Spruch:
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 15.097 S (darin 2.516,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 24. 3. 1995 suchte die Klägerin den Beklagten, einen praktischen Arzt, zu einer allgemeinen Untersuchung im Hinblick auf den beabsichtigten Abschluß einer Lebensversicherung auf. Bei dieser Gelegenheit ließ sich die Klägerin, der bekannt war, daß der Beklagte auf manualmedizinische Eingriffe spezialisiert ist, auch wegen bestehender Genickschmerzen untersuchen. Der Beklagte verordnete zunächst verspannungslösende Tabletten. Nach lediglich geringfügiger Besserung suchte die Klägerin den Beklagten am 27. 3. 1995 erneut auf. Dieser forderte sie auf, sich auf die Behandlungsliege zu setzen und nahm einen chiropraktischen Eingriff vor. Unmittelbar danach traten bei der Klägerin ein starkes Schwindelgefühl und Kribbelparästhesien an der linken Hand sowie Sprachstörungen auf. Die Klägerin hatte durch den chiropraktischen Eingriff eine dissozierende Ruptur der Gefäßwand der Halswirbelsäulenschlagader mit nachfolgender Thrombose und konsekutivem Komplettverschluß der arteria basilaris erlitten. Mechanische Einwirkungen bei chiropraktischen Eingriffen im Bereich der Halswirbelsäule reichen aus, akute Gefäßwandzerreissungen in Form von laminaren Schichtdissektionen zu erzeugen, die von Thrombosen gefolgt sein können. Verletzungen der Halswirbelsäulenschlagader bei chiropraktischen Eingriffen in die Halswirbelsäule sind eine bekannte, jedoch äußerst seltene, allerdings lebensgefährliche Komplikation derartiger Eingriffe. In einem Zeitraum von 25 Jahren kam es bei rund 2,000.000 chiropraktischer Eingriffe an rund 600.000 bis 700.000 Patienten zu hundert derartigen Verletzungen mit tödlichem Ausgang. Alternativ zu dem vom Beklagten vorgenommenen chiropraktischen Eingriff hätte zur Behandlung eines "steifen Nackens" die Möglichkeit bestanden, Injektionen zu verabreichen, Infiltrationen zu setzen oder eine Schanz'sche Krawatte anzulegen. Die Klägerin wurde über diese Möglichkeiten genausowenig aufgeklärt wie über die Möglichkeit einer Verletzung der Halswirbelsäulenschlagader durch den chiropraktischen Eingriff.
Der Beklagte erkannte die durch den Eingriff aufgetretene Komplikation richtig und verständigte den Notarzt, der die Überweisung der Klägerin in das Krankenhaus S***** veranlaßte. Von dort wurde sie in die Intensivstation der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in L***** gebracht, wo ein Zustand nach Lysetherapie bei Vertebralisdissektion links mit arterieller Embolie in der arteria basilaris und konsekutivem Komplettverschluß der arteria basilaris mit Hirnstamminfarkt im Tiefenpons sowie Streckkrämpfe und tiefes Koma festgestellt wurden. Die Klägerin befand sich bis 1. 6. 1996 in stationärer Behandlung der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg und daran anschließend bis 3. 8. 1995 sowie in der Zeit vom 3. 1. bis 14. 2. 1996 im Rehabilitationszentrum G*****. Noch im Juli 1996 lagen bei der Klägerin eine Schwäche am rechten Arm sowie rechten Bein mit daraus resultierender Gehbehinderung und verminderter Belastbarkeit, eine Hirnleistungsschwäche mit rascher Ermüdbarkeit, verminderter Belastbarkeit und Konzentrationsschwäche, sowie Verspannungen im Bereich des Genicks und beider Schultern vor. Eine Besserung durch intensive physikotherapeutische, logopädische und ärztliche Behandlung ist im weiteren Verlauf zu erwarten. Die Behandlung im Krankenhaus S***** und in der Landes-Nervenklinik Wagner Jauregg in L***** erfolgte nach den Regeln der ärztlichen Kunst und dem letzten Stand der medizinischen Wissenschaft.
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden und Nachteile aus der Behandlung vom 27. 3. 1995 in Steyr. Der Beklagte habe einen Behandlungsfehler zu vertreten. Er habe bei seinem chiropraktischen Eingriff die Halswirbelschlagader in Höhe der unteren Atlasschlinge verletzt, was zum Verschluß der Basisschlagader geführt habe. Der Beklagte habe vor der Behandlung nicht sämtliche gebotene Maßnahmen zur Abklärung des Behandlungsrisikos ergriffen, so habe er weder eine Anamnese noch eine diagnostische Röntgenuntersuchung durchgeführt und den vor derartigen Behandlungen üblichen "Probezug" unterlassen. Er habe es auch unterlassen, die Klägerin vor der Behandlung über mögliche Folgen und Risken aufzuklären und zu beraten. Bei entsprechender Aufklärung hätte die Klägerin eine weitere konservative Behandlung mit muskellösenden Salben vorgezogen.
Der Beklagte beantragte Klageabweisung. Er habe die Behandlung fachgerecht durchgeführt und Behandlungsfehler nicht zu verantworten. Aufklärungspflicht bestehe nur für behandlungstypische Risken. Die bei der Klägerin eingetretene Krankheitsfolge stünde in keinem Konnex zu der vom Beklagten durchgeführten Behandlung.
Nach Streitverkündung durch die Klägerin trat das Land O***** als Träger der Landes-Nervenklinik Wagner Jauregg dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin auf seiten des Beklagten bei und brachte ergänzend vor, aufgrund der geringen Komplikationsrate von weniger als 0,05 Promille habe eine Aufklärungspflicht nicht bestanden. Angesichts dieser geringen Komplikationshäufigkeit hätte sich die Klägerin auch dann für die chiropraktische Behandlung entschlossen, wenn sie auf die Komplikationsmöglichkeit hingewiesen worden wäre.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, ein die Gefährdung der Halswirbelsäulenschlagader erhöhendes Leiden wie Anomalien der oberen Halswirbel oder der hinteren Schädelgrube oder eine Arteriosklerose sei bei der Klägerin nicht vorgelegen, sie habe auch nicht unter erhöhtem Cholesterinspiegel, der eine gewisse Gefährdung der Gefäßwand bedeuten könne - gelitten. Auch sonstige andere Krankheitszeichen wie Schwindel mit oder ohne Kopfschmerzen, einem labilen oder fixierten Hochdruck oder Anfallsleiden, die besondere Risken eines chiropraktischen Eingriffs bilden könnten, bestanden bei der Klägerin nicht. Die Beschwerden, derentwegen die Klägerin den Beklagten aufsuchte, seien nicht verdächtig für ein beginnendes Basilarissyndrom. Ein sogenannter "Probezug" vor Durchführung der chiropraktischen Einrichtung hätte das sich im gegenständlichen Fall verwirklichende Risiko nicht offenbar machen können. Es könne nicht festgestellt werden, ob die Klägerin nach einer Aufklärung über Behandlungsrisiko und Behandlungsalternativen dem chiropraktischen Eingriff zugestimmt hätte.
In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, der Beklagte sei vor der Vornahme des aus medizinischer Sicht nicht besonders dringlichen Eingriffes verpflichtet gewesen, die Klägerin auf die mit chiropraktischen Eingriffen verbundene, zwar außerordentlich seltene, aber bekannte und lebensgefährliche Komplikation einer Verletzung der Halswirbelsäulenschlagader hinzuweisen, da eine derartig weitreichende Komplikation für den medizinisch nicht vorgebildeten Laien überraschend sei. Trotz der Geringfügigkeit der Komplikationsdichte wäre eine Aufklärung angesichts des die Lebensführung nachhaltig beeinflussenden Ausmaßes einer möglichen Beeinträchtigung erforderlich gewesen. Darüber hinaus wäre der Beklagte auch verpflichtet gewesen, über die ihm bekannten alternativen Behandlungsmethoden aufzuklären, und zwar unabhängig davon, ob diesen anderen wirksamen Behandlungsmethoden ein gleich hohes oder größeres Komplikationsrisiko anhafte. Der wesentliche Unterschied der alternativen Vorgehensweisen liege in der Behandlungsdauer; während die manuelle Entblockung der betroffenen Wirbel zu einer sofortigen Besserung der Beschwerden führe, sei beispielsweise die konservative Ruhigstellung etwa eine Woche lang aufrechtzuerhalten, während welcher Zeit der Patient in seiner allgemeinen Beweglichkeit verhältnismäßig stark beeinträchtigt und häufig nicht arbeitsfähig sei. Die Klägerin hätte zumindest die Wahl zwischen einer mit dem geringen Risiko einer allerdings bedeutsamen Komplikation verbundenen sofortigen Beseitigung der Unzuträglichkeiten und einem beschwerlichen, aber risikoarmen Heilungsprozeß gehabt, welche Entscheidungsmöglichkeit ihr nicht durch mangelnde Aufklärung hätte genommen werden dürfen. Der Beklagte habe den von ihm zu führenden Nachweis, daß sich die Klägerin auch nach einer einwandfreien Risikoaufklärung für die chiropraktische Therapie entschieden hätte, nicht erbracht. Er habe daher für die negativen Folgen der lege artis vorgenommenen chiropraktischen Behandlung zu haften.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten und seines Nebenintervenienten nicht Folge und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht bei chiropraktischer Behandlung höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Der mit dem Arzt abgeschlossene Behandlungsvertrag umfasse auch die Pflicht, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen der Behandlung zu unterrichten. Diese Aufklärungspflicht sei umso umfassender, je weniger die Maßnahme dringlich oder gar geboten erscheine. Sei ein Eingriff zwar medizinisch indiziert, bestehe aber keine zwingende Notwendigkeit, sei selbst auf die Möglichkeit äußerst seltener Zwischenfälle hinzuweisen. Entscheidend sei die Erheblichkeit des seltenen Risikos und damit die Eignung, die Willensbildung des Patienten zu beeinflussen, nicht aber die Seltenheit seiner Verwirklichung. Auf typische Risken, also solche, die speziell dem geplanten Eingriff anhaften und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden seien, sei unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit hinzuweisen. Der Beklagte habe seiner Aufklärungspflicht nicht Genüge getan; er habe die Klägerin weder über das selbst bei Behandlung lege artis und mit größter ärztlicher Sorgfalt nicht mit Sicherheit beherrschbare schwerwiegende Risiko einer Verletzung der Halswirbelsäulenschlagader, noch über mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt. Das Auftreten einer Verletzung der arteria vertebralis mit nachfolgender Thrombose und Verschluß der arteria basilaris sei ein zwar seltenes, jedoch bekanntes Ereignis bei chiropraktischen Eingriffen an der Halswirbelsäule; es handle sich dabei um ein typisches Risiko derartiger Behandlungen, da es speziell dem geplanten Eingriff anhafte, bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden sei und den nicht informierten Patienten überrasche, weil er mit dieser Folge überhaupt nicht rechne. Das - wenn auch statistisch zu vernachlässigende - Risiko, an den Folgen einer durch eine chiropraktische Behandlung der Halswirbelsäule ausgelösten Verletzung zu versterben oder lebenslang zu laborieren, sei - unabhängig von allfälligen Behandlungsalternativen - zweifellos geeignet, die Entscheidung eines Patienten, sich chiropraktisch im cervikalen Bereich behandeln zu lassen, zu beeinflussen, wenn wie im vorliegenden Fall bei der bloß an Genickschmerzen leidenden Klägerin keine Indikation zu einer sofortigen derartigen Behandlung bestehe. Für die Frage der Aufklärungspflicht spiele auch die Schwere der möglichen Komplikation bzw das Gewicht des Risikos im Hinblick auf die künftige Lebensführung des Patienten und die Relation zur gesundheitlichen Entwicklung, die den Patienten erwartet, wenn der medizinische Eingriff unterbleibt, eine Rolle. Angesichts des die Lebensführung nachhaltigst bishin zum Tod beeinflussenden Ausmaßes der möglichen Beeinträchtigung hätte der Beklagte von einer Aufklärung nicht mit der Erwägung absehen dürfen, die Verwirklichung des Risikos sei außerordentlich selten, hätte doch die Klägerin bei einem Unterbleiben des chiropraktischen Eingriffes lediglich zu gewärtigen gehabt, die bestehenden Genickschmerzen länger erdulden zu müssen. Überdies hätten mehrere alternative Behandlungsmethoden bestanden.
Im hier vorliegenden Fall der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht treffe den Arzt die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Behandlung erteilt hätte, gehe es doch darum, daß der Arzt das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffes ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen habe. Die Klägerin habe plausibel gemacht, daß sie bei einer umfassenden Belehrung über das mit der Behandlung verbundene Risiko vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden wäre. Daß nicht festgestellt werden könne, ob die Klägerin nach einer Aufklärung über Behandlungsrisiko und Behandlungsalternative dem chiropraktischen Eingriff zugestimmt hätte, gehe somit zu Lasten des Beklagten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen des Beklagten und seines Nebenintervenienten sind zulässig, weil in der Lehre jüngst Bedenken gegen die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Beweislastverteilung in Fällen der Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten erhoben wurden.
Aufgabe der ärztlichen Aufklärungspflicht ist es, dem Patienten die erforderliche rechtswirksame Zustimmung zum Eingriff in seine Körperintegrität zu ermöglichen; sie soll ihm die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien liefern und ihn in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Zustimmung zum fremden Eingriff zu überblicken (Engljähringer, Ärztliche Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen 132). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist die ärztliche Aufklärungspflicht umso umfassender, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. In einem solchen Fall ist die Aufklärungspflicht über mögliche Risken selbst dann geboten, wenn die nachteiligen Folgen wohl erheblich, jedoch wenig wahrscheinlich sind. Auch auf die Möglichkeit äußerst seltener Zwischenfälle ist genauso wie auf das allgemein mit dem Eingriff verbundene Risiko (wie die Gefahr von Thrombosen, Embolien udgl) hinzuweisen. Die Aufklärungspflicht ist bei Vorliegen typischer, mit der Heilbehandlung verbundener Risken verschärft. Das sind Risken, die speziell dem geplanten Eingriff anhaften und auch bei Anwendung allergrößter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden sind und den nicht informierten Patienten überraschen, weil er mit dieser Folge nicht rechnet (SZ 62/154; SZ 69/199; RIS-Justiz RS0026340). Auf sie ist unabhängig von der prozent- (oder promille)mäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes hinzuweisen (SZ 69/199; JBl 1995, 453; RIS-Justiz RS0026340). Entscheidend ist die Erheblichkeit des seltenen Risikos und damit die Eignung, die Willensbildung des Patienten zu beeinflussen, nicht aber die Häufigkeit (bzw Seltenheit) der Verwirklichung des Risikos selbst (JBl 1995, 453 [Steiner]; RIS-Justiz RS0026313). Ist der Eingriff nicht dringlich, muß der Patient auch auf allenfalls bestehende alternative Behandlungsmethoden hingewiesen werden. Dabei sind Vor- und Nachteile, verschiedene Risken, verschieden starke Intensität des Eingriffs, differierende Folgen, Schmerzbelastungen und verschiedene Höhe der Erfolgsaussichten gegeneinander abzuwägen (Hofmann, Die Aufklärungspflicht des Arztes im Lichte der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, RZ 1998, 80 ff mwN).
An diesen Grundsätzen der Rechtsprechung wird festgehalten. In welchem Umfang der Arzt im Einzelfall den Patienten über Behandlungsrisken und -alternativen aufklären muß, damit dieser die Tragweite seiner Zustimmung zur beabsichtigten Heilbehandlung überblicken kann, ist eine anhand der zu den konkreten Umständen des Einzelfalls getroffenen Feststellungen zu beurteilende Rechtsfrage (Engljähringer aaO 125; SZ 63/152; SZ 69/199; RIS-Justiz RS0026329; RS0026763; RS0026529), die in bezug auf Risikohäufigkeit eine Beurteilung nach starren Prozent- bzw Promillesätzen nicht zuläßt (SZ 59/18).
Die Auffassung des Berufungsgerichtes, wonach der Beklagte seiner ärztlichen Aufklärungspflicht nicht Genüge getan hat, weil er die Klägerin nicht über Behandlungsrisiko und -alternativen aufgeklärt hat, steht mit diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen in Einklang. Eine Fehlbeurteilung ist schon deshalb nicht zu erkennen, weil das speziell mit dem vorgenommenen chiropraktischen Eingriff verbundene - wenngleich statistisch geringe, so doch für die weitere Lebensführung des Patienten erhebliche - Risiko einer Hirnschädigung oder sogar des Todes angesichts der alternativen Behandlungsmöglichkeiten und der fehlenden Dringlichkeit eines sofortigen Eingriffes durchaus geeignet war, den Entschluß der Patientin, in die Behandlung einzuwilligen, zu beeinflussen. Angesichts der von den Vorinstanzen festgestellten konkreten Umstände des vorliegenden Falles ist von einer Verletzung der den Beklagten aus dem Behandlungsvertrag treffenden Aufklärungspflicht auszugehen.
Unter Hinweis auf die Ausführungen von Dullinger (Zur Beweislast für Verletzung/Erfüllung der ärztlichen Aufklärungspflicht, JBl 1998, 2
ff) wenden sich die Revisionswerber gegen die dem Beklagten auferlegte Beweislast dafür, daß die Klägerin auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte.
Der Oberste Gerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, im Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht treffe den Arzt die Beweislast dafür, daß der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte, gehe es doch darum, das Vorliegen eines die Rechtswidrigkeit des Eingriffes ausschließenden Rechtfertigungsgrundes zu behaupten und zu beweisen (SZ 69/199; JBl 1995, 453; 2 Ob 197/97b; Hofmann, Die Aufklärungspflicht des Arztes im Lichte der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes RZ 1998, 80 ff [82 mwN]; Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 52 f zu § 1302 ABGB). In jüngster Zeit trat Dullinger (aaO 9 ff) dem entgegen. Sie bezweifelt die Richtigkeit der - auch vom BGH und der überwiegenden Lehre (so auch Koziol Haftpflichtrecht II2 120; weitere Nachweise bei Dullinger aaO 9, FN 62) vertretenen - Auffassung der Rechtsprechung, wonach ein lege artis durchgeführter Eingriff in die körperliche Integrität als grundsätzlich rechtswidrige Körperverletzung anzusehen sei und meint, das für die Haftungsfrage allein maßgebliche Verhaltensunrecht werde erst durch das Fehlen einer ausreichenden Einwilligung des Patienten begründet. Liege daher eine mängelfreie Zustimmung des Patienten vor, sei der Arzt von vornherein zur Heilbehandlung berechtigt. Ihr Fehlen sei - da Voraussetzung der Rechtswidrigkeit - vom geschädigten Patienten zu beweisen. Ein Irrtum des Patienten über mögliche Behandlungsfolgen aufgrund fehlender oder unzureichender Aufklärung durch den Arzt führe zur Unwirksamkeit der Einwilligungserklärung. Der Argumentation Dullingers folgend ergibt sich für den hier vorliegenden Fall - in dem feststeht, daß eine Aufklärung über mögliche Behandlungsfolgen und -alternativen nicht erfolgte, woraus die Klägerin die Unwirksamkeit ihrer Einwilligung ableitet - jedenfalls die Rechtswidrigkeit des Eingriffs mangels wirksamer Einwilligung (vgl Koziol aaO 121), und zwar unabhängig davon, ob schon der Eingriff an sich oder erst die fehlende Einwilligung seine Rechtswidrigkeit begründete.
Der Nebenintervenient des Beklagten hat im Verfahren erster Instanz vorgebracht, die Klägerin hätte dem chiropraktischen Eingriff auch dann zugestimmt, wenn sie über Behandlungsrisken und -alternativen aufgeklärt worden wäre. Die Beweislast für diesen Einwand des "rechtmäßigen Alternativverhaltens" trägt nach Lehre und ständiger Rechtsprechung der Schädiger (SZ 62/154; SZ 63/151; SZ 69/199; JBl 1995, 453 [Steiner]; Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 23b zu § 1299; Harrer in Schwimann ABGB2 Rz 50 zu § 1300 und Rz 53 zu § 1301 f; 10 Ob 1530/96; 2 Ob 197/97b; vgl Dullinger aaO 16 FN 144 mwN). Dazu vertritt Dullinger die Auffassung, die dabei wesentliche Frage, ob die vollständige Aufklärung den entstandenen Schaden verhindert hätte, sei bereits im Zusammenhang mit der Kausalität der unterlassenen Aufklärung zu prüfen; für eine gesonderte Prüfung der Kausalität der Pflichtwidrigkeit und die Beweislast des Beklagten bleibe hier kein Raum. Bestehe das rechtswidrige Verhalten in einem Unterlassen, gehe nämlich die Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens bereits in der Kausalitätsprüfung auf und sei von dieser nicht zu trennen. Die Beweislast dafür, daß das Verhalten - hier die Unterlassung - des Beklagten den eingetretenen Schaden verursacht hat, trage aber nach allgemeinen Grundsätzen der Schadenersatzkläger. Eine Haftung des Arztes komme daher nur dann in Betracht, wenn die Ursächlichkeit der unvollständigen Aufklärung für den eingetretenen Schaden (vom Geschädigten) nachgewiesen werden könne.
Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, angesichts dieser Ausführungen von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Beweislastverteilung abzugehen: Die von Dullinger vorgenommene Beweislastverteilung steht nicht nur der zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, sondern auch der herrschenden Lehre entgegen. So vertreten Karollus (Schutzgesetzverletzung 399 ff) und Koziol (Haftpflichtrecht I3 Rz 8/67) die Auffassung, derjenige, der konkret gefährlich, also risikoerhöhend und rechtswidrig gehandelt hat, habe das gesamte Aufklärungsrisiko zu tragen. Er müsse den Beweis führen, daß sich die Risikoerhöhung im zu prüfenden Fall nicht ausgewirkt hat. Die Beweislastverteilung zu Lasten des rechtswidrig Handelnden lasse sich auch dadurch rechtfertigen, daß ein Verhalten unterbunden werden solle, das einerseits gefährlich sei und andererseits Aufklärungsschwierigkeiten heraufbeschwöre. Das Risiko der Unaufklärbarkeit sei aber eher jenem, der es durch rechtswidriges Handeln geschaffen habe, als dem Geschädigten aufzuerlegen. Zur Frage der Arzthaftung vertritt Koziol (aaO Rz 8/72) die Auffassung, der Arzt hafte einem nicht ausreichend über die Risken eines Eingriffes aufgeklärten Patienten (dessen Einwilligung mangels Aufklärung unwirksam sei) nur dann nicht, wenn ihm (dem Arzt) der Nachweis gelinge, daß der Patient auch bei Vornahme der erforderlichen Aufklärung in die Operation eingewilligt hätte und die Schäden daher ebenso eingetreten wären.
Angesichts der Negativfeststellung der Vorinstanzen ist dem Beklagten der ihm obliegende Beweis, daß die Klägerin dem chiropraktischen Eingriff auch im Falle ihrer Aufklärung über Behandlungsrisken und -alternativen zugestimmt hätte, nicht gelungen.
Der Einwand der Revision, es erscheine eine, wenn auch eingeschränkte, Beweislastumkehr zu Lasten des Patienten geboten, konnte im vorliegenden Fall zu keiner anderen Entscheidung führen. Die Ausführungen der Klägerin, sie hätte, wäre sie aufgeklärt worden, einer Behandlung nicht zugestimmt, sind angesichts der hier vorliegenden Umstände (besonders gravierende mögliche Folgen des Eingriffs, fehlende Dringlichkeit und erfolgversprechende alternative Behandlungsmethoden) nicht von der Hand zu weisen. Es mag schon sein, daß sich ein vernünftiger Patient in der Mehrzahl der Fälle nach der Empfehlung des Arztes richten und einer von diesem vorgeschlagenen Behandlung zustimmen wird. Daß sich aber die Klägerin in Kenntnis des mit der Behandlung verbundenen schweren gesundheitlichen Risikos, der möglichen Behandlungsalternativen und angesichts fehlender Dringlichkeit nicht ohne weiteres für die mit allenfalls auch tödlichen Folgen verbundene chiropraktische Behandlung entschieden hätte, scheint plausibel. Demgegenüber hat der Beklagte keine Umstände geltend gemacht, die das Gegenteil unter Beweis stellen könnten. Die von den Vorinstanzen getroffene Negativfeststellung mußte daher auch nach der Auffassung Dullingers zur Beweisführungslast (aaO 19 f) zu Lasten des Beklagten ausschlagen.
Den unberechtigten Revisionen des Beklagten und seines Nebenintervenienten wird nicht Folge gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 52 Abs 1 ZPO.
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