OGH 4Ob95/22g

OGH4Ob95/22g23.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Pflegschaftssache des O* G*, geboren am * 2004, wegen Verhängung einer Ordnungsstrafe, über den Rekurs der Mutter Dr. E* G*, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 21. April 2021, GZ 4 R 112/21v‑508, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0040OB00095.22G.0923.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt wurde der Mutter die Obsorge für den damals Minderjährigen im Teilbereich Pflege und Erziehung entzogen und der Kinder- und Jugendhilfeträger mit der Obsorge betraut. Dagegen erhob die Mutter Rekurs an das Landesgericht Klagenfurt. Darin bezeichnete sie den zuständigen Sozialarbeiter als „braunen Hobbyhistoriker, der Akten vernichtet, um das Denkmal für die Opfer der Fürsorge im Nationalsozialismus zu erschweren“. Dem Jugendamt und vor allem dessen „überforderter Dienststellenleiterin“ unterstellte sie Unfähigkeit und Konzentration auf interne Rangkämpfe, wodurch die Sozialarbeit auf der Strecke bleibe. Diese Behörde sei weder gewillt, noch im Stande, ihre Verpflichtungen als Obsorgeträger zu erfüllen. Dem Landesgericht Klagenfurt als Rekursgericht hielt sie vor, „wie üblich keinen Verfahrensmangel sehen zu wollen, was auf eine wiederholt mangelhafte Reflexionsfähigkeit hindeute“.

[2] Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte das Rekursgericht über die Mutter eine Ordnungsstrafe von 200 EUR, da sie mit ihren Äußerungen bei weitem das Maß an sachlich allenfalls berechtigter Kritik überschreite, und um sie in Hinkunft zu einer sachlichen und unpersönlichen Ausdrucksweise zu bewegen und sich zweckgerichtet zu verhalten.

[3] Dagegen richtet sich der Rekurs der Mutter mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben, in eventu, die Ordnungsstrafe herabzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der Rekurs – für den keine absolute Anwaltspflicht besteht – ist zulässig (RS0121603), aber nicht berechtigt.

[5] 1. Gemäß § 22 AußStrG iVm § 86 ZPO kann vom Gericht eine Ordnungsstrafe gegen eine Partei ua dann verhängt werden, wenn sie die dem Gericht schuldige Achtung in einem Schriftsatz durch beleidigende Ausfälle verletzt oder in einem Schriftsatz den Gegner, Bevollmächtigte, Zeugen oder Sachverständige beleidigt. Der Regelungszweck dieser Bestimmung liegt in der Wahrung einer sachlichen und unpersönlichen Ausdrucksweise (RS0036327 [T1]; Lutschounig in Schneider/Verweijen, AußStrG § 22 Rz 39; Konecny/Schneider in Fasching/Konecny 3 § 86 ZPO Rz 1; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 86 Rz 2). Damit soll geholfen werden, die Gefahr einer Eskalation im Prozess zu „entschärfen“. Dabei ist gleichzeitig eine verständliche Gemütserregung zu berücksichtigen, die jedoch das Maß objektiver Kritik nicht überschreiten darf. Selbst eine sachlich berechtigte Kritik oder Äußerung kann wegen ihrer beleidigenden und ausfälligen Form die dem Gericht schuldige Achtung verletzen und eine Beleidigung darstellen (RS0036308; 10 Ob 108/15b; vgl auch RS0036332). Tatbildlich ist daher die beleidigende bzw ausfällige Form der Äußerung, selbst wenn sie berechtigte Kritik zum Inhalt hat. Der Wahrheitsbeweis ist demnach ausgeschlossen (Lutschounig in Schneider/Verweijen, AußStrG § 22 Rz 40; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 86 Rz 2), da die Form und nicht der Inhalt der Kritik verpönt ist (Konecny/Schneider in Fasching/Konecny 3 § 86 ZPO Rz 5). Denn in einem Rechtsmittel ist nur sachlich darzulegen, weshalb die bekämpfte Entscheidung unrichtig ist (vgl RS0046059). Es kommt dabei nicht auf die Absicht des Verfassers des Schriftsatzes an, sondern auf die Beurteilung der Äußerung nach objektiven Gesichtspunkten. Zum geschützten Personenkreis gehören alle Verfahrensbeteiligten (Konecny/Schneider in Fasching/ Konecny 3 § 86 ZPO Rz 13).

[6] 2.1. Die Herabwürdigungen der Rekurswerberin sind jedenfalls in ihrer Gesamtheit als „beleidigende Ausfälle“ iSv § 86 ZPO zu qualifizieren. Sie rechtfertigt die beanstandeten Äußerungen in ihrem nunmehrigen Rekurs an den Obersten Gerichtshof nur damit, dass ihre Ausführungen der Wahrheit entsprächen oder nicht beleidigend gemeint gewesen seien. Da aber ihre Anwürfe und Anschuldigungen das Maß berechtigter Kritik an den Rechtsprechungsorganen und am KJHT eindeutig überschreiten, zeigt sie mit ihren Rekursausführungen keinerlei sachliche Argumente auf, die eine Korrektur der angefochtenen Entscheidung gebieten würden (vgl auch 4 Ob 61/19b).

[7] 2.2. Die Geldstrafe hat sich an den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der zu bestrafenden Person zu orientieren, ohne dass es weitwendiger Erhebungen der Leistungsfähigkeit bedürfte. Sie soll dabei zwar so hoch sein, dass sie von der Person als empfindlich wahrgenommen wird, allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren außer Streitsachen kein Strafverfahren ist, weshalb die Strafhöhe bei erstmalig zu ahndenden und/oder nicht als besonders schwerwiegend zu wertenden Verstößen weit unter dem zulässigen Höchstmaß festgesetzt werden sollte (Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 220 Rz 2/2).

[8] Unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falls, der Art der Äußerungen im Gesamtzusammenhang und der Verstöße gegenüber mehreren Beteiligten ist im Hinblick auf die Höchstgrenze des § 220 ZPO von 2.000 EUR eine Strafe von 200 EUR angemessen und konnte „ohne weitwendige Erhebungen der Leistungsfähigkeit“ verhängt werden. Der im Rekurs beantragten Herabsetzung war nicht näher zu treten, weil es darin an konkreten Ausführungen mangelt, warum die Strafe herabzusetzen wäre oder dass die Leistungsfähigkeit nicht gegeben wäre.

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