partei. Die Beklagten kritisierten im Rahmen einer politischen Kampagne unter dem Schlagwort „Räuber Rathausplatz“ einen österreichischen Bürgermeister und dessen Partei, wobei sie insbesondere die Erhöhung der Strom- und Gaspreise, der Mieten im Gemeindebau und der städtischen Gebühren anprangerten. Dafür verwendeten sie auch folgende grafische Darstellung:

 

[3] Verschiedene Varianten des Sujets des Bürgermeisters mit Räuberhut, teils hinter einem Zaun, oder auch nur des Hutes, fanden sich auf der Webseite www.raeuberrathausplatz.at sowie auf jener der Zweitbeklagten www.*.at, auf dem Twitter-Profil des Erstbeklagten, auf dem Facebook-Profil beider Beklagten sowie auf Flyern und Plakatwänden.

[4] Das Rekursgericht wies einen auf Titelschutz (§ 80 UrhG) und Markenrechte gestützten Sicherungsantrag der Klägerin betreffend die Bezeichnung „Räuber Rathausplatz“ für politische Werbung ab.

[5] Hingegen erkannte es die Beklagten mittels einstweiliger Verfügung für schuldig, es bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens zu unterlassen, die oben wiedergegebene zeichnerische Darstellung des „Räuber Rathausplatz“ in dieser oder in einer anderen bearbeiteten oder veränderten Form der zeichnerischen Darstellung laut obigem Buchcover zu verwenden, insbesondere auch nur eine bearbeitete oder veränderte Form des dargestellten Hutes mit rotem Hutband und großer Feder.

[6] Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs wegen der Einzelfallbezogenheit nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie eine gänzliche Abweisung des Sicherungsantrags anstreben, ist mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO iVm §§ 402 Abs 4, 78 Abs 1 EO unzulässig und daher zurückzuweisen.

[8] 1.1 Die Beklagten wenden sich nicht gegen die (implizite) Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass dem Buchcover sowie der grafischen Darstellung des Räuberhutes urheberrechtlicher Schutz zukomme, und auch nicht gegen die (Um-)Formulierung des konkreten Unterlassungsgebots, meinen jedoch, dass ihre Veröffentlichungen selbständige Neuschöpfungen iSd § 5 Abs 2 UrhG seien.

[9] 1.2 Insofern genügt es auf die bereits vom Rekursgericht zitierte ständige Rechtsprechung zu verweisen, laut der angesichts des schier unerschöpflichen Fundus an frei benützbarem Material strenge Anforderungen an das Vorliegen einer freien Benützung zu stellen sind (vgl RS0076496; zuletzt eingehend 4 Ob 37/22bGegendemonstration). Eine freie Benützung setzt voraus, dass das fremde Werk nicht in identischer oder umgestalteter Form übernommen wird, auch nicht als Vorbild oder Werkunterlage, sondern lediglich als Anregung für das eigene Werkschaffen dient (vgl RS0076503, RS0076452). Für die freie Benützung ist kennzeichnend, dass trotz des Zusammenhangs mit einem anderen Werk ein von diesem verschiedenes, selbständiges Werk vorliegt, dem gegenüber das Werk, an das es sich anlehnt, vollständig in den Hintergrund tritt (vgl RS0076521).

[10] Bei der vergleichenden Beurteilung des benützten und des neugeschaffenen Werks ist festzustellen, durch welche objektiven Merkmale die schöpferische Eigentümlichkeit des benützten Werks bestimmt wird, und auf den Gesamteindruck abzustellen (vgl RS0076460, RS0076477, RS0076469).

[11] 1.3 Die Ansicht des Rekursgerichts, die wesentlichen Teile des Orginalwerks seien hier die Figur des Räubers, der über einen Zaun blickt, sowie der eigentümlich gestaltete Hut, ist im Einzelfall ebenso vertretbar wie dessen weitere Wertung, dass diese prägenden Elemente von den Beklagten übernommen worden seien und die Abweichungen in der grafischen Gestaltung sowie beim Text keineswegs zu einem Verblassen des Originals führen würden.

[12] Die Argumentation, dass hier nur der Grundgedanke der Darstellung eines Räubers aufgegriffen worden sei, widerlegen die Beklagten selbst, wenn sie an anderer Stelle ihres Rechtsmittels vorbringen, es sei für die Angesprochenen klar erkennbar gewesen, dass sie sich des bekannten Werks bedient hätten.

[13] 2.1 Im Übrigen stützten sich die Beklagten auf ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 EMRK sowie eine freie Werknutzung als Parodie (§ 42f Abs 2 UrhG); auf das – vom Rekursgericht im Anlassfall verneinte – Zitatrecht (§ 42f Abs 1 UrhG) kommt das Rechtsmittel nicht mehr zurück.

[14] 2.2 Soweit sich die Beklagten gegen die restriktive Auslegung dieses Rechtfertigungsgrundes durch das Rekursgericht wenden, sind sie daran zu erinnern, dass die „Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ (Info-RL) primär die Interessen der Urheber schützt, die nur unter den engen Voraussetzungen des Art 5 von den Mitgliedstaaten eingeschränkt werden können (s auch den sog 3-Stufen-Test in Art 5 Abs 5: „Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“).

[15] Daher ist umstritten, ob Grundrechte, insbesondere die Meinungs- und Kunstfreiheit, als Rechtfertigungsgrund für einen Urheberrechtseingriff herangezogen werden dürfen (s dazu etwa 4 Ob 37/22b [Pkt 3.1 ff] mwN; BGH I ZR 74/22). Eine restriktive Auslegung der Rechtfertigungsgründe entspricht aber jedenfalls der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sowie des EuGH (vgl RS0108465; C‑201/13 , Deckmyn und Vrijheidsfonds [Rn 22]; C-476/17 , Pelham [Rn 63 ff]).

[16] 2.3.1 Die „Parodie“, auf die sich der Revisionsrekurs vorrangig stützt, ist in Art 5 Abs 3 lit k der Info-RL – autonom – geregelt; demnach können die Mitgliedstaaten Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Art 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen, nämlich auch „für die Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches“.

[17] Gemäß Art 17 Abs 7 der „Richtlinie (EU) 2019/790 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/9/EG und 2001/29/EG “ (DSM‑RL) müssen die Mitgliedstaaten zudem sicherstellen, dass sich alle Nutzer, die nutzergenerierte Inhalte auf Diensten für das Teilen von Online-Inhalten hochladen oder zugänglich machen, in jedem Mitgliedstaat auf jede der folgenden Ausnahmen oder Beschränkungen stützen können: […]„b) Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches.“

[18] Mit der Urheberrechts-Novelle 2021 (BGBl I Nr 244/2021) wurde daraufhinin § 42f Abs 2 UrhG normiert, dass ein veröffentlichtes Werk für die Nutzung zum Zweck von Karikaturen, Parodien oder Pastiches über eine große Online-Plattform gesendet oder der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt (§ 18c UrhG) und für diese Zwecke vervielfältigt werden darf.

[19] 2.3.2 Selbst wenn man diesen Rechtfertigungsgrund auf alle Nutzungen der Beklagten erstrecken würde, gelingt es dem Revisionsrekurs jedoch nicht aufzuzeigen, dass dessen Verneinung im Einzelfall unvertretbar wäre.

[20] Das Rekursgericht zog für seine Beurteilung die Entscheidung des EuGH zu C‑201/13 , Deckmyn und Vrijheidsfonds, heran und setzte die Rechtfertigungsschranke für einen Eingriff in Urheberrechte bei einer bloßen Instrumentalisierung des Werks zur parodistischen Auseinandersetzung zwischen Dritten hoch an. Da die Klägerin ungewollt in eine politische Auseinandersetzung hineingezogen worden sei, ohne sich selbst positionieren zu können, und nicht nur die inhaltliche Kritik der Beklagten, sondern sogar das Räuber-Sujet ohne Eingriff in Urheberrechte vermittelt hätte werden können, schlage die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus.

[21] Diese Wertung bewegt sich innerhalb des den Gerichten im Einzelfall notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraums. So betonte auch der EuGH in C‑201/13 (Rn 26 ff), dass bei der Anwendung der Ausnahme für Parodien im konkreten Fall ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten der Urheber und der freien Meinungsäußerung des Nutzers gewahrt werden müsse, wofür sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien. Einer (neuerlichen) Anrufung des EuGH (wie von den Beklagten angeregt) bedarf es daher nicht.

[22] Entgegen den Rechtsmittelausführungen endet die Freiheit der Parodie daher keineswegserst beidiskriminierenden Inhalten odereiner nachweislichen Verletzung materieller Interessen. Vielmehr ist ein umfassender Ausgleich anzustellen, bei dem hier auch das Interesse des Inhabers von Rechten an einem Kinderbuch zu berücksichtigen ist, nicht mit einer politischen Kampagne (welchen Inhalts auch immer) in Verbindung gebracht zu werden.

[23] Im Gegenzug sind auch die Erwägungen des Rekursgerichts vertretbar, dass die Beklagten ihren politischen Standpunkt und das Stilmittel der Parodie auf einen Räuber ohne einen Eingriff in die Urheberrechte der Klägerin zur Geltung hätten bringen können, und der Rückgriff auf die grafische Darstellung des „Räubers Hotzenplotz“ hier weniger der Vermittlung ihrer politischen Botschaft dient, als dessen Bekanntheit ausnützt.

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