OGH 4Ob245/01k

OGH4Ob245/01k13.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Kinder Elisabeth H*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, der mj Julia H*****, geboren am *****, und der mj Theresa H*****, geboren am *****, beide vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, Jugendhilfe, St. Pölten, Heßstraße 6, infolge Revisionsrekurses aller Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 29. August 2001, GZ 37 R 217/01i-150, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 9. Mai 2001, GZ 1 P 2663/95b-141, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs der mj Julia H***** wird, soweit er die Entscheidung über die Unterhaltspflicht des Vaters für den Zeitraum ab 1. 8. 2000 betrifft, zurückgewiesen.

2. Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs der mj Julia H***** und dem von Elisabeth H***** sowie der mj Theresa H***** Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, ausgenommen die Beschlüsse über den Unterhaltsanspruch der mj Julia H***** für den Zeitraum ab 1. 8. 2000, aufgehoben; die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Die Kinder Elisabeth, Julia und Theresa H***** entstammen der mit Beschluss des Bezirksgerichts Herzogenburg vom 3. 11. 1992 gemäß § 55a EheG geschiedenen Ehe des Stephan und der Ulrike H*****. Aufgrund der bei der Scheidung geschlossenen Vereinbarung kam die Obsorge für alle Kinder der Mutter zu; Elisabeth H***** ist mittlerweile volljährig geworden. Der Vater verpflichtete sich zu Unterhaltsleistungen.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 6. 5. 1997 (ON 78) wurde der Unterhalt für Elisabeth mit 5.000 S, für Julia mit 4.400 S und für Theresa mit 3.600 S festgesetzt. Der Vater verdiente damals durchschnittlich 27.037 S monatlich.

Mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres vom 7. 6. 1999 wurde der Vater gemäß § 112 Abs 3 BDG vom Dienst suspendiert. Die Suspendierung hatte die Kürzung seines Monatsbezugs - unter Ausschluss der Haushaltszulage - auf zwei Drittel für die Dauer der Suspendierung zur Folge. In der Folge wurde der Vater wegen Verrats eines Amtsgeheimnisses rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Die Gehaltskürzung ist damit gemäß § 13 Abs 1 Gehaltsgesetz endgültig geworden.

In der Zeit vom 1. 7. 1999 bis 31. 12. 1999 betrug das durchschnittliche Monatsnettoeinkommen des Vaters 14.019 S; ab 1. 1. 2000 erhöhte sich sein Einkommen auf 14.741 S.

Die mj Julia ist seit 24. 7. 2000 als Lehrling beschäftigt. Sie verfügt im ersten Lehrjahr über eine Nettolehrlingsentschädigung von monatlich 3.815 S.

Mit Beschlüssen jeweils vom 20. 4. 2000 wurden der mj Julia und der mj Theresa Unterhaltsvorschüsse auf Grundlage des bisher bestehenden Exekutionstitels bewilligt.

Der Vater beantragte am 5. 8. 1999, den Unterhalt für Elisabeth auf 2.160 S und für Julia und Theresa auf je 1.920 S herabzusetzen. Am 13. 12. 2000 gab der Vater bekannt, dass er wegen Verrat eines Amtsgeheimnisses rechtskräftig verurteilt wurde. Seine Suspendierung sei nach wie vor aufrecht. Er habe nunmehr erfahren, dass die mj Julia seit Juni oder Juli 2000 als Lehrling beschäftigt sei und eine Lehrlingsentschädigung von rund 4.000 S monatlich beziehe. Ihr stehe daher derzeit kein Unterhaltsbeitrag zu. Aufgrund seiner Sorgepflicht für nunmehr zwei Kinder und seines durchschnittlichen Monatseinkommens von 14.000 S netto ergebe sich für die mj Theresa ein monatlicher Unterhaltsanspruch von 2.500 S und für Elisabeth von

2.800 S. Für den Zeitraum 1. 6. 1999 bis 30. 6. 1999 solle der Unterhalt für Elisabeth mit 2.160 S und für Julia und Theresa mit je 1.920 S festgesetzt werden; ab 1. 7. 2000 solle der Unterhaltsbeitrag für Elisabeth 2.800 S und für Theresa 2.500 S betragen.

Die Kinder sprachen sich gegen die Unterhaltsherabsetzung aus. Der Vater sei auf sein bisheriges Einkommen anzuspannen, weil er die Suspendierung verschuldet habe.

Das Erstgericht setzte den Unterhaltsbeitrag für die Zeit vom 1. 7. 1999 bis 31. 12. 1999 auf je 2.500 S für Elisabeth und Julia und auf 2.200 S für Theresa herab, ab 1. 1. 2000 auf je 2.650 S für Elisabeth und Julia und auf 2.350 S für Theresa; das Herabsetzungsmehrbegehren wies es ab. Die Bezüge für Juni 1999 seien noch in voller Höhe ausgezahlt worden, so dass die Herabsetzung erst ab Juli 1999 gerechtfertigt sei. Ab diesem Zeitpunkt seien die Unterhaltsbeiträge herabzusetzen, weil die Bezugskürzung mit der strafgerichtlichen Verurteilung endgültig geworden sei. Die bisherige Unterhaltsbemessungsgrundlage sei nicht mehr maßgebend, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Vater das zur Suspendierung führende Delikt begangen habe, um die Unterhaltsberechtigten zu schädigen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach der jüngeren Rechtsprechung sei auf das Verhalten des Unterhaltsschuldners nach einem Arbeitsplatzverlust abzustellen; der Arbeitsplatzverlust allein sei noch kein ausreichendes Kriterium für eine Anspannung. Die fristlose Entlassung könne jedoch ein Indiz dafür sein, wie der Unterhaltsschuldner bemüht sei, seine Kräfte anzuspannen, etwa wenn er die Entlassung in der Absicht herbeigeführt habe, sich der Unterhaltspflicht zu entziehen. Damit würden die Grenzen für die Anspannung sehr eng gezogen. Bei Anwendung dieser Grundsätze erscheine eine Anspannung des Vaters auf ein für ihn jetzt auch bei höchster Anstrengung gar nicht erzielbares Einkommen verfehlt. Soweit geltend gemacht werde, dass der Vater neben seiner Suspendierung einer anderen Beschäftigung hätte nachgehen können, sei darauf nicht einzugehen, weil es sich dabei um eine unzulässige Neuerung handle.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichteten Revisionsrekurse der Kinder sind - ausgenommen der Revisionsrekurs der mj Julia, soweit er die Entscheidung über die Unterhaltspflicht des Vaters für den Zeitraum ab 1. 8. 2000 betrifft - zulässig; sie sind auch berechtigt.

1. Zur (teilweisen) Unzulässigkeit des Revisionsrekurses der mj Julia

Die mj Julia hat, vertreten durch den Magistrat der Landeshauptstadt St. Pölten, Jugendhilfe, in ihrem Rekurs erklärt, seit 24. 7. 2000 als Malerlehrling beschäftigt zu sein und damit über ein eigenes Einkommen zu verfügen. Aus diesem Grund bleibe der erstgerichtliche Beschluss insoweit unangefochten, als er die Herabsetzung ab 1. 8. 2000 betreffe.

Der Beschluss des Erstgerichts ist damit in diesem Umfang rechtskräftig geworden. Der Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen, soweit für die mj Julia für die Zeit ab 1. 8. 2000 eine Herabsetzung auf 2.800 S und für die Zeit ab 1. 8. 2001 eine Herabsetzung auf 2.300 S beantragt wird.

2. Zum Revisionsrekurs der mj Julia gegen die Entscheidung über die Unterhaltspflicht für die vor dem 1. 8. 2000 liegenden Zeiträume und zu den Revisionsrekursen der Kinder Elisabeth und Theresa

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, dass die Rechtsprechung zur Anspannung eines Unterhaltspflichtigen uneinheitlich sei. Einerseits werde darauf abgestellt, ob der Unterhaltspflichtige ein früheres Einkommen oder eine frühere Beschäftigung in der Absicht aufgegeben habe, um die Unterhaltsberechtigen zu schädigen, andererseits werde der Anspannungsgrundsatz bereits angewandt, wenn dem Unterhaltspflichtigen auch nur leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.

Das Rekursgericht vermengt damit zwei Dinge: die Frage, ob ein Unterhaltspflichtiger überhaupt angespannt werden kann, und die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Anspannung auf das frühere Einkommen gegeben sind. Bei der ersten Frage wird darauf abgestellt, ob den Unterhaltspflichtigen ein Verschulden trifft. Hat er, wenn auch nur leicht fahrlässig (1 Ob 1645/95 = EFSlg 77.052 ua; Schwimann/Schwimann, ABGB**2 § 140 Rz 60 mwN), den Verlust seines Arbeitsplatzes verschuldet, dann kommt eine Anwendung des Anspannungsgrundsatzes in Betracht. Trifft ihn am Verlust seines Arbeitsplatzes kein Verschulden, so kann er in keinem Fall auf das frühere Einkommen angespannt werden (3 Ob 547/94 = RZ 1995/76).

Auch bei einem verschuldeten Arbeitsplatzverlust kann der

Unterhaltspflichtige nicht schon deshalb auf das frühere Einkommen

angespannt werden, weil ihn ein Verschulden trifft. Die Anspannung

auf das frühere Einkommen setzt voraus, dass der Unterhaltspflichtige

die Entlassung in der Absicht herbeigeführt hat, sich der

Unterhaltspflicht zu entziehen. In einem solchen Fall wird die

Entlassung als Indiz gewertet, dass der Unterhaltsschuldner nicht

bemüht sei, seine Kräfte anzuspannen (7 Ob 48/98d = EFSlg 87.712 mwN;

s auch 2 Ob 250/97x = ÖA 1998, 68; 4 Ob 345/97g = EFSlg 83.324).

In allen anderen Fällen ist zu prüfen, wie sich der Unterhaltspflichtige nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes verhalten hat. Wer seinen Arbeitsplatz aus eigenem Verschulden verliert, hat alles zu unternehmen, um einen neuen - seinen geistigen und körperlichen Anlagen, seiner Ausbildung und seinem Können entsprechenden - Arbeitsplatz zu finden. Dafür reicht es nicht aus, dass sich der Unterhaltspflichtige bei Arbeitsvermittlungsstellen meldet, sondern er hat darüber hinaus initiativ zu werden. Sind seine Bemühungen nicht ausreichend, so kann er auf jenes Einkommen angespannt werden, das er auf dem Arbeitsmarkt erzielen könnte (8 Ob 509/91 = ÖA 1991, 142; 1 Ob 58/00m = JBl 2000, 725 mwN).

Im vorliegenden Fall hat der Unterhaltspflichtige nicht seinen Arbeitsplatz verloren, sondern er ist unter Kürzung seiner Bezüge suspendiert worden. Damit liegt eine dem Unterhaltspflichtigen vorwerfbare und die Bemessungsgrundlage für seine Unterhaltspflicht mindernde Änderung seiner Lebensverhältnisse vor, die grundsätzlich geeignet ist, zu einer Anspannung zu führen. Der festgestellte Sachverhalt bildet jedoch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Vater das zu seiner Suspendierung führende Delikt begangen hätte, um seine Kinder zu schädigen, oder dass er eine Schädigung der Kinder auch nur für möglich gehalten und in Kauf genommen hätte. Eine Anspannung auf das frühere Einkommen nur aufgrund der Suspendierung kommt daher unabhängig davon nicht in Frage, ob auch dolus eventualis ausreicht, um das Verhalten des Unterhaltspflichtigen als Indiz dafür zu werten, dass er sich der Unterhaltspflicht, jedenfalls teilweise, entziehen will.

Der Vater ist jedoch anzuspannen, wenn er es trotz ihm offenstehender Möglichkeiten unterlassen hat, ein Zusatzeinkommen zu erzielen. Maßgebend ist daher, wie sich der Vater nach seiner Suspendierung verhalten hat und zwar insbesondere, ob er sich hätte bemühen können, die Einkommensminderung durch neue Einkünfte wettzumachen. Sein Verhalten muss, ebenso wie bei einer sonstigen mit einer Unterhaltseinschränkung verbundenen Änderung der Lebensverhältnisse (4 Ob 345/97g = ÖA 1998, 174), daran gemessen werden, wie sich ein pflichtbewusster Familienvater bei gleicher Sachlage verhalten würde.

Die Kinder haben in erster Instanz nicht geltend gemacht, dass sich der Vater hätte bemühen müssen, ein Zusatzeinkommen zu erzielen. Das Rekursgericht hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob eine Anspannung aufgrund des Verhaltens des Vaters nach der Suspendierung gerechtfertigt ist und das in diese Richtung gehende Rekursvorbringen Elisabeths als unzulässige Neuerung gewertet. Ihm ist nicht zu folgen, weil sich das Erstgericht auch ohne entsprechendes Vorbringen mit dieser Frage hätte befassen müssen:

Die Kinder haben in erster Instanz geltend gemacht, dass der Vater auf das bisherige Einkommen anzuspannen sei. Das Erstgericht hatte daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Anspannung gegeben sind. Dafür ist, wenn der Unterhaltspflichtige die Unterhaltsverkürzung nicht absichtlich herbeigeführt hat, dessen nachfolgendes Verhalten von ausschlaggebender Bedeutung. Das Erstgericht hätte daher prüfen müssen, ob es dem Vater möglich gewesen wäre, durch eine Nebenbeschäftigung ein Zusatzeinkommen zu erzielen.

Dass er dafür angesichts seiner Suspendierung über genügend Zeit verfügt hätte, liegt auf der Hand; zu prüfen wäre aber gewesen, ob auch die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten für eine Nebenbeschäftigung bestanden hätten.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht den Vater zu diesen Fragen zu hören und, nach allfälligen weiteren Ergänzungen des Verfahrens, erneut zu entscheiden haben.

Den Revisionsrekursen war Folge zu geben.

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