OGH 4Ob29/23b

OGH4Ob29/23b20.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat MMag. Matzka und die fachkundigen Laienrichter Patentanwälte Dr. Müllner und DI Dr. Wildhack als weitere Richter in der Patentrechtssache der Antragstellerin O* AG (Handelsregister des Kantons *), *, Schweiz, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung der Schwarz & Partner Patentanwälte OG in Wien, gegen den Antragsgegner C*, Frankreich, vertreten durch die Gassauer‑Fleissner Rechtsanwälte GmbH in Wien unter Mitwirkung der Kliment & Henhapel Patentanwälte OG in Wien, wegen Nichtigkeit des Patents AT E 121 750, über die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 17. November 2022, GZ 33 R 14/22d‑12, mit dem die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung des Patentamts vom 23. Februar 2021, GZ N 6/2017‑7b, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00029.23B.1220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird an die Nichtigkeitsabteilung des Patentamts zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Antragsgegner hatte das Patent AT E 121 750 T2 (österreichischer Teil des Europäischen Patents EP 0 359 593 B2; in der Folge: Streitpatent) über die Chromatographische Trennung von Plasmaproteinen, insbesondere von Faktor VIII, von Willebrand‑Faktor, von Fibronectin und von Fibrinogen am 8. 2. 1989 unter Beanspruchung der Priorität 7. 6. 1988 (FR 8807530) angemeldet; das Streitpatent ist nach Erreichung der Höchstdauer am 8. 2. 2009 erloschen. Die Ansprüche lauteten [mit zur Verdeutlichung hinzugefügter Merkmalsgliederung M1 bis M7 und M13 bis M16] im Einzelnen:

 

1. [M1] Verfahren zur Trennung von Proteinen Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von Willebrand‑Faktor [M2] des menschlichen oder tierischen Plasmas und [M3] zur Herstellung von Konzentraten dieser Proteine, dadurch gekennzeichnet, dass es die folgenden Schritte aufweist:

[M4] als Ausgangsmaterial wird die bei niedriger Temperatur gefällte Plasmafraktion, die [M5] im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von Willebrand‑Faktor und Faktor VIII besteht, verwendet,

[M6] das besagte bei niedriger Temperatur Gefällte, das wieder in wässrige Lösung gebracht wurde, wird einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz unterworfen, [M6a]  dessen Matrix ein Gel von der Art eines makroreticulären Vinylpolymeren ist, [M6b]  das durch seine Porositäts- und Hydrophobieeigenschaften fähig ist, den Komplex aus Faktor VIII und von Willebrand‑Faktor zurückzuhalten,

[M7] durch aufeinander folgende Erhöhung der Ionenstärke des Elutionspuffers werden selektiv die verschiedenen Proteine gewonnen.

2.  Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Gel von der Art des Vinylpolymeren Fractogel (M) ‑ TSK ist.

3.  Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass der Anionen austauschende Charakter des Harzes von auf die Matrix gepfropften Gruppen vom DEAE‑Typ herrührt.

4.  Verfahren nach den Ansprüchen 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Ausgangsfraktion Faktor VIII enthält, der eine spezifische Aktivität größer oder gleich 0,1 I.E. pro mg an Proteinen aufweisen kann.

5.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Ausgangsfraktion eine Vorreinigungsbehandlung erfahren hat, die

- eine Behandlung mit Aluminiumhydroxid,

- eine Abkühlung auf 14 –16 Grad

- ein Zentrifugieren und die Wiedergewinnung des Überstands umfasst.

6.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass die Chromatographie mit einem Puffer durchgeführt wird, der Lysin und Glycin enthält und dessen Ionenstärke mit Hilfe von Natriumchlorid in zunehmender Konzentration erhöht wird.

7.  Verfahren nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass der Puffer 2 –4 g/l Lysin und 8–11 g/l Glycin enthält.

8.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Natriumchlorid-Konzentration des Puffers

- bei der Äquilibrierung der Kolonne und beim Beladen der Probe 0,11 M ist, was die Absorption des Fibronectins, des von Willebrand‑Faktors und des Faktors VIII erlaubt und das Fibrinogen in das Filtrat durchlaufen lässt,

- auf 0,15 M erhöht wird, um das Fibronectin und den größten Teil des von Willebrand‑Faktors zu eluieren,

- auf 0,25 M erhöht wird, um den Faktor VIII zu eluieren.

9.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass mit der Plasmafraktion, bevor sie dem Schritt der chromatographischen Trennung unterworfen wird, eine Behandlung zur Virusinaktivierung in Gegenwart von chemischen Inaktivierungsagentien durchgeführt wird.

10.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass es das Auffangen des Filtrats der Chromatographie und dessen Lauf über eine Chromatographie über Heparin-Sepharose-Harz einschließt, um ein Fibrinogen-Konzentrat zu gewinnen.

11.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass es das Auffangen des ersten Eluats der Chromatographie und dessen Lauf über eine zweite, mit der ersten identischen Kolonne einschließt, mit dem gleichen, auf 0,15 M eingestellten Natriumchlorid-Puffer, um ein Konzentrat des von Willebrand‑Faktors zu gewinnen.

12.  Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass es das Auffangen des ersten Eluats der Chromatographie und dessen Lauf über eine Molekularsieb-Chromatographie einschließt, um ein Fibronectin-Konzentrat zu gewinnen.

13.  [M13]  Konzentrat von Faktor VIII, [M14]  erhältlich durch das Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, [M15] dass es eine spezifische Aktivität von wenigstens 100 I.E. pro mg an Proteinen besitzt und [M16] dass es von einer Qualität vergleichbar mit der eines Konzentrats gleicher Blutgruppe ist.

[2] Die Antragstellerin meldete bereits am 27. 5. 1988ein jedoch erst am 29. 11. 1989 veröffentlichtes Patent EP 0 343 275 A1 über ein Verfahren zur Herstellung eines hochreinen, virusfreien Antihämophiliefaktors mittels Chromatographie an (in der Folge: Vorpatent); diese Ansprüche lauteten:

 

1.  Verfahren zur Herstellung eines hochreinen, durch Behandlung mit biokompatiblen organischen Lösungsmitteln/Detergenzien virusfreien Antihämophiliefaktors (AHF oder Faktor VIII) durch Reinigung eines Kryopräzipitats, dadurch gekennzeichnet, dass vor der Befreiung des Kryopräzipitats von Viren das aufgetaute Kryopräzipitat mit 1 bis 3 U/ml Heparin enthaltendem Wasser bei pH 6,5 bis 7,5 extrahiert und mit einer Aluminiumhydroxid-Suspension versetzt wird und nach Abkühlung auf 10 bis 18° C und Einstellen des pH‑Wertes auf 6 bis 7 zentrifugiert oder filtriert und danach in an sich bekannter Weise weiterverarbeitet wird.

2.   Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass nach der Entfernung der Viren die Probe einer Gelpermeationschromatographie an Ionenaustauschmaterialien unterworfen wird.…

3.   Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass nach der Entfernung der Viren und vor der chromatographischen Trennung die Probe mit Ölen extrahiert wird, vorzugsweise mit Sojaöl, Rizinöl und/oder Baumwollsamenöl.

 

[3] In der Folge erstatteten die Antragstellerin selbst und ein anderes Pharmaunternehmen gegen das Streitpatent einen Einspruch nach Art 100 lit a und lit c EPÜ wegen Mangels an Neuheit (Art 54 EPÜ) und erfinderischer Tätigkeit (Art 56 EPÜ) sowie wegen Erweiterung des Patentgegenstands über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art 123 Abs 2 EPÜ). Nachdem die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts in einer am 29. 1. 2001 zugestellten Entscheidung nach Art 102 Abs 3 EPÜ das Streitpatent aufrechterhalten hatte, wies die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts am 16. 3. 2003 zu T 0292/01‑3.3.4 die auch von der nunmehrigen Antragstellerin erhobene Beschwerde ab, mit der sie den Widerruf des Streitpatents begehrt hatte.

[4] Die zu 98 % im Eigentum der Antragstellerin stehende österreichische O*gesellschaft m.b.H. (FN *) hatte bereits 1994 die Nichtigerklärung des Streitpatents nach §§ 112 ff PatG beantragt, weil der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 13 angesichts der Lehre der früher angemeldeten, aber nach dem Streitpatent veröffentlichten Patentschrift des Vorpatents nicht neu sei. Die Nichtigkeitsabteilung wies diesen Antrag am 13. 10. 2006 ab (N 15/2004‑8, 9), was der Oberste Patent- und Markensenat am 23. 1. 2008 zu Op 6/07, PBl 2009, 3, bestätigte, weil die hervorgehobenen Merkmale der Patentansprüche 1 und 13 gegenüber dem Vorpatent neu seien und insbesondere keine neuheitsschädliche Vorwegnahme von Merkmal 6b des Streitpatents durch den Vorhalt des Vorpatents vorgelegen sei.

[5] Nunmehr stellte die Antragstellerin am 7. 4. 2017 den Antrag, das Streitpatent wegen Fehlens von Neuheit, erfinderischer Tätigkeit und Offenbarung nach §§ 112 ff PatG für nichtig zu erklären. Dabei stützte auch sie sich auf das Vorpatent im Zusammenhalt mit diversen Fachveröffentlichungen. Das rechtliche Interesse ergebe sich aus zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreitigkeiten über Entgelte aus dem Streitpatent. Res iudicata liege angesichts der gegenüber der Entscheidung des Obersten Patent- und Markensenats Op 6/07 unterschiedlichen Verfahrensparteien sowie angesichts nunmehr vorgelegter zusätzlicher Beweismittel nicht vor. In einem Parallelverfahren in Deutschland sei das Streitpatent bereits für nichtig erklärt worden.

[6] Der Antragsgegner beantragte die Abweisung des Antrags.

[7] Die Nichtigkeitsabteilung wies den Antrag ab. Die Merkmale 6a und 6b seien im Vorpatent auch in Verbindung mit der Fachliteratur nicht geoffenbart, das Streitpatent sei daher hinsichtlich der Merkmalsgruppe M6 und damit im gesamten Umfang des Anspruchs 1 und der davon abhängigen Ansprüche 2 bis 13 neu; es sei insgesamt auch erfinderisch gegenüber dem Stand der Technik.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete seinen Entscheidungsgegenstand mit insgesamt 30.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision nicht zu.

[9] Das Berufungsgericht verneinte Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens und erklärte, die Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung seiner eigenen rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen, wonach auch deren Rechtsansicht geteilt werde. Das rechtliche Interesse der Antragstellerin an der Nichtigerklärung des bereits erloschenen Streitpatents sei nicht in Frage gestellt worden. Das Vorpatent habe das Merkmal 6b des Streitpatents, insbesondere die konkreten Porositäts- und Hydrophobieeigenschaften weder explizit noch implizit offenbart. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs im dortigen Parallelverfahren habe auch in der aufrecht gebliebenen modifizierten Fassung das im Berufungsverfahren einzig noch strittige Merkmal 6b enthalten. Es liege auch eine erfinderische Tätigkeit vor, zumal das Streitpatent die Abtrennung von vier Proteinen bezwecke, während das Vorpatent nur Verfahren zur Abtrennung eines einzigen Proteins vorsehe. Die Berufung biete auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Fachperson aufgrund des nächstliegenden Standes der Technik ohne Weiteres auf das Merkmal 6b gekommen wäre. Die Erfindung nach Anspruch 1 sei auch nach dem Gesamtinhalt der (Streit‑)Patentschrift hinreichend offenbart. Dementsprechend sei auch die Beurteilung der abhängigen Ansprüche 2 bis 12 als rechtsbeständig nicht zu beanstanden. Auch Anspruch 13 sei neu, was die Berufung nicht in Frage stelle. Auch der erfinderische Schritt sei zu bejahen; mangelnde Offenbarung werde in der Berufung nicht substanziiert.

[10] Dagegen richtet sich die Revision der Antragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dem Nichtigkeitsantrag zur Gänze stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Der Antragsgegner beantragt in der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision führt zusammengefasst ins Treffen, das Berufungsgericht weiche bei der Beurteilung von „Fractogel DEAE“ im Vorpatent in Ansehung des Merkmals 6b von der ständigen Rechtsprechung ab, und zwar: zu neuheitsschädlichen Vorhalten mit allgemeinen Formeln und konkret angeführten engeren konkreten Ausführungsbeispielen; zur impliziten Offenbarung; zur Offenbarung von im Stand der Technik offenbarten Spezialfällen, die eine allgemeine Lehre neuheitsschädlich vorwegnähmen; sowie zur Erfindungshöhe dahin, ob der Fachmann durch den Vorhalt veranlasst würde, ihm die im Streitpatent vorgesehene Ausbildung zu geben.

Der Senat hat erwogen:

[14] 1.1. Das EPÜ enthält keine Regelungen zur Ausgestaltung des Nichtigkeitsverfahrens, weil das Europäische Patent zwar in einem zentralisierten europäischen Verfahren erteilt wird, seine Wirkungen sich aber auch und vor allem nach dem nationalen Recht der Vertragsstaaten richten, in denen das Patent Geltung hat (vgl Kolle in Benkard, EPÜ4 [2023] Art 2 Rn 2 und Scharen in Benkard, EPÜ4 [2023] Art 138 Rn 32).

[15] 1.2. Unabhängig von der Möglichkeit, gegen das erteilte Patent mit Nichtigkeitsantrag vorzugehen, ermöglicht es das Patentrecht, das Schutzrecht bereits unmittelbar nach Erteilung durch Einspruch nach § 102 PatG bzw Art 99 ff EPÜ anzugreifen. Die Antragstellerin hatte hier von dieser Möglichkeit eines fristgebundenen, raschen und billigen Verfahrens (vgl Weiser, PatG GMG3 [2016] § 102 PatG 433 f; Kucsko, Geistiges Eigentum [2003] 906) Gebrauch gemacht, konnte aber die Eintragung des Europäischen Patents nicht verhindern.

[16] 1.3.1. Das EPÜ sieht keine Subsidiarität des nationalen Nichtigkeitsverfahrens gegenüber einem noch möglichen oder bereits anhängigen Einspruchsverfahren vor, sondern es nimmt die zur Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen und zu unerwünschter Doppelarbeit führende Zweigleisigkeit in Kauf. Auch das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung kann mit einer Nichtigkeitsklage beim Einheitspatentgericht angegriffen werden; ist ein Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt anhängig, kann das Einheitspatentgericht das Verfahren aussetzen, ist dazu allerdings nicht verpflichtet (Ehlers in Benkard, EPÜ4 [2023] Vorbem zu Art 99–105c Rn 7).

[17] 1.3.2. Ein Vorrang des Einspruchsverfahrens vor einem Nichtigkeitsverfahren ergibt sich jedoch bisweilen nach nationalem Recht, beispielsweise aus § 81 Abs 2 dPatG (vgl Hall/Nobbe in Benkard, PatG12 [2023] § 81 Rn 40) oder für die Schweiz aus Art 127 f des Bundesgesetzes über die Erfindungspatente; nach dem Recht Großbritanniens ist es eine Frage der Interessensabwägung im Einzelfall, ob das nationale Verfahren über die Nichtigkeit schon vor Abschluss des Einspruchsverfahrens durchgeführt oder bis zu dessen Abschluss ausgesetzt wird (vgl nochmals Ehlers in Benkard, EPÜ4 [2023] Vorbem zu Art 99–105c Rn 7).

[18] 1.3.3. Zwar ist für Österreich nach § 11 PatV‑EG (dessen Verfassungsrang durch § 5 Abs 1 Z 5 1. BVRBG, BGBl I 2008/2, aber beseitigt wurde, weil dieser – so die parlamentarischen Materialien [ErläutRV 314 BlgNR 23. GP  16] – „schon nach geltender Verfassungs-rechtslage entbehrlich“ sei [gemeint wohl Art 9 Abs 2 B‑VG idF BGBl 1981/350 iVm Art 50 Abs 1 Z 1 B‑VG]) ein vor dem Österreichischen Patentamt anhängiges Verfahren auf Nichtigerklärung eines Europäischen Patents von Amts wegen insoweit zu unterbrechen, als ein dieselbe Sache betreffendes Einspruchsverfahren (Art 99 EPÜ) vor dem Europäischen Patentamt anhängig ist oder anhängig gemacht wird. Das unterbrochene Verfahren ist nach rechtskräftigem Abschluss des Einspruchsverfahrens auf Antrag fortzusetzen, wenn vom Europäischen Patentamt eine Entscheidung in der Sache selbst nicht gefällt wurde. Andernfalls ist das Verfahren auf Antrag oder von Amts wegen einzustellen.

[19] 1.3.4. Dies sei nach den Materialien zum PatV‑EG (ErläutRV 870 BlgNR 14. GP  11) geboten, weil eine vertragskonforme Durchführung des EPÜ eine Regelung erfordere, die das Entstehen einander widersprechender Entscheidungen in derselben Sache verhindere. Die in § 11 PatV‑EG vorgesehene Unterbrechung des Nichtigkeitsverfahrens erfolge nur insoweit, als Sachidentität bestehe. Gegebenenfalls könne daher ein Nichtigkeitsverfahren teilweise fortgesetzt werden. Was unter „derselben Sache“ zu verstehen sei, wäre durch die Rechtsprechung zur Streitanhängigkeit hinreichend geklärt; das nationale Verfahren werde für die Dauer des europäischen Einspruchsverfahrens unterbrochen. Sei eine Sachentscheidung ergangen, so sei der innerstaatliche Rechtsweg unzulässig und das Verfahren daher einzustellen, während eine bloße Formalentscheidung des Europäischen Patentamts (zB Zurückweisung des Einspruchs) hingegen eine Fortsetzung des Verfahrens vor der Nichtigkeitsabteilung des Österreichischen Patentamts nicht ausschließe.

[20] 1.3.5. Nach dem Wortlaut des § 11 PatV‑EG ist bei zeitlicher Parallelität eines nationalen Nichtigkeits- und eines europäischen Einspruchsverfahrens jenes zu unterbrechen und nur dann fortzusetzen, wenn das Europäische Patentamt keine Sachentscheidung gefällt hat. § 11 PatV‑EG regelt daher, wie mit einem bereits anhängigen Nichtigkeitsverfahren umzugehen ist, welches gleichzeitig mit einem Einspruchsverfahren nach Art 99 ff EPÜ abgeführt werden müsste. Dies hat zum Ziel (neben der Vermeidung von Parallelverfahren [vgl auch ErläutRV 621 BlgNR 22. GP  19 zu § 115a PatG idF BGBl I 2004/149: „um Doppelgleisigkeiten und insbesondere die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen zu vermeiden“] und möglicherweise einer Entlastung der nationalen Behörden – vgl BGH 19. 4. 2011, X ZR 124/10, GRUR 2011, 848 Rn 9; 12. 7. 2005, X ZR 29/05, GRUR 2005, 967; Pitz, Die Entwicklung der Nichtigkeitsklage vom patentamtlichen Verwaltungsverfahren zum zivilprozessualen Folgeverfahren gegen europäische Patente, GRUR 1995, 231 [238]), sicherzustellen, dass über den Rechtsbestand des Streitpatents im Weiteren auf Grundlage seiner endgültigen, allenfalls geänderten Fassung (vgl Art 101 Abs 3 lit a und Art 103 EPÜ) verhandelt und entschieden werden kann (vgl Hall/Nobbe in Benkard, PatG12 [2023] § 81 Rn 40; Ahrens in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar4 [2020] § 81 PatG Rn 65).

[21] Diese Bestimmung ist nicht dahin zu verstehen, dass der nationale Gesetzgeber dem Einspruchsverfahren nach Art 99 ff EPÜ generell Vorrang in dem Sinne einräumen wollte, dass eine Sachentscheidung in diesem Verfahren Rechtskraftwirkung dahin entfalten sollte, dass die Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen auch in einem späteren nationalen Verfahren wegen entschiedener Sache ausschließen würde (vgl Meinl in Stadler/Gehring, PatG2 [2019] § 11 PatV‑EG Rz 4 und 9).

[22] Eine „Bindung“ der über einen späteren Antrag auf Nichtigerklärung nach §§ 112 ff PatG entscheidenden Behörden an eine in einem früheren und abgeschlossenen Einspruchsverfahren ergangene Entscheidung der Beschwerdeabteilung (bzw – wie hier – der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts) besteht daher nach herrschender Ansicht nicht (vgl schon OPMS 12. 5. 2004, Op 2/04, PBl 2004, 148; in diesem Sinne wohl auch Weiser, PatG GMG3 [2016] § 1 PatV‑EG 666; vgl auch [zu § 115a PatG] Burgstaller, Österreichisches Patentrecht2 [2021] §§ 112126 PatG Anm 7). Dass vom Europäischen Patentamt bereits ein Einspruchsverfahren durchgeführt wurde, führt daher nicht dazu, dass entschiedene Rechtssache (res iudicata) vorliegt, weil nationale Gerichte und Patentämter nicht an Entscheidungen des Europäischen Patentamts gebunden sind (OPMS 27. 5. 2009, Op 1/09, PBl 2010, 7 [16]; Weiser, PatG GMG3 [2016] § 113 PatG 462 ff [insb 464]).

[23] Dieses ergibt sich auch mit Blick auf § 115a PatG, wonach im Falle eines gleichzeitig anhängig (gemachten) nationalen Einspruchsverfahrens das nationale Nichtigkeitsverfahren unmittelbar (außer im Falle des Widerrufs) fortgesetzt werden kann; der Gesetzgeber setzt somit voraus, dass Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren zulässig sind. Warum ein Nichtigkeitsverfahren bereits durch jede frühere inhaltliche Einspruchsentscheidung nach Art 99 ff EPÜ – anders als bei nationalen Einspruchsentscheidungen – von vornherein ausgeschlossen wäre, erschließt sich weder aus Text und Zweck von § 11 PatV‑EG noch aus den Materialien hierzu, die zudem – wie oben (Punkt 1.3.4.) dargelegt – fälschlich auch davon ausgehen, dass das EPÜ eine Regelung erfordere, die das Entstehen einander widersprechender Einspruchs- und Nichtigkeits-entscheidungen in derselben Sache verhindere.

[24] Dieses Ergebnis entspricht auch der Rechtslage und Rechtsprechung in der BRD (wo aber betont wird, dass frühere Entscheidungen aber bei der Entscheidungsfindung allenfalls als „sachverständige Stellungnahmen von erheblichem Gewicht“ zu berücksichtigen sind – vgl BGH 4. 5. 1995, X ZR 29/23, GRUR 1996, 75; Landry in Haedicke/Timmann, Handbuch des Patentrechts2 [2020] § 8 Rn 11; Mes, PatG GebrMG5 [2020] § 81 PatG Rn 106; Ann, Patentrecht8 [2022] § 30 Rn 97 ff [insb 105]; Schnekenbühel in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar4 [2020] § 61 PatG Rn 30; vgl auch RS0125405).

[25] 2.1. Die Antragstellerin im Verfahren des Obersten Patent- und Markensenats zu Op 6/07, PBl 2009, 3, über die dort beantragte Nichtigerklärung des Streitpatents nach §§ 112 ff PatG – eine Kapitalgesellschaft – war mit der nunmehrigen Antragstellerin (ihrer Muttergesellschaft, ebenfalls eine Kapitalgesellschaft) nicht ident.

[26] 2.2. Eine Erstreckung der Rechtskraft über den Kreis der Parteien einer Vorentscheidung hinaus kommt nur in gesetzlich besonders vorgesehenen Fällen in Frage (vgl eingehend Klicka in Fasching/Konecny 3 III/2 [2017] § 411 ZPO Rz 102 ff). Ein solcher Fall ist hier nicht erkennbar:

[27] 2.3.1. § 146 Abs 2 PatG in der Stammfassung (BGBl 1970/259) hatte dahin gelautet, dass eine Eintragung gemäß § 146 Abs 1 PatG in das Patentregister (dass eine bestimmte Tatsache der Patentierbarkeit der Erfindung nicht entgegensteht, oder dass die Erfindung mit dem Gegenstand eines früheren Patents oder Privilegiums nicht übereinstimmt) die Wirkung hatte, dass ein auf dieselben Tatsachen und Beweismittel gestützter neuerlicher Antrag, auch wenn er von Dritten gestellt werde, unzulässig sei.

[28] 2.3.2. Die Wortfolge „auch wenn er von Dritten gestellt wird“ wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17. 10. 1973 als gleichheitswidrig (Art 7 B‑VG) aufgehoben, weil die Eintragung Rechtswirkungen auch für Personen entfalte, die am Verfahren nicht beteiligt waren, deren Rechte durch eine solche Entscheidung aber beeinträchtigt werden können (VfSlg 7182/1973).

[29] 2.3.3. In der Folge wurde der verbleibende § 146 PatG durch die PatG‑Nov 1977, BGBl 1977/349, zur Gänze aufgehoben, was in den Materialien (ErläutRV 490 BlgNR 14. GP  15) damit begründet wurde, dass die von Anfang an im Patentgesetz enthaltene Regelung verhindern habe sollen, dass sich einerseits die Behörde mehrfach mit demselben Problem auseinandersetzen müsse, und andererseits ein Patentinhaber immer wieder mit dem gleichen Tatsachenvorbringen konfrontiert werde. Der nach der teilweisen Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof verbliebene Rest des § 146 PatG sage jedoch im Hinblick auf den Grundsatz „res iudicata“ eine Selbstverständlichkeit aus, sodass er zur Gänze zu streichen sei.

[30] 2.4. Da auch sonst keine gesetzlichen Grundlagen ersichtlich sind, die eine Rechtskrafterstreckung anordnen, entfaltet die Entscheidung im Verfahren des Obersten Patent- und Markensenats zu Op 6/07, PBl 2009, 3, über die dort beantragte Nichtigerklärung des Streitpatents nach §§ 112 ff PatG hier keine Wirkung dahin, dass der an jenem Verfahren nicht beteiligten nunmehrigen Antragstellerin die Geltendmachung des Anspruchs verwehrt würde (vgl zur deutschen Rechtslage und mit demselben Ergebnis BGH 9. 11. 2011, X ZR 23/11, GRUR 2012, 540; zust Hall/Nobbe in Benkard, PatG12 [2023] § 81 Rn 41; Keukenschrijver in Busse/Keukenschrijver, PatG9  [2020] § 81 Rn 102; Mes, PatG GebrMG5 [2020] § 81 PatG Rn 105; vgl auch BGH 18. 3. 2014, X ZR 77/12, GRUR 2014, 758, Rn 9 ff).

[31] 2.5. Eine der Fallkonstellation eines nach § 14 UWG Klageberechtigten vergleichbare Situation, in der dessen Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen wäre, weil nach der Lebenserfahrung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen wäre, dass seine schutzwürdigen Interessen durch eine andere, natürliche oder juristische Person, die schon über einen entsprechenden Unterlassungstitel verfüge oder gerade dabei sei, sich einen solchen zu verschaffen, vollwertig gewahrt würden (vgl RS0079356; Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 § 14 [2021] Rz 103 f; Görg, UWG [2020] § 14 Rz 410; Kraft/Steinmair, UWG-Praxiskommentar2 [2019] § 14 Rz 5 ff; Duursma‑Kepplinger in Gumpoldsberger/Baumann, UWG [2006] § 14 Rz 185), liegt hier nicht vor. Die Interessen der Antragstellerin wurden im oben genannten Vorverfahren nicht gewahrt, zumal die dortige Antragstellerin gerade nicht durchgedrungen war (vgl aber Kodek/Leupold in Wiebe/Kodek, UWG2 § 14 [2021] Rz 144 mwN zu de lege ferenda bzw im Hinblick auf die Waffengleichheit im Sinne des Art 6 EMRK möglichen allgemeinen Grenzen wiederholter Inanspruchnahme durch Popularklagen).

[32] 2.6. Auf die Frage, ob im Verfahren des Obersten Patent- und Markensenats zu Op 6/07, PBl 2009, 3, ein zum vorliegenden Verfahren identer Streitgegenstand vorliege, muss daher nicht eingegangen werden.

[33] 3.1. Der Bundesgerichtshof hatte in einem ersten Patentnichtigkeitsverfahren mit Urteil vom 13. 7. 2010, Xa ZR 10/07, BeckRS 2010, 17869, das auch das Streitpatent, jedoch mit einer hier nicht zu beurteilenden Modifikation (abschließender Verfahrensschritt der Gefriertrocknung) gegenüber dem Vorpatent der nunmehrigen Antragstellerin für rechtsbeständig gehalten, jedoch in der Folge mit Urteil vom 18. 3. 2014, X ZR 77/12, GRUR 2014, 758, das auch modifizierte Streitpatent wegen Offenbarung durch das Vorpatent der Antragstellerin teilweise für nichtig erklärt (vgl Meier‑Beck, Die Rechtsprechung des BGH in Patentsachen im Jahr 2014, GRUR 2015, 721).

[34] 3.2. Ausländische Entscheidungen über die Nichtigerklärung eines Europäischen Patents wirken aber nur für den jeweiligen Urteilsstaat und erfassen daher nicht den inländischen Teil dieses Patents. Allerdings können ihre Gründe in inländischen Sicherungsverfahren zur Bescheinigung von Nichtigkeitsgründen herangezogen werden (RS0125405; Burgstaller, Österreichisches Patentrecht2 [2021] §§ 112126 PatG Anm 8; vgl auch oben Punkt 1.3.5.).

[35] 3.3. Die Entscheidungsgründe des Bundesgerichtshofs in den oben erwähnten Urteilen sind daher – ebenso wie die eingangs erwähnte Entscheidung der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts zu T 0292/01‑3.3.4 und die Entscheidung des Obersten Patent- und Markensenats zu OP 6/07 (= PBl 2009, 3) – hier nicht bindend, aber bei einer (neuerlichen) inhaltlichen Beurteilung grundsätzlich zu berücksichtigen.

[36] 4.1. Auch nach dem Erlöschen eines Patents (durch Verzicht oder – wie hier – Zeitablauf) kann ein Nichtigkeitsverfahren eingeleitet werden. In diesem Fall wird aber der Antrag auf Nichtigerklärung nicht mehr vom Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung unberechtigter Schutzrechte getragen, sondern es ist ein besonderes eigenes Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers erforderlich (OPM 28. 10. 2003, N 1/99, N 2/99, PBl 2004, 163; Stadler/Gehring in Stadler/Koller, PatG [2019] § 113 Rz 80 ff; Weiser, PatG3 [2016] § 112 458 f; vgl ebenso die hA in der BRD: BGH 29. 9. 1964 Ia ZR 285/63, GRUR 1965, 231; 16. 2. 1982, X ZR 78/80, GRUR 1982, 355; 17. 12. 2002, X ZR 155/99, BeckRS 2003, 2900; sowie – jeweils mwN – Ahrens in Fitzner/Lutz/Bodewig, Patentrechtskommentar4 [2012] § 81 PatG Rn 74 ff; Keukenschrijver in Busse/Keukenschrijver, PatG9 [2020] § 81 Rn 73 f; Mes, PatG GebrMG5 [2020] § 81 PatG Rn 78 ff; Ann, Patentrecht8 [2022] § 26 Rn 203).

[37] 4.2.1. Die Antragstellerin hat hierfür in ihrem verfahrenseinleitenden Antrag vor der Nichtigkeitsabteilung zusammengefasst ins Treffen geführt, ihre zu 98 % in ihrem Eigentum stehende österreichische O*gesellschaft m.b.H. sei vom Antragsgegner aus Patentverletzung (Rechnungslegung und Zahlung) in Anspruch genommen und in Exekution gezogen worden (4 Ob 206/13t), und jene sei auch der Ansicht, sie als Tochtergesellschaft würde für die Herausgabe des durch angebliche Patentverletzungen erzielten Gewinns der Muttergesellschaft, der Antragstellerin, haften; diese habe das wirtschaftliche Risiko von Ansprüchen Dritter aus Patentrechtsverletzungen zu tragen und ihr drohten bei Bestand des Streitpatents vielfältige Regressansprüche.

[38] 4.2.2. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend anmerkte, ist der Antragsgegner diesen Ausführungen weder vor der Nichtigkeitsabteilung noch im Rechtsmittelverfahren, weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht, entgegengetreten.

[39] 4.3. Ausgehend von den von der Antragstellerin ins Treffen geführten, als unstrittig anzusehenden tatsächlichen Umständen (§ 267 ZPO iVm § 120 Abs 1 PatG) ist daher davon auszugehen, dass der Antragstellerin ein von ihr plausibel dargelegtes rechtliches Interesse nicht abgesprochen werden kann, weil mit dem Wegfall des Streitpatents auch ihrer Tochtergesellschaft und in der Folge auch ihr selbst drohende finanzielle Nachteile durch patentrechtliche Ansprüche des Antragsgegners wegfielen.

[40] 5. Da der Geltendmachung des Anspruchs durch die Antragstellerin keine früheren Entscheidungen entgegenstehen und „entschiedene Sache“ (§ 113 Abs 2 PatG) nicht vorliegt, und von rechtlichem Interesse der Antragstellerin auszugehen ist, ist auf die in ihrer Revision aufgeworfenen Fragen inhaltlich einzugehen; dabei ist von folgenden Vorüberlegungen auszugehen:

[41] 5.1. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut der §§ 141 ff PatG sind – von einzelnen Sonderregelungen abgesehen – die Bestimmungen der ZPO über das Rechtsmittelverfahren anzuwenden. Daraus folgt zwingend, dass Endentscheidungen wie hier schon grundsätzlich auch den grundlegenden Bestimmungen der ZPO über Urteile sowie deren Aufbau und Inhalte zu entsprechen haben, damit sie auch nach den Bestimmungen der ZPO über die Rechtsmittel und deren Gründe überprüft werden können.

[42] 5.2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen genügen diesen Anforderungen nicht.

[43] 5.2.1. In der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung wurden unter der Überschrift „Sachverhalt“ keine Feststellungen getroffen, sondern Zusammenfassungen des Vorbringens der Parteien versucht. Unter der Überschrift „Gründe“ wurde die maßgebliche Fachperson definiert und unter dem Punkt „Zur Neuheit gegenüber Beilage ./B“ [= Vorpatent] wurden Argumente angeführt, warum Anspruch 1 hinsichtlich des Merkmals M6 neu gegenüber dem Vorpatent wäre; in diesem Punkt wird noch disloziert dargelegt, dass es sich beim Vorpatent um ein nachveröffentlichtes älteres Recht handle, dass es ein Verfahren betreffe, bei dem die Probe einer Gelpermeationschromatographie an Ionenaustauschermaterialien unterworfen werde, und dass im Vorpatent eine genauere Kennzeichnung hinsichtlich dessen chemischer Natur unterblieben sei. Weitere für die Frage der Neuheit des Streitpatents gegenüber dem Vorpatent relevante Tatsachenfeststellungen sind in der gesamten Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung nicht erkennbar. Insbesondere steht etwa nicht fest, dass im Vorpatent als konkretes Beispiel für ein Gelpermeationsmaterial mit Ionenaustauscheraktivität ein „Fractogel®-DEAE‑Harz“ angeführt ist, gleichwohl wird solches aber in weiterer Folge mit unklarer Konsequenz als „Annahme der Antragstellerin“ rechtlich diskutiert.

[44] Schon daraus erhellt, dass es weitgehend unklar bleibt, welche Tatsachen von der Nichtigkeitsabteilung und ihr folgend dem Berufungsgericht festgestellt und als Grundlage der rechtlichen Beurteilung herangezogen wurden.

[45] 5.3. Auch aus dem Berufungsurteil ergibt sich nämlich keine diesbezügliche Klarheit, welchen Sachverhalt die Tatsacheninstanzen ihrer rechtlichen Beurteilung zugrundelegten. So hat etwa das Berufungsgericht ausgeführt, dass es „die“ Feststellungen der Nichtigkeitsabteilung übernommen und der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hätte. Im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge wird sodann ausgeführt, dass das Berufungsgericht der früheren Ansicht des Obersten Patent‑ und Markensenats vom 23. 1. 2008, Op 6/07, PBl 2009, 3, beitreten würde, wobei im Lichte der Berufung allerdings noch weitere Ausführungen unklarer Provenienz zu „ergänzen“ wären. In der Folge werden zwar Merkmale des Vorpatents erörtert, es wird dabei aber nicht deutlich, ob es sich hierbei um (von der Nichtigkeitsabteilung nicht getroffene) Tatsachenfeststellungen zum Vorpatent handeln soll, oder um eine rechtliche Auseinandersetzung mit den von der Antragstellerin diesbezüglich vorgebrachten Argumenten; letztlich bleiben auch hier Tatsachenfragmente und rechtliche Darlegungen (etwa zur impliziten Vorwegnahme der Merkmals 6b) mit einer Subsumtion der Merkmale unter den Anspruchswortlaut sowie mit einer Auseinandersetzung mit den Argumenten der Berufungswerberin untrennbar und letztlich undeutlich vermengt.

[46] 5.4. Es ist daher in Ansehung des Vorpatents nicht ersichtlich und dementsprechend auch nicht überprüfbar, aufgrund welcher Überlegungen welche konkreten Sachverhalte von den Vorinstanzen als erwiesen angesehen und ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt wurden. Die Entscheidungen beider Vorinstanzen können damit keinen Bestand haben, da sie den – hier wie auch generell in Verfahren wie dem vorliegenden zu beachtenden – grundlegenden Anforderungen an im gerichtlichen Rechtszug überprüfbare Entscheidungen nicht genügen.

[47] 5.5. Im fortgesetzten Verfahren werden daher – gesondert von Tatsachenbehauptungen und rechtlichen Erwägungen der Parteien, von Feststellungen oder rechtlichen Erwägungen früherer Entscheidungen oder von sonstigen Verfahrensinhalten – konkrete und nachvollziehbare Tatsachenfeststellungen zu den relevanten Themenkreisen (hier – wie in der Folge gezeigt wird – insbesondere hinsichtlich des expliziten und impliziten Offenbarungsgehalts des Vorpatents) zu treffen sein, wobei – hier wie auch generell – darauf zu achten sein wird, Feststellungen nicht mit rechtlichen Überlegungen oder anderen Darlegungen irgendwelcher Art zu vermengen. Weiters wird konkret zu begründen sein, aufgrund welcher (nicht rechtlichen, sondern Beweisergebnisse würdigenden und abwägenden) Überlegungen welche Tatsachen warum als erwiesen angesehen wurden. Von (ausschließlich) diesen Tatsachenfeststellungen ausgehend wird sodann eine rechtliche Beurteilung stattzufinden haben, in der die Vorinstanzen klar zum Ausdruck bringen, was ihrer Beurteilung nach rechtlich aus dem Sachverhalt folgt (hier: ob die Merkmale von Anspruch 1, insbesondere Merkmal 6b, neu gegenüber dem Vorpatent wären).

6. Dabei werden in technischer Hinsicht folgende Aspekte besonders zu beachten sein:

[48] 6.1. Patentanspruch 1 des angegriffenen Streitpatents lautet zusammengefasst, in Merkmale aufgegliedert:

M1: ein Verfahren zur Trennung der Proteine Faktor VIII, Fibrinogen, Fibronectin und von Willebrand-Faktor;

M2: die Trennung der Proteine erfolgt aus menschlichem oder tierischem Plasma;

M3: zur Herstellung von Konzentraten zum therapeutischen Gebrauch;

M4: Ausgangsmaterial ist die Kryopräzipitatsfraktion des Plasmas;

M5: die Kryopräzipitatsfraktion besteht im Wesentlichen aus Fibrinogen, Fibronectin, von Willebrand-Faktor und Faktor VIII;

M6: man unterzieht das wieder in Lösung gebrachte Kryopräzipitat einer einzigen Trennung durch Chromatographie auf einem Anionenaustauscherharz;

M6a: die Matrix des Anionenaustauscherharzes ist ein Gel von der Art eines makroreticularen Vinylpolymers;

M6b: das Gel ist aufgrund seiner Porositäts- und Hydrophobieeigenschaften in der Lage, den Komplex aus Faktor VIII und von Willebrand-Faktor zurückzuhalten;

M7: man gewinnt die verschiedenen Proteine selektiv durch sukzessive Erhöhungen der Ionenstärke des Elutionspuffers.

[49] 6.2. In der Beschreibung des Streitpatents ist als Beispiel für das Anionenaustauscherharz „Fractogel TSK‑DEAE 650 (M)“ genannt, meist kurz als „DEAE Fractogel“ bezeichnet.

[50] 6.3. Das Vorpatent ist eine vor dem Streitpatent angemeldete, aber nicht vorveröffentlichte, europäische Patentanmeldung.

[51] 6.4. Im Vorpatent ist als konkretes Beispiel für ein Gelpermeationsmaterial mit Ionenaustauscheraktivität auf Seite 2, rechte Spalte, letzte Zeile „Fractogel®-DEAE“ bzw „Fractogel®“ angeführt. Weiters wird im Ausführungsbeispiel im Verfahren gemäß Beispiel 2, Seite 3 des Vorpatents als Anionenaustauscherharz ein „Fractogel®-DEAE Harz“ verwendet.

[52] 6.5. Unter den Begriff „Fractogel‑DEAE Harz“ können verschiedene Harze fallen, unter anderem das im Streitpatent genannte „Fractogel TSK‑DEAE 650 (M)“.

7. Daraus ergeben sich folgende Überlegungen:

[53] 7.1. Keine erkennbaren Feststellungen wurden dazu getroffen, welches Harz (welche Harze) die Fachperson zum Prioritätszeitpunkt in erster Linie konkret ausgewählt hätte, wenn sie das Beispiel aus dem Vorpatent mit der zwingenden Vorgabe des Beispiels, ein „Fractogel®-DEAE Harz“ zu verwenden, nachgearbeitet hätte. Dabei liegt nahe, dass die Fachperson jedenfalls ein – dieser Vorgabe gemäß dem Vorpatent entsprechendes – Gel für die Nacharbeitung dieses konkreten Beispiels auswählen hätte müssen. Die Fachperson hätte also nicht irgendein (anderes) Gel auswählen und hätte diese Auswahl auch nicht offen oder unerledigt lassen oder die Nacharbeitbarkeit (nur) daran scheitern lassen dürfen, dass im Vorpatent „nur“ die Vorgabe der Verwendung eines „Fractogel®-DEAE Harzes“ gemacht wurde, aber keine weiteren Informationen etwa zur chemischen Natur des Harzes gegeben wurden.

[54] 7.2. „Fractogel TSK‑DEAE 650 (M)“ und „Fractogel TSK‑DEAE 650 (S)“ unterscheiden sich nur in der Teilchengröße, nicht aber in ihren sonstigen Eigenschaften.

[55] Unter „Vinylpolymer“ im Sinne von Merkmal 6a des Streitpatents ist nicht ein „Polyvinylchlorid (PVC)“ zu verstehen, sondern ein Polymer, das aus Monomeren mit einer reaktiven Ethenylgruppe (R – CH = CH2) polymerisiert wurde und entsprechend eine „normale“ Alkanstruktur aufweist. „Fractogel®-DEAE“ ist dementsprechend ein „Vinylpolymer“ im Sinne von Merkmal 6a.

[56] 7.3. Die im Kern entscheidungsrelevante Feststellung, welche von den Vorinstanzen aber nicht konkret getroffen wurde, ist in diesem Lichte diejenige, ob die Fachperson unmittelbar an „Fractogel TSK-DEAE 650 (M)“ und/oder an „Fractogel TSK‑DEAE 650 (S)“ gedacht und diese Gele eingesetzt hätte.

[57] 7.4. Weiters wäre festzustellen, ob dieses Gel, das „Fractogel®-DEAE Harz“, in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von Willebrand‑Faktor zurückzuhalten, wenn es gemäß dem Beispiel des Vorpatents eingesetzt würde. Wie weiter unten (Punkt 8.5.) noch ausgeführt wird, ist in diesem Zusammenhang jedoch keine Feststellung dahin erforderlich, welche Porositäts- und welche Hydrophobieeigenschaften das Gel konkret besitzt und in welchem Ausmaß, warum bzw mit welchem technischen Wirkmechanismus es den Komplex zurückhält.

[58] 7.5. Im Lichte dieser Überlegungen ist im Übrigen nicht nachvollziehbar, inwieweit Merkmal 6a im Berufungsverfahren nicht mehr strittig gewesen sein sollte, wie das Berufungsgericht vermeinte.

[59] 8. Wären die zu den Punkten 7.3. und 7.4. angesprochenen Tatsachenfragen zu bejahen, wäre die Neuheit des Streitpatents zu verneinen, wobei rechtlich Folgendes zu beachten wäre:

[60] 8.1. Nach Art 54 Abs 1 EPÜ gilt eine Erfindung als neu, wenn sie nicht zum Stand der Technik gehört. Den Stand der Technik bildet nach Abs 2 leg cit alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist. Nach Abs 3 leg cit gilt als Stand der Technik auch der Inhalt der europäischen Patentanmeldungen in der ursprünglich eingereichten Fassung, deren Anmeldetag vor dem in Abs 2 leg cit genannten Tag liegt und die erst an oder nach diesem Tag veröffentlicht worden sind.

[61] 8.2. Das Vorpatent ist ein älteres Recht gemäß Art 54 Abs 3 EPÜ und zur Beurteilung der Neuheit, nicht aber zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehen.

[62] 8.3. Aus Art 54 EPÜ folgt konkret (arg: „alles“, „der Inhalt“), dass der gesamte Inhalt einer älteren europäischen Patentanmeldung zu beachten ist. Die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach das Vorpatent nicht nur „Fractogel DEAE“, sondern allgemein ein „Gelpermeationsmaterial mit Ionenaustauscheraktivität“ offenbare und „Fractogel DEAE“ nur als Beispiel für ein solches Gelpermeationsmaterial anführe, trifft zwar zu, ändert aber nichts daran, dass „Fractogel DEAE“ ebenfalls zum Inhalt des Vorpatents zählt. Das EPÜ gibt keinen Anlass, gewisse Merkmale, die im Stand der Technik explizit beschrieben sind, unberücksichtigt zu lassen, selbst wenn sie als „unwichtiges Beispiel“ beschrieben wären (was hier aber ohnehin nicht der Fall ist, weil es sich um das relevante Ausführungsbeispiel des Vorpatents handelt). Der gesamte Inhalt des Vorpatents inklusive der dort spezifisch und konkret genannten beispielhaften Angaben, insbesondere zum Harz, zählt dementsprechend zum dort offenbarten Stand der Technik.

[63] 8.4. Eine Schrift offenbart weiters nicht nur das, was darin explizit beschrieben ist, sondern auch alle Merkmale, die sich implizit ergeben, das sind insbesondere alle Merkmale, die sich beim Nacharbeiten eines konkret beschriebenen Beispiels zwangsläufig ergeben.

[64] Wenn nun die Fachperson das Ausführungsbeispiel im Vorpatent nacharbeiten möchte, muss sie jedenfalls entscheiden, welches Harz sie konkret verwenden möchte (oben Punkte 7.3. und 7.4.), zumal der Begriff „Fractogel‑DEAE Harz“ nicht ganz eindeutig ist.

[65] Wenn die Fachperson „Fractogel TSK‑DEAE 650 (M)“ gewählt hätte, dann wären die Merkmale 6a und 6b erfüllt. Hätte sie „Fractogel TSK‑DEAE 650 (S)“ gewählt, dann gälte dasselbe, denn diese beiden Harze haben bis auf die Teilchengröße gleiche Eigenschaften. Somit würden bei einem solchen Nacharbeiten des Beispiels im Vorpatent zwangsläufig die Merkmale 6a und 6b verwirklicht, sodass sie implizit geoffenbart wären. Damit wären alle Merkmale des Patentanspruchs 1 verwirklicht und dieser wäre nicht neu.

[66] 8.5. Die Auffassung des Berufungsgerichts, es gebe keinen Anhaltspunkt für die Annahme, die Fachperson hätte sofort erkennen können, dass das Vorpatent (auch) die im Merkmal 6b des Streitpatents genannten (konkreten) Porositäts- und Hydrophobieeigenschaften hätte offenbaren wollen und dass die Fachperson diesen Offenbarungsgehalt „miterfasst“ hätte, überzeugt nicht: Es kommt hier weder darauf an, was das Vorpatent offenbaren wollte, noch darauf, was die Fachperson miterfasst hätte, sondern es ist entscheidend, ob sich die fraglichen Merkmale beim Nacharbeiten des Beispiels zwangsläufig ergeben hätten.

[67] Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für die Frage der Offenbarung im Vorpatent gerade nicht relevant ist, dass die chemischen Eigenschaften des dort eingesetzten Produkts „Fractogel DEAE“ nicht näher beschrieben sind bzw dass dort keine genauere Kennzeichnung hinsichtlich dessen chemischer Natur gegeben ist.

[68] Insbesondere ist es auch nicht erforderlich, dass im Vorpatent konkrete Werte für die Porositäts- und/oder Hydrophobieeigenschaften angegeben sind. Die Begriffe „Porositätseigenschaften“ und „Hydrophobieeigenschaften“ sind lediglich allgemeine und relative Begriffe, die weder qualitativ noch quantitativ einschränkend zu verstehen sind. Insbesondere bedeutet „Porositätseigenschaften“ nicht, dass dadurch bestimmte Porositätswerte bzw Minimal- oder Maximalwerte impliziert werden, die das Harz aufweisen müsste. Ebenso wenig bedeutet „Hydrophobieeigenschaften“, dass das Harz hydrophob ist oder gewisse Hydrophobie-Werte aufweisen müsste (auch tendenziell hydrophilere Harze haben „Hydrophobieeigenschaften“, nur eben geringere als hydrophobere Harze). „Porositätseigenschaften“ und „Hydrophobieeigenschaften“ sind dementsprechend bei jedem Harz in irgendeiner, stärkeren oder schwächeren, Form ausgebildet und beeinflussen die Funktionalität des Gels im Einsatz.

[69] Um das funktionale Merkmal 6b des Anspruchs zu erfüllen, reicht es aus, wenn das Gel in der Lage ist, den Komplex aus Faktor VIII und von Willebrand-Faktor zurückzuhalten, wenn es gemäß dem Beispiel eingesetzt würde; mehr ist von Anspruch 1 nicht gefordert. Einer wissenschaftlichen Erkenntnis oder Begründung dafür, warum bzw ob das Gel aufgrund irgendwelcher besonderen Porositäts- und/oder Hydrophobieeigenschaften den Komplex zurückhalten könne, bedarf es nicht, es reicht, dass dieser Erfolg beim Nacharbeiten einträte.

[70] 8.6. Unrichtig ist demnach die Auffassung des Berufungsgerichts, es sei unerheblich, ob „Fractogel TSK‑DEAE 650 (M)“ tatsächlich sowohl die vom Vorpatent als auch die von Merkmal 6b geforderten (unterschiedlichen) Eigenschaften haben sollte oder nicht. Es ist im Gegenteil von entscheidungswesentlicher Bedeutung, ob bzw dass „Fractogel TSK‑DEAE 650 (M)“ das Merkmal 6b erfüllt. Irrelevant ist hingegen, ob die im Vorpatent angeführten Eigenschaften zutreffen oder nicht.

[71] Damit ist auch die Darlegung des Berufungsgerichts verfehlt, wonach bedeutungslos sei, ob „Fractogel DEAE“ das Merkmal 6b des Patentanspruchs 1 erfülle. Genau diese Frage (zu deren Beantwortung Feststellungen fehlen) ist jedoch nach dem Gesagten entscheidungswesentlich.

[72] 8.7. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass auch der Bundesgerichtshof (13. 7. 2010, Xa ZR 10/07, BeckRS 2010, 17869) begründet festgestellt und entschieden hat, dass die Merkmale 6a und 6b im Vorpatent offenbart sind. Die Merkmale von Patentanspruch 1 in der hier vorliegenden Fassung wurden vom Bundesgerichtshof als nicht neu angesehen, und daher wurde in dessen Verfahren ein zusätzliches – in Patentanspruch 1 in der hier vorliegenden Fassung gerade nicht enthaltenes – Merkmal in den dortigen Patentanspruch 1 aufgenommen; erst dieses neue und zusätzliche Merkmal (Gefriertrocknung als weiterer Schritt) hat dort die Neuheit begründet. Im Übrigen müssen bei einer derartigen Beschränkung eines Patentanspruchs alle anderen Merkmale im Patentanspruch verbleiben; dass auch die modifizierte Fassung das strittige Merkmal 6b enthält, ist also nicht relevant.

[73] Soweit das Berufungsgericht daher aus jenem Urteil des Bundesgerichtshofs nichts zugunsten der Antragstellerin abzuleiten vermag, weil der Patentanspruch 1 zwar nur in einer modifizierten Fassung aufrechterhalten, auch diese modifizierte Fassung aber das strittige Merkmal 6b enthalten habe, ist dies nicht stichhältig: Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs und deren Begründung, dass die Merkmale 6a und 6b im Vorpatent offenbart sind, sind für das vorliegende Verfahren wie oben (Punkt 3.) dargelegt, zwar nicht präjudiziell, aber inhaltlich sehr wohl relevant und bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.

[74] 9. Zusammengefasst war daher die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen unvermeidlich.

[75] Der Kostenvorbehalt folgt aus § 50 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte